Ich muss mal eben eine Seite aus meinen beiseite gelegten Bremensien hervorholen, sie führt uns in die 1950er Jahre. Und in den Teutoburger Wald. Es ist ein Kapitel über die Wälder, es hat in dem Manuskript die Kapitelnummer 36 und den Namen silvae. Als ich das schrieb, wusste ich noch nicht, dass ich Blogger werden würde und mir silvae als Namen für den Blog nehmen würde. Ein Teil des Kapitels ist in den Post silvae: Wälder: Lesen gewandert. Ich habe natürlich einen aktuellen Grund, um diese Seite aufzuschlagen. Dazu komme ich gleich noch:
Das Schlimmste was es gibt, ist ein Besuch des Märchenwalds von Melle (in dem Landkreis ist einer von Opas Verwandten mal Landrat gewesen). Meine Eltern wollten mir damit eine Freude machen, war ja auch nett gemeint. Dies ist ein Vorläufer von Disneyland, man hat in einen Wald alle möglichen Gartenzwerge und kleine Knusperhäuschen und Burgen gesetzt, die eine kommerzielle Verhöhnung der Welt der Brüder Grimm darstellen. Das hat nichts mit den Märchen zu tun, die mir Oma Johanna vorliest. Ich habe auch ein Disneybuch von Bambi (ich habe es noch, es ist heute mehr wert als vor sechzig Jahren), das ist ein bisschen so was Ähnliches wie der Märchenwald von Melle.
Mit Opa zum Hermannsdenkmal zu wandern, führt zwar auch durch den Wald, aber leider eben auch zum Hermannsdenkmal. Opa hat es mit den Denkmälern, Porta Westfalica, Hermannsdenkmal. Und dann diese ewigen Erzählungen von seinen Treffen der Stahlhelmer am Kyffhäuser. Und dann gleich noch das ganze Gedicht aufgesagt. Bei den Zeilen Er hat hinabgenommen Des Reiches Herrlichkeit Und wird einst wiederkommen Mit ihr, zu seiner Zeit hat man das Gefühl, dass Opa das wirklich glaubt. Ich werde dem Hermannsdenkmal noch einmal in den fünfziger Jahren auf einer eintägigen Wanderung mit der Evangelischen Jugend begegnen. Allerdings glücklicherweise auch den Externsteinen, Deutschlands Antwort auf Stonehenge, die sind viel schöner als der Arminius. Und zur Mittagsstunde auf dem Höhenrücken des Teutoburger Waldes hat unser Diakon Klaus Nebelung noch eine Überraschung parat. Richtige Adler. Berge, Täler, Adler. Dies ist die Adlerwarte Berlebeck (vor zwanzig Jahren hieß das hier noch Hitlerhöhe). Die Geierwally ist hier letztes Jahr gedreht worden. Sagt uns nichts, kein Halbwüchsiger geht in den fünfziger Jahren ins Kino, um sich Heimatfilme anzugucken. Wenn wir genug Adler gesehen haben und schon steife Hälse haben und uns dann auch noch den Bezwinger der römischen Legionen angetan haben, trudeln wir den Berg hinunter nach Detmold hinein, wo auf dem Kopfsteinpflaster des Marktes unser Bus schon auf uns wartet.
Den Märchenwald von Melle gibt es nicht mehr, aber man möchte ihn gerne wiederhaben. Die Adlerwarte Berlebeck ist noch da, der Kammweg auf den Hermannshöhen ist heute ein Top-Wander-Trail durch die Urlaubsregion Teutoburger Wald. Hermann ist auch noch da, er sieht seit einigen Tagen etwas anders aus. Der Fußballverein Arminia Bielefeld, der seinen Namen natürlich nach dem Arminius hat, der die Varusschlacht gewann, hat es gerade ins DFB Finale geschafft. Und da hat man dem Helden mal eben ein Arminia Bielefeld Trikot übergezogen. Das hatte man schon mal 1999 gemacht, als die Arminia in die Bundesliga aufgestiegen war. Das Hermannsdenkmal ist mit seiner Gesamthöhe von 53,46 Metern die höchste Statue Deutschlands, da brauchte man schon einen ✺Kran für das Trikot.
Das Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder ist in unseren Gedächtnis. Und dass Tacitus, den wir im Lateinunterricht lesen mussten, den Arminius als Befreier Germaniens (liberator haud dubie Germaniae) bezeichnet hat, das wissen wir auch alle. Viele kennen auch noch das Lied, das Viktor von Scheffel 1848 in der Satirezeitschrift Fliegende Blätter veröffentlichte:
Als die Römer frech geworden,
Sim serim sim sim sim sim,
Zogen sie nach Deutschlands Norden,
Sim serim sim sim sim sim,
Vorne mit Trompetenschall,
Te rä tä tä tä te rä,
Ritt der Generalfeldmarschall,
Te rä tä tä tä te rä,
Herr Quintilius Varus,
Die Wissenschaft hatte im 19. Jahrhundert die Germanen entdeckt, Sprachwissenschaftler und Historker beschäftigten sich mit ihnen. Jetzt werden sie vom Kaiserreich vereinnahmt. Schon vorher war man einen Schritt weitergegangen, Germanisten hatten behauptet, dass das hundert Jahre zuvor entdeckte →Nibelungenlied seinen Ursprung in der Arminiusgeschichte habe. Dass →Arminius und Siegfried ein und dieselbe Person seien. Kurz vor seiner Hinrichtung 1820 hatte Karl Ludwig Sand, der Mörder des Schriftstellers August von Kotzebue, gesagt: Will uns die deutsche Kunst einen erhabenen Begriff von Freiheit bildlich geben, so soll sie unsern Hermann, den Erretter des Vaterlandes, darstellen, stark und groß, wie ihn das Nibelungenlied unter den Namen Siegfried nennt, der kein anderer als unser Hermann ist. Diese Bilder sollte man aber aus Granit hauen, der sich in den deutschen Urgebirgen findet; oder sie müßten aus Eisen gegossen werden, worin man es bereits zu einer grossen Vollkommenheit gebracht hat. – Ja, solche Bilder ziemten der deutschen Kunst! Die Arminius-Siegfried Geschichte ist zweihundert Jahre später wieder in Focus und Spiegel recycelt worden, das macht sie nicht viel wahrer.
Genau auf den Tag fünf Jahre, nachdem man die Franzosen in der Schlacht von Mars-la-Tour geschlagen hatte, wurde das Denkmal durch Kaiser Wilhelm I eingeweiht. Deutschland war gerade geboren, das hier wurde das Nationaldenkmal des neuen Deutschland. Später von den Nationalsozialisten, Hitler und Goebbels machten hier ihre Pflichtbesuche. 1945 benutzen amerikanische Soldaten das Denkmal für Schießübungen. Jetzt bekommt er ein Arminia Bielefeld Trikot. Ich hoffe, dass Arminia das Pokalendspiel gewinnt.
Ich habe es nicht so mit Denkmälern, aber ein schönes Gedicht habe ich zum Schluss noch:
Den Tacitus beschrieben,
Das ist der klassische Morast,
Wo Varus steckengeblieben.
Hier schlug ihn der Cheruskerfürst,
Der Hermann, der edle Recke;
Die deutsche Nationalität,
Die siegte in diesem Drecke.
Das findet sich in Heinrich Heines →Deutschland: Ein Wintermährchen. Da heißt es in der letzten Strophe:
Drum wird dir, wie sich gebühret,
Zu Detmold ein Monument gesetzt;
Hab selber subskribieret.
Die letzte Zeile ist wohl ein klein wenig dichterische Übertreibung. Heine wird sich nicht an der Finanzierung des Denkmals beteiligt haben. Er wird die Fertigstellung auch nicht erleben, da werden noch dreißig Jahre vergehen.
Ich las vor Jahren mal eine Leihgabe der Bücherr eines Fritz Vater. Im ersten Band SIEGFRIED wurde genau dies erzählt, als Arminius = Siegfried. Die Bücher (Siegfried, Weking und Herr Heinrich) wurden zwischen den zwanziger und fünfziger Jahren mehrfach umgeschrieben. Aber nie wieder las ich eine braune Soße wie in Herr Heinrich aus den vierziger Jahren.
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