Samstag, 10. April 2021

Bilabonne du so süß, Banjo

Von magischer, unwirklicher Schönheit war diese Delphine Seyrig, die Alain Resnais in einem Off-Broadway Theater in New York entdeckt hatte. Unvergesslich ihr erster Auftritt am Drehort von 'Letztes Jahr in Marienbad': in einen Burberry gehüllt, einen Schal über der dreißiger Jahre Frisur, tauchte sie hinter einer der Marmorsäulen in der Halle des Schlosses Schleißheim auf und begrüßte uns mit einem geistesabwesendem Lächeln. Ein Wesen von einem anderen Stern - auf der Leinwand wie im Leben. Das schreibt Volker Schlöndorff auf seiner Internetseite. Dem kann ich nur beipflichten, wegen Delphine Seyrig habe ich Letztes Jahr in Marienbad damals zweimal gesehen.

In Truffauts Film Geraubte Küsse wird Antoine Doinel über sie sagen: Ce n’est pas une femme, c’est une apparition. Und das ist sie gewesen, zu einer apparition haben Resnais und Truffaut sie stilisiert. Sie war aber auch in ganz anderen Filmen zu sehen: in Joseph Loseys  Accident an der Seite von Dirk Bogarde oder in dem Spionagethriller The Black Windmill mit Michael Caine, wo sie für eine Minute nackt zu sehen ist.

In dem Glas, das sie hier zu ihren Lippen führt, ist wahrscheinlich Blut. Wir sind hier in einem Vampirfilm. Nicht nur in einem Vampirfilm, sondern auch noch in einem lesbischen Vampirfilm. So etwas war im Fantasy Genre in den siebziger Jahren schick. Der Film heißt Daughters of Darkness (der deutsche Titel war Blut an den Lippen). Die Professorin Camille Paglia, die in engen Lederklamotten mit dem Motorrad zu ihren Vorlesungen kam, fand den Film interessant: A classy genre of vampire film follows a style I call psychological high Gothic. It begins in Coleridge's medieval 'Christabel' and its descendants, Poe's 'Ligeia' and James' 'The Turn of the Screw'. A good example is' Daughters of Darkness', starring Delphine Seyrig as an elegant lesbian vampire. High gothic is abstract and ceremonious. Evil has become world-weary, hierarchical glamour. There is no bestiality. The theme is eroticized western power, the burden of history. 

Sie können alle erwähnten Filme anklicken und zumLaufen bringen. Ich habe aber auch noch eine kleine filmische Sensation. Denn die junge Delphine Seyrig ist 1959 in einem schrägen kleinen Film von Robert Frank zu sehen, zusammen mit der halben Beat Generation. Wie Jack Kerouac, Allen Ginsberg, Gregory Corso und den Künstlern Larry Rivers und Alice Neel. Das brave Hausmütterchen in Pull My Daisy war ihre erste Filmrolle. Als ich gesehen hatte, dass heute der Geburtstag von Dephine Seyrig ist, suchte ich im Internet nach einem Gedicht. Warum hat noch niemand von den Franzosen über diese apparition ein Gedicht geschrieben? Aber dann sah ich, dass sie Je vous écris d'un pays lointain von Henri Michaux im Radio gelesen hatte, und ich dachte mir: warum nicht Michaux?

Ich nehme jetzt nicht Je vous écris d'un pays lointain, ich nehme das Gedicht Amours. Das habe ich hier auch in deutscher Sprache, übersetzt von niemand anderem als Paul Celan. Das Gedicht stammt aus dem ersten Gedichtband Les rêves et la jambe, 1923 in Antwerpen in einer Auflage von vierhundert nummerierten Exemplaren erschienen. Die Frau, die er in diesem Liebesgedicht bedichtet, war Gabrielle Friedrich, die Chefin des kleinen avantgardistischen Verlags Editions Kra. Er nennt sie hier Banjo, manchmal auch Banjo By. Als er berühmt war, wollte er nicht, dass seine frühen Dichtungen erwähnt wurden. Paul Celan, der ihn übersetzt hat, war mit ihm befreundet, er hatte Mühe ihn zu überreden, dass er Amours übersetzen durfte. Michaux scheute die Öffentlichkeit, nur Gisèle Freund hat ihn einmal photographieren dürfen.

Amouren

Du, die ich nirgendwo zu erreichen weiß und die du
dieses Buch
hier nicht lesen wirst,
die du stets ins Gericht gegangen bist mit den
Schriftstellern,
den kleinen, kleinlichen, unwahren, eitlen Gesellen,
du, der Henri Michaux zu einem Eigennamen
worden ist,
in allem vielleicht wie die, die man in den Vermischten Notizen
liest, mit Alters- und Berufsangabe daneben,
du, die du in andrer Gesellschaft lebst, auf andern Flächen und
Feldern, anders umhaucht und umweht,
derenthalben ich mich jedoch überworfen hatte mit einer ganzen
Stadt, der Hauptstadt eines dichtbesiedelten Landes.
Und die du mir auch nicht ein einziges Haar zurückgelassen hast
beim Weggehn, sondern bloß die Empfehlung, deine Briefe
auch ja zu verbrennen –: bist nicht auch du jetzt zwischen vier
Wänden und ganz in Gedanken?
Sag, machts dir noch immer soviel Spaß, dir die schüchternen
jungen Männer zu angeln mit deinem samtenen Krankenhausblick?

Ich, ich habe noch immer denselben starren, verrückten Blick,
der irgend etwas Persönliches sucht,
irgendwas mir inmitten dieser unendlichen unsichtbar-
kompakten Materie Hinzuzufügendes,
das den Zwischenraum bildet zwischen den Körpern der als solcher
bezeichneten Materie.
Unterdessen habe ich mich aber einem neuen „Wir“ überantwortet.
Sie hat Lampenlicht-Augen wie du, sehr sanft, nur größer als die
deinen; eine dichtere, tiefere Stimme; und ein Schicksal, so
ziemlich dem deinen ähnlich in seinem Beginn und seinem Verlauf.
Sie hat… Sie hat-te!
Hab sie morgen nicht mehr, meine Freundin Banjo;
Banjo,
Banjo,
Bibolabange du so bang,
Bilabonne du so süß, Banjo,
Banjo,
Banjo so allein-allein, Banjelein,
Banjeby,
so lauter Liebe, Lie-,
hab deine kleinen Brüste verloren,
-loren,
und deine unsägliche Nähe.

Sie haben alle gelogen, meine Briefe, Banjo … und jetzt, jetzt geh
ich.
Hab eine Fahrkarte in der Hand: 17.084.
Königlich-Niederländische Schiffahrtsgesellschaft.
Man braucht nur der Fahrkarte zu folgen und kommt nach
Ecuador.
Fahrkarte und ich, morgen machen wir zwei uns auf den Weg,
den Weg nach Quito – der Stadt mit dem Reim auf „couteau“.
Mir wird ganz eng, sobald ich daran denk.
Und doch wird man mir sagen:
„Schön, dann soll sie eben mitfahren mit Ihnen.“
Ja gewiß doch, wir wollten ja nur ein kleines Wunder von euch da
da droben: ihr Haufen Müßiggänger, Götter, Erzengel, Erwählte,
Feen, Philosophen, und ihr, meine genialen Kumpane, die ich
so geliebt habe:
du, Ruysbroek, und du, Lautréamont,
der du dich nicht für dreimal Null hieltst; ein ganz kleines
Wunder, ja das wars, was wir von euch haben wollten, für Banjo
und für mich.

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