Sie werden wahrscheinlich Gisi Gruber nicht kennen, die den schönen Roman Margit Libenyi: Der Roman einer großen Liebe geschrieben hat. Und wahrscheinlich werden Sie auch nicht wissen, wer Margit Libenyi war. Den 1951 erschienenen Roman kann man heute noch antiquarisch finden, er hat mich (Hardcover, 288 Seiten) drei Euro gekostet. Margit Libenyi ist ein Liebesroman, die Geschichte einer jungen Frau, die aus einem Dorf in Ungarn nach Wien kommt und ins Showgeschäft will. Und die einen aristokratischen Geliebten findet, der ihr die Tanzausbildung bezahlt, Franz Hohenems soll sie ihn nennen. Wenn heute hübsche Frauen aus Ungarn kommen, dann gehen sie nicht nach Wien, dann gehen sie in die Pornoindustrie, nennen sich Anita Dark, Anita Blond oder Nikky Anderson. Aber das ist eine andere Geschichte. Mit dem Roman von Gisi Gruber sind wir in einem anderen Jahrhundert. Da sind wir in der Welt von Joseph Roth und dem Roman Radetzkymarsch (für den es hier schon den Post Radetzkymarsch gibt), wo der junge Leutnant Trotta seinem Kaiser in der Schlacht von Solferino das Leben rettet.
Und um diesen Kaiser geht es. Denn der Geliebte der Margit Libenyi ist niemand anderer als Franz Joseph, der sich 1853 mit Sissi verloben wird. Die ist erst fünfzehn Jahre alt, sie wird später an ihre Tochter schreiben: Die Ehe ist eine widersinnige Einrichtung. Als fünfzehnjähriges Kind wird man verkauft und tut einen Schwur, den man nicht versteht und dann 30 Jahre oder länger bereut und nicht mehr lösen kann. Wir wissen, dass der Kaiser Franz Joseph, als er sich von seiner Gattin entfremdet hatte und sie auf Korfu in ihrem Achilleion lebt, zahlreiche Geliebte gehabt hat. Man kennt deren Namen, aber den Namen Margit Libenyi kennen Historiker nicht.
Am 18. Februar 1853 gibt es in Wien ein Attentat. Ein ungarischer Schneidergeselle aus Csákvár namens János Libenyi hat versucht, den österreichischen Kaiser zu ermorden. Wir sehen ihn hier mit einem Messer in der Hand. Er wird an seiner Tat von dem Adjutanten des Kaisers, Graf O’Donnell von Tyrconell, und dem Rentier Josef Ettenreich gehindert. Der Schneidergeselle, der keine Begründung für seine Tat angibt, wird acht Tage später gehängt. War er ein ungarischer Freiheitskämpfer? In einem Verhörprotokoll steht: Ich mußte sehen, daß meine Landsleute aufgehängt und erschossen und scharenweise auf die Festung verurteilt worden sind, und daß alle Freiheit im Lande verschwunden ist. Diesen Zustand konnte ich nicht ertragen. Aber das ist nicht seine Sprache, wer immer das geschrieben hat. Fünfzigtausend Menschen werden im Schneetreiben zu der Hinrichtung kommen. Irgendwann taucht nach seinem Tod das Gerücht auf, dass er der Bruder von Margit Libenyi gewesen sei, dass er die Ehre der Familie habe wiederherstellen wollen, indem er ihren Liebhaber, den jungen Kaiser, tötet.
Monate vor dem Attentat war Kaiser Franz Joseph während eines Praterbesuchs ein Mädchen aufgefallen, das vor einer Schaubude stand und die neugierigen Blicke des jungen Monarchen heftig erwiderte. Um ihn noch mehr für sich zu interessieren, brachte es ihm eine temperamentvolle Csardas-Einlage dar. Der Kaiser erfuhr, daß es eine Nichte der Budenbesitzerin, einer gewissen Frau Danzinger, war, Margit Libényi hieße und aus dem ungarischen Dorf Czakvar stamme. Im Laufe einer folgenden Bekanntschaft soll ihr Kaiser Franz Joseph auch eine Ausbildung als Tänzerin bezahlt haben. Margit Libenyi nennt sich danach Mizzi Langer, wird Mitglied des kaiserlichen Hofopernballetts und singt in der Oper. Angeblich. Und taucht 1951 in dem Roman von Gisi Gruber auf. Franz Joseph wird das Attentat übrigens ohne größere Verletzungen überstehen. Für die glückliche Rettung Seiner Majestät wird am Nachmittag in der St Stephanskirche das Te Deum abgehalten. An der Stelle des Attentats wird die Wiener Votivkirche gebaut werden.
Gisi (Gisela) Grubers Roman über die ungarische Tänzerin Margit Libenyi war zuerst 1946 als Novelle unter dem Titel Ein Mädchen geht in die Stadt in dem Sammelband Rendezvous in Schönbrunn: Sieben Altwiener Novellen erschienen. Gruber griff nur etwas auf, was in Wien seit 1853 erzählt und in neuen Varianten immer wieder aufgetischt worden ist. In schriftlicher Form zuerst 1924 in Der Wiener Pitaval des Oberpolizeirats a.D. Ubald Tartaruga (Edmund Otto Ehrenfreund), der die Geschichte aus dem Budapester Neuen Politischen Volksblatt hat. Wir können die Geschichte noch achtzig Jahre später bei Gabriele Praschl-Bichler in einem stilistisch unausstehlichen Buch mit dem Titel Kaiser Franz Joseph ganz privat lesen: Der Ruf der Ungarin als Kaiserliebchen war bis in ihr Heimatdorf gedrungen und soll dort viel für Aufruhr unter der Bevölkerung veursacht haben. Die Bitten ihres Bruders, János Libényi, sie möge sich vom Kaiser lossagen, blieben unbeantwortet, und so faßte der 'Entehrte' den Entschluß, die Schuld der Schwester durch ein Attentat auf den Kaiser zu sühnen. Wir finden die Geschichte ebenso bei Anni Stern-Braunberg in Sissi, das Ungarmädel: Tatsachen, Irrtümer, Vermutungen, bei Sigrid-Maria Größing in Franz Joseph und seine Familie: Ein Kaiser blickt zurück und bei Walter Brendel in Das Liebesleben der Habsburger. Da schreibt einer vom anderen die Geschichte ab, und schmückt sie aus: deine schimmernden schwarzen Haare sind wie Rabenflügel, und deine weißen Zähne wie Perlen ... So schmale Hände und Füße hat keine in Wien, und keine schreitet so schön und stolz. Komm' nach Wien, Margit, kleine Pußtablume, man wird dich dort in Gold aufwiegen. Komm' zu mir, und ich will dich in knisternde Seide kleiden, du mußt nie mehr zu Fuß gehen, du wirst im Wagen fahren und schöner sein als die Schönste.
Dann lesen wir doch lieber den Roman von Gisi Gruber als so etwas. Gruber schreibt nicht nur unter ihrem Namen diese Herzschmerz Schmonzetten, sie schreibt auch noch unter den Pseudonymen Barbara Maria Alsegger und Jules Charpentier. Als Barbara Maria Alsegger hat sie 1942 großen Erfolg mit ihrem Roman Mein vielgeliebter Mann. Der allerdings nichts als ein Plagiat von Dinah Nelkens Roman Ich an Dich war. Gruber alias Alsegger wurde 1948 zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Mehr Erfolg hatte Gisi Gruber mit ihren Krimis, die sie unter dem Pseudonym Jules Charpentier schrieb, von denen einer sogar verfilmt wurde.
Das Bild von Johann Joseph Reiner, unter dem wir lesen können: Franz Josef I., Kaiser v. Österreich, wurde am 18. Febr. 1853, durch Meuchlers Hand am Hinterhaupte verwundet. Durch die göttliche Vorsehung wurde es aber dem Obersten Grafen O’Donell, Flügeladjutant S.M. und Jos. Ettenreich, Bürger v. Wien ermöglicht, das geheiligte Haupt des Kaisers vom gewissen Tode zu erretten. Gott dankend, widmet dieses Bild, Ferdinand Braunsteiner, gehört zur Geschichte Österreichs. Es war hier im Blog schon in dem Post Bilder vom Tage zu sehen, dort gibt es auch eine andere Fassung des originalen Votivbildes. Aber Margit Libenyi: Der Roman einer großen Liebe wird da nicht erwähnt. Und wir müssen uns leider damit abfinden, dass es die kleine Pußtablume, deren Ehre der Attentäter wieder herstellen will, überhaupt nicht gegeben hat: Trotzdem schwindet bei näherem Besehen die Glaubwürdigkeit der Familienehren-Version: Es gibt keine Schwester Margit Libényi, in ganz Csákvár kommt auch bei anderen Familien namens Libényi der Vorname Margit nicht vor.
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