Der Herr auf diesem schönen Bild von Anton Graff aus dem Jahre 1789 ist der Prinz Heinrich XIV. Reuß zu Greiz, der am 12. Februar 1799 in Berlin starb. Er hat den Titel eines Feldmarschallleutnants und ist Österreichs Botschafter in Preußen. Mit dem Prinzen Reuß, der zur Zeit in Untersuchungshaft sitzt, ist er nur sehr, sehr entfernt verwandt. Graff hatte sich bei dem lebensgroßen Kniestück ein wenig von der englischen Malerei des 18. Jahrhunderts beeinflussen lassen. Unser Prinz könnte auch für einen englischen Landedelmann durchgehen. Dies ist ein eher bürgerliches Portrait, die Uniform eines Feldmarschallleutnants würde ihm wohl nicht stehen. Der Prinz war ein kunstsinniger Mann, der Goethes Gedichte Kennst du das Land und Nur wer die Sehnsucht kennt vertont hatte und mit Goethe in Verbindung stand.
Er war ständiger Gast in dem Salon von Sara Meyer, der Tochter des jüdischen Berliner Bankiers Aaron Moses Meyer. Ihr Großvater mütterlicherseits war Veitel Heine Ephraim, der Münzjude von Friedrich dem Großen, der ihm seine Kriege finanzierte. Wir kennen Sara Meyer besser unter dem Namen Sophie Von Grotthuss, weil sie in zweiter Ehe einen livländischen Baron geheiratet hat. Und wir kennen sie, weil sie beinahe dreißig Jahre lang Briefe mit Goethe wechselt. Da ist unser Goethe (der hier selten im Blog ist) schon wieder, wir brauchen ihn gleich noch einmal. Sara Meyers Salon ist nicht so berühmt wie der von Rahel Varnhagen (die hier schon einen Post hat), aber sie kennt bedeutende Leute. Aber so bedeutend wie der Salon der Récamier oder die Salons der englischen Blaustrümpfe sind die Berliner Salons der Frühromantik nicht.
Jean Paul schreibt 1801 in einem Brief aus Berlin: Der Ton hier übertrifft an Unbefangenheit weit den Weimarschen. Der Adel vermengt sich hier mit dem Bürger, nicht wie Fett mit Wasser, auf welchem dieses immer oben schwimmt und äugelt, sondern sie sind innig vereinigt, wie diese durch Laugensalz, woraus Seife entsteht. Gelehrte, Juden, Officiere, Geheimeräthe, Edelleute, kurz alles was sich an anderen Orten (Weimar ausgenommen) die Hälse bricht, fället einander um diese und lebt wenigstens freundlich an Thee- und Eßtischen beisammen. Ob das Henriette Herz, eine der führenden Berliner Salonnièren der Frühromantik, Rahel Varnhagen oder Sara Meyer sind, die zum Teekränzchen bitten, dies sind jüdische Salons. Henriette Herz schreibt: Die christlichen Häuser Berlins boten nichts, welches dem, was jene jüdischen an geistiger Geselligkeit boten, gleichgekommen oder nur ähnlich gewesen wäre. Wenn Sie mehr dazu wissen wollen: ich habe hier für Sie die Doktorarbeit von Hannah Lotte Lund Der Berliner 'jüdische Salon' um 1800 im Volltext.
Unser österreichischer Prinz lernt bei Sara ihre Schwester Marianne Meyer kennen, die er sofort heimlich heiratet. Eine Mesalliance. In Adelskreisen nennt man das eine morganatische Ehe. Marianne wird natürlich keine Prinzessin Reuß, sie bleibt Marianne Meyer. Aber nach dem Tod ihres Gatten macht der österreichische Kaiser Franz sie zu einer Freifrau von Eybenberg, das ist er seinem Feldmarschallleutnant schuldig. Die schöne junge Frau, von der wir leider kein Portrait besitzen, hatte viele Verehrer, einer war Christian Günther von Bernstorff. Ein anderer hieß Johann Wolfgang von Goethe. Den hatten sie und ihre Schwester, die mit ihrer Cousine Rahel Levin in Karlsbad weilten, durch die Vermittlung von Friederike Brun (die man auch die Madame de Staël des Nordens nannte) kennengelernt. Goethe war von der schönen jungen Frau, die auch noch gebildet und intelligent war, begeistert. Nach überstandenem Schwindel der Verliebheit habe Goethes lebhafte Neigung als aufmerksame Beachtung fortgedauert, versichert uns Rahel.
Leider gibt es kein schönes Buch über die schöne Frau. Silke Schlichtmann ist mit der Professorin Barbara Hahn dabei, alle Briefe und Schriften von Marianne von Eybenberg herauszugeben, aber es gibt eine interessante Biographie an einer erstaunlichen Stelle. Und das ist Jakob Seifensieders Aufsatz Marianne von Eybenberg: zum 125. Todestag am 26. Juni 1937. Erschienen in Der Morgen: Monatsschrift der Juden in Deutschland, man ist erstaunt, dass es so etwas 1937 in Deutschland geben konnte. Sie können hier eine PDF Version des Artikels herunterladen, den auch Karl Kraus kommentiert hat.
Wir können in Winfried Wolfs Goethe und Grimm hätten sich in Karlsbad und Teplitz treffen können einiges darüber lesen, dass Goethe sich mit einigen hübschen Judenmädchen, und einer Actrice von hier amüsirt (das steht so in der Biographie von Nicholas Boyle), aber leider ist das Buch von Wolf ein Roman, keine Literaturgeschichte. In seinem Buch über die Briefe von Goethes Freunden schreibt Richard M. Meyer im Jahre 1911 (als er noch nicht annähernd die vielen Briefe von Marianne kennt): Die beiden Damen waren weder geistreich wie Bettine, noch voll poetischer Tiefe wie Marianne Willemer; trotz ihrer aristokratischen Beziehungen besitzen sie weder die Vornehmheit Charlottens v. Schiller, noch den großen Stil der Caroline v. Humboldt. Sie sprechen zuviel von sich - zumal die schöne Marianne; sie kommen leicht aus dem Plaudern ins Schwatzen. Und doch hat Goethe diese endlosen Erzählbriefe augenscheinlich mit Vergnügen gelesen, zwar kurz, aber höchst liebenswürdig beantwortet, nach Fortsetzung verlangt. Uns scheint es fast, als tue er den Schwestern zuviel Ehre an. Daß sie ihm die Erinnerung an den Verkehr mit der österreichischen Aristokratie, in deren Mitte er sie 1795 in Karlsbad kennen gelernt hatte, vergegenwärtigten, kann nicht allein die Ursache sein: wieviel kühler schreibt er an die Gräfin O'Donell, wieviel unbeteiligter an die Prinzessin von Ligne! Aber er sah wohl in den beiden tapfern Damen seine Vorkämpferinnen in Berlin und Wien; denn Rahel oder Bettine waren ihm menschlich nicht oder nicht dauernd nahegekommen.
Ähnlich äußerte sich Rahels Ehemann Karl August Varnhagen über die Briefe von Marianne: In diesen Briefen an ihre Schwester Baronin von Grotthuß ist wenig Geist und Frische, aber manche Erwähnung von Personen und Lebensverhältnissen, die künftig einem Forscher angenehm und werthvoll sein kann.Wir lassen das mal so stehen. Henriette Herz schreibt in ihrer Autobiographie: Ein anderes war es jedenfalls mit ihrer Schwester, Frau vou Eybenberg, ungeachtet sie zu denjenigen gehörte, deren völlige Bedeutung Frauen nur durch einen Rückschluß zu erkennen vermögen, durch den Eindruck nämlich, welchen sie auf Männer, und auf tüchtige Männer machen. Freilich konnten auch Frauen körperliche und geistige Vorzüge an ihr nicht verkennen. Sie war hübsch, von elegantem Wuchse, in ihren Bewegungen durchaus anmuthig. Ihr Temperament war lebhaft, wenngleich unstät. Ihr Geist war mehr anregend als schöpferisch; konnte man sie auch nicht gerade geistreich nennen, doch eben so wenig geistlos. Sie hielt darin eine Mitte, wie sie den meisten Männern an Frauen sehr wohlgefällig ist. Mit ihren Kenntnissen stand es so, daß man sie, den damaligen Ansprüchen an weibliches Wissen nach, ein unterrichtetes Frauenzimmer nennen durfte. Irgendwie klingt das ein bisschen neidisch.
Wir können uns unsere eigenen Gedanken über die Karlsbader Sommerliebe machen. Bey Meyers war er gar hold Marianne, die holde Seele, geht ihm ans Herz, schrieb Friederike Brun in ihr Tagebuch. Die holde Seele Marianne ist halb so alt wie der Dichter, das gefällt ihm sicher. Jahrzehnte später wird sich der Dichter hier in Karlsbad in die fünfzig Jahre jüngere Ulrike von Levetzow verlieben. Der Sommer von 1795 in Karlsbad (hier von Goethe gezeichnet) mit Marianne Meyer wird sich wiederholen.
Am 2. Juli 1808 schreibt Goethe seiner Frau: Zum Schluß muß ich noch melden, daß auch Mariannchen angekommen ist, artig und gescheidt wie immer. Wenn Goethe jetzt in Karlsbad an seinen Wahlverwandtschaften schreibt, weicht ihm Marianne nicht von der Seite. Oder er nicht von ihrer Seite. In seinen Tagebüchern vom Juni und Juli 1808 wird sie fünfundzwanzig Mal erwähnt. Sie sehen sich täglich, reden über den Roman (der noch Ottilie heißt), machen Spaziergänge und Spazierfahrten, kaufen Krebse und gehen ins Theater. Unsere Marianne wandert in den Roman. Goethes Sekretär Friedrich Wilhelm Riemer wird schreiben: Für Charlotten fand ich bald unter den Badgästinnen eine Goethen nicht unwillkommene Repräsentantin. Am 1. Oktober schreibt Goethe an Marianne: Der Roman, den Sie durch Ihre Teilnahme so sehr gefördert haben, ist nun völlig abgedruckt und wird nun seinen Weg auf die Leipziger Messe nehmen ... Gedenken Sie mein unter dem Lesen, gedenken Sie der guten Tage, in welchen dieses Werkchen größtenteils in ihrer Nähe entstand. Er könnte ja sagen: Ohne Sie wäre der Roman nix geworden, aber das kriegt ein Goethe nicht hin.
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