Freitag, 26. September 2014

George Spencer Watson


Lassen Sie uns noch einen Augenblick beim Thema Kitsch bleiben, ich hatte das gestern versprochen. Allerdings eine andere Sorte Kitsch als Henry Scheffer, also so etwas wie diese Geburt der Venus von George Spencer Watson. Von dem gab es ja letztens schon das Bild Four Loves I found, a Woman, a Child, a Horse and a Hound in dem Post über Anthony Powell zu sehen. Und das erstaunliche Bild war für mich der Anlass, dem Maler etwas nachzugehen. Dabei stieß ich als erstes auf dieses Bild, elf Jahre nach dem Familienbild gemalt.

Eine Geburt der Venus, die hier etwas anders aussieht als bei Sandro Botticelli. Mit dessen Bild hat ja sogar Ursula Andress in dem ersten James Bond Film mehr Ähnlichkeit, auch wenn die Muscheln etwas kleiner geworden sind. Ein Jahr nach dem Tod des Künstlers kaufte die Tate Gallery diese bekleidete Lady in Black für die damals erstaunliche Summe von 350 guineas. Das Bild Birth of Venus brachte bei dieser Versteigerung nur zehn guineas. Wie wir aus der Geschichte der Aktmalerei wissen, ist die Geburt der Venus ein Thema, das den Malern selten überzeugend gelingt. Ich weiß nicht, ob Alexandre Cabanels Bild La Naissance de Vénus weniger scheußlich ist als das von Watson.

Wir können natürlich in einer direkten Linie von Botticelli bis Ursula Andress über Frauen sagen, die wenig oder gar nicht bekleidet dem Wasser entsteigen, dass das ein Thema ist, das man eigentlich immer verkaufen kann. Der Playboy wusste schon, weshalb er Kim Basinger bei dem ersten Shooting im Wasser plazierte. Und wenn wir das Bild von Watson etwas seltsam finden, vielleicht haben die Florentiner des Jahres 1485 das Bild der schaumgeborenen Venus von Botticelli auch etwas seltsam gefunden.

Und so etwas stirbt ja nicht aus. Sie können sicherlich in dieser Fortuna des kanadischen Malers André Durand die Prinzessin Diana wieder erkennen. Da liegen Jahrzehnte dazwischen, aber irgendwie ist es das gleiche. Ich bin nicht der erste, der die Ähnlichkeit zwischen den beiden Bildern gesehen hat. Aber genau wie in der Wissenschaft, wo der schöne Spruch gilt: Wissenschaft das ist und bleibt, was einer ab vom andern schreibt, gilt hier: Kunst kommt von Kunst. Oder wie sagte T.S. Eliot so schön: Immature poets imitate; mature poets steal. Postmoderne Maler tun ja nichts anderes als klauen.

Bleiben wir einen Augenblick noch bei den entblößten Frauen. Nicht weil das bei den Lesern so gut ankommt (die Leserzahlen bei dem Post Aktmalerei nehmen erstaunliche Formen an), sondern weil dieses Bild etwas ganz anderes ist als die nackte Venus. Mit dieser Dame sind wir sicherlich im Bereich der seriösen Aktmalerei. Wenn es so etwas gibt. Also das, worüber Kenneth Clark in seinem Buch The Nude schrieb:  No nude, however abstract, should fail to arouse in the spectator some vestige of erotic feeling, even if it be only the faintest shadow — and if it does not do so it is bad art and false morals. Das Bild, das als Geschenk von der Gattin des Malers seit 1941 in der Russell-Cotes Art Gallery in Bournemouth hängt, ist natürlich auch eine schöne Studie in der Verteilung des Sonnenlichts.

Dieses Picnic at Portofino aus dem Jahre 1911 ist ein Bild, das mir gefällt. Man könnte glauben, dass es sehr großformatig ist, weil es wie ein Szenenbild einer Theaterbühne wirkt, aber es ist nur 60 mal 80 Zentimeter groß. Während die Sunlight Nude ein Gefühl von einer Tiefe des Raumes gibt, ist die Venus ganz oben doch sehr flächig: Man stellt ein paar nackte junge Frauen an die Bühnenrampe und schiebt die Kulissen in den Hintergrund. Auch bei Picnic at Portofino, das vor Jahren für den Preis von ➱18.750 Pfund verkauft wurde, funktioniert diese in mehreren Ebenen hintereinander geschichtete Flächigkeit.

Die auch die Personen auf den einzelnen Ebenen von einander trennt, Entfremdung und Kälte schleichen sich ins Bild (ähnlich wie in Heinrich Vogelers ➱Bild Das Konzert). Watson war der Überzeugung, dass man erst ein guter Zeichner sein müsse, bevor man ein Maler sein kann. Und das sieht man auf all seinen Bildern, seine Kunst lebt von der Linie. Wenn wir Picnic at Portofino für einen Augenblick mit diesem dreißig Jahre früher gemalten Bild von John Singer Sargent vergleichen, stellt Watsons Malerei nicht unbedingt einen Fortschritt dar. Wenn es in der Malerei überhaupt einen Fortschritt gibt.

Nun könnte man sagen, dass man für die Portraitmalerei (und das ist die Art der Malerei, die George Spencer Watson am wichtigsten ist) nicht unbedingt eine große Tiefe braucht. Dies ist eine realistische Kunst, die eine kalte Farbphotographie ersetzt. Die Cynthia auf diesem Bild von 1932 ist sicherlich schön und elegant. Aber lebt sie? Wenn wir sie für einen Augenblick mit der Frau im Ruderboot vergleichen, die Ernest Board 1915 gemalt hat (klicken Sie doch mal eben hier), dann liegen Welten zwischen den Bildern. Gut, eine Chaiselongue (diese hier sieht übrigens beinahe so aus wie meine Biedermeier Chaiselongue im Wohnzimmer) ist nun mal kein Ruderboot, aber Sie wissen, worauf ich hinaus will. Cynthia ist im letzten Jahr für 11.250 £ verkauft worden. Es gibt aber - und das wird jetzt bei der plakativen Kunst von George Spencer Watson sicher nicht verwundern - genügend Angebote von Kunstdrucken.

George Spencer Watson hat einen Grund für die plakative Flächenhaftigkeit seiner Bilder: die Wiederbelebung der italienischen Renaissance (also eine Art Renaissance hoch zwei) spielt in seiner Kunst eine große Rolle. Tut sie für Harold Harvey, der dem Kreis der Newlyn School (zu dem auch Alfred Munnings gehörte) zugerechnet wird, überhaupt nicht. Und doch hat sein Bild Blackberrying aus dem Jahre 1917 Ähnlichkeiten mit Watsons Bildern. Und blackberry hat hier natürlich nichts damit zu tun, woran Sie gerade denken, blackberrying heißt Brombeeren sammeln.

Und dann hätte ich noch das Bild Holiday von Harry Morley aus dem Jahre 1935 anzubieten, das auch in einer seltsamen Art (ist das schon eine Karikatur der bürgerlichen Gesellschaft?) realistisch ist. Die englische Malerei zwischen den Weltkriegen verblüfft mich immer wieder, vor allem die Bilder jener Maler, die es nicht in übergreifende Darstellungen oder das Dictionary of British Art geschafft haben.

Dies Bild ist hier, um Sie etwas zu verwirren. Stilistisch ist es manchen bisher gezeigten Bildern ähnlich, aber es wurde schon im Jahre 1852 gemalt. Von einem Maler, der als verurteilter Mörder im Irrenhaus saß, und der hier seinen Doktor Sir Alexander Morison malt (lesen Sie hier mehr dazu, es ist wirklich interessant).

Damit Sie sehen, worauf ich hinaus will, bilde ich mal eben dieses Bild hier ab, Carl Blechens Waldweg bei Spandau aus dem Jahre 1835. Hier gibt es keine hintereinander gestaffelten Bildebenen, wir wandern mit unseren Augen auf dem Waldweg in das Bild hinein. Anstelle der Flächigkeit haben wir hier eine räumliche Tiefe, die uns hineinsaugt in den deutschen Wald, dieses archetypische Symbol der deutschen Romantik (lesen Sie dazu mehr in dem Post Moritz von Schwind). Carl Blechen ist einmal Theatermaler gewesen, er kennt natürlich alle Tricks der Illusionserzeugung durch Perspektive und Farbabstufung.

Von der Romantik wieder zurück zu englischen Malerei des 20. Jahrhunderts. Nicht alle Maler gehen den Weg, den George Spencer Watson für sich gefunden hat. Dieses Bild aus dem Jahre 1911 stammt von Ambrose McEvoy, einem Schüler von James Abott McNeill Whistler. Der später auch einmal mit Walter Sickert zusammengearbeitet hat. Sickert hat hier schon einen Post (wie natürlich James McNeill Whistler auch), er ist übrigens derjenige, den diese völlig durchgeknallte Patricia Cornwell für Jack the Ripper hält. Auch dieses Bild nimmt uns mit in den Raum, in eine warme atmosphärische Stimmung, die durch ihre Malweise ganz im Gegensatz zu dem Bild Picnic at Portofino steht. Natürlich sind noch größere Raumillusionen denkbar, die trompe-l’œil Malerei hat das bewiesen. Angeblich soll ja George Washington in Charles Willson Peales Studio Guten Abend, meine Herren gesagt haben, als er das Bild von Peales Söhnen sah (Sie könnten sich jetzt noch den von William Harnett gemalten Colt in dem Post Samuel Colt anschauen).

George Spencer Watson hat seine Familie immer wieder gemalt (in diesem ➱Blog können Sie noch mehr Bilder sehen). Seine Frau Hilda war ja schon auf dem Bild Picnic at Portofino zu sehen. Sie ist Tänzerin gewesen, hat aber auch einmal bei Carl Gustav Jung studiert (der übrigens einmal Anteilseigner der IWC war). Sie war eine Schülerin von Edward Henry Gordon Craig, dem Sohn der berühmten Ellen Terry. Was wäre George Bernard Shaw ohne die gewesen? Hilda Watson wird sich eines Tages in einer Scheune ihres Landhauses Dunshay ein kleines Theater einrichten.

In dieser künstlerischen Umgebung kann es nicht ausbleiben, dass George Spencer Watsons Tochter Mary, die als Neunjährige auf dem Bild Four Loves I found, a Woman, a Child, a Horse and a Hound auf dem Pferd saß und oben auf dem Bild The Saddler's Daughter zu sehen ist, auch Künstlerin geworden ist. Sie war schon mit sechzehn Jahren einmal in der Woche in der Bournemouth School of Art, zwei Jahre später war sie an der Slade School of Fine Art. Sie ist eine berühmte ➱Bildhauerin geworden. Als sie 2006 im Alter von dreiundneunzig Jahren starb, gab es das England, in dem sie aufgewachsen war, schon lange nicht mehr.

Das Familienbild an der Küste von Dorset, die Watson so liebte, ist übrigens vor wenigen Jahren für den stolzen Preis von ➱151.250 £ verkauft worden. Es war, wie auch The Saddler's Daughter und Picnic at Portofino, im Besitz von Mary Spencer Watson gewesen. 1923 hatte das Bild dem Vater den langersehnten Status eines Associate of the Royal Academy gesichert. Eine Sprecherin von Christie's sagte vor der Auktion: This is a really wonderful opportunity as his work rarely appears on the market and his talent deserves to be better known. Das sonst so zuverlässige Dictionary of British Art von David Bindman kennt den Maler nicht.

Dunshay Manor auf der Isle of Purbeck hat eine lange Geschichte, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Im Jahre 1560 verkauft Henry FitzAlan Maltravers, der Sohn des neunzehnten Earl of Arundel, das Haus an einen reichen Farmer. Er braucht das Geld, er kann seine Schulden bei seinen Schneidern und der Geldverleihern nicht mehr bezahlen. Vor George Spencer Watson war schon einmal eine Malerin hier gewesen: Lucy Kemp-Welch (der die Engländer dieses patriotische ➱Plakat verdanken). Watson hatte Dunshay 1923 gekauft und sich gleich ein Studio in einem Nebengebäude eingerichtet.

Bis dahin hatte er ein Studio in Kensington (20 Holland Park Road) gehabt, was sicher die vornehmste Adresse für einen Portraitmaler war. Normalerweise wohnten Maler in Chelsea, auf jeden Fall haben das John Singer Sargent und James McNeill Whistler getan. Aber für George Spencer Watson musste es eben Kensington sein. Der stille, zurückhaltende Watson, der nichts von der flamboyance Whistlers an sich hat, geniesst das Landleben. Das kann man auf Four Loves I found, a Woman, a Child, a Horse and a Hound und ähnlichen Bildern sehen. Eigentlich hat er die Portraitmalerei, an der er gut verdiente, nie gemocht. Obgleich er sehr schnell arbeitet und selten mehr als eine Sitzung braucht, schätzt er die Intimität zwischen Maler und Modell nicht sonderlich. Dieses Bild von Frau und Kind wirkt viel freier und lebendiger als viele seiner Portraits (oder sein Selbstportrait unten).

Ich möchte mich dem Satz von der Sprecherin des Auktionshauses, his talent deserves to be better known, gerne anschließen. Es gibt eine Vielzahl englischer Maler in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die so gut wie unbekannt sind. David Bindman hat in seinem Dictionary of British Art auch keinen Lexikonartikel für Sir Alfred Munnings, der schon in dem Post über Anthony Powell erwähnt wurde. Aber dafür bietet die BBC mehr als siebenhundert Bilder von Munnings auf ihrer ➱Seite an. Von ➱George Spencer Watson haben sie immerhin vierundzwanzig Bilder.

In den nächsten Tagen werde ich noch einen anderen wenig bekannten englischen Maler aus den zwanziger Jahren vorstellen. Das wird ein Post, in dem Rosamunde Pilcher, Virginia Woolf, Heringe, die Bremen-Vegesacker Fischerei Gesellschaft, John Wayne und Kapitänshunde vorkommen. Unmöglich sagen Sie? Nicht in diesem Blog.

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