Freitag, 15. März 2013

Karl-Otto Apel


Der deutsche Philosoph Karl-Otto Apel wird heute 91 Jahre alt. Mir ist es, als wäre es gestern gewesen, dass ich eine Vorlesung bei ihm gehört habe. Doch das ist nun auch schon über vierzig Jahre her, aber ich habe diese Vorlesung nicht vergessen. Apel kam damals nach dem Ende jeder Vorlesung kaum aus dem Hörsaal hinaus, weil er von Trauben von Studenten umlagert wurde. Die alle mit ihm diskutieren wollten. Vielleicht wäre mein Leben anders verlaufen, wenn ich Karl-Otto Apel früher für mich entdeckt hätte, statt den langweiligen Bröcker zu hören. Mit ➱Walter Bröcker oder Hermann Schmitz wollte niemand nach der Vorlesung diskutieren. Mit dem gemeinsamen Gespräch hatte die Philosophie ja einmal angefangen. Aber als ich das Fach damals studierte, gab es den platonischen Dialog längst nicht mehr. Auf jeden Fall nicht an den Universitäten, an denen ich studierte. Woanders soll das anders gewesen sein (ich bin ja glücklich, dass ich Carl Friedrich von Weizsäcker in Hamburg gehört habe). Später wird einem immer klar, dass man zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen ist. Aber auch das ist das Leben, ob man Philosophie studiert hat oder nicht.

Die Vorlesung Ethik der Wissenschaft war leider die einzige Vorlesung, die ich bei Apel gehört habe, im nächsten Semester war er schon verschwunden. War nach Saarbrücken gegangen, dann nach Frankfurt. Und nahm nebenbei Gastprofessuren in der ganzen Welt wahr. Als er Kiel hinter sich gelassen hatte, begann seine wirkliche Karriere. Die nie so spektakulär war wie die von ➱Paul Feyerabend. Oder die von Peter Sloterdijk. Apel war nicht alle fünf Minuten im Fernsehen oder im Feuilleton wie Richard David Precht. Er verkaufte keine griffigen Formeln. Obgleich seine Philosophie einen Namen hatte: Transzendentalpragmatik. Was ein Blogger als The best of Kant, Peirce and Wittgenstein-Mix bezeichnete. Blogger sind ja manchmal sehr witzig. Heute ist Apel im Internet mit einer Homepage präsent, und es gibt zwei Dinge im Internet, die es sich anzuschauen lohnt. Das eine ist eine Sendung des WDR von Henning Burk und Matthias Kettner mit dem Titel ➱Der Letztbegründer aus dem Jahre 1992. Das andere ist ein fünfteiliges Interview aus dem Jahre 2004, das ➱Nicole Holzenthal mit dem Philosophen führte.

In Apels Vorlesung wurden auch Namen genannt, die damals in den philosophischen Instituten noch Seltenheitswert hatten. Wie zum Beispiel Charles Sanders Peirce (den Apel auch bei Suhrkamp herausgegeben hat) und John Dewey, die großen Namen des amerikanischen Pragmatismus. Walter Bröcker wäre es nicht in den Sinn gekommen, ➱amerikanische Philosophen zu erwähnen. Es ist sowieso erstaunlich, wie gering der  Einfluss der amerikanischen Geisteswissenschaften (die Anglistik/Amerikanistik mal ausgenommen) auf Deutschland noch in den sechziger Jahren war. Offensichtlich hatte die amerikanische re-education nach dem Krieg bei der Generation meiner Professoren nichts bewegt. Ich konnte mit den Namen Peirce und Dewey schon damals etwas verbinden, weil die sechzehn Hefte der Zeitschrift ➱Perspektiven für mich zu einer kulturellen Bibel geworden waren. Und dort fanden sich natürlich auf Aufsätze zum Pragmatismus (in Heft 1 und Heft 12). Apels Studienfreund Otto Pöggeler hat in einem Interview einmal gesagt: Karl-Otto Apel hatte begonnen, die amerikanischen Pragmatisten hier in Deutschland zu rezipieren. Ich hatte versucht, Apel Heidegger zu vermitteln, indem ich letzterem die Aufsätze von Apel zusandte. Sein Urteil lautete: 'Dieses neue Chinesisch kann ich mir nicht mehr antun'. Ja, da bleiben wir doch lieber bei dem in Meßkirch geraunten Chinesisch von ➱Heidegger.

In der Philosophischen Fakultät meiner Universität war damals der Kunsthistoriker ➱Wolfgang J. Müller (der auch einmal in Amerika gewesen war) der einzige den ich kannte, der ständig englische Fachpublikationen las und in seinen Lehrveranstaltungen zitierte. Während die Studenten der sechziger Jahre sich schon wohlig in der Popular Culture Amerika zu Hause fühlten, war für viele Professoren Amerika noch genau so weit weg wie zur Zeit von Immanuel Kant. Doch für Apel (der nach dem Krieg in amerikanischer Gefangenschaft war) war Amerika keine terra incognita, sonst hätte die Yale University ihn im März 1977 wohl nicht zu den Ernst Cassirer Lectures eingeladen. Hermann Schmitz (über den ich ➱hier schon einiges gesagt habe - was offensichtlich tausende von Lesern amüsiert hat) wurde da nie eingeladen. Sein Griechisch, mit dem er in seinen Vorlesungen seine Hörer stundenlang traktierte, war sicher ganz toll, sein Englisch war erbärmlich.

Wir wissen, dass Immanuel Kant nicht in Amerika gewesen ist, vielleicht liegt darin alles Unheil begründet. Er hat zwar einmal eine Schiffsreise nach New York unternommen, aber da ging alles schief. Kant, der von der Columbia University einen Ehrendoktortitel bekommen soll, hat seinen Papagei Friedrich dabei. Ein ebenbürtiger Gesprächspartner, der alle Schriften des Philosophen  aufsagen kann:

Ich habe mir diese Amerikareise mit Friedrich  
sehr lange und sehr gründlich überlegt 
Tatsächlich es ist  
kein Risiko  
Friedrich allein  
in die Universitäten der Welt 
zu schicken
Er könnte alles 
was ich jemals gedacht habe  
auf das vorzüglichste referieren

Die Interpreten des herrlich absurden Theaterstücks Immanuel Kant von Thomas Bernhard sehen in der Namensnennung der Columbia University eine Beziehung zum amerikanischen Pragmatismus, schließlich hat John Dewey an der Columbia gelehrt. Da wären wir wieder beim Thema. Die Sache mit dem Papagei, der alle Schriften des Philosophen aufsagen kann, müssen wir noch einmal durchdenken. Das ist ausbaufähig. Obgleich es schon eine Vielzahl von Papageien gibt, die allen Modephilosophen nachplappern.                  

So berühmt Apel in ➱Fachkreisen wurde, so unbekannt blieb er in der breiten Öffentlichkeit. Obgleich er niemand war, der sich in seinem Büro versteckte, der auch Tagungen mit Unternehmern veranstaltet hat, um mit ihnen über Moral zu reden. Es ist ein Dilemma der deutschen Ordinarien für Philosophie, dass sich viele nicht aus ihrem Institut heraus trauen. Ludger Lütkehaus (dem wir das Buch mit dem Titel Nichts verdanken) hat die Lage in seinem polemischen Artikel in der ➱Zeit mit dem schönen Titel Fachgiganten und Lebenszwerge: Vom fehlenden Nutzen der Universitätsphilosophie für das Leben. Ein Pamphlet dargelegt. Aber mit der Universität hat Karl-Otto Apel heute nichts mehr zu tun. Ein wenig verbittert vermerkt er in einem 2011 bei Suhrkamp erschienenen ➱Buch: Nachdem mir meine Universität bald nach der Emeritierung, entgegen älteren Versprechen, die Forschung der Emeriti zu unterstützen, die Schreibhilfe einer Sekretärin entzogen hatte, blieb mir nur die ad hoc gewährte Hilfe meiner Töchter Dorothea und Barbara sowie von Frau Maja Schepelmann (Universität Aachen, Philosophisches Institut). Vor allem habe ich meiner Frau Judith für alles übrige zu danken. Ich habe das mit Amüsement gelesen. So sind sie eben, die Universitäten. Als Erwin Chargaff emeritiert wurde, hat seine Uni eine Woche später an den Türen seiner Labore die Schlösser ausgewechselt.

Wenn Sie bisher durchs Leben gekommen sind, ohne Karl-Otto Apel zu kennen: O.K., das geht. Wahrscheinlich haben Sie einen dicken Band Montaigne oder Schopenhauer auf dem Nachttisch. Oder hatten niemals Zweifel an Kant. Wenn Sie Apel kennenlernen und den kühnen, mitreißenden Gedankenzügen dieses erstaunliche Zusammenhänge konstruierenden Kopfes folgen (so Jürgen Habermas) wollen, kann ich den relativ schmalen Band Karl-Otto Apel zur Einführung von Walter Reese-Schäfer empfehlen. Der sich leider beim Junius Verlag trotz des Nachwortes von seinem Studienfreund Habermas schlecht verkauft hat. Vielleicht ändert sich das ja noch einmal. Ich gratuliere erst einmal Karl-Otto Apel ganz herzlich zum Geburtstag.


1 Kommentar:

  1. Das oben erwähnte Interview von Dr. Nicole Holzenthal ist nun als Einteiler in C&H Magazin (unter www.cima-holzenthal.com) zu sehen.

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