Der Besitzer von Malvern Hall, der Großgrundbesitzer Henry Greswolde Lewis, beklagt sich 1819 in einem Brief gegenüber John Constable über den Architekten Sir John Soane, der ihm sein Haus umgebaut hatte: I have brought the house to nearly what it was 60 years ago – before that Modern Goth, Mr Soane, spoilt a handsome house by shaving clean every ornament, architraves, coins, keystones, string courses, & ballustrade, the latter I could not replace, all the rest I have accomplished. Er hatte John Soane (der hier schon einen ⇾Post hat) bei seiner ⇾Grand Tour in Italien kennengelernt, damals war Soane noch nicht berühmt, eine Gesellschaft von englischen Landadligen hatte ihn nach Sizilien und Neapel mitgenommen, damit er für sie Zeichnungen anfertigte. Als sie alle wieder in England sind, gibt es für den jungen Architekten natürlich zahlreiche Aufträge.
Henry Greswolde Lewis hatte John Constable 1809 auf seinen Landsitz eingeladen, er sollte für ihn Haus und Park malen. Und ein Portrait des Hausherrn sollte es auch sein. Den Kontakt mit Lewis hatte dem Maler Lewis' Schwester Louisa vermittelt, die die Countess of Dysart war. Henry Greswolde Lewis und die Countess Louisa werden zu den Mäzenen des jungen Constable gehören. Dieses Bild von Malvern Hall malt er 1809, das Bild im ersten Absatz ist aus dem Jahr 1820 oder 1821. Da hatte sich die Countess of Dysart noch ein Bild des Hauses gewünscht, in dem sie ihre Jugend verbracht hatte. Constable wird von Lewis und seiner Schwester noch zahlreiche Aufträge bekommen, und er wird im Sommer 1820 wieder in Malvern Hall sein. Henry Greswolde Lewis ist stolz darauf, dass er die Änderungen von Soane wieder rückgängig gemacht hat: Malverne is going on, & is much improved inside & out. & would make a much better figure in Landscape than when you painted it last.
Henry Greswolde Lewis ist ein exzentrischer Auftraggeber, das kann man am Torhaus von Malvern Hall sehen, das der Architekt John Soane 1798 baute und als Barn à la Paestum bezeichnete: it was for Lewis in 1798 that Soane designed this unlikely structure as a kind of homage to the ruins he had seen at Paestum. The building is severe, and rather shocking. It’s not exactly like a Greek temple, which would have evenly spaced columns, a deeper entablature above the columns, and no round arch in the centre. But its carefully laid soft red bricks and imperfect white entablature do the job of suggesting ancient Greece and translating some of its architectural hallmarks into the very English medium of brick. For all its severity, it must have made Lewis think of his youthful travels, and smile, hat der Architekturhistoriker John Wilkinson in seinem Blog geschrieben.
Constable malt und zeichnet Malvern Hall und die Landschaft ringsherum. Und natürlich den Hausherrn, dessen Portrait kopiert er noch einige Male, damit Lewis es an die Verwandten verschenken kann; aber der eigentliche Grund, weshalb er für einen Monat nach Solihull eingeladen wurde, ist ein ganz anderer. Der Gutsherr hat ein dreizehnjähriges Mündel namens Mary Freer, das soll Copley für ihn malen. Unter den Nachbarn hält sich das Gerücht, dass die kleine Mary gar nicht sein Mündel, sondern in Wirklichkeit seine Tochter sei. Das kann gut sein. Er wird sein Leben lang für sie sorgen und ihr im Testament viel Geld hinterlassen. Lewis hatte die Tochter eines Earls geheiratet, aber die Ehe war nach einem Jahr zuende. Seine Frau ernährte sich von Opium (in der Form von Laudanum) und Alkohol. Lewis hatte aus der Ehe keine Kinder, jetzt lebt er für die kleine Mary, die auf diesem frisch gemalten Bild schon ein wenig erwachsen aussieht. Das mit Miss Mary Freer signierte Bild gehört heute dem Yale Center for British Art von ⇾Paul Mellon.
Die Schwester von Lewis hat an dem Bild etwas herumzumäkeln, aber Lewis sagt, das Bild bleibt, wie es ist. Er hat dann aber doch noch einen etwas exzentrischen Wunsch, den er an Constable heranträgt. Er habe in einer Kunsthandlung in London eine Elfenbeinminiatur gesehen, die the human eye & enough of the forehead to know the likeness zeigte. Könnte ihm Constable das Auge von Mary auf einen kleinen Elfenbeinknopf malen, den er am Hemd tragen könnte? Wir wissen nicht, was aus der Sache geworden ist.
Wir können das an dieser Kopie des Portraits sehen, das Reynolds von der Schwester der Countess gemalt hatte. Constables Biograph Charles Robert Leslie hat geschrieben: The Earl of Dysart wishing to have some family pictures
copied, Constable was introduced to his lordship and the
Countess as a young artist who would be glad to undertake
them. The consequence was, his being employed in making
a number of copies, chiefly from Sir Joshua Reynolds; and
although it is to be regretted that much of his time would
have been spent on any but original works, yet he no doubt
derived improvement in his taste for colour and chiaroscuro
by this intimate communion with so great a master of both.
Constable kann Frauen malen, hier hat er seine sechzehnjähtige Cousine Jane Anne Mason gemalt, nicht so frisch und lebendig wie Mary Freer, eher im Stil des 18. Jahrhunderts. Das Bild ist im Besitz der englischen Regierung und hängt in der ⇾Downing Street No 10. Jeremy Corbyn hat vor vier Jahren gesagt, wenn er Premierminister würde, flöge der Constable raus und würde durch ein Bild von Roy Appleton, den man auch als Bosh the slosher kennt, ersetzt. Von dem hatte er mal ein Bild auf dem Flohmarkt gekauft. Wie wir alle wissen, ist Jeremy Corbyn nicht Premierminister geworden, sodass wir uns um den Constable keine Sorgen zu machen brauchen.
Constable hat seine Frau Maria gemalt (dies ist nur ein Ausschnitt aus dem Portrait), er hat seine Schwestern gemalt, aber wenn er 1829 als Vollmitglied in die Royal Academy aufgenommen wird, wird ihm der Präsident ⇾Sir Thomas Lawrence sagen, dass er von Glück sagen könne, dass er überhaupt aufgenommen worden sei. Schließlich sei er ja nur ein Landschaftsmaler. Dass Constable auch andere Dinge gemalt hat, interessiert Lawrence nicht. Landschaftsmalerei ist für Lawrence die niedrigste Form der Malerei. Sein Kollege Delacroix, der Constable bewunderte, war da ganz anderer Meinung.
Wie hätte dieses Bild ausgesehen, wenn Constable diese Skizze aus dem Jahre 1822 zuende gemalt hätte? Wollen wir das wirklich wissen? Das Bild ist ja so schon eine kleine malerische Revolution, ein Impressionismus avanti lettera. Wir können es in keinem Museum bewundern, niemand weiß, wo dieses Bild ist. Ich hätte gerne zum Schluss dieses Geburtstagspost (Constable wurde heute vor 245 Jahren geboren) noch ein Bild einer anderen Frau gebracht, aber das findet sich nicht im Internet. Es ist das Bild einer Meerjungfrau.
Zwanzig Jahre nach dem Sommer in Malvern Hall bekommt Constable wieder einen Auftrag für ein Bild aus Malvern Hall. Constable ist auf einem Tiefpunkt seines Lebens: seine Frau Maria ist im Vorjahr an der Schwindsucht gestorben. Phasen von Depressionen hatte er immer wieder gehabt, jetzt hat er jeden Lebensmut verloren. Henry Greswolde Lewis weiß das, und er denkt sich, dass sein kleiner Auftrag den Maler ein wenig tröstet, Constable soll ein Wirtshausschild für die Old Mermaid & Greswolde Arms entwerfen: I have received a commission to paint a Mermaid for a sign for an Inn in Warwickshire. This is encouraging - and affords no small solace to my previous labours at landscape for the last twenty years – however I shall not quarrel with the lady – now – she may help to educate my children. Er fügt dem Satz in seinem Brief an seinen Freund Leslie noch hinzu: I would not write this nonsense at all, were it not to prove to you, my dear Leslie, that I am in some degree, at least, myself again. Die Zeichnung der Nixe gibt es, man kann sie zum Beispiel in dem schönen Buch John Constable: A Kingdom of His Own von Anthony Bailey sehen, aber das Wirtshausschild wurde nie ausgeführt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen