Montag, 17. September 2012

Resteverwertung


He came into my office carrying a thin briefcase under his left arm. He was wearing a dark suit and a white shirt with a red-and-blue striped tie. His red hair was cut very short. He had a thin, sharp face. He closed the door carefully behind him and turned and gave me the hard eye.
"You Spenser?" he said.
"And proud of it," I said.
He looked at me aggressively and didn't say anything. I smiled pleasantly.
"Are you being a wise guy?" he said.
"Only for a second," I said. "What can I do for you?"
"I don't like this," he said.
"Well," I said. "It's a start."
"I don't like funny either," he said.
"Then we should do great," I said.
"My name is Dennis Doherty," he said.
"I love alliteration," I said.
"What?"
"There I go again," I said.


Klingt das etwa wie Raymond Chandler? Das ist von jemandem geschrieben, der gerne ➱Raymond Chandler sein möchte. Den seine Fans für den einzig echten Nachfolger der hard-boiled school halten. Wenn es nach Chandler einen akzeptablen Krimiautor der hard-boiled school gibt, dann ist das ➱Ross Macdonald, niemand sonst. Was auch der Autor des etwas kläglichen Romananfangs da oben anerkannte: It was not just that Ross Macdonald taught us how to write; he did something much more, he taught us how to read, and how to think about life, and maybe, in some small, but mattering way, how to live. Er heißt Robert B. Parker, wurde heute vor achtzig Jahren geboren. Als ich das im Tageskalender von Wikipedia las, dachte ich mir: prima, hundert Zeilen Hass! Ich mag ihn nämlich nicht. Falls sich jetzt ein Robert B. Parker Fan in diesen Blog verirrt hat: Lesen Sie einfach nicht weiter!

Zum ersten Mal begegnete mir der Name Robert B. Parker Anfang der siebziger Jahre auf dem Titelblatt einer Dissertation mit dem vielversprechenden Titel The Violent Hero, Wilderness Heritage and Urban Reality: A Study of the Private Eye in the Novels of Dashiell Hammett, Raymond Chandler and Ross Macdonald. Habe ich über die UB-Fernleihe bekommen. Als Microfilm, ja, so etwas gab es mal. Liest man nicht gerne, vor allem, weil wir im Institut damals noch nicht diese neuen luxuriösen Mikrofilmlesegeräte mit Bildschirm besaßen.

Ich las damals gleichzeitig mit Parkers Dissertation ein Buch, dessen Autor auch einmal eine Dissertation über die hard-boiled novel geschrieben hatte. Der Autor hieß Philip (Calvin) Durham, und jeder Chandler Kenner weiß, dass sein Buch Down these mean streets a man must go: Raymond chandler's knight eins der besten Bücher über Raymond Chandler ist. Das Buch hat eine gewisse Basis in der Dissertation, mit der der Verfasser 1949 von der Northwestern University seinen Ph.D. bekommen hatte. Die hatte den Titel The Objective Treatment of the 'Hard-Boiled' Hero in American Fiction: A Study in the Frontier Background of Modern American Literature und war mit 564 Seiten mehr als doppelt so lang wie die Dissertation von Parker. Und ist auch - immer noch - mehr als doppelt so wichtig. Interessant war in ihr der Gedanke, die amerikanische ➱frontier mit dem hard-boiled Helden zu verknüpfen (Durham hat auch ein Buch über die frontier in der amerikanischen Literatur geschrieben), lange bevor Leslie Fiedler das in Love and Death in the American Novel so elegant verkaufte: But the private eye is not the dandy turned sleuth [hiermit meinte er Sherlock Holmes]; he is the cowboy adapted to life on the city streets, the embodiment of innocence moving untouched through universal guilt. As created by Dashiell Hammett, the blameless shamus is also the honest proletarian illuminating by contrast the decadent society of the rich.

Kaum hatte Robert B. Parker seine Doktorarbeit fertig - in der er bereitwillig die amerikanische frontier als Quelle der hard-boiled Literatur von Durham übernommen hatte -  da schrieb er schon an seinem ersten Detektivroman. Als er 1976 Full Professor an der Northeastern University wurde, hatte er schon vier Romane mit seinem Helden Spenser geschrieben. Den Job an der Uni gab er schnell wieder auf, von da an haute er jedes Jahr geradezu fabrikmäßig einen Roman raus. They give me the money, I give them the book. Später waren es drei oder vier im Jahr. Raymond Chandler hat gerade mal sieben Romane in seinem Leben geschafft, Parker wahrscheinlich siebzig. Ich fühle mich an dieser Stelle versucht, das schöne Goethewort Getretner Quark wird breit, nicht stark zu zitieren. Das erste halbe Dutzend der Spenser Romane habe ich gelesen, aber dann habe ich den Autor aufgegeben.

Aber 1989 musste ich dann doch wieder ein Buch von ihm kaufen, ich habe es sogar als Hardcover. Es hieß Poodle Springs und wurde unter den Namen Raymond Chandler und Robert B. Parker angekündigt. Gut, dass Chandler das nicht mehr erleben musste. Die ersten vier Kapitel waren von Chandler; sie waren schon zuvor als The Poodle Springs Story veröffentlicht worden und zählten nicht unbedingt zum Besten, das Chandler geschrieben hat. Das, was auf die ersten vier Kapitel folgt, ist von Parker geschrieben. Aber es ist natürlich kein Raymond Chandler. When a book, any sort of book, reaches a certain intensity of artistic performance, it becomes literature. That intensity may be a matter of style, situation, character, emotional tone, or idea, or half a dozen other things. It may also be a perfection of control over the movement of a story similar to the control a great pitcher has over the ball. Das ist von Raymond Chandler, nicht von Robert Brown Parker.

Zwei Jahre später legte Parker nach und brachte ein sequel zu Chandlers The Big Sleep mit dem Titel Perchance to Dream heraus. Was Martin Amis in der ➱New York Times mit den dürren Worten kommentierte:  If Raymond Chandler had written like Robert B. Parker, he wouldn't have been Raymond Chandler. He would have been Robert B. Parker, a rather less exalted presence. The posthumous pseudo-sequel never amounts to more than a nostalgic curiosity, and it is no great surprise that 'Perchance to Dream' isn't much good. Raymond Chandler hat seine frühen Geschichten selbst ausgebeutet, hat sie immer wieder umgeschrieben, cannibalizing nannte er diesen Vorgang. Philip Durham (der leider schon 1977 im Alter von 56 Jahren gestorben ist) hat das in seinem Vorwort zu Killer in the Rain detailliert aufgezeigt (und diese vorzügliche Einleitung möchten Chandler Freunde nicht missen). Wenn ein Autor sich selbst recycelt, dann mag das noch angehen. Vor allem, wenn das dabei herauskommt, was Chandler uns dann präsentiert. Wenn er aber von jemandem wie Parker recycelt wird, dann ist das Ganze doch eher peinlich.

Die hard-boiled school hat mit Hammett und Chandler ihren Höhepunkt erreicht, obgleich man sagen muss, dass einige ihrer Kollegen, die damals für die Black Mask schrieben, auch der Lektüre wert sind. Ich denke da zum Beispiel an jemanden wie ➱Carroll John Daly. Doch als der Stil der hard-boiled school einmal da war - und das war er ja nicht nur bei den Black Mask Autoren (man lese dazu einmal das von David Madden herausgebene Tough Guy Writers of the Thirties) - da konnte er nicht mehr verbessert werden. Nur noch variiert, imitiert und plagiiert. Und seitdem haben wir Mickey Spillane, Robert B. Parker und James Ellroy. Und wie sie alle heißen. Als George Orwell 1944 seinen Essay ➱Raffles and Miss Blandish schrieb, sagte er zum Schluss: One ought not to infer too much from the success of Mr. Chase's books. It is possible that it is an isolated phenomenon, brought about by the mingled boredom and brutality of war. But if such books should definitely acclimatize themselves in England, instead of being merely a half-understood import from America, there would be good grounds for dismay. Er konnte nicht wissen, dass ein halbes Jahrhundert später Kritiker bereit waren, amerikanischen Krimischrott für Literatur zu halten, auch ohne the mingled boredom and brutality of war.

The most durable thing in writing is style, and style is the most valuable investment a writer can make with his time. It pays off slowly, your agent will sneer at it, your publisher will misunderstand it, and it will take people you have never heard of to convince them by slow degrees that the writer who puts his individual mark on the way he writes will always pay off. Lassen wir Raymond Chandler einfach das letzte Wort.

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