Sonntag, 5. März 2023

Gesamtkunstwerk


Als wir jung waren, waren wir genial. Das glaubten wir wenigstens. Wenn man jung ist, muss man auch an die Genialität glauben. Wir hatten James Joyce und Ezra Pound gelesen und waren noch nicht ganz durch Prousts A la recherche du temps perdu hindurch. Bis zum Abitur war es noch etwas hin. Ich hatte damals, als wir genial waren, die Idee eine Abendveranstaltung mit Jazz und Lyrik zu organisieren. Die Gedichte sollte mein Freund Peter schreiben, ich schrieb das Drehbuch für das Gesamtkunstwerk. Die Mitglieder für die Combo hatte ich auch schon mehr oder weniger angeheuert. Ich hätte gerne ein Saxophon dabei gehabt, aber ich fand niemanden an der Schule, der Saxophon spielte. Viele spielten Klavier, manche Cello, aber niemand Saxophon. Leute, die mit einem Fingerhut auf dem Waschbrett schrubbten und davon träumten, in eine Skiffle Group zu kommen, gab es genug. Aber ich wollte Jazz. Also so etwas, was Dave Brubeck spielte.

Manches geht im Leben allerdings schief. Eben dieser Plan, an einem Abend Lyrik und Jazz zu präsentieren, zum Beispiel. Lizzie hatte ich schon an der Hand, er war ein hervorragender Jazzpianist. Dass er ein guter Pianist war, fand unser Musiklehrer, der berühmte Ernst Meißner überhaupt nicht, aber der war mir egal. Im nächsten Jahr würden wir Hanns Eckerle als Musiklehrer haben, das war ein wirklich guter Lehrer. Und er hatte nichts gegen Jazz.

Eine schöne Frau zum Vorlesen der Gedichte hatte ich auch schon, ich hatte immer gute Beziehungen zu schönen Frauen. Aber Peter kam mit dem Eröffnungsgedicht nicht über, das nach meinem Plan Morning in Copenhagen heißen sollte. Er gestand mir dann, dass er noch nie in Kopenhagen gewesen sei. Ob er über London schreiben könnte? Oder Paris? Er war häufig in Paris. Es wäre mir egal gewesen. Die schöne Vorleserin wollte aber unbedingt Kopenhagen haben, nichts anderes. Sie hatte schöne Erinnerungen an die Stadt. Und sie war noch nie in Paris gewesen. Ich machte noch einen Versuch, ich bot ihr an, dass sie auch singen dürfte, sie hatte eine schöne Sopranstimme. Aber sie wollte nicht, sie wollte lieber im Chor Bach singen. Vielleicht war sie auch nur im Chor, um einen Mann zu finden, denn der Meißner Chor galt als ein Eheanbahnungsinstitut. 

Das war das Ende der Geschichte. Abende mit Jazz und Lyrik waren Jahre später die große Sache, wir hätten mit bei den ersten sein können. Peter Rühmkorf, Michael Naura und Wolfgang Schlüter waren noch nicht aufgetreten. Peters Gedicht Birth of the Morning (ohne Kopenhagen) liegt bei mir immer noch in der Schreibtischschublade. Und nicht nur das. Die Gundula hat mir gerade aus Peters Unterlagen meinen Entwurf des Drehbucs für den Abend geschickt. Getippt auf großen DIN A3 Bögen, alles kleingeschrieben. Tat man damals, wenn man genial war. Nun liegt das vor mir auf dem Schreibtisch. Tippe ich das jetzt ab? Ich glaube, ich lasse es, wie es ist.


1 Kommentar:

  1. Jazz und Lyrik: Da gab es sogar mal zwei Schallplatten in der DDR. Mit Manfred Krug, Eberhard Esche und anderen. Die gelten heute noch als Kult.
    Viele Grüße von
    Litterae-Artesque

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