Freitag, 15. November 2019

Dunhill


Als ich die Posts Merrie England's Favourite Pipe und Pfeifenkauf schrieb, hatte ich keine Ahnung davon, dass so viele Leser das lesen würden. Es ermutigte mich, den Post Danske piber zu schreiben, der auch ein kleiner Bestseller wurde. Ich habe in dem Post Pfeifenkauf erwähnt, dass Herr Trennt gerade dafür sorgt, dass eine meiner alten Dunhill Pfeifen repariert wird. Loch im Pfeifenkopf, durchgebrannt. So etwas sollte bei Dunhill, die angeblich die besten Pfeifen der Welt machen, eigentlich nicht vorkommen.

Auf der kleinen alten Garantieurkunde, die unten in der Dunhill Pfeifenschachtel liegt, steht, dass die Firma ein Jahr Garantie gibt (die Firma Charatan wird eine unbegrenzte Garantie geben). Ich habe die Firma damals verflucht und mir gesagt, wenn ich die repariert bekomme, dann schreibe ich mal über Dunhill. Aber bevor ich zu Alfred Dunhill komme, muss ich erst einmal über Charatan schreiben. Denn als Alfred Dunhill vor 110 Jahren in das Geschäft mit den Tabakspfeifen einsteigt, kauft er die bei Charatan, er selbst stellt noch keine Pfeifen her.

Im Jahre 1863, als Tolstoi gerade seinen Roman Krieg und Frieden fertig hat, eröffnet ein russischer Jude namens Frederick Charatan seinen Tabakladen in der Mansell Street in London. Die Mansell Street liegt im jüdischen East End, das ist nicht so fein wie die Duke Street. Es ist die Gegend, wo Jack the Ripper sein Unwesen trieb. Jack London wird über das East End sein Buch The People of the Abyss schreiben, aus dem dieses Photo stammt. Wer hier wohnt oder hier seine Werkstatt hat, will da weg. Und Charatan zieht da weg, erst um die Ecke in die Prescott Street, dann in die Leadenhall Street, da ist er schon in der City of London. Und schließlich ist sein Laden in der Jermyn Street, vornehmer geht es nicht.

Das mit dem Jahr 1863, das Charatan zu der ältesten englischen Firma im Pfeifengeschäft machen würde, steht überall im Internet, aber es ist wahrscheinlich völliger Unsinn. Rechnet man von dem angegeben Alter in seiner Einbürgerungsurkunde zurück, wäre der Frederick (oder Fridrick) Charles Charatan damals vierzehn Jahre alt gewesen. In den ersten offiziellen Verzeichnissen taucht die Firma auch erst in den 1880er Jahren auf.

So bleiben erst einmal unumstritten die Firmen von dem Franzosen Emil Loewe am Haymarket und William Astley in der Jermyn Street (die Charatan eines Tages beliefern wird) die ersten Pfeifengeschäfte in London. Es sind viele jüdische Emigranten, die jetzt die englische Wirtschaft ankurbeln. Die Pogrome und die Maigesetze vertreiben sie aus Russland in das liberale England. Aus Bayern kommen die Frankaus, denen das bayrische Judenedikt das Leben schwermacht. England kann diesen geschäftstüchtigen Zuwanderern nur dankbar sein. Folgt man Heinrich Hausers im amerikanischen Exil geschriebenen Buch Battle Against Time: A Survey of the Germany of 1939 from the Inside, dann hat auch die Familie Dunhill jüdische Wurzeln.

Bevor wir zu Alfred Dunhill kommen, müssen wir mal eben nach Frankreich springen. Denn dort sitzen die Fabrikanten, die als erste das Bruyereholz verarbeiten, das sich so vortrefflich für Pfeifen eignet. Frederick Charatan schnitzte noch Meerschaumpfeifen, das kann der Russe im k.u.k. Österreich gelernt haben, über das er nach England kam. Wien ist im 19. Jahrhundert das Zentrum für vornehme verzierte Meerschaumpfeifen.

Neben dem echten Meerschaum aus der Türkei gibt es auch den Wiener-Meerschaum (oder Massa-Meerschaum), der mit Bindemitteln aus gemahlenen Resten von Fehlproduktionen hergestellt wird. Man kann aus den Meerschaumresten übrigens auch Katzenstreu machen. Es brauchte einige Zeit, bis sich die Bruyerepfeifen in der feinen Gesellschaft durchsetzen. Es gibt heute immer noch Meerschaumpfeifen, und eine Pfeife von Andreas Bauer (Wien) kann mehr als eine Dunhill Pfeife kosten.

Das da auf dem Bild sind die Knollen der Baumheide (Erica Arborea), die sich rund um das Mittelmeer findet. Sie sind ein halbes Jahrhundert alt, Knollen, die jünger sind, werden Qualitätshersteller nicht verwenden. Es ist ein langer Weg, bis aus diesem Holz eine Pfeife wird. Es wird gelagert, gekocht und wieder gelagert. Wenn Sie mehr dazu wissen wollen, klicken Sie diesen Link an. 

Es ist wahrscheinlich die Firma von François Comoy in Saint-Claude gewesen, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts nur noch Bruyere verwendet. Vorher hatten sie schon Pfeifenköpfe aus allen möglichen Hölzern (zum Beispiel Buchsbaum, Kirsche oder Olivenholz) gedrechselt. François Comoys Sohn Henri wird am Ende des Jahrhunderts nach England gehen und dort eine Firma begründen, die Qualitätspfeifen herstellt. Die Comoys werden sich mit ihren Verwandten, den Chapuis, zusammentun und die Firma Chacom gründen, die es heute auch noch gibt. Sainte-Claude ist das Zentrum der französischen Pfeifenindustrie, sie haben da im Pfeifenmuseum auch eine Donald Trump Pfeife. Man kann so etwas kaufen, muss man aber nicht. Ist ungefähr so blöd wie die Horst Lichter Collection von Vauen.

Das Bild hier zeigt Reuben Charatan, dem sein Vater 1910 die Firma übergeben hatte, wie er voller Stolz vor seinem Bruyere Vorrat steht. Das Bild ist vom Anfang der fünfziger Jahre, Charatan ist immer noch gut im Geschäft, ist aber umsatzmäßig von Dunhill überholt worden. Die besitzen inzwischen noch andere Firmen wie Parker, Hardcastle und Masta, und sie werden auch Charatan schlucken. Werden die Firma dann wieder verkaufen und wieder zurückkaufen.

Dunhill macht die besten Pfeifen der Welt. Sagt die Dunhill Werbung. Wie kommt dann eine kleine Firma wie Sasieni dazu, ihre Produkte als World's Premier Pipe zu bezeichnen? Und wird nicht von Dunhill verklagt? Das liegt wohl daran, dass die Firma Dunhill weiß, wie gut diese Sasieni Pfeifen sind. Seine ersten fünf Pfeifenmacher hat Alfred Dunhill von Charatan weggelockt, darunter Joel Sasieni, der der Chef der Pfeifenproduktion von Dunhill wurde. Aber irgendwie gefiel ihm das nicht, obgleich er überdurchschnittlich gut verdiente, und so gründete er seine eigene Firma.

Sasieni hatte schnell großen Erfolg, und so konnte er 1926 in der Zeitschrift Vanity Fair diese Anzeige schalten, die den Prince of Wales zeigt. Mit der Überschrift: ... and the Prince said: 'I like a Sasieni Pipe!' Dunhill hat Sasieni dennoch eines Tages verklagt, weil Sasieni Pfeifen als Markenzeichen einen hellblauen Punkt auf dem Mundstück trugen. Dunhill, die ihre Pfeifen seit 1912 mit dem berühmten white spot verzierten, fühlte sich in seinen Markenrechten verletzt, Sasieni brachte hellblaue Spots auf seinen Pfeifen an. Gegen die deutsche Firma Vauen führte Dunhill einen jahrelangen Prozess, weil die auch weiße Punkte auf ihren Pfeifen hatten. Haben sie immer noch, aber nur in Deutschland, für Exporte mussten graue Punkte auf die Pfeifen. So etwas sind echte Sorgen.

Wirkliche Sorgen bekam Dunhill, als am Nachmittag des 17. Aprils 1941 deutsche Bomben Teile der Jermyn Street und der Duke Street zerstörten. Angeblich haben Dunhills Angestellte Winston Churchill in der Nacht um vier angerufen, um ihm zu sagen, dass der Humidor mit seinen Zigarren gerettet sei. Ich weiß nicht, ob die Geschichte wahr ist. Wahr ist aber, dass Alfred Henry Dunhill, Captain im Ersten Weltkrieg und Träger des Military Cross, am nächsten Tag hinter einem Tisch auf der Straße saß und Tabak und Pfeifen verkaufte, wie man auf diesem Photo sehen kann.

1973 veranstaltete die Kieler Firma Tabac Trennt, die damals seit 103 Jahren im Geschäft war, eine große Sonderschau von Dunhill und Stanwell Pfeifen. Es gab auch eine Dunhill und zwei Stanwell Pfeifen zu gewinnen. Ich habe leider nichts gewonnen, aber eine Stanwell gekauft, die ich immer noch habe. Ist auch nie durchgebrannt. Ich weiß nicht, wie gut Dunhill Pfeifen wirklich sind. Wenn man diesen amüsanten Artikel von Ivy Ryan liest, dann bleibt von Dunhills Ruf nicht so viel übrig.

Dunhill ist heute ein Weltkonzern, der zur Richemont Gruppe gehört (zu der auch die IWC gehört), das Geschäft mit den Pfeifen spielt da keine große Rolle mehr. Es sind tausenderlei Produkte, die den Namen Dunhill tragen. Ihre erste Kollektion Herrenmode kam mal von Ermenegildo Zegna, ich weiß nicht, wer die heute herstellt. Ich weiß auch bei der Dunhill Werbung nicht, was sie soll. Macht John Hurt Werbung für einen Dunhill Pullover?

Es ist niemand aus der Familie Dunhill mehr in der Konzernspitze, und die historische Pfeifensammlung von Alfred Dunhill wurde 2004 bei Christie's verkauft. Man braucht auch keine Dunhill Pfeife, man kann mit Qualitätspfeifen von Parker, Comoy's, Barling, BBB oder Ben Wade auch glücklich werden. Vielleicht auch mit einer amerikanischen Kaywoodie oder einer Missouri Meerschaum Pfeife, ich weiß es nicht. Und wenn man sich etwas wirklich Exklusives kaufen will, dann kauft man eine Pfeife von James Upshall (wie meine Straight Grain hier) oder von Karlheinz Joura aus Bremen.

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