Der Herr mit dem Bowler in der Mitte liest ein gefährliches Buch, die Dame neben ihm weiß nicht so ganz, was sie davon halten soll. Ein berühmt gewordener Prozess im Jahre 1960 hatte gerade ergeben, dass die Penguin Ausgabe von Lady Chatterley's Lover (der dritten Version, die Lawrence geschrieben hatte) nicht verbotenen werden konnte. Allen Lanes Penguin Verlag verkaufte am ersten Tag des Erscheinens von Lady Chatterley's Lover 200.000 Exemplare und druckte gleich 300.000 nach. Mehr als drei Millionen werden es in kürzester Zeit sein. Für viele Kulturkritiker war das der Beginn der permissive society. Oder wie Philip Larkin in seinem Gedicht Annus Mirabilis so schön dichtete:
Sexual intercourse began
In nineteen sixty-three
(which was rather late for me) -
Between the end of the "Chatterley" ban
And the Beatles' first LP.
Der Penguin Band ist gerade wieder Gegenstand einer juristischen Auseinandersetzung gewesen. Nicht das Buch, das bei mir im Regal steht, sondern dieses Exemplar hier, das der Richter Sir Laurence Byrne im Prozess verwendet hatte. Seine Gattin hatte dafür ein hübsches Damasttäschchen genäht, damit das Ganze nicht so zerfleddert aussah. Und sie hatte in dem Buch auch die schmutzigen Stellen angestrichen, damit ihr Gatte die schneller finden konnte. Wahrscheinlich wirkte bei ihr noch nach, was ein englischer Rezensent beim Erscheinen der Erstausgabe 1928 in Frankreich schrieb: the most evil outpouring that has ever besmirched the literature of our country. The sewers of French pornography would be dragged in vain to find a parallel in beastliness . . . Unfortunately for literature as for himself, Mr. Lawrence has a diseased mind.
Das Buch kam jetzt bei Sotheby's zur Auktion, und man konnte auf der Seite der Regierung lesen: Arts Minister Michael Ellis has ordered a temporary export bar on the copy of Lady Chatterley’s Lover used by judge during obscenity trial . Der Amerikaner, der bei Sotheby's bereit war, dafür 56.250 £ auf den Tisch zu legen, ging wegen des Exportverbots leer aus. Jetzt besitzt die Juristische Fakultät der Universität Bristol das Buch. Mit dem Damasttäschchen und den Annotationen von Lady Dorothy.
56.250 £ sind eine Menge Geld für ein Paperback, in dem die schmuddeligen Stellen markiert sind. Also Stellen wie diese, wo der Wildhüter Mellors zu Lady Constance sagt: Tha's got such a nice tail on thee," he said, in the throaty caressive dialect. "Tha's got the nicest arse of anybody. It's the nicest, nicest woman's arse as is! An' ivery bit of it is woman, woman sure as nuts. Tha'rt not one o' them button-arsed lasses as should be lads, are ter! Tha's got a real soft sloping bottom on thee, as a man loves in 'is guts. It's a bottom as could hold the world up, it is!"
Ich hatte in dem Post Fernsehen auf den französischen Film ✺Lady Chatterley von 2006 hingewiesen, und arte hat dankenswerterweise anschließend noch eine Dokumentation mit dem Titel ✺Der Prozess der Lady Chatterley: Orgasmus und Klassenkampf in einem englischen Garten gesendet, die noch bis zum nächsten Jahr abrufbar ist. Der Roman von D.H. Lawrence ist immer wieder verfilmt worden, zuerst 1955 von ✺Marc Allégret, die neueste Verfilmung ist aus dem Jahre ✺2017 von der BBC. 1981 gab es eine Version von ✺Just Jaeckin, der ja wie seine seine Hauptdarstellerin Sylvia Kristel eher im Softporno Geschäft zu Hause war, also bei solchen Filmen, die in dem Post Patti d'Arbanville erwähnt werden.
Es gibt auch noch einige Pornofilme, die den Namen Chatterley im Titel haben, wie zum Beispiel Lady Chatterley's Ghost oder Lady Chatterley Stories, aber das lassen wir lieber weg. Dass der Roman immer wieder auf seine Sexszenen reduziert wird, ist inzwischen zu einer Plattitüde geworden. Dafür braucht man ein nacktes Playboy Häschen wie Jessie Lunderby in Lady Chatterley's Ghost nun wirklich nicht. Es ging D.H. Lawrence, der ebenso wie seine Romanfigur Sir Clifford Chatterley impotent war, schon um Sex, aber so etwas wie hier hatte er sicher nicht gemeint. Doing dirt on sex, it is the crime of our times, because what we need is tenderness towards the body, towards sex, we need tender-hearted fucking, hat er geschrieben.
Eine interessante Verfilmung des Romans bot die vierteilige ✺BBC Serie von Ken Russell, der auch Lawrences Roman ✺Women in Love verfilmt hatte. Aber Joely Richardson blieb als Lady zu ladylike und zu kalt, wie letztlich auch Marina Hands in dem französischen Film, den arte gerade gesendet hat, der Film ertrank in schönen Bildern. Dass im Roman einmal We fucked a flame into being gesagt wird, scheint angesichts dieser Bilder kaum glaublich. Das Wort fuck kommt in dem Roman übrigens nur 26 Mal vor.
Der Chatterley Prozess im Jahre 1960 war der Beginn vom Ende der englischen Zensur, der mit dem Theatres Act von 1968 war es mit der Macht des Lord Chamberlain als Zensurinstanz vorbei. Allerdings gab es 1964 schon wieder einen Prozess um einen englischen Roman, diesmal war John Clelands Roman Fanny Hill aus dem Jahre 1748 dran.
Vielleicht sollte der Obszönitätsprozeß auch nur von einer wirklichen Obszönität ablenken, damit meine ich nicht, dass Boris Johnson in dem Jahr geboren wurde. Sondern die Liebesaffaire, die diese junge Dame, die in dem Absatz da oben neben der Kopie eines Arne Jacobsen Stuhls sitzt, mit dem Verteidigungsminister hat. Das ist natürlich Christine Keeler, die hier schon einen ausführlichen Post hat. Und den Film ✺Scandal aus dem Jahre 1989, wo Christine Keeler von Joanne Whalley gespielt wird, biete ich heute auch noch an.
Ich bleibe mal im Jahr 1964, da erschien in dem amerikanischen Nudistenmagazin Nude Living dieses Photo als Illustration zu einem Artikel, der In Defense of the Pleasures of the Body hieß. Kunst? Pornographie? Können wir beim Anblick nackter Frauen an andere Kategorien denken? D.H. Lawrence hasste Pornographie. Er hasste auch James Joyces Ulysses: The last part of [Ulysses] is the dirtiest, most indecent, obscene thing ever written. . . . This Ulysses muck is more disgusting than Casanova. I must show that it can be done without muck. Er hat wohl richtig erkannt, dass in Molly Blooms Monolog mehr Sex steckt, als in seinem ganzen Chatterley Roman. Die junge Dame mit dem schönen Körper hier ist übrigens Marli Renfro, die vier Jahre zuvor als Double für Janet Leigh in Psycho unter der Dusche stand.
“I don’t care!” she said stubbornly to Hilda at bedtime. “I know the penis is the most godly part of a man. . . . I know it is the penis which connects us with the stars and the sea and everything. It is the penis which touches the planets, and makes us feel their special light. I know it. I know it was the penis which really put the evening stars into my inside self. I used to look at the evening star, and think how lovely and wonderful it was. But now it’s in me as well as outside me, and I need hardly look at it. I am it. I don’t care what you say, it was the penis gave it me.”
Das steht nicht in Lady Chatterley's Lover, das die dritte Version des Romans ist, die Lawrence schrieb. Dies Zitat findet sich in der zweiten Version, die John Thomas and Lady Jane heißt (die auch die Vorlage für den französischen Film von 2006 war). Viele Kritiker halten John Thomas and Lady Jane für das bessere Buch: The Lady C. and her lover of the second version are also less romantic and more believable, with Connie Chatterley less sophisticated and intellectual, and her gamekeeper less a matinee idol in quickly removable corduroy breeches. None of the three versions make a great novel out of Lawrence’s materials, but a reading of the second suggests that one of Lawrence’s great literary mistakes was to expend much of the waning energies of his last years on the third.
Das Buch kam jetzt bei Sotheby's zur Auktion, und man konnte auf der Seite der Regierung lesen: Arts Minister Michael Ellis has ordered a temporary export bar on the copy of Lady Chatterley’s Lover used by judge during obscenity trial . Der Amerikaner, der bei Sotheby's bereit war, dafür 56.250 £ auf den Tisch zu legen, ging wegen des Exportverbots leer aus. Jetzt besitzt die Juristische Fakultät der Universität Bristol das Buch. Mit dem Damasttäschchen und den Annotationen von Lady Dorothy.
56.250 £ sind eine Menge Geld für ein Paperback, in dem die schmuddeligen Stellen markiert sind. Also Stellen wie diese, wo der Wildhüter Mellors zu Lady Constance sagt: Tha's got such a nice tail on thee," he said, in the throaty caressive dialect. "Tha's got the nicest arse of anybody. It's the nicest, nicest woman's arse as is! An' ivery bit of it is woman, woman sure as nuts. Tha'rt not one o' them button-arsed lasses as should be lads, are ter! Tha's got a real soft sloping bottom on thee, as a man loves in 'is guts. It's a bottom as could hold the world up, it is!"
Es gibt auch noch einige Pornofilme, die den Namen Chatterley im Titel haben, wie zum Beispiel Lady Chatterley's Ghost oder Lady Chatterley Stories, aber das lassen wir lieber weg. Dass der Roman immer wieder auf seine Sexszenen reduziert wird, ist inzwischen zu einer Plattitüde geworden. Dafür braucht man ein nacktes Playboy Häschen wie Jessie Lunderby in Lady Chatterley's Ghost nun wirklich nicht. Es ging D.H. Lawrence, der ebenso wie seine Romanfigur Sir Clifford Chatterley impotent war, schon um Sex, aber so etwas wie hier hatte er sicher nicht gemeint. Doing dirt on sex, it is the crime of our times, because what we need is tenderness towards the body, towards sex, we need tender-hearted fucking, hat er geschrieben.
Eine interessante Verfilmung des Romans bot die vierteilige ✺BBC Serie von Ken Russell, der auch Lawrences Roman ✺Women in Love verfilmt hatte. Aber Joely Richardson blieb als Lady zu ladylike und zu kalt, wie letztlich auch Marina Hands in dem französischen Film, den arte gerade gesendet hat, der Film ertrank in schönen Bildern. Dass im Roman einmal We fucked a flame into being gesagt wird, scheint angesichts dieser Bilder kaum glaublich. Das Wort fuck kommt in dem Roman übrigens nur 26 Mal vor.
Der Chatterley Prozess im Jahre 1960 war der Beginn vom Ende der englischen Zensur, der mit dem Theatres Act von 1968 war es mit der Macht des Lord Chamberlain als Zensurinstanz vorbei. Allerdings gab es 1964 schon wieder einen Prozess um einen englischen Roman, diesmal war John Clelands Roman Fanny Hill aus dem Jahre 1748 dran.
Vielleicht sollte der Obszönitätsprozeß auch nur von einer wirklichen Obszönität ablenken, damit meine ich nicht, dass Boris Johnson in dem Jahr geboren wurde. Sondern die Liebesaffaire, die diese junge Dame, die in dem Absatz da oben neben der Kopie eines Arne Jacobsen Stuhls sitzt, mit dem Verteidigungsminister hat. Das ist natürlich Christine Keeler, die hier schon einen ausführlichen Post hat. Und den Film ✺Scandal aus dem Jahre 1989, wo Christine Keeler von Joanne Whalley gespielt wird, biete ich heute auch noch an.
Ich bleibe mal im Jahr 1964, da erschien in dem amerikanischen Nudistenmagazin Nude Living dieses Photo als Illustration zu einem Artikel, der In Defense of the Pleasures of the Body hieß. Kunst? Pornographie? Können wir beim Anblick nackter Frauen an andere Kategorien denken? D.H. Lawrence hasste Pornographie. Er hasste auch James Joyces Ulysses: The last part of [Ulysses] is the dirtiest, most indecent, obscene thing ever written. . . . This Ulysses muck is more disgusting than Casanova. I must show that it can be done without muck. Er hat wohl richtig erkannt, dass in Molly Blooms Monolog mehr Sex steckt, als in seinem ganzen Chatterley Roman. Die junge Dame mit dem schönen Körper hier ist übrigens Marli Renfro, die vier Jahre zuvor als Double für Janet Leigh in Psycho unter der Dusche stand.
“I don’t care!” she said stubbornly to Hilda at bedtime. “I know the penis is the most godly part of a man. . . . I know it is the penis which connects us with the stars and the sea and everything. It is the penis which touches the planets, and makes us feel their special light. I know it. I know it was the penis which really put the evening stars into my inside self. I used to look at the evening star, and think how lovely and wonderful it was. But now it’s in me as well as outside me, and I need hardly look at it. I am it. I don’t care what you say, it was the penis gave it me.”
Das steht nicht in Lady Chatterley's Lover, das die dritte Version des Romans ist, die Lawrence schrieb. Dies Zitat findet sich in der zweiten Version, die John Thomas and Lady Jane heißt (die auch die Vorlage für den französischen Film von 2006 war). Viele Kritiker halten John Thomas and Lady Jane für das bessere Buch: The Lady C. and her lover of the second version are also less romantic and more believable, with Connie Chatterley less sophisticated and intellectual, and her gamekeeper less a matinee idol in quickly removable corduroy breeches. None of the three versions make a great novel out of Lawrence’s materials, but a reading of the second suggests that one of Lawrence’s great literary mistakes was to expend much of the waning energies of his last years on the third.
Ours is essentially a tragic age, so we refuse to take it tragically. The cataclysm has happened, we are among the ruins, we start to build up new little habitats, to have new little hopes. It is rather hard work: there is now no smooth road into the future: but we go round, or scramble over the obstacles. We've got to live, no matter how many skies have fallen. So beginnt der Roman, der auch ein Gesellschaftsroman sein will, aber das Thema ist bei Anthony Powell besser aufgehoben als bei Lawrence. Sir Clifford Chatterley (rather supercilious and contemptuous of anyone not in his own class. He stood his ground, without any attempt at conciliation) kommt schwerverletzt aus dem Krieg zurück, aber vom Schrecken des Krieges dringt nichts in diesen Roman. Gegen Goodbye to All That von Robert Graves sind die Kriegserinnerungen von Sir Clifford ärmlich.
Was bleibt von Lady Chatterley's Lover übrig, wenn wir den ganzen schwülstigen Sex streichen, der bei Lawrence schon zu einer Art Religion geworden ist? Nicht viel, es ist kein guter Roman. Er kann nicht mit den beiden wirklich großen Romanen konkurrieren, die in den zwanziger Jahren auf den Markt kommen: Ulysses und A la recherche du temps perdu. Der Literaturkritiker F.R. Leavis empfahl, statt des Romans Lawrences Essay Pornography and Obscenity zu lesen. Ich mag Thomas Hardy, den Lawrence immer wieder beklaute, ich mag Joseph Conrad, nicht nur, weil er über Lawrence sagte: he had started well, but had gone wrong. Filth. Nothing but obscenities. Auf dem Cover des Penguin Classics Band von Lady Chatterley's Lover steht der Satz No one ever wrote better about the power struggles of sex and love. Der Satz ist von Doris Lessing, die auch ein sehr lesenswertes Vorwort verfasst hat.
Ich mag Hardy und Conrad und viele andere Romanautoren, aber D.H. Lawrence habe ich nie gemocht. Und dennoch kann ich ein Buch von ihm empfehlen. Es heißt Studies in Classic American Literature (der Link führt zum Volltext), es kommen keine Wildhüter und keine nackten sexuell frustrierten Ladies drin vor, dies sind Essays zur amerikanischen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Das Buch ist 1992 unter dem Titel Der Untergang der Pequod: Studien zur klassischen amerikanischen Literatur auch einmal auf Deutsch erschienen. Es gehört mit zum Besten, was über die amerikanische Literatur geschrieben wurde.
Das kleine Sternchen ✺ im Text zeigt an, dass Sie dort einen Film sehen können.
Was bleibt von Lady Chatterley's Lover übrig, wenn wir den ganzen schwülstigen Sex streichen, der bei Lawrence schon zu einer Art Religion geworden ist? Nicht viel, es ist kein guter Roman. Er kann nicht mit den beiden wirklich großen Romanen konkurrieren, die in den zwanziger Jahren auf den Markt kommen: Ulysses und A la recherche du temps perdu. Der Literaturkritiker F.R. Leavis empfahl, statt des Romans Lawrences Essay Pornography and Obscenity zu lesen. Ich mag Thomas Hardy, den Lawrence immer wieder beklaute, ich mag Joseph Conrad, nicht nur, weil er über Lawrence sagte: he had started well, but had gone wrong. Filth. Nothing but obscenities. Auf dem Cover des Penguin Classics Band von Lady Chatterley's Lover steht der Satz No one ever wrote better about the power struggles of sex and love. Der Satz ist von Doris Lessing, die auch ein sehr lesenswertes Vorwort verfasst hat.
Ich mag Hardy und Conrad und viele andere Romanautoren, aber D.H. Lawrence habe ich nie gemocht. Und dennoch kann ich ein Buch von ihm empfehlen. Es heißt Studies in Classic American Literature (der Link führt zum Volltext), es kommen keine Wildhüter und keine nackten sexuell frustrierten Ladies drin vor, dies sind Essays zur amerikanischen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. Das Buch ist 1992 unter dem Titel Der Untergang der Pequod: Studien zur klassischen amerikanischen Literatur auch einmal auf Deutsch erschienen. Es gehört mit zum Besten, was über die amerikanische Literatur geschrieben wurde.
Das kleine Sternchen ✺ im Text zeigt an, dass Sie dort einen Film sehen können.
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