Sonntag, 31. August 2014

preloved


A whale-ship was my Yale College and my Harvard, sagt der Erzähler in Melvilles Moby-Dick. Sowohl ➱Herman Melville als auch sein alter ego Ishmael haben nie eine Universität besucht. Aber auch außerhalb von Schulen und Universitäten kann man etwas lernen. Ich habe an einer ➱Volksschule, einem Gymnasium, einer Heeresoffiziersschule und zwei Universitäten sicherlich etwas gelernt, aber für das wirklich Leben kann man an anderen Stellen mehr lernen.

Ich denke da gerne an die Jahre zurück, in denen ich in den Semesterferien Bierfahrer gewesen bin. Jeder liebt Bierfahrer. Bierfahrer dürfen ihren Lastkraftwagen überall hinstellen, das nimmt ihnen niemand übel. Und wenn man die Kneipen beliefert, die am Hafen im Rotlichtbezirk liegen, bekommt man einen Einblick in das pralle Leben, das einem die Universität nie bietet. Vor allem, wenn man vom Chef vorher detaillierte Anweisungen bekommt: Da bringste keine Buddel Jägermeister und kein' Kasten Sekt rein, bevor die nich Käsch gezahlt haben.

Obgleich Rotlichtbezirk und Universität sich manchmal auch berühren, damit meine ich nicht nur, dass ich in in meinem ersten Jahr in Hamburg in St. Pauli wohnte. Wir hatten in Kiel einmal einen berühmten amerikanischen Schriftsteller (dessen Name hier natürlich ungenannt bleibt) als Gastprofessor. Der kam aus dem amerikanischen Süden, und er war in dem Wintersemester im kalten deutschen Norden todunglücklich. Besoff sich regelmäßig und landet im Hafen im Puff. Und dann rief die Polizei von der Wache Falkstraße (wo damals aus unerklärlichen Gründen beinahe jeder Polizist eine Rolex am Arm hatte) im Institut an und sagte, sie hätten hier einen betrunkenen Amerikaner, der behauptete, Professor an der Uni zu sein. Ob wir den mal abholen könnten? Das auf dem Bild ist natürlich nicht unser Gastprofessor, das ist Alec Guinness.

In dem englischen Schwarzweißfilm Last Holiday aus dem Jahre 1950. Da muss Alec Guinness von seinem Arzt erfahren, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hat, da er eine tödliche Krankheit hat - das ist aber, wie wir schon ahnen, eine Fehldiagnose, die ihn hier in das Schaufenster eines Bestattungsunternehmers schauen lässt. Alec Guinness kauft sich in einem Second Hand Laden die Garderobe (beachten Sie in der ➱Szene des Kleiderkaufs doch das Innere des Geschäfts, das sich wohltuend von den Firmen Braun oder Patrick Hellmann unterscheidet) eines verstorbenen Adligen und mietet sich in einem vornehmen Hotel ein. Es ist diese alte Geschichte von Kleider machen Leute. Der Film hat leider kein happy ending, was natürlich daran liegt, dass das Theaterstück von J.B. Priestley geschrieben wurde. Aber die Sache mit den Klamotten, die die Umwelt beeindrucken, ist doch von schöner symbolischer Bedeutung.

Denn die wirklich guten Dinge, die liegen oder hängen nicht in den Läden, die so aussehen wie dieser. Die findet man bei den Second Hand Dealern. Wo man auch häufig ungestört von Verkäufern die Ware Naht für Naht inspizieren kann. Was habe ich nicht schon alles in der Hand gehabt! Dass ich in einem Laden ein Hermés Jackett für DM 19,95 verschmähte, aber mit einem Teil von R. Böll (das von Kiton war) für DM 39,96 glücklich aus dem Laden ging, das habe ich ➱hier schon erzählt. Ich habe dort auch Anzüge von Henry Poole in der Hand gehabt, leider zu groß für mich, aber ich habe sie natürlich genau studiert.

Neuerdings macht sich in dieser Szene statt des Begriffes second hand der Terminus preloved breit, das hat dann gleich so einen ökologischen Touch. Es scheint einen Markt dafür zu geben. Schon nennen sich Firmen Slowear,
und viele Herstellern waschen die Baumwolle wieder und wieder, damit das neue Jackett möglichst alt aussieht. Schreiben dann noch wie ➱Raffaele Caruso Old Cotton hinein, damit man das auch lesen kann. Als Jeremy Hackett noch frühmorgens die Stände auf der Portobello Road nach alten Savile Row Teilen abflöhte, bespöttelte man ihn als dealer in dead men's clothes.

Als der Nachschub ausging, ließ er die alten Teile nachschneidern und machte mit seinem Partner Ashley Lloyd-Jennings einen Laden in der King's Road auf. Retro Tweed Jacketts sind noch immer im Programm, mit farbigem Futter, echten Ärmelknopflöchern (lesen Sie ➱hier mehr zu dem Thema) und Drehteufel (Bild oben) unter dem Kragen. Auch dieser Laden war ein Erfolg (lesen Sie ➱hier mehr zu Hackett), heute trägt ein kleines Modeimperium seinen Namen. Auch wenn es längst anderen gehört. So britisch die ➱Jacketts von Hackett auch daherkommen (die anfangs, als Hackett noch zur Richemont Gruppe gehörte, noch von Magee geschneidert wurden), sie sind natürlich nicht the real thing. Um einen Eindruck davon zu bekommen, sollte man in Hamburg einmal ➱Rudolf Beaufays besuchen, aber auch im Internet kann man etwas finden. Gehen Sie doch einmal zu der Seite ➱Savvy Row.

Einen Anzug wie diesen trug ich, als ich jung war. So etwas kaufte ich mir von meinem Verdienst als Bierfahrer (oder dem Sold eines Leutnants bei Wehrübungen) bei ➱Hans Kalich in der Böttcherstraße. Der ließ sich von deutschen Schneidern immer Anzüge in den gängigen Größen machen, die nur seinen Namen und ein klitzekleines Etikett Deutsche Schneiderarbeit trugen. Und sehr englisch aussahen. Ich wollte, wenn nicht genau so wie Alec Guinness in den Anzügen des Lords, gerne so aussehen, wie ein älterer Universitätsdozent. Von dem Kopenhagener Gastprofessor Otto Norn (den ich schon in dem Post ➱Dänische Kunst erwähnt habe) war ich begeistert, weil der auch englische Tweedanzüge trug.

Und eine Halbbrille als Lesebrille. So etwas hätte ich auch gerne gehabt, aber meine Augen waren vorzüglich. Als ich ein älterer Universitätsdozent war, trug ich keine Tweedanzüge und keine Westen mehr, sondern bevorzugte italienische Jacketts aus leichten, dünnen Stoffen. Und eine Lesebrille habe ich inzwischen auch. Kommt nicht von Fielmann (wo jetzt schon schleswig-holsteinische ➱Polit-Rentner Reklame machen müssen), sondern vom Optiker um die Ecke. War nicht billig, ist aber erstklassige Qualität. Und damit bin ich wieder beim Thema, bei der erstklassigen Qualität und den Preisen. Und beim Thema der Quadratur des Kreises.

Dieser Herr ist wahrscheinlich in Düsseldorf bekannter als hier in Norddeutschland. Es ist Heinz-Josef Radermacher, einer der besten Schneider Deutschlands. Für mein Radermacher Jackett musste ich bei einem Secondhand Dealer neunzig Euro auf den Tisch legen. Das kam mich hart an, hatte ich doch wenige Wochen zuvor ein nagelneues Attolini Kaschmirjackett für nur 39 Euro gekauft. Aber eins muss man dem Düsseldorfer Schneider, der nicht so flamboyant auftritt wie sein Kollege Jürgen Ern, lassen, sein Produkt hat eine traumhafte Qualität.

Nicht so traumhaft ist natürlich all das, was die gleiche Qualität verspricht, aber zu einem Discountpreis offeriert wird. Und so klangvolle Namen wie Prince of Wales hat. Eine Firma, die für viele Kunden zu einem Albtraum wurde. Der Mann, dem diese Firma gehörte, hat sich inzwischen auch den Firmennamen Prinz von Preußen sichern lassen. Bei dem Namen fällt mir nur die Sache mit der Juraklausur ein, die ich ➱hier schon einmal erzählt habe. Ich weiß aber nicht, ob der Unternehmer noch im Geschäft ist, oder ob er nach den Deals, die er in Deutschland, Österreich, der Schweiz und England durchgezogen hat, mal wieder im Gefängnis sitzt. Er soll angeblich in Norwegen eine neue Firma planen, da passt es gut, dass der gebürtige Amerikaner einen norwegischen Pass hat.

Würden Sie von dem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen? Oder einen Maßanzug, der in der Savile Row genäht wurde? Der Mann, dem Sprüche wie Entdecken Sie den Unterschied zwischen Perfektion und Konfektion leicht von der Zunge gingen, heißt Ricky Kripalani, er ist vorbestraft. Wurde in Deutschland wegen Betruges 530 Fällen verurteilt. Vorher fuhr er einen McLaren Mercedes für eine Viertelmillion Franken, hatte eine Ferienwohnung auf Ibiza, die 50.000 Franken die Woche kostete und war in der Zürcher Partyszene für seine Großzügigkeit, was das Spendieren von Champagner angeht bekannt. Es lebt sich immer gut von dem Geld von anderen.

Er konnte offenbar Menschen für sich einnehmen, eine ehemalige Mitarbeiterin erinnert sich an ihn: Das kuriose an der Sache ist: ich habe Verständnis mit all den Menschen, die auf Ricky Kripalani “rein fallen”. Ich habe nie zuvor einen Menschen kennengelernt, der andere so begeistern kann. Der einen mit nimmt auf einer Reise, einen motiviert bis ins unglaubliche und egal ob es regnet oder stürmt: immer ein charmantes Lachen im Gesicht hat. Dazu einen Charme versprüht und mit links auch mal zehn Anzüge auf einen Sitz verkauft…

Seine Tätigkeit In Deutschland und Österreich war dem Spiegel im Jahre 2005 den ➱Artikel Niete in Nadelstreifen wert. Sein Geschäftsmodell war immer das gleiche: Maßanzüge aus der Savile Row gegen Vorkasse zu versprechen, und sie dann nicht nicht liefern. Manchmal kam die bestellte Ware auch beim Kunden an, kam dann aber nicht aus England, sondern wohl eher aus Thailand. Manches scheint auch von der Firma Lords of Sweden, die seinem Onkel Ashok Jethanad Kripalani gehört, gefertigt worden zu sein. Er hat ja auch nichts aus seiner dreieinhalbjährigen Gefängnisstrafe gelernt, im letzten Jahre war er wieder mit der gleichen Masche in der Schweiz aktiv. Diesmal lief alles über eine Firma namens Sartoriani. Die aber auch schon wieder pleite ist. Unter diesem Namen hatte Kripalani auch eine Firma in der Londoner Savile Row, darüber steht mehr in einem Post über Made to Measure Kleidung, den es hier demnächst einmal geben wird.

Ich hatte die Geschichte, die ich damals im Spiegel gelesen hatte, noch nicht vergessen. Und als eines Tages ein Prince of Wales Jackett bei ebay auftauchte, dachte ich mir: warum nicht? Der Händler versicherte, es käme aus Adelsbesitz, Händler schrecken ja vor nichts zurück. Das Etikett mit dem Prince of Wales habe ich gleich herausgetrennt, so etwas muss nicht sein. Ob Prince Charles jemals erfahren hat, was da mit seinem Namen gemacht wurde? Das braune Kaschmirjackett mit dem Fischgrätmuster verrät ansonsten keinen Hersteller, es ist wirklich reine Schneiderarbeit.

Wohl nicht aus der Savile Row, aber ich weiß nicht, wo es herkommt. Was sie hier sehen ist die Kante eines Stoffes, in die der Weber seinen Namen gewebt hat. Hier ist es Wain Shiell & Son aus Huddersfield, auf deren Etiketten früher Britains Finest Cloth stand. Die Firma gehört heute zu Scabal, wie mir der nette Herr Nikolaus Degorsi vor Jahren erzählt hat. In meinem Jackett finden sich die Stoffkanten, sorgfältig in die Taschen genäht, die zwar nicht Wain Shiell & Son sagen, aber dafür Pure Cashmere Woven in Scotland. Und ein erstklassiger Kaschmirstoff ist es auch.

Das Jackett hat alles, was ein Jackett vom Schneider ausmacht. All diese vielen kleinen Dinge, die man erst beim genauen Hinschauen bemerkt. Der Kragen ist umgeklappt und auf dem Futter vernäht, da wo er an das Revers stößt, die Knopflöcher (alle funktional) sind alle von Hand umsäumt, die Patten der Taschen sind vorne rund und hinten gerade. Das Jackett hat auch noch eine Billettasche, wie ich das liebe. Und es passt wie angegossen. War dies ein Vorzeigestück der Firma mit dem Namen des englischen Kronprinzen? Für 19 Euro ist es wirklich nicht schlecht, und ich fühle mich gar nicht kriminell, wenn ich dies kriminelle Jackett trage. Wie mögen die anderen Teile ausgesehen haben? Also die wenigen, die beim Kunden ankamen?

Nach meiner Theorie wird jede Täuschung, der keinerlei höhere Wahrheit zugrunde liegt und die nichts ist als bare Lüge, plump, unvollkommen und für den erstbesten durchschaubar sein. Nur der Betrug hat Aussicht auf Erfolg und lebensvolle Wirkung unter den Menschen, der den Namen des Betrugs nicht durchaus verdient, sondern nichts ist als die Ausstattung einer lebendigen, aber nicht völlig ins Reich des Wirklichen eingetretenen Wahrheit mit denjenigen materiellen Merkmalen, deren sie bedarf, um von der Welt erkannt und gewürdigt zu werden. Das ist jetzt nicht die Lebensmaxime von Ricky Kripalani, das ist die Ansicht von Felix Krull.

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