Heute vor 190 Jahren wurde von einem Festkomitee, das später Festkomitee des Kölner Karnevals von 1823 e.V heißen sollte, der erste Karnevalsumzug in Köln organisiert. Endlich wird die mumschanz einmal in einem deutschen Verein organisiert. Närrisches Treiben hat es in Köln schon seit dem Mittelalter gegeben. Da musste der Kölner Rat immer wieder gegen den Mummenschanz, das Vermomben, Verstuppen und Vermachen und die Mummerey und Heidnische Tobung einschreiten. Ich weiß nicht, ob die Gruppe junger Engländer dieses Datum im Kopf hatte, als sie am 10. Februar des Jahres 1910 auch einen Mummenschanz aufführten. Der ihre Gruppe schlagartig in England berühmt machte.
So wie hier auf dem Photo kennen Sie sie bestimmt nicht. Das da links außen ist Virginia Woolf. Nein, kein Witz. Dieses Photo dokumentiert den sogenannten Dreadnought Hoax. Der Herr mit Zylinder auf der rechten Seite ist Horace de Vere Cole. Er kennt sich mit Streichen aus. Als er in Cambridge war, ist er schon einmal als Sultan von ➱Sansibar aufgetreten. Begleitet wurde er dabei von seinem Freund Adrian Stephen, das ist der Bruder von Virginia Stephen, die wir besser als Virginia Woolf kennen. Die vor drei Jahren erschienene Biographie von Horace de Vere Cole von Martyn Downer trägt auch den passenden Titel: The Sultan of Zanzibar.
Die Gruppe von jungen Literaten, die wenig später als die Bloomsbury Group bekannt wird, hatte die Idee, als abessinische Gesandtschaft verkleidet, das Schlachtschiff Dreadnought zu besichtigen. Horace de Vere Cole trat als Mr Cholmondeley vom Foreign Office auf (wenn Sie wissen wollen, wie man diesen Namen ausspricht, klicken Sie ➱dies hier an und wählen Sie den Sprecher Daniel [UK]) und verlangte in der Paddington Station einen Sonderzug nach Weymouth. Den er auch bekam, auf jeden Fall einen Sonderwagen. Die fremdländische Gruppe, begleitet von zwei Gentlemen mit Zylinder, strahlt offensichtlich Autorität aus. In Deutschland braucht man dazu eine Uniform. Vier Jahre zuvor hatte der Schuster Friedrich Wilhelm Voigt in der Uniform eines Hauptmann die Stadtkasse von Köpenick beraubt.
Am Tag nach der Visite auf HMS Dreadnought schreibt Horace de Vere Cole an einen Freund: I was so amused at being just myself in a tall hat – I had no disguise whatever and talked in an ordinary friendly way to everyone – the others talked nonsense. We had all learned some Swahili: I said they were 'jolly savages' but that I didn't understand much of what they said … It began to rain slightly on the ship and we only just got the princes under cover in time, another moment and their complexions would have been running – Are you amused? I am … Yesterday was a day worth the living. Die Gruppe wird an Bord von einem Admiral und dem Kapitän des Schiffes empfangen und mit ausgesuchter Höflichkeit behandelt. They were tremendously polite and nice – couldn't have been nicer: one almost regretted the outrage on their hospitality. Von Zeit zu Zeit stossen die Mitglieder der Gesandtschaft, die sich auf der Eisenbahnreise einige Brocken Kisuaheli eingeprägt haben, ein bewunderndes: Bunga, Bunga! aus.
Einer der Stabsoffiziere an Bord stellt ein Problem dar. Es ist der Commander William Wordsworth Fisher. Er und Adrian Stephen sind miteinander verwandt. Adrian Stephen (dritter von links im Photo oben) hofft die ganze Zeit, dass sein falscher Bart ihn vor der Entdeckung schützt. Fisher, der noch ein berühmter englischer Admiral werden wird, hat seinem Cousin diesen Scherz nie verziehen. Stephen wird Jahre später sagen: Yes I'm sorry about William - our last meeting was on the deck of the Dreadnought in 1910 I think; but I wore a beard. And I'm afraid he took it to heart a good deal.
Das Bunga, Bunga! wird Schule machen. Virginia Woolf wird sich Jahrzehnte später daran erinnern, dass, als der wahre Kaiser von Äthiopien ➱Menelik II Wochen später in London weilte, he complained that wherever he went in the streets boys ran after him calling out Bunga Bunga. Als der Negus den Wunsch äußert, die englische Flotte besuchen zu dürfen, lehnt die Admiralität das kategorisch ab. Noch mehr Presserummel möchte man nicht haben. Die Royal Navy ist, wie dieser Cartoon des Daily Mirror zeigt, schon jetzt das Gespött der Leute. Schon kurz nach dem Streich, der als Dreadnought Hoax berühmt geworden ist, gab es in den Music Halls einen Song (zu der Melodie von The Girl I left behind me):
When I went on board a Dreadnought ship
I looked like a costermonger;
They said I was an Abyssinian prince
‘Cos I shouted ‘Bunga Bunga!’
Nun wissen wir endlich, wo Berlusconi das Bunga Bunga her hat. Als die Dreadnought im Ersten Weltkrieg ein deutsches U-Boot rammt und versenkt (U-29 ist das einzige deutsche U-Boot, das von einem Schlachtschiff versenkt wurde), schickt die Admiralität ein Glückwunschtelegramm. Wenn man dem Royal Navy Offizier Captain John Egerton (Jack) Broome in seinem Buch Make Another Signal glauben darf, lautete der Text des Telegramms: Bunga Bunga.
Leise Zweifel sind angesagt. Jack Broom war ein berühmter Marineoffizier, der das Vorbild für Jack Hawkins war, als er den Lieutenant-Commander George Ericson RNR in The Cruel Sea spielte. Aber Jack Broom ist auch ein Mann gewesen, der keinem Unsinn abgeneigt war. Als man ihm im Zweiten Weltkrieg den Zerstörer HMS Veteran gab, beantragte er umgehend eine Mitgliedschaft bei der Company of Veteran Motorists. Neben seinem Hang zu Scherzen und Streichen war er auch noch ein hervorragender Cartoonist, wie sein Cartoon von Admiral Beatty aus dem Jahre 1918 beweist.
Leise Zweifel sind auch angesagt, was den 10. Februar als Datum des Besuchs von Virginia Woolf und ihren Freunden auf der HMS Dreadnought betrifft. Quentin Bell, der Neffe von Virginia Woolf, gibt dieses Datum in seiner Virginia Woolf Biographie an, es wird von vielen ungeprüft übernommen. Der 10. Februar hätte ja auch wunderschön zu dem 10. Februar 1823 in Köln gepasst. Aber wahrscheinlich hat der Besuch mit dem Bunga Bunga am 7. Februar 1907 stattgefunden. Macht aber auch nichts. Als Vorbereitung auf den Rosenmontag taugt dieser Post allemal.
seien Sie herzlich gegrüßt,
AntwortenLöschenich habe Ihren exkurs in die britische geschichte der admiralität und den doch literarischen hoax mit "Bunga Bunga" sehr gerne gelesen, es hat mir den faschingsdienstag vorabend versüßt.
Ihren ausführungen zu folgen, täglich, das wäre wunderbar, leider fehlt mir dazu die zeit. aber so ab und an lese ich mit großem genuss.
meine hochachtung für diese wundervolle, tiefgehende, informative und humorvolle seite!
mit lieben grüßen
gabriele