Donnerstag, 7. Juli 2016

Miltenberg


Wenn man (Mann) in den sechziger Jahren chic war, dann sah man so aus. Wie ➱Peter Frankenfeld, hier einmal ohne seine großkarierten Jacken (bei karierten Jacken fällt mir immer Herr ➱Gauland ein, um den es so merkwürdig still geworden ist). Peter Frankenfeld - und viele andere Schauspieler wie zum Beispiel ➱Curd Jürgens - machte Werbung für die Miltenberger Kleiderwerke (MKW). Die gibt es heute noch, sie heißen allerdings heute Daniel Hechter. Das war mal ein berühmter französischer Modeschöpfer, der ein klein wenig fußballverrückt war.

Er war der größte Geldgeber für Paris Saint-Germain, für die er auch einen neuen Dress entwarf. Hier sitzt er als Präsident von PSG neben Robert Vicot und Just Fontaine im Stadion. Er trägt ein schlichtes ➱T Shirt (auf dem Daniel Hechter steht), wir sind im Jahre 1971, da ist das vielleicht revolutionär. Revolutionär sind sicher auch von einem Designer entworfene Jerseys. Auch die seltsamen Jerseys, die die gerade in Frankreich Fußball spielenden Millionäre tragen, zeigen ja viel Designwillen.

Hechter hat auch einmal die Kleider für ➱Brigitte Bardot entworfen. Was wohl keine so große Leistung ist, an Brigitte Bardot hätte in den fünfziger und sechziger Jahren auch ein Müllsack gut ausgesehen. Ja, Daniel Hechter war mal berühmt. Zuerst war er ein Couturier, dann erfand er das Prêt-à-porter (angeblich de luxe). Lizenzen bringen viel Geld. Macht ja heute jeder in Paris, ➱Lagerfeld auch. Ich hatte mal ein grünes Samtjackett von Hechter, dessen Revers und Taschen mit einem dünnen Lederrand paspeliert waren, sah toll aus. War aber schon etwas zu klein, als ich es in Paris kaufte. Wurde auch später leider nicht größer.

Solche Teile gab es wahrscheinlich in Deutschland nicht, weil hier die Firma von Otto Aulbach die Lizenz für Daniel Hechter hatte. Die hatten auch den Namen von ➱Christonette of Copenhagen gekauft hatte, allerdings sahen ihre Produkte den ehemaligen dänischen Luxusprodukten überhaupt nicht ähnlich. Auf diesem Photo aus dem Jahre 1972 trägt der Herr mit Sonnenbrille (it's never too dark to be cool) Daniel Hechter, der Mann daneben ➱Ralph Lauren. Als sich der Pariser Modeschöpfer, der wie ➱Pierre Cardin seinen Namen überall hin verkauft hatte, zur Ruhe setzte, kaufte die Miltenberger Otto Aulbach den Namen.

Auf die Wikipedia Seite von Miltenberg haben es die Firmenchefs von Daniel Hechter nicht geschafft. Er hier dagegen schon, es ist der Maler Philipp Wirth, der am 7. Juli 1808 in Miltenberg geboren wurde. Mit Mode hatte er auch ein klein wenig zu tun, er war Portraitmaler, da achtet man (vor allem die Kundschaft) schon mal auf die Mode. Was wäre aus ➱Thomas Lawrence geworden, wenn er kein Gespür für Mode gehabt hätte? Und ➱Anders Zorn wäre nichts ohne Otto Bobergh, dem Compagnon von ➱Charles Frederick Worth, geworden. In solch erlauchter Gesellschaft hat sich Philipp Wirth nicht bewegt, aber ein klein wenig Mode hat er von zu Hause mitbekommen: sein Vater war Hutmacher.

Wirth ist nicht nur in Miltenberg geboren (hier am Marktplatz hat er gewohnt), er ist dort auch siebzig Jahre später gestorben. Hoch begabt, unverstanden, arm verstorben, längst vergessen. Der Maler (und Photograph) Philipp Wirth, der sich auf Portraits spezialisierte (aber auch Landschaften malte), war jedoch nicht sein Leben lang in Miltenberg. Er hat in München und Wien Malerei studiert, Reisen führten ihn nach London und Paris. Die Reise nach Paris war dem Würzburger Abendblatt im November 1843 eine Notiz wert: Unser Landsmann, der tüchtige Porträtmaler Wirth, hat heute hiesige Stadt verlassen, um sich nach Paris zu begeben und dort längere Zeit der Kunst zu widmen. Bei der Reise nach England ist Wirth mit dem neuen Medium Photographie in Berührung kommen, er wird später mit seinem Bruder in Miltenberg ein Photostudio eröffnen, das aber keinen großen Erfolg hat. Wichtiger bei der Englandreise war, dass er in Windsor Castle Bilder von van Dyck kopiert hat, was für ihn zu einer Vorlage für seine Portraitmalerei wurde.

In Paris wird sich Wirth dem ➱Aktzeichnen widmen: Die Tatsache, daß sich Philipp Wirth in Paris noch einmal mit Aktzeichnen beschäftigt, liegt vielleicht darin begründet, daß seine Halb- oder Ganzfigurenporträts immer noch oft fehlerhafte Proportionen aufwiesen, schreibt Wolfgang Kimpflinger in seiner Dissertation Philipp Wirth, ein fränkischer Maler des 19. Jahrhunderts. Die hervorragende Dissertation (324 Seiten, 129 Abbildungen, 8 Farbabbildungen) wurde vom Geschichts- und Kunstverein Aschaffenburg gedruckt, um einem großen Miltenberger Maler des 19. Jahrhunderts Tribut zu zollen. Sie ist heute immer noch antiquarisch zu finden. Kostet um die zwanzig Euro. Dafür kann man natürlich auch bei ebay zwei Daniel Hechter Jacketts kaufen, aber die Dissertation ist die bessere Anlage. Bildung und Kunstgenuss ist immer wichtiger als Klamotten.

Paris bedeutete für die Familie von Otto Aulbach aus Miltenberg den geschäftlichen Erfolg, für Philipp Wirth ist es die große Enttäuschung. Nach kurzer Zeit kehrt er krank und depressiv nach Miltenberg in das Haus seiner Eltern zurück. Aber er hat in dieser Zeit ein Bild gemalt, für das er berühmt wurde. Allerdings sehr viel später. 1918 kaufte Gustav Pauli für die Kunsthalle Hamburg dieses Selbstportrait mit Zylinder an, die Arbeit eines Vergessenen. Das Dunkel, das die Person dieses Künstlers umhüllt, war bis vor kurzem sogar noch viel tiefer als das, in dem sich Rayski verbarg. Das schrieb Pauli, für den Wirth eine der tragischen Erscheinungen jener Zeit, in der so oft bedeutende Künstler an der Verständnislosigkeit erlahmen mußten war, später in einem Führer für die Kunsthalle. Und er brachte bei Wirths Bildern, deren Einfachheit und Glanz des Vortrages Eigenschaften aufweist, die längst vor Manets Auftreten an dessen Kunst erinnern, den Namen ➱Manet ins Spiel. Wahrscheinlich, weil das Selbstportrait von der Farbe schwarz lebt.

Der Direktor der Hamburger Kunsthalle Gustav Pauli ist eigentlich ein Bremer (und war zuvor Direktor der ➱Kunsthalle Bremen). Und weil Jay auch ein Bremer ist, hat er ihn schon in einer Vielzahl von Posts erwähnt. Nicht nur, weil Pauli der Gatte jener Frau war, die unter ihrem Pseudonym Marga Berck diese herzzereißende Liebesgeschichte ➱Sommer in Lesmona geschrieben hat. Pauli war 1918 nicht der einzige, der die Kunst von Philipp Wirth lobte. Auch der Kunsthistoriker Karl Lilienfeld pries 1918 in der Zeitschrift für bildende Kunst den Maler mit einem Aufsatz: Philipp Wirth, ein vergessener deutscher Meisterporträtist.

Vierzig Jahre nach seinem Tod war der Maler für einen Augenblick lang berühmt. Es währte nicht lange. Danach, schreibt Wolfgang Kimpflinger in seiner Dissertation, wird Philipp Wirth nur noch von der lokalen Forschung beachtet. Seinen Nachlaß rettete Ende des letzten Jahrhunderts der Miltenberger Sammler Oskar Winterhelt und bewahrte ihn später vor allzu großer Verstreuung. Der Architekt Oskar Winterhelt war ein notorischer, geradezu manischer Sammler; und da er aus Miltenberg kam, lag ihm der Miltenberger Maler Wirth natürlich am Herzen.

Den Grundstock seiner Sammlung bildete der Nachlass von Philipp Wirth. Der war im Besitz von dem Kaufmann Emanuel Lindheimer, bei dem der verarmte Maler die letzten acht Jahre seines Lebens gewohnt hat. Wirth hat seinen Wohltäter gezeichnet (Bild) - irgendwie sieht er ein wenig wie der Maler selbst aus. Winterhelt ordnete den Nachlass und versah die Rückseiten der Skizzen und Gemälde mit Notizen. Diese Notizen gehören heute beinahe zu den einzigen Quellen zum Werk von Philipp Wirth.

Oskar Winterhelt vermachte zu seinen Lebzeiten einen Teil der Sammlung an das Miltenberger Museum. Nach seinem Tod 1958 bot seine Witwe der Stadt die restlichen Werke zum Kauf an. Es war der Stadt zu teuer, stattdessen kaufte das Städtische Museum Aschaffenburg die Reste von Winterhelts Sammlung. Das ➱Miltenberger Museum, das 1978 eine Gedächtnisausstellung und 2008 eine große Ausstellung organisierte, besitzt heute circa 180 Gemälde, Zeichnungen, Skizzen und Aquarelle. In Aschaffenburg hat man etwa das Dreifache. Für die Ausstellung von 2008 hatte man sich aus Hamburg das Selbstportrait mit dem Zylinder ausgeliehen. Der Versicherungswert betrug 35.000 Euro, eigentlich zu wenig für ein Bild, das schon als Vorläufer des Impressionismus gefeiert worden ist.

Bilder von Philipp Wirth (hier das Portrait eines Holzfällers aus Großheubach) sucht man im Internet leider vergeblich. Gäbe es sie, dann hätte ich gerne noch das Bild seiner Braut Therese Prohaska und sein großartiges Selbstbildnis mit Zeichenmappe abgebildet. Das sieht ein wenig nach Thomas Lawrence aus, das wird aber nicht verwundern, denn den hatte Wirth bei seinem Englandaufenthalt immer wieder kopiert. Es wäre schön, wenn man in Miltenberg und Aschaffenburg mal auf die Idee käme, die besten Bilder der Sammlungen ins Netz zu stellen.

Wenn Sie mehr über die deutsche Herrenmode aus der Zeit, als Frankenfeld MKW trug, wissen wollen, kann ich die Post ➱Made in Germany, ➱Markenname Windsor und ➱Herrenausstatter empfehlen.

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