Mittwoch, 15. Februar 2017

Yellow Press


Die berühmte ➱Clara Barton, Gründerin des amerikanischen Roten Kreuzes und Heldin des amerikanischen Bürgerkriegs ist im Jahre 1898 im revolutionären Kuba. Die Verhältnisse in den Gefängnissen von Valeriano Weyler schreien geradezu nach dem Roten Kreuz. Auf jeden Fall sind da hunderte von amerikanischen Reportern auf der Insel, die so etwas nach Washington drahten. Washington schickt das Kriegsschiff USS Maine zu einem 'Freundschaftsbesuch' nach Havanna. Der Kapitän Charles Dwight Sigsbee lädt Clara Barton auf sein Schiff ein. Sie wird in ihren Memoiren schreiben: A cordial invitation from Captain Sigsbee to visit the "Maine" that afternoon had been received. His launch courteously came for us; his officers received us; his crew, strong, ruddy and bright, went through their drill for our entertainment, and the lunch at those polished tables, off glittering china and cut glass, with the social guests around, will remain ever in my memory as a vision of the "Last Supper."

Und ein Last Supper ist es für viele gewesen. Es ist nie geklärt worden, weshalb das Schlachtschiff Zweiter Klasse USS Maine am 15. Februar im Hafen von Havanna in die Luft geflogen ist. Alles spricht heute für einen Schwelbrand im Kohlebunker. Aber die sogenannte öffentliche Meinung weiß im Jahre 1898, dass es natürlich die Spanier gewesen sind, die das Schiff torpediert haben. Maine Blown up by Torpedo titelte das San Francisco Chronicle mit Großbuchstaben. Und darunter ganz klein: Such is the belief now gaining ground. Dr Johnsons Satz There is no crime more infamous than the violation of truth interessiert niemanden mehr. Kellyanne Conway und Sean Spicer vollenden heute das, was Joseph Pulitzer und William Randolph Hearst angefangen haben.

Die Herren Pulitzer und ➱Hearst sind berühmt dafür geworden, dass sie den Sensationsjournalismus perfektioniert haben. Und sie werden unglaublich reich damit werden. So wie Axel Springer, dem die Leser seiner Bild Zeitung seinen Rolls-Royce, das ➱Gut Schierensee, die Apanage für viele Ehefrauen und die Abfindungen für die zahlreichen Geliebten bezahlt haben. Mit Lügen kann man immer gut verdienen. Es war ein schöner ➱Augenblick, als der Bundespräsident ➱Theodor Heuss dem Verleger Axel Springer sagte: Sie sind der Verderber der Presse.

Yellow Press heißen die amerikanischen Erzeugnisse nach einem Comic The Yellow Kid, bei dem die Figur des Yellow Kid gelb eingefärbt war: They colored the comics but they colored the news as well. Auf diesem Cartoon sind die niedlichen yellow kids Joseph Pulitzer und William Randolph Hearst gerade beim Spielen, was sie mit ihrem Spielzeug zusammenbasteln, heißt War. Die ➱Sensationspresse schreit: Remember the Maine. To hell with Spain!, der Spanisch-Amerikanische Krieg ist unausweichlich. Das ist der Krieg, in dem Teddy Roosevelt mit seinen rough riders seine Cowboyphantasien ausleben kann. Ein anderer Cowboydarsteller im Weißen Haus namens Ronald Reagan wird noch 1987 in einer Rede vor Marinekadetten den Schlachtruf Remember the Maine ausstoßen, einen Schlachtruf der nach dem ➱Remember the Alamo gebildet wurde. Muss man noch erwähnen, dass es einen Remember the Maine Cocktail gibt? Ein Brettspiel auch. Man kann alles vermarkten.

Plakative Schlagzeilen sind in Amerika immer gut. Das beginnt schon früh in der amerikanischen Geschichte. Beim sogenannten Boston Massacre (das die Engländer zurückhaltend als Incident on King Street betitelten) sind fünf Menschen umgekommen. Reicht das für den Begriff Massaker? Beim Bowling Green Massacre sind überhaupt keine Menschen umgekommen, das Massaker hat ➱Kellyanne Conway erfunden. Wir leben heute in einer Welt der Fake News und der alternative facts. Auch schon 1898, als die Yellow Press den Spanisch-Amerikanischen Krieg zum Laufen bringt. Und Thomas Edison die ersten filmischen Fälschungen ins Kino bringt: diese Erschießung von Aufständischen hat nie stattgefunden. Da ich Ronald Reagan gerade erwähnt habe: er ist übrigens derjenige, der das Make America Great Again lange vor Donald Trump verwendet hat, das muss einmal gesagt werden.

Hundert Jahre nach dem Beginn des ➱splendid little war unterzog die ➱New York Times die Rolle der Presse im Jahre 1898 einer kritischen Betrachtung. In dem Artikel konnte man lesen: Many an American history student will recall the telegraphed exchange between William Randolph Hearst, publisher of The New York Journal, and Frederic Remington, the great illustrator of the American frontier dispatched by Hearst to Cuba to cover the Cuban guerrilla uprising against Spain. ''There will be no war,'' Mr. Remington wired home. ''I wish to return.'' Hearst, bent on beating Joseph Pulitzer's New York World at the newsstands, told the artist to do no such thing: ''You furnish the pictures and I will furnish the war.'' So schön die Geschichte ist, sie ist wahrscheinlich nicht wahr. Wie so vieles aus der Zeit des Beginns der Yellow Press.

Es ist nicht das Jahr 1898, in dem die Fake News zu Kuba beginnen, es hat schon früher angefangen. Schon im Jahre 1895 hatte ein gewisser Ambrose Bierce, Hauptmann im Bürgerkrieg, den Zustand der amerikanischen Presse beschrieben als: War—Horrid War!—between the United States and Spain has already broken out like a red rash in the newspapers, whose managing commodores are shivering their timbers and blasting their toplights with a truly pelagic volubility and no little vraisemblance. Da müssen sich amerikanische Frauen vor spanischen Beamten nackt ausziehen, entwürdigend. Was würde Trump da twittern? Nichts an dieser Geschichte, die Frederic Remington ins Bild gesetzt hat, ist wahr.

Mit dem Spanisch-Amerikanischen Krieg und der Besetzung Kubas  waren die Amerikaner zu dem geworden, was man heute einen Global Player nennt, vorher hatten sie gezögert, in die Weltpolitik einzugreifen. Mit Kuba und den ➱Philippinen sind sie mittendrin im Imperialismus. ➱Take Up the White Man's Burden hatte Rudyard Kipling die USA aufgefordert. Um seinem Gedicht noch mehr Nachdruck zu verleihen, hatte Kipling damals an Roosevelt geschrieben: Now, go in and put all the weight of your influence into hanging on, permanently, to the whole Philippines. America has gone and stuck a pick-axe into the foundations of a rotten house, and she is morally bound to build the house over, again, from the foundations, or have it fall about her ears. Kiplings Take Up the White Man's Burden ist das klassische Gedicht des Imperialismus geworden (lesen Sie ➱hier mehr). Es forderte natürlich zu Parodien und Cartoons heraus. Wie diesem, der den Titel hat: The British John Bull and the American Uncle Sam bear The White Man's Burden (Apologies to Rudyard Kipling), taking the coloured peoples of the world to civilisation.

Auf dem alten Globus meines Opas, der bei mir auf dem Fensterbrett steht, ist der größte Teil der Welt mit einem rötlichen Pink gefärbt, das stand 1900 für England. Jetzt wollen die USA auch einen Teil von dem Kuchen. Mit der Quasireligion der ➱Manifest Destiny hatte man Amerika erobert und Mexiko viel Land weggenommen. Aber ➱The Winning of the West reicht den Amerikanern nicht aus, jetzt kämpft der Cowboy Roosevelt mit seinen Rough Riders gegen Spanien. Man eignet sich nicht nur Kuba an, auch Puerto Rico wird von Amerika abhängig. Man hat keine Kolonien wie die europäischen Großmächte, man hat jetzt Außengebiete.

Das Schiffsunglück im Hafen von Havanna produziert eine Vielzahl von Gedichten und Liedern, die es aber nicht wie Fontanes John Maynard oder Gerald Manley Hopkins' The Wreck of the Deutschland in die Anthologien schafften. Die in ihrem patriotischen Gehalt natürlich interessant sind, ich zitiere von einem ➱Lied einmal den Refrain:

We'll never forget the sad events of that night. 
Our lads were killed, with no chance to fight; 
The foul deed was done by treach'rous Spain. 
That's why America fought and avenged the Maine.

Und dann hätte ich auf einer hervorragenden Dokumentationsseite der Lieder aus den Ozarks noch My Sweetheart went down with the Maine. Einmal gesungen von ➱Mrs Barnes. Und dann noch von ➱Mrs Scruggs, da wird das richtig peppig:

Once I had a sweetheart,
Noble, brave, and true,
Fearless as the sunrise,
Gentle as the dew.
We had loved and waited.
He had named the day.
We had pledged to wed each other
In the month of May.
We had pledged to wed each other
In the month of May.
Out on the high sea he sailed,
Under the red, white, and blue,
Faithful to country and home,
Faithful to captain and crew.


Anchored in Havana
On a Cuban shore,
Conscious of no danger,
Dreaming love days o'er.
Peacefully he slumbered
In a hammock bed,
While the stars with glowing beauty
Benediction said,
And while the stars with glowing beauty
Benediction said.
Then came a death . . . crash,
Wrecked the vessel in twain.
Down went my sweetheart to death,
Down with the gallant ship Maine.

Der Kapitän Charles Dwight Sigsbee (hier sein Telegramm an den Marineminister), der unter Admiral Farragut im Bürgerkrieg gedient hatte, hat das Unglück überlebt. Er ➱telegraphiert am nächsten Tag seiner Gattin: Maine blown up last night totally wrecked all officers Saved but Jenkins and Merritt who were probably Killed about 250 Killed I am uninjured but have lost absolutely Everything but thin Sack Coat trousers and shirt will borrow money of General Lee estimate My pecuniary loss fifteen hundred dollars CD Sigsbee.

Sigsbees Taschenuhr hat den Untergang des Schiffes auch überstanden. Die hatte ihm der Taucher, der die militärischen Papiere aus dem Schreibtisch holen sollte, mit nach oben gebracht. Er dachte, dass er dem Kapitän, der gerade sein Schiff verloren hatte, damit eine kleine Freude machen könnte (lesen Sie mehr dazu in dem Post ➱Havanna). Sigsbee hatte große Schwierigkeiten gehabt, überhaupt einen Taucher zu finden, die waren alle schon von den Journalisten, die in Heerscharen in Havanna ankommen, unter Vertrag genommen. Sigsbee spült die Taschenuhr mit klarem Wasser aus, füllt sie dann voller Öl und schickt sie an den Hersteller. Das hat er schon zweimal gemacht, Admirale gehen manchmal über Bord. Ist nicht so schlimm. Wenn die Wahrheit über Bord geht, ist das viel schlimmer.

Die Wahrheit ist das erste, das in einem Krieg über Bord geht (Aischylos und hundert andere sollen das gesagt haben). Wenn der Satz stimmt, dann führt Donald Trump gerade Krieg. Oh Mann, was hätten Pulitzer und Hearst diesen Kerl mit den aufgenähten Ponyfelllappen gebrauchen können!

1 Kommentar:

  1. Ich dachte immer, Pulitzer-Preisträger hätten einen würdigen Namenspatron für ihre Auszeichnung.

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