Mittwoch, 19. September 2012

Candy Dulfer


Es war mir ja völlig egal, ob sie Saxophon spielen konnte, als ich diese Platte sah, musste ich sie unbedingt haben. Die Platte, die den schönen Titel Saxuality hatte, war eine ihrer ersten. Die Holländerin Candy Dulfer, die heute Geburtstag hat - Gefeliciteerd met je verjaardag - sieht nicht nur gut aus, sie kann auch Saxophon spielen. Aber ihre Musik ist nicht so ganz mein Ding, so blieb es bei der einen Platte. Es ist ja nicht so, dass bei mir das Saxophon mit Charlie Parker, John Coltrane, Dexter Gordon oder Lester Young aufgehört hätte. Ich habe durchaus Neueres wie Joshua Redman oder Joe Henderson im Regal, obgleich ich am liebsten Don Byas und Sadao Watanabe höre. Aber ich habe keine Jan Gabarek CD. Weil die jeder hat. Und weil er bei ECM ist. Dazu muss ich mal eben einen kurzen Telephondialog mit einem Freund einspielen, von dem ich dachte, dass die Welt der Musik bei ihm mit Johann Sebastian Bach aufhört. Aber dann kam das:- Ich mag auch modernen Jazz. - Kann ich mir nicht vorstellen. Was meinst Du mit modernem Jazz? Etwa das ECM Zeuch? - Ja, genau.

Ist das das Ende einer wunderbaren Freundschaft? Ich habe nämlich  eine leichte Allergie gegen das ECM Label. Die lagen vor Jahrzehnten bei allen neureichen Yuppies, die sich in der gerade ausgebrochenen Postmoderne den Anschein von ein bisschen Kultur geben wollten, demonstrativ im Wohnzimmer rum. Die Platten hatten diese coolen Cover - war das Beste an dem Label. Nicht, dass das besonders audiophile Aufnahmen für High-End Freaks gewesen wären, dafür waren andere Label bekannt. ECM glänzte mit dem Design. Und das Design war in der Postmoderne für viele wichtiger als das Sein.

Die Firma ECM hat irgendwann sogar einen Bildband zu ihren bunten Papphüllen herausgebracht, der Sleeves of Desire hieß. Für das Buch muss man heute mindestens zweihundert Euro auf den Tisch legen. Man muss ja auch einmal ganz klar sagen, dass man solche Cover Art nur mit Schallplatten machen konnte - auf einer CD sieht das Design, das auf die 31 mal 31 Zentimeter einer LP geht, ja immer mickrig aus.

Ich muss an dieser Stelle gestehen: ich kann beim Thema ECM mitreden. Ich habe mal bei der Pleite eines kleinen Ladens massenhaft ECM Platten gekauft, ein Dutzend für zwanzig Mark. Ich hatte ja keine Ahnung, wer die Künstler waren, ich habe die Platten nach dem schönen Cover gekauft. Obgleich es ja heißt never judge a book by its cover.  Die ich hier abgebildet habe, John Surmans Such Winters of Memory, ist mir die liebste von den Platten (die Terje Rypdal Platte da oben habe ich natürlich auch). Wahrscheinlich, weil da Karin Krog mit drauf ist. Ich habe aber im Gegensatz zu den Yuppies meine ECM Platten niemals demonstrativ herumliegen lassen.

Wenn ich ehrlich sein soll, ist ECM natürlich ein sehr, sehr verdienstvolles Label, auch wenn ich meine ECM Platten immer versteckt habe. Und mir eigentlich nie - Keith Jarrett bleibt die Ausnahme - irgendwelche ECM CDs gekauft habe. Aber die Candy Dulfer Saxuality LP, die stand immer gut sichtbar bei mir im Wohnzimmer herum.

Dienstag, 18. September 2012

Ehrenwort


Ein Vierteljahrhundert ist es her, da gab es diese berühmte Pressekonferenz, in der Dr. Dr. Barschel sagte: Über diese Ihnen gleich vorzulegenden eidesstattlichen Versicherungen hinaus gebe ich Ihnen, gebe ich den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Schleswig-Holsteins und der gesamten deutschen Öffentlichkeit mein Ehrenwort – ich wiederhole: Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort! – dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind. Wir hatten im Institut einen Fernseher aufgetrieben, und der halbe Lehrkörper stand davor. Viele meiner Kollegen waren bereit, ihm zu glauben. Guckt euch doch nur mal seine Augen an, sagte ich, der ist doch völlig zugeknallt. Machen Sie den Test und schauen sich mal eben das ➱Video an. Und achten Sie auf seine Augen! Wenn die Lüge nur ein Gesicht hätte wie die Wahrheit, da wäre es nicht so schlimm; denn wir könnten das Gegenteil von dem, was der Lügner sagt, als richtig annehmen; aber die Gegenseite der Wahrheit hat hunderttausend Gesichter und einen unendlich weiten Spielraum.

YouTube offerierte mir, als ich das Video angeschaut hatte, gleich in einer Art von autocomplete dieses nette ➱Video. Was dieses ➱Autocomplete ist, weiß ich seit wenigen Tagen, nachdem mir alle Nachrichten versichert haben, dass wenn man Bettina Wulff bei Google eingibt (und das scheinen Menschen ständig zu tun), man die Vorschläge vergangenheit, vorleben, escort, news, gerüchte, tattoo, feet bekommt. Interessanterweise ist der Hinweis prostituierte, der da monatelang stand, von einem Tag auf den anderen verschwunden. Predicted queries are algorithmically determined based on a number of purely algorithmic factors (including popularity of search terms) without human intervention. The autocomplete data is updated frequently to offer fresh and rising search queries, sagt Google. Aber alles Schlimme, was mit einem Namen verknüpft wird, kommt wahrscheinlich irgendwann wieder, denn wie schon Martin Luther wusste: Die Lüge ist wie ein Schneeball: je länger man ihn wälzt, desto größer wird er.

Bei dem ganzen Unsinn steht offensichtlich irgendeine mathematische Formel (algorithmically determined based on a number of purely algorithmic factors) gegen das Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Ich habe diesen technischen Firlefanz des Autocomplete bisher nie beachtet, habe ihn aber jetzt mal getestet. Wenn ich Barschel eingebe, offeriert mir das System ehrenwort. Wenn ich Ehrenwort eingebe, bekomme ich aber nicht barschel sondern kohl. Was zu einem sicherlich auch denkwürdigenden ➱Ehrenwort führt. Aber wenn ich Friedrich Zimmermann eingebe, lese ich da etwa old schwurhand, lüge, meineid, spielcasinoskandal? Nichts davon. Das System scheint mir doch arg verbesserungsbedürftig zu sein.

Nach dem Barschel Skandal haben alle politischen Parteien diesen Verfall der politischen Kultur (wobei politische Kultur ja schon eine contradictio in adiecto ist) beklagt. Sie haben eine Rückbesinnung auf Grundwerte gelobt, die man schon kleinen Kindern beibringt. Das hat aber nicht lange gehalten, Rio Reiser hatte schon Recht, als er Alles Lüge sang. Ich hätte für Sie heute zwei Empfehlungen: Sie könnten sich dieses Video ➱Top 5 der dreistesten Politiker-Lügen anschauen oder Sie könnten Umberto Ecos ➱Strategies of Lying lesen.


Montag, 17. September 2012

Resteverwertung


He came into my office carrying a thin briefcase under his left arm. He was wearing a dark suit and a white shirt with a red-and-blue striped tie. His red hair was cut very short. He had a thin, sharp face. He closed the door carefully behind him and turned and gave me the hard eye.
"You Spenser?" he said.
"And proud of it," I said.
He looked at me aggressively and didn't say anything. I smiled pleasantly.
"Are you being a wise guy?" he said.
"Only for a second," I said. "What can I do for you?"
"I don't like this," he said.
"Well," I said. "It's a start."
"I don't like funny either," he said.
"Then we should do great," I said.
"My name is Dennis Doherty," he said.
"I love alliteration," I said.
"What?"
"There I go again," I said.


Klingt das etwa wie Raymond Chandler? Das ist von jemandem geschrieben, der gerne ➱Raymond Chandler sein möchte. Den seine Fans für den einzig echten Nachfolger der hard-boiled school halten. Wenn es nach Chandler einen akzeptablen Krimiautor der hard-boiled school gibt, dann ist das ➱Ross Macdonald, niemand sonst. Was auch der Autor des etwas kläglichen Romananfangs da oben anerkannte: It was not just that Ross Macdonald taught us how to write; he did something much more, he taught us how to read, and how to think about life, and maybe, in some small, but mattering way, how to live. Er heißt Robert B. Parker, wurde heute vor achtzig Jahren geboren. Als ich das im Tageskalender von Wikipedia las, dachte ich mir: prima, hundert Zeilen Hass! Ich mag ihn nämlich nicht. Falls sich jetzt ein Robert B. Parker Fan in diesen Blog verirrt hat: Lesen Sie einfach nicht weiter!

Zum ersten Mal begegnete mir der Name Robert B. Parker Anfang der siebziger Jahre auf dem Titelblatt einer Dissertation mit dem vielversprechenden Titel The Violent Hero, Wilderness Heritage and Urban Reality: A Study of the Private Eye in the Novels of Dashiell Hammett, Raymond Chandler and Ross Macdonald. Habe ich über die UB-Fernleihe bekommen. Als Microfilm, ja, so etwas gab es mal. Liest man nicht gerne, vor allem, weil wir im Institut damals noch nicht diese neuen luxuriösen Mikrofilmlesegeräte mit Bildschirm besaßen.

Ich las damals gleichzeitig mit Parkers Dissertation ein Buch, dessen Autor auch einmal eine Dissertation über die hard-boiled novel geschrieben hatte. Der Autor hieß Philip (Calvin) Durham, und jeder Chandler Kenner weiß, dass sein Buch Down these mean streets a man must go: Raymond chandler's knight eins der besten Bücher über Raymond Chandler ist. Das Buch hat eine gewisse Basis in der Dissertation, mit der der Verfasser 1949 von der Northwestern University seinen Ph.D. bekommen hatte. Die hatte den Titel The Objective Treatment of the 'Hard-Boiled' Hero in American Fiction: A Study in the Frontier Background of Modern American Literature und war mit 564 Seiten mehr als doppelt so lang wie die Dissertation von Parker. Und ist auch - immer noch - mehr als doppelt so wichtig. Interessant war in ihr der Gedanke, die amerikanische ➱frontier mit dem hard-boiled Helden zu verknüpfen (Durham hat auch ein Buch über die frontier in der amerikanischen Literatur geschrieben), lange bevor Leslie Fiedler das in Love and Death in the American Novel so elegant verkaufte: But the private eye is not the dandy turned sleuth [hiermit meinte er Sherlock Holmes]; he is the cowboy adapted to life on the city streets, the embodiment of innocence moving untouched through universal guilt. As created by Dashiell Hammett, the blameless shamus is also the honest proletarian illuminating by contrast the decadent society of the rich.

Kaum hatte Robert B. Parker seine Doktorarbeit fertig - in der er bereitwillig die amerikanische frontier als Quelle der hard-boiled Literatur von Durham übernommen hatte -  da schrieb er schon an seinem ersten Detektivroman. Als er 1976 Full Professor an der Northeastern University wurde, hatte er schon vier Romane mit seinem Helden Spenser geschrieben. Den Job an der Uni gab er schnell wieder auf, von da an haute er jedes Jahr geradezu fabrikmäßig einen Roman raus. They give me the money, I give them the book. Später waren es drei oder vier im Jahr. Raymond Chandler hat gerade mal sieben Romane in seinem Leben geschafft, Parker wahrscheinlich siebzig. Ich fühle mich an dieser Stelle versucht, das schöne Goethewort Getretner Quark wird breit, nicht stark zu zitieren. Das erste halbe Dutzend der Spenser Romane habe ich gelesen, aber dann habe ich den Autor aufgegeben.

Aber 1989 musste ich dann doch wieder ein Buch von ihm kaufen, ich habe es sogar als Hardcover. Es hieß Poodle Springs und wurde unter den Namen Raymond Chandler und Robert B. Parker angekündigt. Gut, dass Chandler das nicht mehr erleben musste. Die ersten vier Kapitel waren von Chandler; sie waren schon zuvor als The Poodle Springs Story veröffentlicht worden und zählten nicht unbedingt zum Besten, das Chandler geschrieben hat. Das, was auf die ersten vier Kapitel folgt, ist von Parker geschrieben. Aber es ist natürlich kein Raymond Chandler. When a book, any sort of book, reaches a certain intensity of artistic performance, it becomes literature. That intensity may be a matter of style, situation, character, emotional tone, or idea, or half a dozen other things. It may also be a perfection of control over the movement of a story similar to the control a great pitcher has over the ball. Das ist von Raymond Chandler, nicht von Robert Brown Parker.

Zwei Jahre später legte Parker nach und brachte ein sequel zu Chandlers The Big Sleep mit dem Titel Perchance to Dream heraus. Was Martin Amis in der ➱New York Times mit den dürren Worten kommentierte:  If Raymond Chandler had written like Robert B. Parker, he wouldn't have been Raymond Chandler. He would have been Robert B. Parker, a rather less exalted presence. The posthumous pseudo-sequel never amounts to more than a nostalgic curiosity, and it is no great surprise that 'Perchance to Dream' isn't much good. Raymond Chandler hat seine frühen Geschichten selbst ausgebeutet, hat sie immer wieder umgeschrieben, cannibalizing nannte er diesen Vorgang. Philip Durham (der leider schon 1977 im Alter von 56 Jahren gestorben ist) hat das in seinem Vorwort zu Killer in the Rain detailliert aufgezeigt (und diese vorzügliche Einleitung möchten Chandler Freunde nicht missen). Wenn ein Autor sich selbst recycelt, dann mag das noch angehen. Vor allem, wenn das dabei herauskommt, was Chandler uns dann präsentiert. Wenn er aber von jemandem wie Parker recycelt wird, dann ist das Ganze doch eher peinlich.

Die hard-boiled school hat mit Hammett und Chandler ihren Höhepunkt erreicht, obgleich man sagen muss, dass einige ihrer Kollegen, die damals für die Black Mask schrieben, auch der Lektüre wert sind. Ich denke da zum Beispiel an jemanden wie ➱Carroll John Daly. Doch als der Stil der hard-boiled school einmal da war - und das war er ja nicht nur bei den Black Mask Autoren (man lese dazu einmal das von David Madden herausgebene Tough Guy Writers of the Thirties) - da konnte er nicht mehr verbessert werden. Nur noch variiert, imitiert und plagiiert. Und seitdem haben wir Mickey Spillane, Robert B. Parker und James Ellroy. Und wie sie alle heißen. Als George Orwell 1944 seinen Essay ➱Raffles and Miss Blandish schrieb, sagte er zum Schluss: One ought not to infer too much from the success of Mr. Chase's books. It is possible that it is an isolated phenomenon, brought about by the mingled boredom and brutality of war. But if such books should definitely acclimatize themselves in England, instead of being merely a half-understood import from America, there would be good grounds for dismay. Er konnte nicht wissen, dass ein halbes Jahrhundert später Kritiker bereit waren, amerikanischen Krimischrott für Literatur zu halten, auch ohne the mingled boredom and brutality of war.

The most durable thing in writing is style, and style is the most valuable investment a writer can make with his time. It pays off slowly, your agent will sneer at it, your publisher will misunderstand it, and it will take people you have never heard of to convince them by slow degrees that the writer who puts his individual mark on the way he writes will always pay off. Lassen wir Raymond Chandler einfach das letzte Wort.

Samstag, 15. September 2012

Zahlen


Diese schöne Zahl (also ohne die Spieler von Schalke 05) stand da heute Nachmittag um 16.01 unten auf meiner Seite. Eine Viertelstunde vorher waren es noch etwas weniger. Da habe ich mir überlegt, ob ich jetzt den Computer solange anstarren sollte, bis die magische Zahl 555.555 erschien. Oder ob ich mal schummeln sollte und mich ein paar Mal selbst anklicken sollte. Ich habe das Programm normalerweise so geschaltet, dass es mich nicht zählt, wenn ich die Seite anklicke. Hab's dann ausgeschaltet und zehn Mal Silvae angeklickt. Und was passierte? Nix, ein einziges Mal wurde ich gezählt. Dieser Zähler taugt auch überhaupt nichts. Ich habe mir einen Tee gekocht und mich vor den Computer gesetzt und fünf (5) Minuten gewartet. Und da war sie, diese schöne Zahl. Wenn Werder Bremen heute gewonnen hätte, wäre der Tag perfekt gewesen.

Penelope Boothby


Viermal hatte die kleine Penelope dem berühmten Maler Sir Joshua Reynolds in der ersten Juliwoche 1788 Modell sitzen müssen, dann war das Portrait fertig. Daddy hatte schon im voraus bezahlt, fünfzig Pfund hatte das Ganze gekostet. Im Januar hatte der Vater der kleinen Penelope, der sich natürlich auch von Reynolds hatte ➱malen lassen, aus Paris an Reynolds geschrieben. Ob er nicht eine Ausstellung der Bilder von Jacques-Louis David in der Royal Academy organisieren könne? Wir wissen, dass aus diesem künstlerisch völkerverbindenden Plan nichts geworden ist, aber wir kennen natürlich den frankophilen Herrn.

Es ist niemand anderer als der sechste (oder siebte, man ist sich bei der Zählung uneins) Baronet Sir Brooke Boothby, den ➱Joseph Wright of Derby hier so elegant auf der Bühne des Waldes plaziert hatte. Ein Buch, auf dessen Rücken man Rousseau lesen kann, in der Hand. Es ist nicht irgendein Wald, dies Waldstück hat eine besondere Bedeutung. Es heißt Twenty Oaks und ist in der Nähe von Wootton Hall. Wootton Hall gehört einem Richard Davenport, der das Haus selten bewohnt. Boothbys Landsitz Ashbourne Hall ist nicht weit davon. In Wootton Hall hatte der französische Philosoph 1766 vor seinen Feinden (oder seinen eingebildeten Feinden) Zuflucht gefunden, nachdem er sich zuvor mit seinem Gastgeber ➱David Hume ➱verkracht hatte. David Hume hat aber dafür gesorgt, dass Rousseau den Landsitz von Davenport nutzen dufte. Und hier in Twenty Oaks haben Rousseau und Boothby das retournons à la nature zelebriert - obgleich sich dieser schöne Spruch der Rousseau zugeschrieben wird, bei ihm gar nicht finden lässt.

Wootton Hall ist inzwischen abgerissen, die Grotte im Park, wo Roussseau bekleidet mit seinem armenischen Kaftan und seinem Pelzhut seine Confessions geschrieben hat, ist noch da. Sie wird damals wohl ein Dach gehabt haben. Rousseau, der hier mit seiner Geliebten umsonst logiert, ist ein undankbarer Gast gewesen, nichts war ihm recht zu machen. In spite of it all, I would rather live in the hole of the rabbits of this warren, than in the finest rooms in London. Ja, da spricht der echte Naturfreund. Rousseau scheidet im Unfrieden von seinen englischen Gastgebern, to say the least. Am 16. Mai 1767 formuliert David Hume in einem Brief an Richard Davenport (der Rousseau beinahe nachsichtig als wild philosopher bezeichnet hatte) den wunderbaren Satz: In short, he is plainly mad, after having been long maddish. Und endet den Brief mit The Lord have mercy on him! as you say. Brooke Boothby steht weiterhin zu Rousseau. Doch der wird ihm diese Freundschaft schlecht vergelten.

Ich versetze mal eben die kleine Penelope aus Reynolds Eichenwäldchen in das moderne Wohnzimmer. So sieht der Vorschlag aus, den eine chinesische Firma, die mit Reproduktionen handelt, ihren Kunden macht. Ist das nicht schrecklich? Das Waldstück, das Reynolds neben die kleine Penelope gemalt hat, sieht dem Twenty Oaks Waldstück bei Wright ziemlich ähnlich, wahrscheinlich hat Reynolds (oder sein Assistent, der für die Hintergründe zuständig war) den einfach als Vorlage genommen. Wenn man nur eine Woche Zeit hat, dann guckt sich ein Portraitmaler keinen echten Wald mehr an. Die Naturbegeisterung mag etwas für Rousseau oder Brooke Boothby sein, Reynolds interessiert sie nicht. Joseph Wright of Derby dagegen schon. Ich sollte vielleicht anfügen, dass Boothby sich nicht nur von Joseph Wright hat portraitieren lassen. Er hat noch andere Bilder bei ihm gekauft und hat ihn ständig protegiert.

Was die kleine Penelope Boothby auf dem Bild von Reynolds trägt, interessiert natürlich die Kostümhistoriker. So sagt ➱Aileen Ribeiro (die führende Historikerin für diese Zeit): over the white muslin frock of childhood, Penelope Boothby wears a matching white fichu crossed over the chest. The impression of the small girl borrowing the clothes of her mother or sister is given by the mob cap, a cap with puffed-out crown to accommodate the wide, rising hairstyles of the 1780s, but which looks overlarge on the flat, natural hair of the childEstelle May Hurll behauptete um 1900, dass die kleine Penelope sich als Martha Washington, wie sie auf dem ➱Bild von Gilbert Stuart zu sehen sei, verkleidet hätte. Ist natürlich Quatsch: das Bild von Gilbert Stuart ist erst Jahre später gemalt. Dennoch ist an dem Gedanken etwas dran. Wenn wir dieses Martha Washington Bild von John Trumbull betrachten, dann haben ➱mob cap und Fichu auf den Bildern schon eine gewissen Ähnlichkeit. Es ist der Stil der Zeit, und die kleine Penelope - oder Joshua Reynolds - hat sich im Kleiderschrank von Mutter und Großmutter bedient. Ich weiß nicht, ob Dreijährige so gerne eine feine Dame spielen, man kann sicher aus Penelopes Gesichtszügen einen gewissen Unwillen gegen die vom Maler verordnete Rolle herauslesen.

Dieses Bild, das Cherry Ripe heißt, ist nun ein klein wenig fies. Es wurde von John Everett Millais 1879 gemalt, die Vorlage ist ganz klar das Bild von Reynolds. Auf Umwegen. 1879 hatte die Kunstzeitschrift The Graphic einen Kostümball veranstaltet, und die kleine Edie Ramage, die Nichte des Herausgebers William Luson Thomas, hatte sich als Penelope Booth verkleidet. Die kleine Penelope von Joshua Reynolds hat jetzt plötzlich Konjunktur, sogar ➱Lewis Carroll hat eine seiner vielen kleinen Freundinnen (Alexandra [Xie] Kitchin) als Penelope Boothby verkleidet photographiert (unten).

Millais war so von dem Mädchen im Penelope Boothby Kostüm begeistert, dass er sie gleich nach dem Ball in sein Studio geschleppt hat, um sie zu malen. Das Bild hat ihren Onkel eintausend guineas gekostet. Der Preis für kleine Mädchen in Öl ist seit 1788 offensichtlich gestiegen. Die Barbipuppe ist noch nicht erfunden. Die tausend guineas waren trotzdem gut angelegt, weil Thomas das Bild in The Graphic als Reproduktion zur Subskription anbot, wofür der den berühmtesten viktorianischen Kupferstecher Samuel Cousins (der schon 1874 einen Stich von Reynolds' Bild herausgebracht hatte) angeheuert hatte. Mehr als eine halbe Million Engländer bestellten das Bild.

Dies hier ist eine Karikatur von dem unübertroffenen Max Beerbohm mit dem Titel A Momentary Vision that Once Befell Young Millais. Da malt der junge Millais sein scheußliches Bild Ferdinand lured by Ariel im Jahre 1849 und sieht sich plötzlich als alten Mann, der mit Cherry Ripe Erfolg hat. Und was für einen, aus allen Teiles des Empire - und das ist damals die halbe Welt - schreiben Hunderttausende Dankesbriefe an Millais, weil er ihnen dieses schöne Mädchenbild geschenkt hat. Aus Kanada kommt sogar ein Gedicht als Weihnachtsgruß:

An humble Cannok on the shores 
Of great Ontario's lake. 
Who matchless 'Cherry Ripe' adores, 
The liberty would take 
To throw across the wintry sea 
A warm and grateful cheer 
To glorious Millais, and may he 
Enjoy a good New Year !

Achtzig Jahre später wird Edie Ramage, die jetzt eine Mrs Francisco de Paula Ossorio ist, dem Präsidenten der Royal Academy erzählen, wie sie damals von John Everett Millais mit Schokolade bei den Sitzungen gefüttert worden ist. Da wusste man schon nicht mehr genau, wer damals das Modell gewesen war, weil sich inzwischen hunderte Frauen gemeldet hatten, die behaupteten, dass sie für Cherry Ripe Modell gesessen hätten. Vielleicht haben sie da etwas verwechselt, vielleicht haben sie für ein anderes Bild gesessen: Millais hatte erkannt, dass mit kleinen Lolitas Geld zu machen ist. Das da an der Museumswand ist natürlich auch ein Millais. Cherry Ripe ist im Juli 2004 für über zwei Millionen Dollar versteigert worden - für den Preis hätte man im gleichen Monat Brueghels Winterlandschaft mit Vogelfalle kaufen können.

Die Amateurtheologin Pamela Tamarkin Reis hat in ihrem Aufsatz Victorian Centerfold: Another Look at Millais' Cherry Ripe das Bild in die Nähe von Kinderpornographie gerückt. Warum hat das so lange gedauert? Bis 1992? Konnte man das nicht vorher schon so sehen? Schließlich das Bild von Millais ja auch gleich zu einem Werbeplakat von Pears Soap geworden, und deren Werbung bewegte sich ja beinahe immer an der Grenze. Ich habe darüber in dem Post ➱Spätrömische Dekadenz schon einiges Böses gesagt, die Viktorianer sind mir ein wenig unheimlich. Der Katalog The Victorian Nude versichert mir am Beispiel von Lewis Carrolls ➱Schmuddelbildern allerdings: pictures of naked girls were not marginal but mainstream.

Da bin ich aber froh. Das Bild hier konnte ich nicht auslassen, so sieht Cherry Ripe heute aus. Ist natürlich not marginal but mainstream. Wo die miese ➱Verlagsbilanz von Bertelsmann gerade durch einen SM Porno namens Fifty Shades of Grey vor dem Schlimmsten gerettet wurde. Man kann sich heute auch bei Amazon Cherry Ripe (das Bild von Millais, nicht der Porno von Amarinda Jones) als Mousepad (Natürliche Gummimatten bester Qualität) bestellen. Da kann man dann immer drauf rumfummeln. Aber den Grenzen des guten Geschmacks sind ja - wie bei der nach oben offenen Richter-Skala - nach oben hin keine Grenzen gesetzt.

Ich habe hier einen Text von einer Firma, die ebenso wie die chinesische Firma Reproduktionen von Gemälden anfertigt: Das Ölgemälde Die Himmelfahrt der Penelope Boothby von Henry Fuseli wird von unseren professionellen Kunstmalern mit viel Liebe und Nähe zum Detail angefertigt. Die Kunstkopie wird in der höchsten Qualitätsstufe gemalt. Die Wirkung und Wertigkeit des handgemalten Ölgemäldes wird Ihren [sic] Wohnraum einen Hauch von Galeriefeeling verleihen und Sie über eine sehr lange Zeit erfreuen.

Ja, wenn Sie ein Galeriefeeling in Ihrem Wohnraum haben wollen, dann hängen Sie sich unbedingt The Apotheosis of Penelope Boothby von ➱Füssli ins Wohnzimmer. Die kleine Penelope ist nicht sehr alt geworden, sie ist 1791 nach dreiwöchiger Krankheit gestorben. Für den Vater, der seine Tochter nach Rousseaus pädagogischen Lehren erzogen hatte, der Beginn von lebenslanger Trauer.

Und einem erstaunlichen Totenkult. Er bestellt bei Thomas Banks ein ➱Grabmal aus weißen Carrara Marmor, das an das Grabmal erinnert, das ➱Nollekens für die Frau von Henry Howard geschaffen hat. Der mit ihm befreundete Henry Fuseli (dem er schon den ➱Nachtmahr abgekauft hatte) malt dann diese Apotheosis of Penelope Boothby (oben), die jedem Wohnzimmer ein Galeriefeeling verleiht. Er illustriert auch den schmalen Gedichtband ihres Vaters, der Sorrows: Sacred to the Memory of Penelope heißt. Ich zitiere daraus einmal das fünfte Sonett:

Death! Thy cold hand the brightest flower has chill'd,
That e'er suffused love's cheek with rosy dies;
Quench'd the soft radiance of the loveliest eyes,
And accents tuned to sweetest music still'd;
The springing buds of hope and pleasure kill'd;
Joy's cheerful measures changed to doleful sighs;
Of fairest form, and fairest mind the ties
For ever rent in twain-- So Heaven has will'd!
Though in the bloom of health, thy arrow fled,
Sudden as sure; long had prophetic dread
Hung o'er my heart, and all my thoughts depress'd.
Oft when in flowery wreaths I saw her dress'd,
A beauteous victim seemed to meet my eyes,
To early fate a destined sacrifice.

Ein englischer Landedelmann, der Rousseau verehrt und seine Tochter nach den pädagogischen Zielen des Freundes aufzieht. Und der einen beispiellosen Totenkult betreibt, den erst das viktorianische Zeitalter übertreffen wird. Und auf der anderen Seite der Franzose mit dem Verfolgungswahn, der Mann, der Émile ou De l'éducation geschrieben hat. Der lässt seine Kinder nicht von einem berühmten Maler malen, der gibt sie im Waisenhaus ab.

Ja, Madame, ich habe meine Kinder ins Findelhaus gethan. Ich habe ihre Erziehung der für diesen Zweck errichteten Anstalt übertragen. Wenn mein Elend und meine Leiden mir die Befähigung entziehen, einer so schönen Sorge obzuliegen, so ist das ein Unglück, wofür man mich beklagen muß, und nicht ein mir vorzuwerfendes Verbrechen. Ich bin ihnen die Subsistenz schuldig; ich habe ihnen eine bessere oder wenigstens eine sichrere verschafft, als die, welche ich selbst hätte geben können. Dieser Artikel geht Allem vor. Dann kommt die Rücksicht auf ihre Mutter, die nicht entehrt werden darf. 

Sie, Madame, kennen meine Lage; ich verdiene mein Brod von einem Tag zum andern mühevoll genug. Wie würde ich noch eine Familie ernähren? Und wenn ich gezwungen würde, zum Schriftstellermetier zu greifen, wie könnte ich über den häuslichen Sorgen und dem Lärm der Kinder in meiner Spelunke die Ruhe des Geistes bewahren, welche zu einer gewinnbringenden Arbeit erforderlich ist? Die Schriften, welche der Hunger diktirt, tragen nicht viel ein, und diese Hülfsquelle ist bald erschöpft. Also müßte ich zu den Protektionen meine Zuflucht nehmen, zur Intrigue, zur Verstellung; ich müßte mich um irgend ein niedriges Amt bewerben, es ausbeuten durch die gewöhnlichen Mittel, denn sonst würde es mich nicht ernähren und mir bald entzogen werden; kurz, ich müßte mich allen Infamien hingeben, gegen die ich von einem so gerechten Abscheu durchdrungen bin. Mich, meine Kinder und ihre Mutter von dem Blute der Unglücklichen nähren! Nein, Madame, es ist besser, sie sind Waisen, als wenn sie einen Schurken zum Vater hätten.

Freitag, 14. September 2012

Starrachse


Es ist schon dreißig Jahre her, dass sie bei einem Verkehrsunfall starb, aber es scheint mir, als sei es gestern gewesen. Das lag nur an der Starrachse von dem Rover, erzählte mir einmal ein Hinterhofhöker. Er war offensichtlich Fachmann für englische Autos mit Starrachsen: ich hatte die Garage voll mit Starrachsen. Ich ließ ihn reden und machte manchmal zustimmende Geräusche, ich wollte ja nur dies schöne dänische Ölgemälde billig kaufen. Wenn man eine Viertelstunde lang einem Fachmann für Rover 3500 Modelle zuhört, weiß man hinterher alles über den Unfall am 13. September 1982.

In eine Pause des Rover-Monologs habe ich irgendwann gesagt: Ich gebe Ihnen einen Fuffi für dies Bild. Er hat genickt und weiter geredet. Es ist ein schönes Bild, ein großer dänischer Park, morgens um fünf. Das kleine Lokal am Wegesrand ist noch geschlossen, auf dem Weg in den dunklen Wald ist kein Mensch zu sehen. Es sieht ein wenig aus wie ein Bild von Edward Hopper. Ich liebe das Bild. Aber es bleibt immer mit der Assoziation englische Starrachse und Grace Kelly verknüpft.

Donnerstag, 13. September 2012

Hoya


Sie brauchen den Ort nicht unbedingt zu kennen, liegt an der Weser, südlich von Bremen. Da sind die Engländer im Mai 1945 über die Weser gekommen, als sie ➱Bremen eroberten. In die Gegend fuhren wir früher einmal im Jahr zum Spargelessen. Später dufte ich da mehrmals im Jahr mit der Bundeswehr im Manöver üben, wie man möglichst schnell eine Panzergrenadierbrigade über die Weser kriegt. Bevor wir uns mit unseren Panzern, begleitet von englischen Truppen, in das Land von Wilhelm Raabe begaben. Und da ➱Krieg spielten, wo schon der englische General Eliott im 18. Jahrhundert gewesen war.

Rosel Zech ist in Hoya aufgewachsen. Und Heinrich Albert Oppermann hat hier gelebt. Hat Hoya in seinen Roman Hundert Jahre hinein geschrieben, den alle hartgesottenen Arno Schmidt Leser natürlich gelesen haben. Ich finde es cool, dass der mit seinen neun Bänden und 101 Kapiteln als Volltext ➱hier zu lesen ist. Der Wikipedia Artikel, der Rosel Zech und Oppermann erwähnt, hat keine Zeile für Ludwig Schweckendieck übrig. Es gibt aber in Hoya immerhin eine Schweckendieck Straße, ganz vergessen ist er nicht. Und mit diesem geheimnisvollen Schweckendieck komme ich noch einmal auf John Singleton Copley zurück.

Und auf sein in größtes Bild, auf jeden Fall flächenmäßig (543 x 754 cm), The Defeat of the Floating Batteries at Gibraltar, September 1782. Der Wikipedia Artikel datiert das Bild mit dem Jahr 1783, was ein klein wenig falsch ist. Denn im Jahre 1783 hat Copley den Auftrag von der City of London zu dem Bild bekommen, eigentlich nur deshalb, weil er Benjamin Wests Honorarforderungen unterboten hatte. Tausend guineas hatte er mit der City of London ausgemacht, doch am Ende möchte er noch einmal zusätzlich 500 guineas haben, bekommt jedoch nach langen, entwürdigenden Verhandlungen gerade mal einen Nachschlag von hundert guineas. Er hat acht Jahre an dem Monsterbild gemalt, hatte die Leinwand auf Rollen aufgehängt, damit er jeden Quadratmeter an seine Leiter heran rollen konnte.

Copley malt gegen die Konkurrenz an. Die haben zwar keinen lukrativen Staatsauftrag, aber sie haben alle von Copley gelernt: male ein sensationelles Bild von einem aktuellen Ereignis und stelle es in einer Einzelausstellung aus! Und so präsentiert George Carter (ja, der selbe, der mit ➱Copley in Italien war) 1784 seine Version der Schlacht, nachdem er im Jahr zuvor mit dem Bild vom Tod von ➱Captain Cook Furore gemacht hatte. 1785 stellt Joseph Wright of Derby sein nächtliches Gibraltar Feuerwerk (links) in Robins's Rooms, Covent Garden, aus. Und 1789 präsentiert John Trumbull sein Bild (weiter unten), das Horace Walpole als the finest picture he had ever seen painted on the northern side of the Alps bezeichnet hat. Angeblich. Der Satz findet sich nur in der Autobiographie von Trumbull, und der nimmt es mit der Wahrheit nie so genau. Die Würdigung der Heldentaten ist jetzt zu einer nationalen Aufgabe der Künstler geworden, wie ➱William Hayley in seiner Ode to Mr. Wright of Derby dichtete:

Rival of Greece, in arms, in arts,
Tho' deem'd in her declining days,
Britain yet boasts unnumber'd hearts,
Who keenly pant for public praise:
Her battles yet are firmly fought
By Chiefs with Spartan courage fraught:
Her Painters with Athenian zeal unite
To trace the glories of the prosp'rous fight,
And gild th' embattled scene with art's immortal light.


Erst 1791 ist das Bild endgültig fertig. Es zeigt den englischen General George Augustus Eliott im Jahre 1782 in dem Augenblick der Entscheidung, als es den in Gibraltar eingeschlossenen Engländern gelingt, die spanischen floating batteries zu zerstören. General Eliott ist in Deutschland kein Unbekannter, er war im Siebenjährigen Krieg hier, und er kommt in Wilhelm Raabes Roman ➱Das Odfeld vor. Copley hat das Bild in einem großen Zelt ausgestellt. Er hatte Schwierigkeiten einen Platz zu finden, überall wurde er wegen des Rummels, den es auslöste, vertrieben. Bis ihm der König gestattete, das Zelt vor dem Buckingham Palace aufzustellen. Push it nearer to my Wife's house - she won't complain, hat er gesagt.

Der Gouverneur von Gibraltar General Eliott muss natürlich im Mittelpunkt des Bildes sein, mit dieser herrischen Geste, die Generäle, die auf weißen Rössern sitzen, immer drauf haben. Und natürlich picobello gekleidet, wie hier auf einem anderen Bild von Copley. Die Engländer sind dreieinhalb Jahre ➱belagert worden, angeblich sind sie einmal von den Affen vor einem Überfall gewarnt worden. Aus dieser Zeit datiert auch die Legende, dass der Felsen solange britisch sein würde, wie die Affen dort hausten. Die letzten Monate waren die Engländer vom Rest Spaniens abgeschnürt. Sie hatten nichts mehr zum Essen, tausende waren an Skorbut und Seuchen erkrankt, aber der Gouverneur, der sich angeblich nur von Brot, Wasser und Gemüse ernährt, sieht aus wie aus dem Modejournal. Historienbilder gaukeln uns immer eine schönere Welt vor.

Wir lassen General Eliott, der wenig später Baron Heathfield of Gibraltar wird, auf seinem weißen Pferd sitzen und blicken einmal auf die Gruppe der Herren rechts von ihm. Wegen dieses Herrn hier ist Copley 1787 nach Hannover gereist, a pleasurable and professional excursion. Der General auf dieser Skizze heißt August de la Motte, er kommt aus einer weit verzweigten Familie, die eine Vielzahl von Offizieren hervorgebracht hat. Und natürlich auch unseren deutschen Dichter, den Rittmeister Friedrich de la Motte Fouqué. Generalmajor August de la Motte kommandiert eine hannöversche Brigade, die der König George III nach Gibraltar geschickt hatte.

Und er hat natürlich seine eigenen Offiziere dabei. Wie die Obristen Ernst August von Hugo (im Vordergrund), Bernhard Wilhelm von Schlepegrell (im Hintergrund) und Gustav Friedrich von Dachenhausen, die alle bei der Verteidigung von Gibraltar zu Helden werden. Und inzwischen alle dort zum Oberst befördert worden sind - de la Motte wird in Gibraltar 1777 noch zum Generalleutnant befördert werden. Copley hat sie auf seiner Reise nach Hannover (bei der er seine Frau und seine Tochter mitnahm) alle gemalt, er rechnete sich wohl aus, dass sich Kupferstiche von seinen detailgetreuen (bis ins behaarte Ohrläppchen von Oberst Schlepegrell) Skizzen auch in Deutschland gut verkaufen würden. Die Bilder von den vier deutschen Offizieren zählen zu dem Lebendigsten in Copleys Historienmalerei. Man kann die Mühsal der Kriegsjahre im milden und leicht resignativen  Gesicht von General de la Motte erkennen, er wird ein Jahr später in seiner Garnison an Entkräftung sterben. Der Generalleutnant Louis Heinrich Friedrich Sichart von Sichartshoff (der noch als Fähnrich bei Waterloo dabei war) wird auf der Basis von de la Mottes Tagebüchern den dritten Band seiner ➱Geschichte der Königlich-Hannoverschen Armee schreiben.

Die hannöverschen Truppen (hier Gustav Friedrich von Dachenhausen, der vierte Oberst, den Copley 1787 malt) werden nach dem Sieg über die Spanier und Franzosen vom König belobigt werden, sie dürfen ein spezielles Abzeichen an ihrer Uniform tragen. Belobigt wird auch der einfache Soldat Ludwig Schweckendieck aus Hoya, er bekommt eine kleine Erhöhung seines Solds. Er soll allerdings am 13. März 1797 mit 52 Jahren in Armut gestorben sein. In einer anderen ➱Quelle, in der er Schwependik heißt, wird über ihn gesagt: Dieser Soldat erhielt nachher von England eine lebenslängliche bedeutende Pension und hat um das Jahr 1820 noch in Hoya gelebt.

Schweckendieck, 1745 als Sohn des Nagelschmieds Johann Schweckendieck in Hoya geboren, war 1775 in das Bataillon de la Motte in Verden eingetreten. Dass er gleich eine Schiffsreise nach Gibraltar gebucht hat, war ihm damals nicht so klar, join the army and see the world. Zuerst war das da in Spanien noch sehr nett, vor allem für die Offiziere. Man macht kleinere Ausflüge in die Umgebung, ja es gibt sogar Schiffsreisen nach Italien und Nordafrika. Aber dann proklamieren die Amerikaner ihre Unabhängigkeit, und von nun an ist überall Krieg. Gibraltar wird zu einem Nebenschauplatz des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. 1779 erklären die Spanier England den Krieg, aber man fürchtet sich in Gibraltar nicht so sehr. Ob die Offiziere aus Deutschland an ihre Kameraden denken, die wenig später in Minorca eingeschlossen waren? Das ist jetzt nicht die Geschichte mit ➱Admiral Byng, Minorca wird schon wieder belagert. Und die Garnison der englischen Festung Fort St. Philip bestand aus hannöverschen Regimentern unter dem Kommando von General Heinrich Bernhard von Sydow. Von Zeit zu Zeit kommt die Royal Navy in Gibraltar vorbei, so Admiral Rodney 1780 und Admiral Darby 1781. In dem Jahr macht man einen heldenhaften Gegenangriff (hier von John Trumbull gemalt), bei dem sich die Regimenter der Hannoveraner besonders auszeichnen. Auf Trumbulls Bild ist nur Oberst von Hugo (ganz rechts außen) zu sehen, die anderen Hannoveraner sind ihm nicht so wichtig. Die kommen nicht aufs Bild.

Der Ring um die englische Festung Gibraltar zieht sich immer enger zusamen. Und dann kommt der 13. September 1782 mit dem größten Angriff auf die englische Garnison, die schon drei Jahre ausgehalten hat. Den 7.500 englischen (meist hannöverschen) Soldaten stehen 35.000 spanische und französische Soldaten gegenüber, dazu kommen auf Seiten der bourbonischen Alliierten noch einmal 30.000 Matrosen und Marinesoldaten auf den Schiffen. Und rund um das englische Fort herum kommen auch noch beinahe hunderttausend Schaulustige, die das Spektakel der englischen Niederlage sehen wollen. Daraus wird aber nichts.

Dank dessen, was auf diesem Bild von George Carter unten in der Bildmitte ist. Das ist ein spezieller Ofen, den der Schmied aus Hoya erfunden hat. Mit dem kann man gleichzeitig viele Kanonenkugeln (bis zu zweihundert in der halben Stunde) glühend heiß bekommen, um sie dann auf die floating batteries hinab regnen zu lassen. Das Ganze hat funktioniert, obgleich man zuerst Bedenken hatte und die glühenden Kanonenkugeln anfänglich noch nicht einsetzte. Das Ergebnis können Sie links auf Carters Bild sehen, brennende floating batteries, in die Luft fliegende Schlachtschiffe. Bei Carter ist das flammende Inferno etwas aufgeräumter als bei Copley. Und auf der rechten Seite gratuliert Eliotts Adjutant Major Valloton seinem General. Valloton hat diesen französischen Namen, weil sein Vater Schweizer war und als Bibliothekar von George II nach England gekommen war. Der Major, der im wirklichen Leben nicht so schlank war, wie auf diesem Bild, wird 1795 von einem irischen Mob getötet.

Das Bild oben war eine Skizze von Carter (viel lebendiger als das fertig ausgeführte Bild), dies ist die Version, die im Nationalen Armeemuseum hängt. Hier trägt General Eliott einen pinkfarbenen Uniformrock (auf dem Entwurf war er noch rot), das scheint eine seidene Uniform für das warme Klima gewesen zu sein. Aber abgesehen von dieser sartorialen Frage, drängt sich eine ganz andere Frage auf: Sehen Sie irgendwo auf dem Bild, dass jemand dem Ludwig Schweckendieck gratuliert? Georg Forster erwähnt das Bild Copleys in seiner lesenswerten Geschichte der Kunst in England (die den Ansichten vom Niederrhein als Anhang beigeben ist), und schreibt, dass der Maler Copley nicht allein die Heldenthaten der Land- und Seetruppen, sondern auch die Bildnisse der vornehmsten Officiere mit der ihm eignen Treue vorgestellt hat. Das ist es: die vornehmsten Officiere kommen immer auf das Bild, der Soldat Schweckendieck nicht. Der ist weder auf dem Bild von George Carter, noch dem von John Singleton Copley. Unsere hannöverschen Obristen und ihr General sind natürlich auch alle auf dem Bild von Carter, obgleich es mir unklar ist, weshalb der gute Schlepegrell im Katalog der National Portrait Gallery Schreppergill heißt.

So sehen Sieger aus. Das ist der englische Admiral Howe (von Copley gemalt), der kurz nach dem Sieg kommt, um mit dem Rest der französischen und spanischen Flotte aufzuräumen. Und um zu zeigen, dass man jetzt wieder ungehindert von Spithead nach Gibraltar segeln kann. Die englischen Maler haben jetzt volle Auftragsbücher. Wenn man in den Krieg zieht, lässt man sich malen. Wenn man als Held zurückkommt, will man in Öl verewigt werden. Wenn man nur ein einfacher Soldat wie Ludwig Schweckendieck ist, dann kann man froh sein, dass in der Heimatstadt heute noch eine Straße nach einem heißt.