Stelle dir nemlich vor, daß es einen derartigen Schiffs-Eigner, sei es vieler Schiffe, oder sei es eines einzigen, gebe, welcher an Größe und Stärke alle im Schiffe befindlichen übertrifft, aber halbtaub und in gleicher Weise kurzsichtig ist und eine diesen Eigenschaften entsprechende Einsicht in das Seewesen hat, hiebei aber die Bootsleute unter sich betreffs der Lenkung des Schiffes im Zwiespalte seien, indem jeder derselben Steuermann sein zu müssen glaubt, welcher weder jemals diese Kunst gelernt hat, noch auch irgend einen Lehrer in derselben, oder eine Zeit, wann er sie gelernt habe, aufweisen kann, und noch dazu Alle behaupten, sie könne gar nicht gelehrt werden, und gleich zur Hand sind, jenen, welcher sie als eine lehrbare bezeichnet, in Stücke zu hauen, sie selbst aber den Schiffseigner immer mit Bitten und allem Uebrigen umlagern, damit er ihnen das Steuerruder anvertraue, und zuweilen, wenn nicht sie, sondern etwa irgend Andere dieses durchsetzen, sie dann diese Anderen tödten oder aus dem Schiffe werfen, jenen köstlichen Schiffseigner aber durch einen Schlaftrunk oder durch Weingenuß oder durch irgend ein anderes Mittel in Fesseln schlagen und die Herrschaft über das Schiff den Mitsegelnden überlassen und trinkend und schwelgend eben dahinfahren, wie es von Derartigen zu erwarten ist, dabei aber als Seemann und als befähigt zur Führung des Steuerruders und als Schiffskundigen überhaupt denjenigen bezeichnen und lobpreisen, welcher gewandt ist, Hand mit anzulegen, damit sie entweder durch Ueberredung oder durch Bewältigung des Schiffs-Eigners die Herrschaft ausüben, und denjenigen, der dieß nicht kann, als einen Unbrauchbaren tadeln, betreffs des wahrhaften Steuermannes aber nicht einmal eine Ahnung davon haben, daß er nothwendig seine Sorgfalt auf das Jahr und seine Zeiten und auf den Himmel und seine Gestirne und auf die Winde und überhaupt auf Alles zu jener Kunst Gehörige richten muß, woferne er in Wirklichkeit ein Herrscher des Schiffes sein soll, sondern es sogar für eine Unmöglichkeit halten, daß man betreffs der Art und Weise der Lenkung, mag dieselbe Einigen erwünscht sein oder nicht, irgend eine Kunst und regelrechte Uebung zugleich neben der eigentlichen Steuermannskunst erreichen könne.
Ich weiß, das ist ein wenig umständlich und vertrackt, kein Punkt, kein Absatz. Es ist Plato über den Staat in der Übersetzung von Carl von Prantl. Man muss es vielleicht zweimal lesen. Der Herr, den die Möbelpacker (der wunderbare Cartoon stammt von ➱Clay Bennett) hier beliefern, kann es zehnmal lesen, er wird es nicht verstehen. Der Text über Schiffseigner ist eigentlich recht aktuell, und damit meine ich jetzt nicht den ➱Herrn Kortüm. Ich will darauf hinaus, dass man den Staat als Schiff sehen kann. Diese Metapher brauche ich gleich. Plato versteht viel von der griechischen ➱Mentalität, wenn er von einem Schiffs-Eigner, sei es vieler Schiffe, oder sei es eines einzigen spricht - er ahnt die Herren Niarchos und Onassis schon voraus.
Ich habe da diesen schönen Cartoon gefunden, mit dem wir wieder beim Schiff des Staates sind. Der Schiffseigner, der halbtaub und in gleicher Weise kurzsichtig ist, ist auch zu sehen, es ist der Herr mit den gelben Haaren. Die politische Karikatur kann ja viel, wenn Sie sich vielleicht noch einmal den Cartoon ➱The White Man's Burden in dem Post ➱Yellow Press anschauen, da sagt ein Bild auch noch nach hundert Jahren mehr als tausend Worte. Dieser Cartoon von dem englischen Karikaturisten Martin Rowson ist ganz frisch, vierzehn Tage alt. Er zeigt Michael Flynn, den ehemaligen Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten, wie er das Staatsschiff verlässt. Er geht einen Niedergang hinunter, das ist ein nautisches Wort für diese Treppe. Der Niedergang, den Flynn benutzt ist aber auch sein Niedergang. Oben warten neben einem Schild, auf dem Line for Trump Dump steht, unsere alternative facts Kellyanne und Sean Spicer. Die werden wohl als nächste von Bord gehen, jene Bootsleute, die selbst aber den Schiffseigner immer mit Bitten und allem Uebrigen umlagern, damit er ihnen das Steuerruder anvertraue.
Neben der Signatur von Martin Rowson steht after Tenniel auf dem Cartoon. Diesen John Tenniel, der am 28. Februar 1820 geboren wurde, kennen wir, er ist der Zeichner, der mit leichter Hand ➱Alice in Wonderland illustriert hat (Sie können das Buch hier im ➱Volltext lesen). Wobei man vielleicht sagen sollte, dass die Zusammenarbeit zwischen Lewis Carroll und John Tenniel nicht immer einfach war. Ich lasse Lewis Carroll, dieses Genie, diesen verklemmten Spinner, heute mal einfach weg. Er hat schon genügend Platz in diesem Blog in den Posts ➱Go ask Alice, ➱Charles Lutwidge Dodgson und ➱Alice bekommen.
Wir bleiben noch einen Augenblick bei John Tenniel, den die Königin ➱Victoria 1883 zum Ritter geschlagen hat. Er war der erste englische Cartoonist, der es soweit gebracht hatte. George III, der die ständige Zielscheibe der politischen Karikatur war, wäre wohl kaum auf die Idee gekommen, die Herren ➱Gillray, ➱Rowlandson oder ➱Cruikshank zu adeln. John Tenniels Kollegen beim Punch nahmen das mit Befriedigung auf, endlich war ihr Berufsstand reputierlich geworden. Es ist der Königin nicht furchtbar schwergefallen, Tenniel zum Ritter zu schlagen, denn der ➱Punch behandelte die Monarchin mit ➱Samthandschuhen.
Dies ist der wohl berühmteste Cartoon von Sir John. Dropping the Pilot erschien im März 1890 im Punch, da war Bismarck gerade als Kanzler zurückgetreten, weil er sich mit Wilhelm II nicht verstand. Im Deutschen hat die Zeichnung den Titel ➱Der Lotse geht von Bord, was etwas ganz anderes als der englische Titel ist: Während die deutsche Version so etwas wie einen freiwilligen Rückzug Bismarcks aus seinen politischen Ämtern signalisiert, deutet die englische Fassung zu Recht an, dass der Lotse weggeschickt wird, weil der Kapitän (Wilhelm II.) ihn an Bord nicht mehr haben will, da er selbst das Kommando zu übernehmen gedenkt. Die Metaphorik des Bildes ist mit Händen zu greifen: das Schiff als das Deutsche Reich; das Meer als das Feld der Politik, auf dem sich Deutschland behaupten muss; der Lotse als die Person, von der der Kurs und die Sicherheit des Staates abhängen.
Es ist ein Cartoon, der in seiner Struktur immer wieder verwendet worden ist. Martin Rowson, der Michael Flynn von Bord gehen lässt (wobei dort statt des Ruderboots ein sowjetisches U-Boot liegt), ist nicht der erste, dem das eingefallen ist. Der unbekannte Zeichner des Titelbilds des Spiegel auch nicht. 1990 veranstaltete das Wilhelm Busch Museum in Hannover die Ausstellung Der Lotse geht von Bord: zum 100. Geburtstag der weltberühmten Karikatur, da konnte man viele Varianten sehen. Den Katalog kann man noch finden, er ist aber teurer als dieses Exemplar vom Spiegel, das auch schon Sammlerwert hat. Ob der ➱Steinbrück, der nicht von Bord, sondern an Bord geht, auch etwas wert ist, weiß ich nicht. Hat das Schiff des Staates davon profitiert, dass der Lotse Steinbrück an Bord gehen wollte? Ich zitiere da lieber zum Schluss noch einmal den Satz des Petronius, den ich schon in dem Post ➱Andrea Doria gebrauchte: Si bene calculum ponas, ubique naufragium est.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen