Montag, 13. Februar 2023

Volker Behrens ✝


Mein Freund Volker Behrens rief mich an und erzählte mir, dass er am nächsten Tag Paul Auster interwiewen würde. Der hätte gerade ein Buch über Stephen Crane geschrieben. Ich bin gut vorbereitet, sagte er, 'The Red Badge of Courage' musste ich ja damals in Deinem Seminar über den amerikanischen Bürgerkrieg lesen. Mein Seminar über den Bürgerkrieg, mein Gott, wie lange war das her. Volker hatte bei uns studiert, war schnell wissenschaftliche Hilfskraft geworden, die behandelten wir schon wie Kollegen. Ich habe 1988 zusammen mit ihm ein Buch gemacht, da hatte er noch kein Examen, er schrieb noch an seiner Dissertation über die Verfilmung von The French Lieutenant's Woman

Das war keine Arbeit, die am Schreibtsch entstand, er besuchte in England den Autor (John Fowles lud ihn sogar ein, einige Tage sein Gast zu sein), und er hat alle Drehorte des Films gesehen. In der Villa Broad Leys am Lake Windermere, die Charles Voysey gebaut hat, ist er auch gewesen. Dissertationen haben heute einen leicht negativen Beigeschmack, dafür haben Leute wie Giffey, Schavan und Guttenberg gesorgt. Mit all dem hatte Volkers Dissertation nichts zu tun, sie war aufregend neu und originell, und sie hat die Erforschung der Literaturverfilmung ein Stück weitergebracht.

Ich besitze natürlich ein Exemplar des Buches. Der Autor bedankt sich darin in seiner handschriftlichen Widmung für mein Adlerauge. Was mich daran erinnert, dass ich damals die Korrekturen gelesen habe, das hatte ich schon vergessen. Aber ich habe das gerne getan. Wenn ich ihn irgendwie fördern konnte, dann tat ich das. Ich sorgte dafür, dass er mit einem Aufsatz in dem Suhrkamp Band Literaturverfilmungen von Franz-Josef Albersmeier vertreten war. Ich habe auch die Korrekturen für seinen Aufsatz Rebellen, Jeans und Rock 'n' Roll. Neue Formen von Jugendprotest und Sozialkritik: Denn sie wissen nicht, was sie tun (1955) gelesen, das weiß ich, weil ich es in den Post Jugendkultur hinein geschrieben habe. Das ist nicht der einzige Post, in dem er hier erwähnt wird. 

Als Volker mich fragte, ob ich an seinem Band Wim Wenders: Man of Plenty mitarbeiten wollte, habe ich abgewinkt. Wim Wenders ist nicht so mein Ding. Aber als er mich fragte, ob ich ihm die persönliche E-Mail Adresse eines blonden Hollywood Stars geben würde, habe ich sie ihm sofort gegeben. Denn Kirsten Dunst, deren Oma Volker mal in Hamburg interviewt hat, liest manchmal diesen Blog und hatte mir ihre Adresse gegeben. Die wollte Volker für seinen Freund, den Filmemacher Fatih Akin, gerne haben, über den er gerade ein Buch geschrieben hatte. Und der hätte so gerne Kirsten Dunst in einem Film gehabt. Leider ist nichts daraus geworden.

Volker wäre ein guter Hochschullehrer geworden, aber er ist Journalist geworden. Der Zufall wollte es so, aber dann ist daraus eine Leidenschaft geworden, hat er gesagt. Er war zuerst bei den Kieler Nachrichten, dann die letzten zweiundzwanzig Jahre beim Hamburger Abendblatt. Seine Artikel zum Film gaben der Zeitung Niveau. Er kam weit herum in der Welt und lernte viele berühmte Leute kennen. Er kam mit allen zurecht, weil er diesen wunderbaren hintergründigen Humor besaß. Er sollte einmal Bruno Ganz interviewen, aber dessen Agent, der dabei sein sollte, war nicht da. Da sagte Volker: Herr Ganz, ich glaube, wir könnten anfangen, wir sind ja schon groß. Nach dem Interview fragte Volker den Schauspieler, ob er noch eine Printversion des Interviews lesen und abzeichnen wollte. Da sagte Bruno Ganz lächelnd: Ich glaube, das können wir uns sparen. Wir sind ja schon groß. Volker hatte ein schönes Leben, aber jetzt ist es leider aus heiterem Himmel plötzlich zuende gegangen.

Die Kulturredaktion des Abendblatts hat einen schönen Nachruf für ihn verfasst. Und eine Anzeige in die eigene Zeitung gesetzt. Da haben sie seinen Doktortitel nicht vergessen, alle anderen Anzeigen in den Zeitungen lassen den weg. Weil er eben Volker Behrens war und nicht der Dr Behrens. Die Hamburger Filmwelt hat ihm auch eine Anzeige gewidmet, und da sind wahrlich große Namen dabei, die seinen Tod beklagen. Was können wir jetzt tun als klagen?

Ich bekam mein Leben lang Geschenke von ihm. Als ich mir meinen ersten CD Player kaufte, drückte er mir eine CD in die Hand und sagte Kannste zu Testzwecken gebrauchen. Es war Henryk Góreckis Dritte Symphonie. Ich hatte noch nie etwas davon gehört, aber Volker war gerade in England gewesen, wo die Sinfonie der Klagelieder es in die Popcharts geschafft hatte. Ich nahm die CD mit in das HiFi Studio, und wenn ich heute T&A Lautsprecher habe, dann liegt das daran, dass Dawn Upshaw in denen am besten klang. Volker hat mir auch Peter Turners Filmstars don't die in Liverpool geschenkt, ein Buch, das ich nicht kannte. Es ist die traurige Geschichte des Sterbens von Gloria Grahame, das hat mich sehr beeindruckt. Ich bekam von ihm immer wieder Geschenke, die mich verblüfften. Wie diesen Band Luftfracht: Internationale Poesie 1940 bis 1990, herausgegeben von  Harald Hartung für die Andere Bibliothek. Das war für mich eine Überraschung, weil es ein unverhofftes Geschenk war, und weil ich vieles aus dem Buch zum erstenmal las. Der englische Dichter Philip Larkin, dessen Humor Volker gefallen hätte, war auch da drin. Den kannte ich. Aus einem seiner Gedichte möchte ich zum Schluss einige Zeilen zitieren:

The first day after a death, the new absence  
Is always the same; we should be careful
Of each other, we should be kind  
While there is still time.

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