Donnerstag, 19. März 2015

Jugendkultur


Heute vor sechzig Jahren hatte der Film The Blackboard Jungle in New York Premiere. Interessant ist bei dem Film der deutsche Titel, Saat der Gewalt klingt irgendwie nach Bibel. Auch für den Film Rebel without a Cause fand der deutsche Verleih einen biblischen Titel: Denn sie wissen nicht, was sie tun. Biblische Titel gehen in den fünfziger Jahren immer gut, manchmal muss man allerdings das Bibelzitat verändern. Thornton Wilders Theaterstück The Skin of Our Teeth wäre wohl nicht zum Bestseller auf deutschen Bühnen in der Nachkriegszeit geworden, hätte es nicht Wir sind noch einmal davongekommen geheißen.

Der Film The Blackboard Jungle war die Verfilmung eines Romans von Evan Hunter, den wir auch als den Verfasser des Drehbuchs von Hitchcocks The Birds kennen. Und den wir noch besser als den Krimiautor Ed McBain kennen. Der Film wurde nicht wegen des pädagogischen Heldenmuts eines Lehrers berühmt, er wurde berühmt weil darin Bill Haleys Rock Around The Clock vorkam, was angeblich weltweit zur Marseillaise der Teenager Revolution wurde. Hat Lillian Roxon in ihrer Rock Encyclopedia gesagt. Der Song war gar nicht von Bill Haley, er war von Max C. Freedman und James E. Myers. Wurde zuerst von einem Amerikaner italienischer Abstammung namens Pascal Vennitti gesungen, der sich als Musiker Sonny Dae nannte. Sie können ihn hier hören.

Der Song war der absolute Flop (schaffte es allerdings in die Cashbox Charts). Weshalb er dann ein Jahr später in dem Film, gesungen von einem leicht übergewichtigen Country Sänger mit Schmalzlocke, zu einem Sensationshit wurde, das weiß ich nicht. Es war für den Regisseur Richard Brooks kein finanzielles Risiko gewesen, die Rechte des Songs zu kaufen - er hatte sie für einen Dollar bekommen. Man kann Rock Around The Clock  offensichtlich heute immer noch spielen (ob man es hören mag, ist eine andere Sache), klicken Sie doch einmal diesen Auftritt von Peter Kraus mit der Rentnerband Bill Haleys Original Comets im Jahre 2009 an.

Hollywood hatte ein neues Thema, man konnte eine neue Jugendkultur vermarkten. Die in James Dean einen neuen Helden gefunden hatte, diesem jungen Amerikaner, der auch noch Byron mit Vornamen hieß und sich mit seinem Porsche zu Tode bretterte. Ich habe bis heute nicht verstanden, was an dem Film Rebel Without a Cause von Nicholas Ray so toll sein soll. Ich könnte natürlich jetzt den Aufsatz von meinem Freund Volker Behrens lesen, der Rebellen, Jeans und Rock 'n' Roll. Neue Formen von Jugendprotest und Sozialkritik: Denn sie wissen nicht, was sie tun (1955) heißt. Ist in Faulstichs und Kortes Fischer Filmgeschichte Band 3 erschienen. Ich habe damals die Korrekturen vom Manuskript gelesen, das weiß ich noch.

Aber ein anderer - etwas perverserer - Aspekt der Jugendkultur geht mir bei dem Ganzen nicht aus dem Sinn. Das Schnuckelchen Natalie Wood (sie hat hier einen Post) war erst siebzehn, als sie den Film drehte, war aber gleich mit dem Regisseur im Bett. War das Nicholas Rays Rache an der Welt dafür, dass er 1950 seinen dreizehnjährigen Sohn im Bett mit seiner neuen Frau Gloria Grahame erwischte? Gloria Graham kommt schon in dem Post Operation Mincemeat vor, und das dort erwähnte Buch Filmstars Don't Die in Liverpool von Peter Turner ist immer noch ein Lesetip.

Es hat sicher zu dem Erfolg von Rebel without a Cause beigetragen, dass wenige Jahre zuvor der Roman The Catcher in the Rye von J.D. Salinger Furore gemacht hatte. Und dass nach den Bobby Soxers (erkennbar an den weißen Socken), die in den vierziger Jahren Frankieboy Sinatra verfolgten, eine Jugendkultur nach der anderen entstand. Nicht nur in Amerika, auch England trug mit den Teddy Boys und den Mods seinen Teil dazu bei. Die Teddy Boys haben auch ihren Teil dazu beigetragen, um den Film Blackboard Jungle berühmt zu machen. Als der in London im Stadtteil Elephant and Castle (der Stadtteil, aus dem Michael Caine kommt) 1956 gezeigt wurde, zerlegten sie das Kino.

Nathalie Wood mag nackt im Bett von Nicholas Ray liegen, auf der Leinwand ist sie es nicht. Die Zensurbestimmungen sind streng, und die werden erst Ende der fünfziger Jahre wirklich aufgeweicht. Sex, drugs and Rock'n Roll steckte noch in den Kinderschuhen. Wenn man nackte Haut sehen wollte, dann musste man sich Schwedenfilme oder Brigitte Bardot ansehen. Hollywood blieb erst einmal züchtig. Bis Marilyn Monroe kam. Oder diese Dame. Sie kennen sie nicht nicht? Das ist Linda Christian, das erste Bond Girl. Auf jeden Fall ist sie in der amerikanischen TV Version von Jimmy Bond zu sehen.

Das Kleidungsstück, das man jetzt brauchte, waren Jeans. Die damals noch Nietenhosen hießen, das sagt heute niemand mehr. Natürlich waren das nicht die Röhrlihosen mit Nieten, die Albert Sefranek als erster in Deutschland offerierte. Wenn man wie ich im amerikanisch besetzten Bremen aufwuchs, dann hatte man Beziehungen, und kriegte eine Levis 501 aus einem PX Laden mitgebracht. Die man zuerst in der Badewanne (die schrubbst Du aber hinterher sauber!) körpergerecht machen musste und dann im Wasser der Nordsee farblich auf den gewünschten Look bringen musste. Man mochte die Jeans nicht überall, wie dieses Photo aus den fünfziger Jahren zeigt.

Die Antwort des deutschen Films auf James Dean und Marlon Brando in Jeans und Lederjacke hieß Die Halbstarken (einen Film wie Die Frühreifen lassen wir lieber aus). Die Zeit urteilte 1956: Auf dem Nährboden von „Saat der Gewalt“ erwuchs als deutscher Filmbeitrag zu einem internationalen aktuellen Thema unter der Regie Georg Tresslers ein Bildstreifen, für dessen jugendliche Darsteller – darunter die neuentdeckte Karin Baal und der mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichnete Horst Buchholz in den Hauptrollen – die Berliner Großstadtwirklichkeit einen guten Hintergrund abgibt. Freilich entspricht die Handlung nicht ganz der realen Bedeutung des Titels. Aber die gut gezeichneten Typen (hervorragend ist hier Buchholz) und die realistische Regie deuten manches von dem eigentlichen Urgrund des Problems an.

Ich muss gestehen, ich habe den Film nicht gesehen. Ich bin auch nicht in Thomas Valentins Die Unberatenen gewesen, wahrscheinlich war ich der einzige in Bremen, der das Problemstück über Jugendliche nicht gesehen hat (lesen Sie mehr in dem Post Rickie Lee Jones). Man brauchte dafür nicht ins Theater zu gehen, das eigentliche Problem sah so aus. Definitiv nicht wie Glenn Ford in The Blackboard Jungle (und ja, Sie haben Recht, wenn Sie glauben, hier das Lehrerkollegium meiner Schule zu sehen). Und diese Wirklichkeit vor Augen, wer wollte sich auf der Bühne oder der Leinwand Lehrer angucken? Wenn ich ins Kino ging, wollte ich richtiges Kino sehen.

Richtiges Kino, das waren John Wayne, Truffaut die Nouvelle Vague und Antonioni. Probleme hatte man als Jugendlicher genug, dafür brauchte man kein Geld an der Kinokasse zu lassen. Und als ich endlich so aussah, dass ich ins Kino kam, ohne nach dem Alter gefragt zu werden, da war ich auch schon Exi. Trug die Kleidung der Mods, ohne zu wissen, dass es die gab. Oder dunkle Rollis, ein Tweedjackett und ein Buch von Sartre oder Camus unter dem Arm. Erwachsenwerden ist Inszenierung.

Amerika hat eine lange und große Tradition in der Literatur, die vom Erwachsenwerden handelt. Böse Zungen sagen immer, dass das daran liegt, dass Amerika als Nation nie erwachsen geworden ist. Peter Freese hat das Thema der amerikanischen story of initiation in seinem Buch Die Initiationsreise: Studien zum jugendlichen Helden im modernen amerikanischen Roman erschöpfend behandelt. Es ist eine lange Entwicklungslinie, die von Mark Twains Huckleberry Finn über Hemingways Nick Adam Stories zu, sagen wir, Updikes Pigeon Feathers reicht.

Manches von den coming of age Kurzgeschichten und Romanen ist mehr schlecht als recht verfilmt worden, viele Texte wehren sich gegen eine Verfilmung. Wie Salingers Catcher in the Rye. Oder Padgett Powells Edisto. Oder Carson McCullers' The Member of the Wedding. Hannes Hansen hat mich letztens auf eine Verfilmung von Hemingways The Killers aufmerksam gemacht. Da die weithin unbekannt ist, gibt es sie hier einmal zum Anschauen. Andrei Tarkowski war damals noch Student, als er den kurzen Film drehte.

Ich weiß nicht, ob das Filmgenre des coming of age in Amerika besonders gut aufgehoben ist. Unter den mehr als fünfhundert Filmen, die Wikipedia listet, sind nur wenige Filmkunstwerke. Ich mag natürlich The Graduate. Schon wegen der Filmmusik (The PTA, Mrs. Robinson Won't OK the way you do your thing Ding, ding, ding), wegen des Cordjacketts und wegen Katherine Ross (die hier einen viel gelesenen Post hat). Ich mag auch American Graffiti (ebenso, wie ich Two-Lane Blacktop mag). The Breakfast Club muss erwähnt werden. American Pie auf keinen Fall, das ist wohl Amerikas Antwort auf die israelische Produktion Lemon Popsicle, die bei uns als Eis am Stiel lief.

Aber ein einen Film aus Amerika muss ich unbedingt noch erwähnen, und das ist Ferris Bueller's Day Off (Ferris macht blau). Wenn es schon die Form der Komödie sein muss, dann aber richtig. Dann braucht man auch mal einen roten Ferrari. Der Film ist etwas anderes als unsere Schülerfilme wie Die Lümmel von der ersten Bank oder Der Pauker.

Das Auto muss natürlich im amerikanischen Film sein. Wenn es schon keinen Sex gibt, dann gibt es Autos. Schließlich ist das Automobil the great American love affair. Dieses Filmphoto stammt aus American Graffiti, einem Film, der die Themen car culture und Jugend miteinander verknüpfte. Das muss an dieser Stelle ein Ford Edsel sein, wir wissen ja, weshalb der vom Markt genommen wurde. Time schrieb so nett: Cultural critics speculated that the car was a flop because the vertical grill looked like a vagina. Maybe. America in the '50s was certainly phobic about the female business.

Wir sehen mit unserer deutschen Filmproduktion zu dem Thema ein wenig arm aus, wenn wir einen Blick auf unsere französischen Nachbarn werfen. Zum Beispiel auf Marie-France Pisier (die einmal die kirgisenäugige Clawdia Chauchat spielen wird) in Truffauts Antoine et Colette (Teil des Episodenfilms L'amour à vingt ans).  Oder Truffauts Film Sie küssten und sie schlugen ihn.

Der wurde selbst bei uns in der Schule gezeigt, weil der Direx den pädagogisch wertvoll fand. Marie-France Pisier gab es natürlich nicht zu sehen. Truffauts schlimme Kindheit hat ihn zu einem Regisseur werden lassen, der sich besonders einfühlsam der Probleme von Kindern und Heranwachsenden annahm. Was Filme wie die frühen Filme des Antoine Doinel Zyklus, Der Wolfsjunge und Taschengeld zeigen. Es ist schade, dass Truffaut so wenig Englisch konnte, Philip Larkins Gedicht This Be The Verse mit der Zeile They fuck you up, your mum and dad hätte ihm bestimmt gefallen.

Ein anderer Regisseur, der Jugend und Kindheit behandelt, ist Louis Malle mit Filmen wie Herzflimmern und Lacombe, Lucien oder dem autobiographischen Film Auf Wiedersehen, Kinder. Louis Malle war wohl nicht der einzige, der bei der Premiere des Films Auf Wiedersehen, Kinder geweint hat. Über seinen Film Herzflimmern (hier Lea Massari), der unter anderem das Thema Inzest behandelt, urteilte das der katholischen Kirche nahestehende Lexikon des internationalen Films 1971:

Die pubertäre Entwicklung eines 15-jährigen im Zeichen sexueller Erlebnisse und ihrer Prägung durch die Umwelt. Im Mittelpunkt steht die Beziehung des Jungen zu seiner noch jungen, erotisch attraktiven Mutter, die zu einem Inzest führt. Die Tabuverletzung wird jedoch konsequent und nahezu selbstverständlich aus der Entwicklung und dem Lebensmilieu des jugendlichen Helden abgeleitet. In der glaubhaften und unaufdringlichen Gestaltung und vor allem in der Führung des jugendlichen Hauptdarstellers ist der Film durch außerordentliches Können gekennzeichnet. Das können die Franzosen bei dieser Sorte Film: sie lassen den Sex nicht aus. Selbst eine Komödie wie La Boum (deutsch: La Boum – Die Fete – Eltern unerwünscht) mit der jungen Sophie Marceau hatte für Teenager (und Eltern) durchaus einen pädagogischen Anspruch.

Das 1961 von Joe Hembus (dem wir auch ein vorzügliches Western-Lexikon verdanken, das hier schon häufig erwähnt wurde) verfasste Pamphlet Der deutsche Film kann gar nicht besser sein beschrieb vor dem Hintergrund der französischen Nouvelle Vague die Misere des deutschen Nachkriegsfilms. Das Buch wurde 1981 mit dem Titel Der deutsche Film kann gar nicht besser sein. Ein Pamphlet von gestern, eine Abrechnung von heute bei Rogner und Bernhard wieder neu aufgelegt. Was das Buch leider auslässt, ist der unheilige Einfluss der katholischen Kirche als Zensurinstanz des deutschen Films.

Wenn man bedenkt, dass schwedische Filme wie Sie tanzte nur einen Sommer und Das Schweigen (die hier in Schwedinnen und Schweigen einen Post haben) in Deutschland verdammt und als Skandal gebrandmarkt wurden, dann wird man in den deutschen coming of age Filmen kein aufklärerisches Potential suchen. Bergmans Film Die Zeit mit Monika (Sommaren med Monika) bekam nur schlechte Kritiken. In Frankreich nannte Jean-Luc Godard den Film den originellsten Film dieses originellsten aller Regisseure und François Truffaut erklärte ihn zu seinem Lieblingsfilm. In Amerika fügte man zusätzliche Nacktaufnahmen hinzu und kürzte die Handlung. Und verkaufte das Ganze dann als Monika, the Story of a Bad Girl.

Was eines Tages sexuelle Revolution heißen wird, von dem diese Filme ein kleiner Teil waren, wurde von der katholischen Kirche, die sich wie eine Neuauflage der spanischen Inquisition verstand, in den Anfängen bekämpft. Le cinéma c'est de l'art de faire faire de jolies choses à de jolies femmes, hat Truffaut gesagt. Der amerikanische und der deutsche Film kriegen das selten hin. Weil wir uns mit Filmen wie Wenn die Conny mit dem Peter begnügen. Im gleichen Jahre wie dieser Film erschien Bonjour Tristesse. Wurde von der FSK als jugendgefährdend eingestuft, das gilt bis heute.


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