Montag, 21. August 2023

Lilliehorn

Das ist der schwedische König Gustav III, er stammt aus dem Hause Schleswig-Holstein-Gottorf. Schon sein Vater war schwedischer König, der erste aus dem Hause Schleswig-Holstein-Gottorf. Gustavs Mutter war die Schwester von Friedrich II. Als sein Vater 1771 starb, war der junge Mann gerade in Paris. Der schwedische Reichsrat legte ihm eine Verpflichtung auf die bestehende Verfassung zur Unterschrift vor. Er unterschreibt, aber er wird das nicht einhalten. Am 21. August 1772 wird der schwedische Reichsrat durch Androhung von Waffengewalt von ihm gezwungen, eine neue Verfassung zu billigen, die die Macht des Adels einschränkt. Staatsstreiche kommen meistens von unten, dies ist ein Staatsstreich von oben.  Gustav wird zwanzig Jahre auf dem schwedischen Thron sitzen, wird Kunst und Kultur fördern. Gustaviansk nennen die Schweden diese Zeit der Reformen und der kulturellen Blüte. Dann werden sich einige schwedische Grafen verschwören, und einen Mordplan vorbereiten. Sie erscheiden durch Los, wer von ihnen den König töten soll. Ein Maskenball in der Königlichen Oper von Stockholm, die Gustav gegründet hatte, scheint ihnen die beste Gelegenheit für ihre frevlerische Tat.

Einer der Verschwörer ist Carl Pontus Lilliehorn, ein Offizier der Leibgarde. Sein Vater war auch Offizier, sein älterer Bruder wird General werden. Über Carl Pontus Lilliehorn können wir 1811 in einem Lexikon lesen: Lilienhorn, Staabsoffizier in der schwedischen Garde. Unterrichtet von dem Anschlage gegen das Leben des Königs Gustav III., ließ er an dem Tage der Vollziehung dem Fürsten ein Billet zustellen, in welchem er ihn vor der Gefahr, der er im Ballsaale entgegen ginge, warnte, mit dem Zusatze, daß wenn er auch nicht unter seine Freunde gehörte, er doch nicht einer seiner Mörder seyn wollte. Man arretirte ihn den 22. März in Folge dieses Ereignisses, und er wurde den 1. Juny zum Verlust seines Lebens, seiner Ehre und seiner Güter verurtheilt, weil er bey dieser Gelegenheit nicht vollkommen seiner Pflicht zur Rettung seines Souverains nachgekommen sey; allein nach dem ausdrücklichen Wunsche des Königs wandelte der Regent die Strafe in eine lebenslängliche Landesverweisung um, und ließ ihn den 15. August über die Gränze bringen.

Lilliehorn war ein gebildeter und wissenschaftlich orientierter Mann. Zeitgenossen beschrieben ihn als ein Vorbild für junge Männer, mutig, geschickt in seinem Dienst, belesen in den schönen Wissenschaften und bekannt für die strengsten Vorstellungen  der Ehre. Lilliehorn hatte Rousseau gelesen und all das, was an revolutionärem Gedankengut aus Frankreich kam. Er hatte sich den Kritikern des Königs angeschlossen, die sich um den General Carl Fredrik Pechlin geschart hatten. Die die alten Rechte des Adels wieder in der Verfassung sehen wollten. Das waren Hochadlige, Grafen. Aber sie brauchten diesen Oberstleutnant, weil er die Leibgarde kommandierte. Es ist bei einem Staatsstreich immer gut, Truppen zu haben. Gustav hatte die bei seinem Staatsstreich auch. Doch im letzten Moment zögert Lilliehorn und schreibt seinem König, der immer so gut zu ihm war und seine Mutter zur Haushälterin des königlichen Schlosses gemacht hatte, diesen anonymen Brief

Darin soll in französischer Sprache etwas gestanden haben wie: An den König – mit größter Demut. Erlauben Sie einem Unbekannten, dessen Feder von Taktgefühl und der Stimme des Gewissens geleitet wird, sich die Freiheit zu nehmen, Ihnen mit größtmöglicher Aufrichtigkeit mitzuteilen, dass es sowohl in den Provinzen als auch hier in der Stadt bestimmte Personen gibt, die voller Hass sind und Rache an Ihnen nehmen wollen; ja sogar bis zum Äußersten, Ihre Tage durch einen Mord verkürzen wollen. Diese Personen sind sehr verärgert darüber, dass dies bei dem letzten Maskenball nicht gelang, aber sie freuen sich über die Nachricht, dass es heute einen neuen geben wird. Banditen mögen keine Laternen; Es gibt nichts Nützlicheres für ein Attentat als Dunkelheit und Tarnung. Ich wage es also, bei allem, was in dieser Welt heilig ist, an Sie zu appellieren, diesen verdammenswerten Ball zu verschieben, weil das sowohl für Ihren gegenwärtigen als auch für Ihren zukünftigen Nutzen günstiger ist. Gustav III liest den Brief, aber er schenkt ihm keine Bedeutung. Der Brief scheint nicht erhalten, aber was der König bei dem Maskenball trug, das wissen wir. Bon soir, beau masque, soll der Graf Anckarström gesagt haben, als er auf den König schoss.

Lilliehorn, der seinen Namen Liljehorn schrieb, hatte seine Karriere als Page von Kronprinz Gustav begonnen, er wurde schon früh Offizier, 1770 war er schon Fähnrich der Leibgarde, 1772 Hauptmann. 1790 machte ihn der König zum Oberstleutnant, weil er bei dem Angriff auf Kachis kapell eine Kanone erobert hatte. Lilliehorn genoß die Protektion des Königs, der ihm aus eigener Tasche einen zusätzlichen Sold gönnte. Der König hatte einen Grund dafür: Lilliehorns Mutter Clara Aurora Lothigia war die Amme des kleinen Gustav gewesen. Er hatte an ihrer Brust gelegen wie ihr Sohn Carl Pontus. Wenn man so will, waren die beiden Halbbrüder. Carl Pontus Lilliehorn wird zum Verlust von Leben, Ehre und Eigentum verurteilt; dann kommt die Begnadigung, die ewige Verbannung heißt. Am 15. August verläßt er das Königreich Schweden, von niemandem begleitet. Seine große Bibliothek war schon im Juni 1792 in seinem Haus am Gustav Adolf Torg versteigert worden. Das wird ihm wehgetan haben.

Des Landes verwiesen und seines Adelstandes als Ritter beraubt, wird Lilliehorn in Preußen unter dem Namen Berg von Bergheim leben, wird eine reiche Adlige heiraten und 1820 in Bonn sterben. Er soll wieder eine schöne Bibliothek gehabt haben. Er ist in Bonn begraben, der Grabstein ist noch erhalten. In dem Buch Gustav III og Stockholm: et strejftog i det Gustavianske von Godfred Hartmann finden sich die Sätze: Doch eines Tages heiratet Lilliehorn eine reiche Dame und lebt plötzlich unbeschwert in Bonn, wo er 1820 stirbt. Das und dann die Kanone, die er von den Russen erbeutet hat, war das einzig Richtige, was Carl Pontus Lilliehorn getan hat.

Die Geschichte von der Ermordung des Königs beim Maskenball ist in die Literatur gewandert. Der Literaturfabrikant Eugène Scribe (der immer eine Vielzahl von ghostwriters beschäftigte) hat sie zu einem Theaterstück verarbeitet. Das die Grundlage für Verdis Oper Un ballo in maschera war. Die wird in diesem Blog schon in dem Post Giuseppe Verdi erwähnt. Da findet sich Carl Pontus Liliehorn zwar nicht, der steht aber schon in dem Post Désirée. Die Schmonzette Nightcap & Plume. A Novel von Marjorie Bowen lasse ich mal aus. Die Frau kann mit Scribe konkurrieren, sie hat mehr als 150 Bücher geschrieben.

Von großer Wichtigkeit in dem Verdi Post ist ein anderer Schwede, ein Exilant wie Lilliehorn, der ein noch abenteuerlicheres Leben als Lilliehorn hat. Er heißt Carl Jonas Love Almqvist, ist nach einem ereignisreichen Leben 1866 in Bremen gestorben. Johann-Günther König erwähnt ihn in seiner neuen Literaturgeschichte der Hansestadt Diese Stadt ist echt, und echt ist selten: Bremen und Bremerhaven in der Literatur. Dieser Almqvist ist ein erstaunlicher Schriftsteller, das habe ich schon in dem Post über seinen Roman Die Woche mit Sara gesagt. Almqvists Roman Das Geschmeide der Königin (Drottningens juvelsmycke) hat man ein Schmuckstück der europäischen Romantik genannt, und ein Schmuckstück ist der Roman über die (oder den?) androgyne Tintomara wirklich. Ich gebe mal eine kleine Stilprobe:

Die Nacht floh, und in ihrem reichen, schrecklich lächelnden Schoß trug sie die ganze Wirrnis an schwarzen Taten, Geheimnissen und unentfalteten Begebnissen mit sich fort. Die Sonne stieg am 17. März in unvermindertem Glanz über Stockholm; aber die Einwohner fanden, der Sonnenschein selbst verwundere sich über das, was er gewahrte, und werfe immer schärfere Strahlen in die schattigsten Verstecke, um den Ursprung der entsetzlichen Tat aufzudecken. Kein Auge schien während der Nacht geschlafen zu haben. Die Stadttore waren geschlossen, niemand gelangte hinaus. Herr Hugo und ihr Übrigen auf dem Jagdschloss! mögen Sie hören, wie es weiterging – ich will nicht sagen, mit meinen Hauptpersonen, den Fräulein Amanda und Adolfine; denn ihnen scheint es ergangen zu sein, wie es mit Hauptpersonen oft zu gehen pflegt, dass sie im Lauf der Handlung herabsteigen müssen, um bloße Personen zu werden, nachdem größere Charaktere, wie hier zum Beispiel ein Gustav III. die Bühne betreten haben – aber im Allgemeinen mit meiner Geschichte; so will ich fortfahren, mein hellblaues Garn zu zwirnen und die Fäden zu führen, so weit sie reichen.

Diese geheimnisvolle Tintomara soll die Tochter der Ballerina Giovanna Bassi gewesen sein, vielleicht eine Halbschwester des Königs Gustav Adolf IV. Den Roman, der 1970 als Tintomara verfilmt wurde, hat Kindler im Jahre 2005 in einer Neuübersetzung von Klaus-Jürgen Liedtke herausgebracht. Die war schnell vergriffen, aber antiquarisch findet man den Roman über den Maskenball und die Ermordung des Königs Gustav immer noch, bei Booklooker schon ab 47 Cent. Wenn Sie nicht soviel ausgeben wollen und einen Roman lieber am Computer lesen wollen, dann kann ich Ihren Das Geschmeide der Königin hier anbieten. Der schwedisch-dänische Film Tintomara ist leider nicht im Internet zu finden, ich sollte vielleicht anmerken, dass Britt Ekland da mitspielt. Die dem jungen Blogger Jay 2010 zu dem ersten Post verhalf, der mehr als 10.000 Leser hatte.

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