Sie malt Tiere, diese Rosa Bonheur, die am 16. März 1822 geboren wurde (ich habe das am 16. mit dem 195. Geburtstag leider verpasst, weil ich noch mit der ➱Berliner Mode beschäftigt war). Sie ist die berühmteste Tiermalerin ihrer Zeit, wenn nicht die berühmteste Tiermalerin überhaupt: la plus grand peintre animalière du monde. Gut, da ist natürlich noch der Engländer George Stubbs (der schon mit ➱George Stubbs und ➱Bildbeschreibung zwei Posts hat), aber der verstand sich eigentlich nicht als animalier. Rosa Bonheur ist in diesem Blog schon einige Male erwähnt worden, in dem Post ➱Sir Henry von Schroder findet sich ihr Bild ➱Weidewechsel, das in der Hamburger Kunsthalle hängt. Dieses Portrait von ihr hat ihr Kollege Édouard Dubufe gemalt. Wenn sie den Arm um einen Bullen legt, dann hat das schon seine Bedeutung: In Wirklichkeit interessiere ich mich, was männliche Wesen anbelangt, nur für die Stiere, die ich male.
Dies ist ein Altersportrait der Malerin, gemalt ein Jahr vor ihrem Tode von einer amerikanischen Malerin, die dreiunddreißig Jahre jünger ist als die französische Tiermalerin. Sie heißt Anna Elizabeth Klumpke, seit ihrer Kindheit schwärmt sie für Rosa Bonheur. Als sie selbst Malerin geworden war, will sie unbedingt ihr Vorbild malen (sie hat auch die Frauenrechtlerin Elizabeth Cady Stanton gemalt). Anna Klumpke wird Rosa Bonheur 1889 unter dem Vorwand kennenlernen, dass sie die Übersetzerin für einen amerikanischen Pferdehändler sei. Wenig später wohnt sie mit Bonheur auf deren Schloss. Auf diesem Bild hier trägt Rosa Bonheur den Orden der Ehrenlegion.
Auf diesem Photo auch. Die Kaiserin Eugénie war 1865 persönlich zu dem kleinen Schloss von Rosa Bonheur gekommen und hatte sie persönlich zum Chevalier de la Légion d'Honneur ernannt: Vous voilà chevalier, je suis heureuse d'être la marraine de la première femme artiste qui reçoive cette haute distinction. Jahrzehnte später wurde ihr der nächsthörere Rang eines Officier de la Légion d’Honneur verliehen, sie war die erste Frau, der diese Ehre zuteil wurde. Später gab es noch andere: Marlene Dietrich, Mireille Matthieu, Barbra Streisand. Und Beate Klarsfeld.
So ganz gefallen hat der Kaiserin der Besuch im Chateau de By im Wald von Fontainebleau nicht unbedingt. Und das hat mit dem Satz In Wirklichkeit interessiere ich mich, was männliche Wesen anbelangt, nur für die Stiere, die ich male. Rosa Bonheur lebt da nämlich mit ihrer Freundin Nathalie Micas zusammen. Als die Kaiserin unverhofft kommt, liegt Nathalie in der Badewanne, und Rosa muss die Tür zum Bad mit dem Fuß sehr unzeremoniell zukicken, um Eugénie zu empfangen. Seit Rosa vierzehn ist, wird die zwei Jahre jüngere Nathalie nicht von ihrer Seite weichen (die Familie Micas hatte nach dem Tod von Rosas Vater seine Schulden bezahlt und die junge Rosa bei sich aufgenommen). Seit sie vierzehn ist, ist Rosa Bonheur auch im Louvre, um Bilder zu kopieren. Besonders Bilder des holländischen Tiermalers ➱Paulus Potter. Sie hat das Ziel, als Malerin eine zweite Élisabeth Vigée-Lebrun zu werden. Das läßt ihre Biographin Anna Elizabeth Klumpke sie in ihrer ➱Biographie sagen, die, in der ersten Person Singular geschrieben, häufig für eine Autobiographie gehalten wurde.
Das Wachpersonal des Louvre nennt sie le petit hussard, den kleinen Husaren. Weil sie Männerkleidung trägt. Das ist natürlich praktisch, wenn man sich mit einem Löwen im Sand wälzt (Rosa Bonheur hält sich mehrere Löwen in ihrem Privatzoo), wenn sie sich für Anatomiestudien und Tierskizzen in den Pariser Schlachthöfen und auf dem Pferdemarkt aufhält. Aber so ganz comme il faut ist das nicht. Denn da gibt es das Gesetz vom 26. Brumaire des Jahres 1801: Jedwede Frau, die sich wie ein Mann zu kleiden wünscht, ist gehalten, sich bei der Polizeipräfektur zu melden und eine Bewilligung zu beantragen, die nur aufgrund eines Zertifikats eines Beamten der Gesundheitsdienste ausgestellt werden kann.
Alle sechs Monate muss sie sich bei der Präfektur eine neue Erlaubnis erteilen lassen, um sich als Mann zu verkleiden, um dergestalt bei Schauspielen, Bällen und in anderen öffentlichen Örtlichkeiten mit Publikum aufzutreten. Auch die berühmte Schriftstellerin George Sand musste derartige Anträge stellen, damit sie in Hosen herumlaufen konnte. Sie können hier eine solche Permission de Travestissement sehen. Das Hosengesetz aus der französischen Revolution ist erst vor einigen Jahren von der französischen Frauenrechtsministerin Najat Vallaud-Belkacem für ungültig erklärt worden, aber da wusste eigentlich niemand mehr, dass es dieses Gesetz immer noch gab.
Das hier sind nicht Rosa Bonheur und Nathalie Micas, das sind Charlotte Butler und Sarah Ponsonby, die ihre adlige Verwandtschaft in Irland verlassen haben und in Llangollen in Wales ein halbes Jahrhundert zusammen leben. Beinahe jeder wird die Ladies of Llangollen besuchen, der Herzog von ➱Wellington ebenso wie ➱William Wordsworth, ➱Walter Scott und ➱Lord Byron. Elizabeth Mavor hat über die Damen ein schönes Buch geschrieben, das auch auf deutsch erschienen ist (Die Ladies von Llangollen: Eine Studie über romantische Freundschaft). Simone de Beauvoir hat über die Ladies gesagt: Die Vereinigung der Sarah Ponsonby mit ihrer Geliebten dauerte ungetrübt an die 50 Jahre lang. Sie haben es anscheinend verstanden, sich am Rand der Welt ein friedliches Eden zu schaffen.
Vielleicht haben Bonheur und Micas mit ihrer amitié sentimentale auch ein friedliches Eden gehabt. Dieses Bild (2,50 mal 5 Meter), das Nathalie Micas begonnen hatte, und das Rosa Bonheur vollendete, wird soviel einbringen, dass Rosa das Chateau de By kaufen kann. Nathalie Micas, die selbst eine Malerin (sie malt gerne Katzen) und eine Amateurtierärztin ist, bringt ihre Mutter mit. Die wird sich um die Löwen kümmern. Es ist eine seltsame Menage. Die Königin Victoria wird von dem Bild begeistert sein, wenn sie es sich nach Windsor Castle kommen läßt. Das tut sie häufiger, auch wenn die Maler den Transport bezahlen müssen, sind dankbar für die Werbung.
Die Königin läßt sich viele Bilder nach Windsor kommen. Für den ➱Monarch of the Glen von Sir Edwin Landseer wird sie allerdings mit der Eisenbahn nach Schottland fahren. Rosa Bonheur wird Landseer in seinem Studio besuchen (die Königin steht auch auf ihrer Besuchsliste), und bis zu ihrem Tod wird er für sie der größte Künstler sein. Gegen seinen Monarch of the Glen (der jahrzehntelang die Etiketten von Dewar’s und Glenfiddich Whiskyflaschen zierte) sehen die Hirsche von Bonheur etwas mickrig aus. Für das Etikett einer Whiskyflasche wären sie ungeeignet. Man kann das auch positiv formulieren: es fehlt ihnen das Pathos und die Sentimentalität von Landseer.
Sie hat in Frankreich zwar Erfolg bei Ausstellungen und Wettbewerben (Delacroix erwähnt sie lobend in seinen Tagebüchern), aber verkaufen tut sie in ihrem Heimatland so gut wie nichts. Das ist in England und Amerika ganz anders, da zahlt man selbst für ihre Skizzen Wahnsinnspreise. Der Kunsthändler Ernest Gambart, der sie (zusammen mit dem Bild vom Pferdemarkt) nach England eingeladen hatte, wird dafür sorgen, dass der englische Markt mit Bildern (und Radierungen nach den Bildern) gefüttert wird. ➱Thomas Herbst hätte an dieser Kuh, die Rosa mit achtzehn Jahren malt, sicher seine Freude gehabt.
Sie kann auch Landschaften malen, das hier sieht doch beinahe aus wie ein Cezanne. Die Grundzüge der Landschaftsmalerei hat ihr der Vater beigebracht, der selbst Landschaftsmaler war. Er war ein fanatischer Anhänger der utopischen Lehren des Grafen Henri de Saint-Simon, was seiner Tochter eine halbwegs gute Bildung verschaffte, aber seine Familie zerbrechen ließ. Weil er jahrelang nicht zu Hause war und stattdessen in einer Kommune (einer Art von Brook Farm Experiment) lebte. Die Lehren von Saint-Simon gaben den Töchtern in der Famile die selben Freiheiten wie den Söhnen, ohne diesen Hintergrund wäre Rosa nicht diejenige geworden, die sie war. Hätte wahrscheinlich keine Hosen getragen. Aus dem Mädchenpensionat flog sie mit dreizehn Jahren raus, sie galt als schwer erziehbar. So fangen Filme von Truffaut an, wie zum Beispiel ➱Une belle fille comme moi. Irgendwie scheint das französische Erziehungssystem Schwächen zu haben.
In ihrem letzten Lebensjahr freundete sie sich mit der amerikanischen Malerin Anna Elizabeth Klumpke an, die sie mehrfach porträtierte, steht im Wikipedia Artikel zu Rosa Bonheur. Das ist ein Satz, der komplett falsch ist. Die beiden haben sich 1889 kennengelernt (aus dem Jahr stammt auch das Portrait von Rosa) und haben dann im Chateau de By zusammengelebt. Nach dem Tod ihrer Gefährtin Nathalie Micas war Rosa in eine Lebens- und Sinnkrise gekommen. Da besucht sie ständig den Westernzirkus von ➱Buffalo Bill, der sich gerade in Paris aufhält. Und malt den Colonel William F. Cody. Es ist ein seltsames Bild, Reiter und Landschaft passen nicht zusammen. Das ist solch ein Verfremdungseffekt wie bei den Westernfilmen, die in Jugoslawien gedreht wurden. Wir wollen Buffalo Bill in seinem natürlichen Habitat sehen, nicht im Wald von Fontainebleau.
William F. Cody war für Rosa Bonheur ein Symbol, sie bewunderte Amerika. Für sie war es eine wahrgewordene Utopie der Ideale von Saint-Simon: And I admire American ideas about educating women. Over there you don't have the silly notion that marriage is the one and only fate for girls. I am absolutely scandalized by the way women are hobbled in Europe. It's only because of my God-given talent that I could break free.
Als Anna Klumpke sie fragte, ob sie sie malen dürfte, stimmte sie sofort zu. Weil Klumpke (die deutsche Eltern hatte) eine Amerikanerin war. Die Sache mit dem Zusammenleben kam später. Rosa Bonheur hat ihre letzte Gefährtin Anna Elizabeth Klumpke zum Entsetzen der Familie Bonheur zur Alleinerbin gemacht. Das kleine Schloß ist heute ein Museum, dafür hat Anna Klumpke gesorgt.
Rosa Bonheur (hier ein Altersportrait von Anna Klumpke) ist nie zur Messe gegangen, hat nie gebeichtet, im Herzen ist sie immer noch eine Anhängerin von Saint-Simon, aber als Nathalie Micas starb und auf dem Père Lachaise beigesetzt wurde, trat Rosa Bonheur zum Katholizismus über. Nicht dass sie plötzlich an Gott glaubte, aber auf dem Père Lachaise wird man nun mal nur beerdigt, wenn man gut katholisch ist. Und so werden die beiden Gefährtinnen eines Tages nebeneinander liegen. Anna Klumpke, die mit 86 Jahren in San Francisco stirbt, später auch.
Ich weiß nicht, was für ein Tier dies ist, aber es gefällt mir. Manchmal hat man Schwierigkeiten, gemalte Tiere zu identifizieren. Mir fällt dazu immer George Caleb Binghams Bild ➱Fur Traders Descending the Missouri (das sich im Post ➱Charles Wimar findet) ein. Das Tier da vorne im Boot ist keine Katze. Dieses Tier hier findet man, wenn man Rosa Bonheurs Namen bei Googles Bildersuche eingibt. Warum? Weil ein Unternehmen namens Meet the Masters ein sauteures Programm anbietet, damit Kiddies malen lernen wie Rosa Bonheur. Und das kommt dabei raus. Hat sie das verdient?
Die Tiermalerin Rosa Bonheur (hier eine von ihr bemalte Palette) war eine erstaunliche Frau, sie hat sich nie in die Einsamkeit zurückgezogen. Sie liebte die Gesellschaft, ging aus und lud Gäste ein. Sie ging gerne ins Theater. Sie war großzügig mit dem Geld, das ihr nichts bedeutete. Sie hatte für ihre Zeit erstaunlich vernünftige Ansichten. Und sie ist ein Vorbild für viele Malweiber des 19. Jahrhunderts gewesen, in dem Punkt haben die Utopien von Saint-Simon doch etwas Positives bewirkt.
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