Mittwoch, 5. Dezember 2018

Aufstand


Es seien die schlimmsten Zerstörungen in Paris seit fünfzig Jahren, sagte ein französischer Minister. Fünfzig Jahre? Da war doch etwas? Niemand nimmt das Wort der Maiunruhen von 1968 in den Mund. Der Mensch hat, fürchte ich, von der Natur selbst etwas wie einen Instinkt zur Unmenschlichkeit mitbekommen, sagt Montaigne. Hier versuchen Reinigungskräfte den Satz Les Gilets Jaunes Triompheront vom Arc de Triomphe zu entfernen. Aufstände und Revolutionen verlangen in Frankreich nach symbolischen Bildern.

Also Bildern wie diesem, La liberté guidant le peuple von Delacroix. Es ist ein Gemälde, das Geschichte macht. Es ist oft persifliert worden, aber alle Varianten haben dem Bild der Marianne mit den nackten Brüsten nichts anhaben können. Man konnte das Bild nicht immer sehen. Als es zum Sturz der Bourbonen aufrief, hatte es seine Bestimmung erfüllt. Danach wurde es aus dem Verkehr gezogen, man fürchtete, dass es zum Symbol neuer Aufstände werden könne. Erst 1863 kehrte es in die Dauerausstellung des Palais du Luxembourg zurück, seit 1874 hängt es im Louvre.

Die Marianne des Jahres ist nicht barbusig, sie schwenkt die Flagge Vietnams, nicht die Frankreichs. Und sie ist auch keine Französin, sie kommt aus der englischen High Society. Als ihr Großvater das Bild sieht, enterbt er sie. Sie verliert den Anspruch auf einige Millionen Pfund Sterling. Die Analogie des gestellten Photos zu Delacroix' Bild hat jeder gesehen, auch Caroline de Bendern, die über Mademoiselle Liberté gesagt hat: I should have bared my breast. She had such awesome breasts. Caroline (zu der ich hier einen interessanten Artikel habe) lebt heute in Frankreich. Und sie ist gegen den Brexit.

Die Bilder, die häufig nichts mit der Realität zu tun haben, machen Aufstand und Revolution zu einer Bühne, die Maler und Photographen beliebig ausstaffieren können. An jenem berühmten 14. Juli 1789 wurde die Bastille gestürmt, eigentlich war das Ganze ein non event, das Gefängnis war nicht voller Gefangener.  Die schönen Worte von Liberté, Égalité, Fraternité waren noch nicht gefunden. Was bedeuten sie heute?

Die Damen und Herren in diesem Video sind gut gekleidet. Ein junger Mann knöpft noch sein Jackett zu, als man zu singen beginnt, er weiß, was sich gehört. Dass er wenig später da stehen wird, wo jetzt François Hollande steht, das weiß er noch nicht. Die Damen und Herren singen gemeinsam die Marseillaise. François Hollande hatte 2015 die beinahe 1.000 Vertreter der Nationalversammlung und des Senats nach Versailles eingeladen.

Nach den Terroranschlägen, bei denen 129 Menschen starben und mehrere Hundert zum Teil schwer verletzt wurden, wollte der Präsident ein Zeichen setzen: Notre démocratie a triomphé d'adversaires bien plus redoutables, en vérité, que ces lâches assassins. Notre République n'est pas à la portée de méprisables tueurs. Ma volonté est de mettre toute la puissance de l'Etat au service de la protection de nos concitoyens. Je sais pouvoir compter sur le dévouement des policiers, des gendarmes, des militaires, de vous-mêmes représentants de la nation. Vous connaissez le sens du devoir et, lorsque les circonstances l'exigent, l'esprit de sacrifice.

Drei Jahre später wird die Marseillaise unter dem Arc de Triomphe gesungen, aber es sind ganz andere Menschen, die da singen. Was zuerst nur ein Protest gegen Steuern und Preise war, ist längst zu einem Kampf von unten gegen oben geworden. Wohin sind Égalité und Fraternité gekommen? Ich habe zum Schluss noch ein kleines, rätselhaftes Video, das Szenen aus einem alten Spielfilm zeigt, wo eine vornehme Dame mit einer Louis Vuitton Tasche mit unsicherem Schritt ein schloßartiges Haus verlässt. Sie beachtet die im Hof liegenden Toten nicht, als sie ihren Mantel auszieht, setzt die Nationalhymne ein. Nicht strahlend von einem Heldentenor gesungen, sondern eher von einem Chansonnier mit Trauer in der Stimme. Und dazwischen immer wieder Szenen von Straßenkämpfen und Polizeigewalt, die uns beweisen, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist. Diese Szenen sind zeitlos, Straßenkämpfe und Polizeigewalt gibt es in Frankreich immer wieder. Das hört nie auf.

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