Montag, 22. Mai 2017

Exzentriker


In diesen Tagen, wo wir uns daran gewöhnt haben, dass alle Menschen so sind wie die Frau aus der Uckermark und der Mann aus Würselen, muss mal eben an einen Mann erinnert werden, der wirklich ein klein wenig exzentrisch war. Er hieß Fabian Avenarius Lloyd und nannte sich Arthur Cravan. Er war ein Neffe von ➱Oscar Wilde, über den er eine Vielzahl von Gerüchten verbreitete, die aber alle nicht wahr waren. Der Dichter Arthur Cravan, der heute vor 130 Jahren geboren wurde, hat sich in einem Gedicht so beschrieben:

I would like to be in Vienna and in Calcutta, catching every train and every ship,
fornicating with every woman and devouring every dish.
Socialite, chemist, whore, drunk, musician, worker, painter, acrobat, actor;
Old, young, swindler, hoodlum, angel and reveler;
millionaire, bourgeois, cactus, giraffe or crow;
Coward, hero, negro, monkey, Don Juan, pimp, lord,
peasant, hunter, industrialist, Fauna and flora:
I am all things, all men and all animals!

Jetzt kennen wir ihn, man könnte ihn nicht besser beschreiben. Die Verse sind die englische Übersetzung seines Gedichtes Hie!, das Sie ➱hier ganz lesen können. Arthur Cravan ist nicht nur Dichter, Dandy und Säufer, er tritt auch als Sänger und Conferencier auf. Und als Boxer. Er ist überall in Europa, nur nicht in England. In England herrscht die Wehrpflicht, in die Armee und in den Weltkrieg will er nicht. Er reist mit falschen Pässen. Die Dadaisten und Surrealisten werden den König der verkrachten Existenzen als einen der ihren verehren.

Die Ehe mit der Dichterin Mina Loy, deren Gedichte von Eliot und ➱Pound geschätzt wurden, war kurz. Mina Loy wartete am Strand von Salina Cruz darauf, dass er von der Probefahrt mit der kleinen Yacht, die er gerade gekauft hatte, zurückkam. Er kam nie wieder. Viele glaubten, dass sein Tod nur vorgetäuscht war. Arthur Cravan n’est pas mort noyé hat Philippe Dagen sein Buch über Cravan genannt, noyé heißt ertrunken.

Das bringt mich, man verzeihe mir diese Digression, auf den französischen Film ➱Noyade Interdite. Ein Film mit vielen schönen Frauen und ➱Guy Marchand und ➱Philippe Noiret. Warum gibt es den nicht mal auf DVD? Wenn Sie den Filmtitel anklicken, können Sie den Krimi ganz anschauen. Konnte Arthur Cravan wirklich segeln? Konnte er schwimmen? Oder suchte er den Tod im Golf von Mexico? Ein Tod wie ➱Percy Bysshe Shelley, das ist so ein Abgang, wie er zu dem Mann passt, der über sich sagte: I may be the king of the ruined existence but at least I’m the king of something!

Mina Loy hat ihn noch lange gesucht, weil sie nicht glaubte, dass er etrunken sei. Mexiko ist ja ein guter Ort zum Verschwinden, Ambrose Bierce ist da verschwunden. Und was wären die Romane von ➱Cormac McCarthy und Filme wie ➱Out of the Past ohne Mexiko? Mina Loy wird in Paris einen schüchternen deutschen Maler kennenlernen, über den sie ihren einzigen Roman schreibt. Der hat den Titel ➱Insel, und der Held des Romans ist niemand anderer als der deutsche Maler ➱Richard Oelze. Der Roman aus den dreißiger Jahren wurde erst 1991 veröffentlicht. Ich weiß nicht, ob man das lesen muss. Aber Arthur Cravan lohnt sich zu lesen. Seit einigen Jahren gibt es bei der Edition Nautilus eine überarbeitete und erweiterte Ausgabe von König der verkrachten Existenzen (auf der Seite gibt es auch eine ➱Leseprobe).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen