Donnerstag, 10. Oktober 2019

Pfeifenkauf


Nein, ich rauchte damals eigentlich keine Ziggis. Aber die Frau, die dieses Photo gemacht hat, hat mir eine Zigarette in die Hand gedrückt und gesagt, ich würde mit einer Zigarette im Mund auf dem Photo unheimlich cool aussehen. Damals, als ich so unheimlich cool aussah, war ich gerade wissenschaftliche Hilfskraft bei einem Professor geworden, der neu an der Uni war. Ich lernte schnell, dass meine wichtigste wissenschaftliche Aufgabe darin bestand, den TK93 Tabak bei Trennt zu kaufen.

Der Professor war aus dem Rheinland nach Kiel gekommen, er war ziemlich berühmt. Auf jeden Fall erzählte er gerne, dass er ziemlich berühmt sei. Er rauchte Pfeife, und als Pfeiferaucher hatte er natürlich schon von dem bekannten Tabak TK93 von Tabac Trennt gehört, den die Firma an Liebhaber in der ganzen Welt verschickte. Der Spruch Jeder Smöker hett sin Höker, De watt kennt swört op Trennt war offenbar bis Köln gedrungen.

Der Laden war damals noch in einem unscheinbaren Flachbau in der Brunswiker Straße gegenüber der Lubinus Klinik. Unser Professor begab sich also zu dem kleinen Laden, um Tabak und eventuell noch eine Pfeife zu kaufen, es blieb sein einziger Besuch bei Tabac Trennt. Aber TK93 rauchte er jeden Tag. Ich fragte irgendwann die anderen HiWis, warum sich der Professor seinen Tabak nicht selbst kaufte. Erst dann erfuhr ich die ganze Geschichte. Der Professor war damals mit seiner typischen kölschen Fröhlichkeit in den kleinen Laden gekommen, Pfeife im Mund. Und der alte Trennt hatte ihm die Pfeife aus dem Mund genommen, sie angeguckt und gesagt: Ihnen verkauf' ich doch keinen Tabak, Sie können überhaupt nicht Pfeife rauchen.

Geschichten dieser Art gab es im Ort damals zuhauf, Karl-Heinrich Trennt, der Kieler Hüter der Tabakkultur, war unnachgiebig gegenüber Kunden, die seiner Meinung nach guten Tabak nicht würdigten und billige Zigaretten rauchten. Ich habe das schon in dem Post Tabac Trennt erwähnt. Im Gegensatz zu dem oben erwähnten Professor bin ich mit Herrn Trennt immer gut ausgekommen, und mit seinem Sohn Jochen-Gunnar Trennt wird kein Kunde Schwierigkeiten haben, der ist wirklich sehr nett. Und er sorgt gerade dafür, dass eine meiner alten Dunhill Pfeifen repariert wird.

Mit dieser Pfeife, die W.Ø. Larsen signiert ist, springen wir mal eben nach Dänemark. Den Laden von W.Ø. Larsen in der Strøget in Kopenhagen gibt es nicht mehr, die Marke lebt aber weiter. W.Ø. Larsen, der auch Kongelig Hofleverandør war, stellte selbt keine Pfeifen her, aber die berühmtesten dänischen Pfeifenmacher, von denen sich manche später selbständig machten, arbeiteten für die Firma. Und so bot man in einer Anzeige vor fünfzig Jahren zurückhaltend an: Moderne og klassiske modeller i fineste udførelse og med perfekte rygeegenskaber. Ich habe zwei W.Ø.Larsen Pfeifen, und das mit den perfekten Raucheigenschaften kann ich bestätigen.

Und da ich bei berühmten Läden bin, die es nicht mehr gibt, muss ich noch eben Astley's erwähnen, die früher in der Nummer 109 der Jermyn Street residierten. Die New York Times schrieb in ihrem Artikel A Gentlemanly Stroll On Jermyn Street über das Geschäft: For a postprandial smoke, Astley's, a specialist in pipes, is next door. The store was established in 1862, and if there be such a thing as a pipe museum this is it: an extraordinary collection of weird and antique smoking equipment of every conceivable shape and figuration. Astley's ließ sich seine Pfeifen von Charatan und Dunhill liefern, aber deren Namen fand man nicht auf den Pfeifen. Da steht nur Astley's und die Anschrift des Ladens. Dieses Jermyn Street 109 findet sich übrigens auch auf ihrer Zweitmarke, die Tudor Rose heißt.

Das hier ist eine Straight Grain Pfeife von Astley's, man nennt diese Pfeifen so, weil sie eine völlig parallel laufende Maserung des Bruyere Holzes haben. Das ist, wie bei Pfeifen auf denen flame grain oder birdseye steht, ein Zufallsprodukt, eine Laune der Natur. Ich habe Anfang der siebziger Jahre für meine Astley's Straight Grain hundert Pfund bezahlt, fragen Sie mich nicht, wo damals das englische Pfund stand. Aber es ist eine gute Pfeife, und sie sieht nach über vierzig Jahren immer noch gut aus. Es ging natürlich auch billiger, der kleine Händler in Sussex, der in der Sunday Times Straight Grain Pfeifen zweiter Wahl anbot, schickte mir eine erstklassige Pfeife ohne Herstellernamen für zwei Pfund fünfzig. Die nach Jahrzehnten immer noch perfekte rygeegenskaber hat.

Und ein netter dänischer Händler in Sonderburg bot mir für einen lächerlich geringen Preis eine Dunhill zweiter Wahl an. Stand nicht Dunhill drauf, nur Made in London England, man konnte die Fehler und Kittstellen im Holz sehen. Auf dem Mundstück war nicht Dunhills Markenzeichen, der berühmte weiße Punkt, sondern dies hier, das Logo der Firma Hardcastle. Von der Firma hatte Dunhill 1936 die Hälfte der Aktien gekauft, zehn Jahre später den Rest. Es gibt den sich beharrlich haltenden Mythos, dass es bei Dunhill keine Pfeifen zweiter Wahl gibt, bei denen ist alles perfekt. Aber natürlich wird es etwas geben, was man failings, rejects oder seconds gibt. Niemand kann dem Stück Holz, aus dem die Pfeife geschnitzt wird, von außen ansehen, wie es innen drin aussieht. Und Dunhill hatte 1922 die Parker Pipe Co Limited ursprünglich nur gegründet, um seine failings zu verkaufen.

Kapitän Ernst Biet, den ich nur mit einer Pfeife im Mund kannte, hat mir mal gesagt, dass ich mir lieber eine Charatan als eine Dunhill kaufen sollte. Ich habe auf ihn gehört, es war kein schlechter Rat. Dunhill hat irgendwann die Firma Charatan geschluckt und sie seinem Dunhill-Parker-Hardcastle Imperium einverleibt, zu dem auch die Masta Pipes gehörten, die der alte Trennt so gerne den Neulingen des Pfeifenrauchens verkaufte. Parker und Hardcastle entwickelten sich zu eigenen Firmen, die nichts mehr mit der Dunhillschen Resteverwertung zu tun hatten.

Und die Qualität von Charatan (hier Georges Simenon mit einer Charatan), der ältesten englischen Firma, die vor hundert Jahren Dunhill mit Pfeifen belieferten, war nach der Übernahme durch Dunhill nie mehr dieselbe. Es ist mit Dunhill ein wenig so wie mit Rolex: viel Mythos, viel Werbung, und dahinter viele Fragezeichen. Ich besitze drei Pfeifen von der Firma, deren Pfeifen heute bei einem Preis von 500 Euro anfangen. Aber ich habe die nur, weil ein kleiner Händler, der seinen Laden aufgeben musste, seinen Bestand an Dunhill Pfeifen für 120 Mark das Stück verkaufte. Das war billiger als bei Pfeifen Timm auf Helgoland in den siebziger Jahren.

Wenn man ein Antiquariat, wie zum Beispiel das von Eschenburg, betritt, dann kann man sicher sein, dass der Besitzer des Geschäftes etwas von Büchern versteht und man sich auf seinen Rat verlassen kann. Pfeifenläden sind ähnlich wie Antiquariate, ihre Besitzer prägen die Atmosphäre des Ladens, man kann gut mit ihnen reden, ein wenig fachsimpeln, Neues erfahren, selbst wenn man nur eine Packung Pfeifenreiniger kauft.

Das hier ist Herbert Motzek, der den neben Trennt zweiten erstklassigen Laden in Kiel hatte. Er hatte bei berühmten dänischen Pfeifenmachern wie Viggo Nielsen und Poul Winslow gelernt, war mit einer Dänin verheiratet und hatte immer eine kleine dänische Flagge vor seinem Laden stehen. Obgleich ich eigentlich Kunde von Trennt war, habe ich jahrelang bei Herbert Motzek Tabak gekauft. Eine seiner eigenen Mischungen mit viel gelbem Virginia Tabak, die gibt es wahrscheinlich heute immer noch. Den Tabak, den sich Günter Grass bei Motzek bestellte, gibt es wahrscheinlich auch noch.

Herbert Motzek hat sich vor vier Jahren in den Ruhestand verabschiedet, aber er hat mit Thomas Darasz einen Nachfolger gefunden, der auch Pfeifenmacher ist. Der Danebrog ist immer noch vor dem Laden, und es hat sich wenig geändert. Thomas Darasz hat eine große Internetpräsenz, und wahrscheinlich geht das Geschäft mit Pfeifen und Tabak immer mehr ins Netz. Das schon voll ist mit gebrauchten Pfeifen. Die nicht als gebrauchte Pfeifen angeboten werden, sondern estate pipes heißen. Klingt großartig, ist eine neue Bedeutung von estate, die das englische Lexikon bisher so nicht kannte. Eine stark gebrauchte, ungereinigte Dunhill Pfeife fängt preislich bei ebay bei 100 € an, dazu sage ich lieber nichts.

In dem Geschäft mit estate pipes ist auch Stefan Kyselka aus Altenholz bei Kiel, der allerdings auch Pfeifenmacher ist. Gegen eine fachmännisch aufbereitete Pfeife ist im Grunde nichts zu sagen, wenn sie ein neues Mundstück bekommen hat. Den berühmten weißen Punkt, um den Dunhill und Vauen in den zwanziger Jahren einen erbitterten Prozess führten, kann man auch anbringen lassen. Das einzige Risiko ist, dass der Vorbesitzer mal Erinmore Tabak geraucht hat, den furchtbaren Geschmack bekommt man nie wieder aus der Pfeife.

Viele Läden, die Pfeifen verkauften, sind mittlerweile aus der Stadt verschwunden: Pfeifen Schulz neben den Kieler Nachrichten, der das Fenster voller goldener Dupont Feuerzeuge hatte und Charatan Pfeifen anbot, ist weg (ich habe hier ein Bild vom Abriss des Ladens). Krüger & Oberbeck in der Holstenstraße, die preiswerte englische Willmer Pfeifen (die sehr gut waren) verkauften, gibt es nicht mehr. Lorinki (Lorenz Ingwersen) in der Küterstraße war einmal erstklassig sortiert, was dänische Pfeifen betraf, nach dem Tod des Besitzers ist der Laden nur noch ein Schatten seiner selbst. Tabak Waister, Ihr Fachgeschäft im Norden Kiels, ist einer Immobilienspekulation zum Opfer gefallen.

Uhrmacher gibt es nicht mehr. Auch viele Buchhandlungen sind aus der Stadt verschwunden, alles wird ins Internet verlagert. Auf den Flohmärkten landet nur noch besserer Hausmüll, alle guten Dinge finden sich bei ebay. Dass ich damals die schöne BBB Pfeife auf dem Flohmarkt gefunden habe, ist auch schon zwanzig Jahre her. Die Alltgskultur wird viral, man könnte wieder einmal Petronius zitieren: Si bene calculum ponas, ubique naufragium est. Motzek gibt es seit über vierzig Jahren, Trennt kann im nächsten Jahr sein 150. Jubiläum feiern. Seien wir dankbar, dass es diese Läden noch gibt.


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