Sonntag, 13. Februar 2022

Hosenkauf


Wenn ich am Schreibtisch sitze und in meine Tastatur tippe, dann will ich es bequem haben. Keine Jacketts, immer Sweatshirts. Das habe ich schon irgendwann einmal in diesem Blog gesagt, dass meine Arbeitskleidung aus Sweatshirts, teuren italienischen Hemden und Chinos besteht. Aber gelbe Baumwollhosen, möglichst eng und ohne Bundfalten kann man immer tragen. Sie sollten nicht baggy sein, aber auch nicht so ganz eng wie das, was die Engländer drainpipes nennen. Mein Herrenausstatter schwört seit Jahren auf Valentini, einen Italiener, der nichts anderes als Hosen macht. Und das können die Italiener ja. Incotex ist auch O.K., und neuerdings ist Cucinelli auch in diesem Geschäft mit sauteuren Hosen. Ob die gut sind, weiß ich nicht.

Die gelben Hosen tauchen als Nankinghosen (nach der chinesischen Stadt Nanking benannt, woher die gelbe Baumwolle kommt) schon im 19. Jahrhundert in der deutschen Literatur auf. In Büchners Leonce und Lena und in Fontanes Briefen aus London, wo er uns sagt, dass man jetzt ächte Nanking-Hosen tragen müsse. Und über solche Hosen will ich heute mal eben schreiben, über Freizeithosen. Nicht über Flanellhosen oder Cordhosen, die haben hier schon einen Post. Das hellblaue Hemd auf dem Photo oben ist übrigens von Werner Scherer, der neben Rudolf Böll wohl der teuerste deutsche Herrenaustatter ist. Ich habe das mal für zehn Mark in einem Secondhand Laden gekauft, es war so billig, weil der Besitzer mit dem Namen Werner Scherer nichts anfangen konnte.

Jogginghosen wären sicherlich beim Schreiben bequem, aber sowas habe ich nie gehabt. Jogginghosen geht nicht, nicht nur weil Karl Lagerfeld das gesagt hat, sondern auch, weil sowas zu sehr an Jimmy Savile erinnert. Der inzwischen verstorbene Sexualverbrecher ist in England zur Zeit Tagesgespräch, weil Johnson behauptet hat, dass der Oppositionsführer Sir Keir Starmer als Direktor des Crown Prosecution Service verhindert hätte, Savile strafrechtlich zu verfolgen. Das war natürlich wieder eine Lüge von Johnson, die dazu führte, das Starmer in London von einem Mob auf offener Straße angegriffen wurde. Johnson hat von Donald Trump viel gelernt.

Rory Stewart (OBE FRSGS FRSL) hat über Johnson gesagt: Johnson is after all the most accomplished liar in public life – perhaps the best liar ever to serve as prime minister. Some of this may have been a natural talent – but a lifetime of practice and study has allowed him to uncover new possibilities which go well beyond all the classifications of dishonesty attempted by classical theorists like St. Augustine. He has mastered the use of error, omission, exaggeration, diminution, equivocation and flat denial. He has perfected casuistry, circumlocution, false equivalence and false analogy. He is equally adept at the ironic jest, the fib and the grand lie; the weasel word and the half-truth; the hyperbolic lie, the obvious lie, and the bullshit lie – which may inadvertently be true. Das hat zwar nichts mit Hosen zu tun, aber es musste mal gesagt werden.  

Also nichts mehr über Jogginghosen. Und auch nichts über englische Hosen. Ich glaube, die Engländer können keine Hosen. Obgleich DAKS Simpson mal für seine slacks berühmt war und auch die ersten Hosen produzierte, die man ohne Hosenträger und ohne Gürtel tragen konnte. Aber das ist lange her. In den siebziger Jahren hatte Burberry seine Hosenproduktion einmal nach Frankreich verlagert, allerdings kam die Produktion schnell zum Erliegen. Weil sich die französischen Schneider weigerten, Burberry Hosen nach den Vorgaben der Firma zu schneidern. 

Unmöglicher Schnitt, überhaupt nicht sexy, keinem französischen Schneider zuzumuten, so etwas zu schneidern. Die mit Süffisanz geführte Debatte hatte natürlich Untertöne von No sex please, we're British! Für manche Kommentatoren war die Debatte die Fortsetzung des Hundertjährigen Krieges zwischen England und Frankreich. Burberry verlangt heute für diese schlichte Baumwollhose (wo immer die produziert wurde, Dressler hat schon lange die Burberry Lizenz verloren) 450 Euro. Was ganz schön happig ist. Die Schneider von Prince Charles, Anderson & Sheppard, setzen auf eine Zusammenarbeit mit der italienischen Firma von Ampelio Rota, die neben der Firma Valentini die besten italienischen Hosen macht. Valentini hat auch Zwischengrößen, die haben nicht nur 50 und 52, die haben auch eine 51 im Programm, die passt mir immer.

Früher gab es in Deutschland Hosenspezialisten, die qualitativ hochwertige Hosen herstellten. Die kamen zum Beispiel von Regent, die ja mal in den fünfziger Jahren als Hosenhersteller angefangen haben. In Bremen konnte man die in der Sögestraße bei Mey & Edlich kaufen, die damals ein seriöser bürgerlicher Laden waren. Gibt es heute nicht mehr, Mey & Edlich ist nach der Pleite von der Firma Walbusch gekauft worden. Die haben auch Hosen im Programm, ist aber kein Vergleich zu den Regent Hosen. Sehr gute Hosen kamen auch aus den Hela Kleiderwerken in der Rendsburger Landstraße 206-208 vor den Toren von Kiel (hier ein Blick in die Fabrikationshalle aus dem Jahre 1968), man konnte sie bei allen besseren Herrenaustattern kaufen. 

Aber nicht in dem Kaufhaus Hettlage & Lampe (wo es bei der Eröffnung 1972 auf der Holstenstraße so aussah), das Ottomar Lampe auch gehörte. Mit seinen Hela Hosen belieferte er nur die Herrenaustatter. Die Hela Kleiderwerke gibt es heute nicht mehr, und von Regent ist auch nichts übriggeblieben. Die Hosenspezialfabrik Adolf Vetter machte einst auch gute Hosen. Ihr Geschäftsführer Thomas Schaefer dachte sich den Namen René Lezard aus, mit dem fremdländischen neuen Namen wollten sie dann keine Hosenfabrik mehr bleiben, sondern ein großer Konzern werden. Der Untergang vor zwei Jahren war nach dieser Entscheidung eigentlich vorprogrammiert. 

Die Geschichte der deutschen Hosenfabrikanten läuft immer nach einem ähnlichen Muster ab, es gibt eine Gründungsphase, in der man sehr gute Qualität produziert, dann folgt die Expansion. Danach verlagert man Teile der Produktion ins Ausland. Fritz Hiltl begann 1955 mit seiner Frau, in Sulzbach-Rosenberg Hosen zu schneiderns, es sollten Hosen wie vom Maßschneider sein. Anfangs wurden täglich gerade einmal zwanzig Hosen produziert. 1958 stellt er auf der Kölner Herrenmode Woche seine erste Kollektion vor. Damit begann der Erfolg der Firma. Seit 2010 ist die Firma auch auf dem chinesischen Markt vertreten, die Chinesen lieben Hiltl Hosen. In Sulzbach werden nur noch Maßanfertigungen genäht, alles andere kommt aus  Rumänien und Mazedonien. Nicht made in Germany, aber made by Hiltl, ist das neue Firmenmotto. 2016 wurde die Firma von einer Holding übernommen. 2020 meldet die Firma, die Beinkultur seit 1955 auf ihrer Internetseite stehen hat, Insolvenz an. Sie wurde von einer schweizerischen Beteiligungsgesellschaft gerettet. Gerhard Kränzle, der Chef und Miteigentümer von Gardeur wurde Chef bei Hiltl.

Bei der  Konkurrenzfirma Gardeur in Mönchengladbach sieht das nicht viel anders aus. 1969 nannte die Hosenfabrik Dieter Janssen & Co, die seit den zwanziger Jahren bestand, ihre Hosenkollektion Gardeur, aus welchem Grund auch immer. Fünf Jahre später eröffnete man eine Fabrik in Tunesien. Und  im Oktober 2017 meldete man die Insolvenz an, im Dezember war die Übernahme der Firma durch die holländische Duijndam Gruppe perfekt. Nicht von einer Insolvenz bedroht ist die Firma Leineweber mit ihren Marken Brax und Eurex, obgleich sie in den letzten zwei Jahren durch Corona und Lockdown gewaltige Umsatzeinbußen hinnehmen musste. Der Name Brax ist übrigens in den fünfziger Jahren aus dem lateinischen bracae (Hosen) und dem DAKS von DAKS Simpson (für die Leinweber in Lizenz arbeitete) entstanden. Leineweber ist jetzt stark im Online Geschäft. Über den Internetkauf kann man im Stern lese: Da wird sich ja wohl eine Hose finden lassen. Der größte Irrtum. Das Internet ist eine optische Täuschung. Es gibt da gar nichts! Schlimmer als in der DDR! 16 Farbvarianten, von 'Deep Koralle' bis 'Midnight Oil Schwarz', aber nur noch in XXS, oder man muss in einer obskuren Kryptowährung bezahlen ('Sofortüberweisung').

Auch viele der anderen Hosenfabrikanten, Meyer, Alberto, Digel, Hoal, Brühl und wie sie alle heißen, sind im Netz. Meyer (Eigene europäische Produktion - zertifiziert von Made in Green by Oekotex) näht 1,4 Millionen Hosen im Jahr, ein großer Teil davon geht an C&A. Alberto beschäftigt tausend Mitarbeiter in der Türkei, in Tunesien, Polen, Marokko und China; das Familienunternehmen Hoal (Hosenfabrik Alberth) läßt seine Hosen in Bückeburg fertigen. Deutsche Hosen sind offenbar immer gefragt. Das Online Geschäft hat aber seine Tücken, man kann die Hose nicht anprobieren, man kann den Stoff nicht fühlen, man weiß nicht, ob die Hose wirklich die Farbe hat wie auf dem Photo im Internet. Ein noch größeres Problem ist, dass sich die Industrie offenbar verabredet hat, Hosen wie diese hier nicht mehr herzustellen. Der Engländer nennt so etwas high rise, eine große Leibhöhe. Das ist heute nicht mehr angesagt, die ganz, ganz niedrige Leibhöhe ist modern.

Dann sieht man nicht so aus wie Sean Connery in den Hosen von Anthony Sinclair, dann sieht man so aus wie der ehemalige Außenminister Heiko Maas. Das ist modern, versichern uns viele Hosenhersteller. 1950 bewarb Brax seine Hosen mit die Hose des Fortschritts (wie man auf dem Plakat oben sehen kann), heute heißt der Fortschritt low rise. Das mag ja bei der halbnackten Brigitte Bardot gut aussehen, aber nicht bei Heiko Maas. Da bekommt der Maasanzug eine neue Bedeutung. Aus mir unerfindlichen Gründen hat das GQ Magazin Maas im Jahre 2016 zum bestangezogenen Mann des Landes erklärt.

Ich weiß nicht, wer den Werbespruch Augen auf beim Hosenkauf aufgebracht hat, aber ganz so leicht ist der Online Kauf eben nicht. Es sei denn, man kennt den Modellnamen seiner Liebligshose. Und der Hersteller existiert noch. Ich komme bei Hiltl mit den Modellen Cesano und Parma sehr gut zurecht, die haben nicht nur italienische Namen, sondern auch einen schlanken italienischen Schnitt. Und es sind keine low rise Hosen. Das Internet ist voll von Berichten, wo Männer ihre Schwierigkeiten beim Hosenkauf berichten. Dass der so aussehen kann wie hier bei Loriot, das wissen wir. Und da wir gerade beim Kabarett angekommen sind, hätte ich auch noch die Hosenpredigt von Jochen Malmsheimer für Sie, vorgetragen 2012 beim Bayerischer Kabarettpreis. Die von rutschenden Hosen handelt: Und nun, Hose? Wer gab dir ein, dass du dich weigerst nun seit kurzer Zeit, den Träger ärschlings zu bedecken, wie du's tatest von alters her? Was trieb dich, abzusacken unter jene beiden Backen?

Thomas Bernhard hat einmal ein recht witziges Dramolett mit dem Titel Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen geschrieben (für Markenbewußte: es werden darin Hosen von Zegna erwähnt), in dem wir Dinge lesen können wie: Die Hosenprobierzellen sind zu eng, in ihnen ist keine Luft. In den Hosenprobierzellen hat schon so viele der Schlag getroffen, fragen Sie doch die Kleiderinnung, die wird es Ihnen bestätigen. Die Leute gehen in ein Geschäft hinein und wollen nur eine Hose probieren und probieren naturgemäß sieben oder acht und es trifft sie der Schlag, der Kleiderhausprobierzellenschlag ist der häufigste. Oder: Wenn wir von den Grabsteinen jeweils die Todesursache ablesen könnten, wir würden alle Augenblicke auf den Grabsteinen gleich welchen Friedhofs lesen: Todesursache Hosenprobe.

Das kleine Theaterstück von Thomas Bernhard ist einmal in der von Benjamin von Stuckrad-Barre umgeschriebenen Version in der Sendung von Harald Schmidt aufgeführt worden. Harald Schmidt wollte Stuckrad-Barres Text ins Internet stellen, aber die Frankfurter Allgemeine verweigerte den Abdruck von Claus Peymann kauft sich keine Hose, geht aber mit essen. Da führte Harald Schmidt das Stück einfach in seiner Show auf; mit Harald Schmidt als Peymann, Stuckrad-Barre als Stuckrad-Barre und Manuel Andrack als Hosenverkäufer. Falls Sie diesen Höhepunkt des deutschen Fernsehens verpasst haben sollten, klicken Sie doch einfach mal hier. Und falls Sie den ganzen Text lesen wollen, den die FAZ nicht hergeben wollte, den habe ich hier auch noch.

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