Mittwoch, 1. März 2017

Harry Belafonte


Mein Freund Hombre hat mir vor Wochen eine Mail geschickt: Harry Belafonte wird am 1. März 90 Jahre alt. Vielleicht willst Du ihm ja ein paar Zeilen widmen. Und da gab es in der Mail noch einen Link zu dem Artikel ➱Harry Belafonte Knows a Thing or Two About New York. Hombre weiß auch ein oder zwei Dinge über New York. Ich habe nicht vergessen, wie er mich damals anrief, als er Assistant Professor am Queens College war, um mir zu sagen: Jay, I have been mugged. Wenn man ausgeraubt wird, dann ist man ein richtiger New Yorker. Ich bin natürlich jederzeit bereit, über Belafonte zu schreiben. Vor allem, wenn er neunzig wird. Allerdings gab es vor fünf Jahren schon einen ➱Post zu Harry Belafonte. Den könnte ich heute nicht besser schreiben, deshalb stelle ich ihn mit kleinen redaktionellen Änderungen (und vielen Klangbeispielen) heute hier hin.

Harry Belafonte, der im amerikanischen Wahlkampf für Bernie Sanders war, unterstützt eine Initiative die  Stop Hate Dump Trump heißt. Man hat dort eine simple Botschaft: We believe Trump is a grave threat to democracy, freedom, human rights, equality, and the welfare of our country and all our people. We have witnessed Trump inciting hatred against Muslims, immigrants, women, the disabled. We have seen him evidencing dangerous tendencies that threaten the bedrock of democracy: unleashing a lynch mob mentality against protestors, calling for the expulsion of Muslims from the country, bullying, and fear-mongering. History has shown us what happens when people refuse to stand against hate-filled leaders. We pledge ourselves to speak out in every way possible against the politics of hate and exclusion he represents. Belafonte, der sein Leben lang für die Menschenrechte gekämpft hat, der an der Seite von Martin Luther King marschierte, ist auch mit neunzig nicht müde geworden. Sie sollten mal eben in dies ➱Video schauen, es ist sehr eindrucksvoll mit welcher Einfachheit und Würde Belafonte redet. Im Vergleich dazu könnten Sie sich natürlich ein Donald Trump ➱Video angucken. Und da ich bei Videos bin, habe ich hier noch etwas Schönes, ➱Harry Belafonte und Noam Chomsky im Gespräch.

Fünfzig Jahre hat es gedauert, bis diese LP als CD erschienen ist. Seit dem Beginn des CD Zeitalters habe ich danach gesucht, man bekam beinahe alles von Harry Belafonte auf CD, aber nicht ➱Belafonte Sings the BluesMeine gute alte LP von RCA Victor mit dem Living Stereo Aufdruck hatte mit der Zeit etwas gelitten. Und jetzt kann man sie mit einem Klick kaufen. Das war Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre noch anders, da brauchte man viel Zeit und Geduld, um an Harry Belafonte Platten zu kommen. Was ich bei ➱AFN und BFN im Radio hörte, konnte man nicht einfach im Laden kaufen. Die Suche nach einer Platte, von der man gehört hatte, wurde zu einer Gralssuche, zu einer âventiure durch Dutzende von kleinen und großen Plattenläden. Und wenn man das Objekt seiner Begierde endlich gefunden hatte, dann bedeutete es einem mehr, als heute auf das Feld Jetzt mit 1-ClickⓇ kaufen bei Amazon zu gehen.

Als der Vater meiner damaligen Freundin (rothaarig, sommersprossig) beruflich in die USA flog (was 1960 noch ein großes Ereignis war), habe ich ihn gebeten, mir Belafontes ➱Calypso (die erste LP, die mehr als eine Million mal verkauft wurde) mitzubringen. Hat er auch getan, aber er hat mich mit einem Gesicht angeguckt, das ganz klar sagte, dass ich nicht der richtige Typ für seine Tochter sei. Auf der LP ist der ➱Banana Boat Song drauf, einer der größten Erfolge von Belafonte: That song is a way of life. It's a song about my father, my mother, my uncles, the men and women who toil in the banana fields, the cane fields of Jamaica.

Die LP ➱Belafonte at Carnegie Hall hat mir ➱Ekke aus New York geschickt, und dafür bin ich ihm ewig dankbar. Für die Platten musste ich zum Hauptzollamt nach Bremen und musste vor drei pedantischen deutschen Beamten die LPs aus der Verpackung fingern. Offensichtlich war ich der erste, der Platten aus Amerika bekam. Zollbeamte waren damals gründlich und eklig, sie waren keinesfalls so wie der ➱Zollfahnder Kressin. Ich weiß noch, als ich Jahre später beim Hauptzollamt Kiel die in England bestellte ➱Cricketausrüstung Teil für Teil auspacken musste. Irgendwann sagte einer der Herren in Grün: Glauben Sie mal ja nicht, dass wir so was zum ersten Mal sehen.

Auf der alten LP stehen unter dem Plattentitel Belafonte sings the Blues die Lieder, die Belafonte singt. Drei Titel von Ray Charles, einer (➱God Bless the Child) von ➱Billie Holiday. Auf der neuen CD stehen da die Namen, die für RCA damals (selbst im Kleingedruckten) nicht erwähnenswert waren: Roy Eldridge, Don Fagerquist, Ben Webster, Plas Johnson, Hank Jones, Jimmy Rowles, Howard Roberts, Laurindo Almeida. Für RCA waren das damals nur gemietete Musiker für die Hintergrundmusik, für Jazzfans heute sind das klangvolle Namen. Als Belafonte berühmt war, hat er viele junge Musiker gefördert. Ich werde es natürlich nicht auslassen zu erwähnen, dass auf ➱Midnight Special 1962 ein junger Mann namens ➱Bob Dylan seinen ersten Auftritt hat (wenn Sie den Link anklicken, können Sie ihn hören).

Belafonte hat in Jazzclubs (unter anderem dem Birdland) angefangen, bei seinem ersten öffentlichen Auftritt hatte er keine geringeren als Charlie Parker und ➱Miles Davis an seiner Seite. Vielleicht hätte er, wie Johnny Hartman mit ➱Coltrane an seiner Seite, dabei bleiben sollen. Eine Kombination von Belafonte und ➱Charlie Parker hätte etwas werden können. Variety sprach von still a vocalist of promise, aber eine Konkurrenz für jemanden wie ➱Billy Eckstein war er nie. Wenn Sie wissen wollen, wie der Belafonte der Jazz Clubs klang, dann klicken Sie mal eben ➱Recognition an. Wirklich glücklich ist Belafonte in den New Yorker Clubs nicht gewesen.

Aber damals begann Folk Music eine neue Sache zu sein, und Belafonte importierte jetzt die Musik Jamaicas nach New York. Immerhin hatte er da einen Teil seiner Jugend verbracht. Belafonte ist nicht der einzige, der das tat. Wenn man sich die CD London Is The Place For Me: Trinidadian Calypso In London, 1950-1956 von Lord Kitchener anhört (die auch ein hervorragendes Booklet besitzt. Sie können die ganze CD übrigens ➱hier hören), merkt man, dass auch London jetzt im Bann dieser Musik ist. Auf jeden Fall seit 1948 die MV Empire Windrush die ersten Einwanderer aus der Karibik nach London gebracht hatte. Weil der British Nationality Act von 1948 das jetzt erlaubte - lesen Sie mehr dazu in dem Post ➱Notting Hill.

Belafonte ist seinen ganz eigenen Weg gegangen, der schon früh das einschloß, was man später Weltmusik genannt hat. Er ist im Lauf der Zeit kommerzieller geworden und hat auch schlimmen Kitsch gesungen. Wenn er süßlich ➱Scarlet Ribbons singt, sträuben sich bei mir immer die Nackenhaare. Aber er hat das Lied schon ganz früh gesungen, wie man auf der Naxos CD Matilda, Matilda: Original Recording 1949-1954 hören kann (der Link oben führt zu der Aufnahme von 1952).

Belafonte ist auch als kritischer Bürger der USA seinen eigenen Weg gegangen. Das letzte Kriegsjahr war er noch als Freiwilliger in der US Navy, die fünfziger Jahre finden ihn an der Seite von Martin Luther King. Für das ➱Civil Rights Movement ist er sein Leben lang (auch finanziell) eingetreten, da ist Paul Robeson sein lebenslanges Vorbild gewesen. Er ist auch keinem politischen Streit aus dem Weg gegangen. Zum Beispiel als er den Verteidigungsminister Colin Powell attackierte: There is an old saying, in the days of slavery. There were those slaves who lived on the plantation, and there were those slaves who lived in the house. You got the privilege of living in the house if you served the master, do exactly the way the master intended to have you serve him. That gave you privilege. Colin Powell is committed to come into the house of the master, as long as he would serve the master, according to the master's purpose. And when Colin Powell dares to suggest something other than what the master wants to hear, he will be turned back out to pasture. And you don't hear much from those who live in the pasture.

Er stand auf den schwarzen Listen während der McCarthy Zeit, er wurde in Hotels nicht bedient, weil er farbig war. Aber er ist gradlinig, wie sein Vorbild Paul Robeson, seinen Weg gegangen. Wenn man die Interviews liest, die Günter Amendt Anfang der achtziger Jahre mit ihm geführt hat (Was mich bewegt: Gespräche mit Günter Amendt. Konkret Literatur Verlag 1982), kann man sehen, dass dieser Mann mehr ist als ein Entertainer. 1997 hat Belafonte in einer Rede vor den Veteranen der Abraham Lincoln Brigade (hier im ➱Volltext) über Paul Robeson gesagt:

Shortly before he died, I visited him in Philadelphia. He was living at his sister's. And I looked at this giant of a man who was, quite frail in body, but still strong in spirit. And through all that had engulfed him -- McCarthyism, the difficult times that he faced in this country because of his beliefs, because of his resistance to oppression -- I looked at him, and I said, 'Paul, I must know. Was all that you have gone through, really worth it? Considering the platform you had gained, and how easy life could have been for you, was it worth it?' And he said, `Harry, make no mistake: there is no aspect of what I have done that wasn't worth it. Although we may not have achieved all the victories we set for ourselves -- may not have achieved all the victories and all the goals we set for ourselves, beyond the victory itself, infinitely more important, was the journey.'

Vor einem halben Jahrhundert war es seine Stimme, waren es Platten wie CalypsoBelafonte Sings the Blues und Belafonte at Carnegie Hall, die mich faszinierten. Ich lernte die Texte auswendig, dafür musste man die Platten immer wieder hören. Mein Schulenglisch bekam einen leicht karibischen Klang. Belafontes Platten faszinieren mich heute noch. Ich hatte zwar nie eine Freundin in Kingston, aber manchmal bringt mich ➱Jamaica Farewell zum Heulen: But I'm sad to say I'm on my way Won't be back for many a day My heart is down, my head is turning around I had to leave a little girl in Kingston town. Aber noch mehr als seine Musik bewundere ich seinen Lebensweg. Harry Belafonte wird heute neunzig. Von hier aus ein Happy Birthday in die USA. Und ein ewiges Dankeschön für all die Musik.


Harry Belafonte ist in diesem Blog kein Unbekannter, Sie könnten jetzt noch lesen: Lisbeth, The Kingston Trio, Sigmund Freud, Bobby Darin, Lena Horne, Morning has broken, Edward VIII, Nina van Pallandt, St Patrick's Day, The Times They Are A-Changin', Balladen, Schwarzenbek, Germanisten, Abdankung, Chevy Chase

1 Kommentar:

  1. Lieber Jay,
    über diesen Post habe ich mich sehr gefreut und eine Amiga Schallplatte hervor gekramt.
    Mit musischen Grüßen.

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