Freitag, 12. Oktober 2018

Erinnerung


Die Buchmesse steht vor der Tür. Überall tauchen neue Autoren und neue Romane auf, von denen wir noch nie gehört haben. Alles ist wichtig, alles will verkauft werden. Ich las im Feuilleton, dass eine Autorin namens Inger-Maria Mahlke, die in diesem Jahr den Buchpreis erhielt, gesagt hat: Ich misstraue der Erinnerung. Ich dachte immer, Auoren wären stolz auf die Erinnerung? Hier offenbar nicht: Weil ich Erinnerung und Gedenken, der nachträglichen Konstruktion von Vergangenheit auf Makro- wie auf Mikroebene misstraue. Wir neigen dazu, sowohl in der Geschichte als auch in unseren Biografien, Ereignisse, unsere Einstellung zu ihnen so umzudeuten, dass sie mit unserem jetzigen Selbst- oder Geschichtsbild stimmig sind. Das schrittweise Rückwärtserzählen soll es ermöglichen, die unterschiedlichen Entwürfe eingebettet in ihren Zeitkontext offen zu legen. Ich habe etwas länger gebraucht, um das Interview zwischen Inger-Maria Mahlke und Mathilda May zu verstehen. Ich erspare Ihnen das und sage, worum es in dem Roman Archipel geht: es ist eine Familiengeschichte, die sich über hundert Jahre hinzieht. Der Roman spielt auf Fuerteventura, wo die Autorin ihre Jugend verbrachte. Und ja, es wird von vorne nach hinten erzählt.

Es muss noch eine Autorin genannt werden, die sich mit der Erinnerung beschäftigt und die gerade einen Preis bekommt. Sie heißt Aleida Assmann und ist die diesjährige Preisträgerin vom Friedenspreis des Deutschen Buchhandels (den im letzten Jahr Margaret Atwood erhielt). In ihrem Buch Der lange Schatten der Vergangenheit: Erinnerungskultur und Geschichtspolitik fand ich eine Seite, auf der die Autorin Zitate von Autoren versammelt, die etwas zum Thema Erinnerung gesagt haben. Schön fand ich Italo Svevos: Die Vergangenheit ist immer neu: Sie verändert sich dauernd, wie das Leben fortschreitet. Teile von ihr, die in Vergessenheit gesunken schienen, tauchen wieder auf, andere wiederum versinken, weil sie weniger wichtig sind. Die Gegenwart dirigiert die Vergangenheit wie die Mitglieder eines Orchesters. Sie benötigt gerade diese Töne und keine anderen. So erscheint die Vergangenheit bald lang, bald kurz. Bald klingt sie auf, bald verstummt sie. In die Gegenwart wirkt nur jener Teil des Vergangenen hinein, der dazu bestimmt ist, sie zu erhellen oder zu verdunkeln.  

Und dann fand ich da noch ein schönes Proust Zitat: Das Buch mit den in uns eingegrabenen, nicht von uns selbst eingezeichneten Charakteren, ist unser einziges Buch. Das wahre Leben, das endlich entdeckte und aufgehellte, das einzige infolgedessen von uns wahrhaft gelebte Leben, ist die Literatur. Dabei belassen wir es mal für heute.

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