Freitag, 4. September 2015

Rudolf Schock (*4.9.1915)


In den fünfziger Jahren wurde viel gesungen im deutschen Film, vor allem der Sorte Film, die wir heute etwas geringschätzig Heimatfilm nennen. Obgleich das deutsche Fernsehen mit der Degeto heute letztlich nichts anderes präsentiert. Auch in dem hier plakatierten Film, der Vento Di Primavera (oder auch Vergiss mein nicht) heißt, wurde gesungen. Der Film wurde als der innigste deutsche Liebesfilm des Jahres apostrophiert. Schauen Sie einmal ➱hier hinein. Falsche Farben, schöne Frauen, kleine dicke Italiener und große Emotionen. Kitsch as kitsch can, aber großartig. Der kleine Italiener hieß ➱Ferruccio Tagliavini. Der Tenor, der auch mit der ➱Callas sang, fand nichts dabei, in einem kitschigen Film aufzutreten. Mario Lanza auch nicht.

Aber wenn Rudolf Schock das macht, wie zum Beispiel ➱hier, wenn er so gefühlvoll Ach ich hab in meinem Herzen in dem Film Der fröhliche Wanderer singt, dann nimmt man ihm das übel. Wer seine Omnipräsenz auf Leinwand, Bühne und im Fernsehen beklagte, schien nicht zu wissen, dass Schock eigentlich Opernsänger war, der seine Verpflichtungen an den berühmtesten Opernhäusern der Welt sehr ernst nahm. In dem ➱Nachruf von Wolfram Schwinger in der Zeit heißt es: In den letzten Jahren hatten es viele vergessen (oder gar nicht gewußt), daß Rudolf Schock ein großer Opernsänger war. Denn er hatte sich ja mehr und mehr dem volkstümlichen Gesang verschrieben, den Operettenliedern und Schlagern, den Heimatidyllen: auf ungezählten Schallplatten, in Filmen, Fernseh- und Festhallen-Auftritten.

Den Meistersinger der Nierentischzeit hat der Spiegel ihn in seinem schnoddrigen ➱Nachruf genannt, der wieder einmal nur eine Seite von Schock zeigte: Operetten-, Wein-, Weihnachtslieder und eine Träne auf dem Stimmband machten ihn zum Dauergast in den Wunschkonzerten, zum Renner der Plattenindustrie und zum Liebling der bundesdeutschen TV-Unterhaltung. Wenn man die Flirts (oder sollte man sagen die andauernden Liebesaffären) Rudolf Schocks mit der leichten Muse kritisiert, sollte man bedenken, dass auch Fritz Wunderlich den neapolitanischen ➱Gassenhauer Tiritomba und andere Dinge des Genres gesungen hat. Dietrich Fischer-Dieskau natürlich nicht. Wunderlich und Schock kamen aus kleinen Verhältnissen, sie haben das nie verleugnet und sich nie dafür geschämt.

Und ja, Rudolf Schock hat ➱La Paloma gesungen. Aber er hat es (leider) nicht zusammen mit ➱Hans Albers gesungen, obgleich sich die beiden einmal getroffen haben (in dem Film An jedem Finger zehn, in dem Hans Albers mitspielt, ist ➱Rudolf Schock mit Ich liebe euch, ihr zauberhaften Fraun zu hören): Einen einzigartigen Treffpunkt - bezeichnend für jene Berlin-Periode bildet die historisch gewordene ›Möwe‹ in der Ostberliner Luisenstraße. In diesem von russischer Seite geförderten Clublokal konnten ›Spitzenkünstler‹ - Schriftsteller, Sänger, Schauspieler, Musiker und andere - zu normalen Preisen essen, Bier oder Wodka trinken. Gisela und ich fuhren fünfzig Minuten mit der S-Bahn, um dorthin zu gelangen, nicht nur wegen der Speisen und Getränke, sondern wegen der interessanten Zeitgenossen, die sich hier ein Stelldichein gaben. Man traf unter anderem Hans Albers, Käthe Dorsch, Rudolf Platte, gelegentlich auch Bert Brecht. Einmal war die Gesellschaft so anregend, daß ich spontan aufstand und ›Freunde, das Leben ist lebenswert› sang. Da kam Hans Albers auf mich zu, umarmte mich und rief: ›Mensch, Junge, wie haben Sie das gesungen! Das war ja, als ginge die Sonne auf! Da kriegt man ja direkt wieder Lust am Leben!‹ Er konnte sich kaum fassen.

In seiner Autobiographie hat Rudolf Schock, den man eines Tages den Kammersänger aus dem Kohlenpott nennen würde (den Titel eines Kammersängers erhielt er 1954 in Wien), geschrieben: nein, es ist mir wahrhaftig nicht an der Wiege gesungen worden, dass ich einmal ein bekannter Kammersänger werden sollte. Und wenn es mir einer gesungen hätte, dann wäre es schon daran gescheitert, dass es in unserer Wohnung keine Wiege gab. Ich lag in einem Waschkorb. Meine Eltern waren arm, sehr arm.

Fischer-Dieskau kam aus dem gehobenen Bürgertum, er war immer ein feiner Herr. Persönlich war er kalt und unangenehm, wie ich am eigenen Leib erfahren mußte, als ich zu seinem 65-zigsten ein Porträt für Radio Bremen machte, hat rabinovitch1 als Kommentar zu dem Post ➱Dietrich Fischer-Dieskau geschrieben. rabinovitch1 ist ein ernstzunehmender Musikkritiker, ich glaube ihm da aufs Wort. Über Schock und Wunderlich, die sich nicht als großbürgerliche Herrenmenschen gerierten, hat niemand so etwas gesagt. In Filmen aufzutreten (musikalische Dokumentationen wie zum Beispiel die von ➱Bruno Monsaingeon ausgenommen), war nicht die Sache von Fischer-Dieskau. Sein einziger Berührungspunkt mit dem deutschen Film der fünfziger Jahre war ➱Ruth Leuwerik.

Pianisten können sich ins Studio zurückziehen. ➱Glenn Gould hat das vorgemacht, dass man den Tastenlöwen des 19. Jahrhunderts nicht braucht. Jemand wie ➱Victor Borge brauchte den großen Auftritt, aber das ist eine andere Geschichte. Ein Tenor kann sich nicht zurückziehen, den will man sehen. Den italienischen Sänger im Rosenkavalier kann ein Regisseur in den Kulissen verstecken, aber das ist eine Ausnahme. Tenöre sollen wie Slevogts ➱d'Andrade sein, mit glanzvollem Auftritt vorne an der Bühnenrampe.

Und den großen Auftritt, den beherrschte Rudolf Schock. Er hatte auch einen hervorragenden Schneider, kaum jemand sieht wie er so gut im ➱Frack aus. Warum soll er da nicht auch in Film und Fernsehen auftreten? Hier sehen wir ihn 1953 als Richard Tauber in Du bist die Welt für mich. Er tritt nach dem Krieg ein wenig in die Fußstapfen von Richard Tauber. Die Australien Tournee, die er 1949 macht, war eigentlich für Tauber gebucht.

Und in London, wo Richard Tauber zuletzt wohnte, beginnt auch die neue Karriere von Schock, der nach dem Krieg Landarbeiter im Harz war und gar nicht mehr auf die Bühne wollte. Aber der Intendant vom ➱Opernhaus Hannover hat ihn überredet, doch wieder auf die Bühne zu kommen. Jetzt ist er da, jetzt singt er in London. La Traviata und The Olympians von Sir Arthur Bliss (nach einem Libretto von J.B. Priestley). Englisch kann er noch nicht, die Rolle des Dichters Hector in The Olympians muss er phonetisch lernen.

Die Tournee durch Australien auf Einladung der ABC (Australian Broadcasting Commission) beinhaltete vierzig vom Rundfunk übertragene Konzerte quer durch Australien, danach sollte es noch nach Neuseeland gehen. Aber das wird Rudolf Schock lassen, weil er auf der Reise (hier ist er mit Elisabeth Schwarzkopf in Sidney) erfährt, dass man ihn London noch gerne eine weitere Saison behalten will. Da singt er dann 1950 mit Elisabeth Schwarzkopf Madame Butterfly. Man kann Schock in diesen Jahren auch in einem englischen Film hören. Nicht sehen, nur hören, und nur in der deutschen Version der Tales of Hoffmann von Powell und Pressburger (der ➱hier schon erwähnt wird).

Die Stimme von Peter Anders hörte er 1941 zum ersten Mal in einem Radio: 1941 hatte man mit dem Batterietrupp-Wagen eine Panne, während der Reparatur erklang aus dem Funkwagen die herrliche Tenorstimme von Peter Anders. Er sang eines seiner Paradelieder 'Komm in die Gondel' aus der Operette 'Eine Nacht in Venedig'. Fasziniert lauschte ich dem bereits berühmten Kollegen. Peter Anders kam wie Rudolf Schock aus dem Kohlenpott (auch Karl Ridderbusch kam daher), es ist übrigens die Gegend mit den meisten Gesangvereinen Deutschlands. Und in einem Chor hat Schock ja auch angefangen. Als Peter Anders 1954 tödlich verunglückte, bot Schock der Witwe an, unentgeltlich die Konzertverpflichtungen von Peter Anders zu übernehmen, damit sie die Honorare bekam. Es gibt viele ähnliche Geschichten, die von einer großen Kollegialität zeugen. Der Gigli aus Duisburg hat seine Wurzeln nie vergessen, Starallüren hat er nie gehabt. Als ihn die Hör Zu in einem Interview fragte Braucht ein Tenor eigentlich Fans? antwortete er Hier besteht ein Unterschied. Schlagersänger haben Fans – ich habe Verehrer! Das klingt nun ein bisschen abgehoben, aber es ist wahr, er hatte Verehrer.

Der Mann, der fünfundsiebzig Rollen beherrschte, hat sie immer noch, seine Verehrer. Wenn man die 621 Diskussionsbeiträge im Klassik Diskussionsforum von Amazon liest, kann man einen Eindruck davon bekommen. Im Internet scheint der Sänger fest in holländischer Hand zu sein. Da gibt es einmal diese ➱Seite, und dann ist da noch der hervorragende ➱Blog von Krijn de Lege, es gibt wohl nichts Besseres. Wenn Krijn de Lege mich nicht angeschrieben hätte, dann hätte ich das mit dem hundertsten Geburtstag wahrscheinlich vergessen.

Allerdings hatte ich den 95. Geburtstag nicht vergessen, da gab es hier den Post ➱Rudolf Schock für den musikalischen allrounder. Was man hier im Bild sieht, ist ganz neu. Ab heute kann man Die schöne Müllerin als CD (Stereo) kaufen. Am Klavier ist Gerald Moore. Außer dem Liederzyklus sind da noch Auf dem Wasser zu singenNacht und Träume und Der Musensohn mit drauf (Klavierbegleitung von Adolf Stauch). Rudolf Schock, in the distinguished company of Moore, brings, perhaps predictably, the extrovert expression of the opera house to his somewhat crude reading, schrieb Eric Sams damals in Gramophone. So etwas ähnliches habe ich auch in ➱Die Schöne Müllerin (Prolegomena) gesagt, aber ich werde mir die CD trotzdem kaufen.

Duisburg wird am Wochenende den Sohn der Stadt mit einem Festakt feiern. Angela Merkel wird wohl nicht kommen, die war gerade in Duisburg. Die Begegnung mit der Realität in Marxloh hat ihr gereicht. Aber in ➱Bayreuth wird sie nächstes Jahr bestimmt sein. Rudolf Schock ist schon häufiger hier erwähnt worden, zum Beispiel in ➱Die Schöne Müllerin (Prolegomena), ➱Zar und Zimmermann, ➱Dietrich Fischer-Dieskau, ➱FiDi, ➱Peter Schreier, ➱Die tote Stadt und ➱Ingeburg Thomsen. Und wenn Sie noch mehr wissen wollen, dann gehen Sie zu Krijn de Lege und seinem Blog ➱Fascination Rudolf Schock. Und wenn Sie nicht so bekannte Dinge des Sängers hören wollen, klicken Sie Krijn de Leges ➱Sammlung bei YouTube an. Der ➱Kuhreigen (der ➱hier einen Post hat) ist auch dabei.


1 Kommentar:

  1. Rudolf Schock war der Sänger in der Entführung,meiner ersten Opernaufnahme, 1959. Unter den hochnäsigen Klassikfreunden ( ich gehörte dazu) wurde er eher verachtet und man kolportierte gerne, die höchsten Tönemüsse er bei anderen Sängern "leihen".
    Danke für die " Blumen",aber ein Muskkritiker bin ich nicht, solamente dilettante.

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