Freitag, 9. August 2019

Landstreicher


Dass Herman Melville am 1. August 1819 geboren wurde, das wusste ich. Dass der norwegische Nobelpreisträger Knut Hamsun am 4. August 1859 geboren wurde, das wusste ich nicht. Ich habe ihn nie gelesen. Als ich jung war und alles las, was ich im Haus fand (lesen Sie mehr in silvae: Wälder: Lesen), da konnte ich keinen Roman von Hamsun lesen, weil es im ganzen Haus kein Werk von ihm gab. Als ich dann erfuhr, dass Hamsun ein Verehrer der Nazis gewesen war, sah ich keinen Grund ihn auf meine Leseliste zu setzen. An der Uni hatte ich einen Kollegen, der ein glühender Verehrer von Hamsun war. Er besaß auch das Gesamtwerk von Hans Friedrich Blunck und ließ sich die National-Zeitung ins Institut schicken. Die ich ihm immer aus dem Postfach klaute, wenn ich sie da liegen sah. Ich entsorgte die anschließend, ich habe dabei bis heute immer noch kein schlechtes Gewissen. Mein Kollege reist derzeit im Ruhestand durchs Land und hält rechtsradikale Vorträge. Die örtlichen AntiFa Gruppen sind dankbar, dass es ihn gibt.

Und doch hätte ich am 4. August über Hamsun schreiben können, weil ich da im Netz etwas wiederentdeckte, was ich nie vergessen habe. Es war ein Fernsehfilm namens Landstreicher (Landstrykere), der 1990 in zwei Teilen im Dritten Programm des NDR gezeigt worden war. Das war die Verfilmung des ersten Teils der letzten Trilogie von Hamsun (Landstreicher, 1927, August Weltumsegler, 1930 und Nach Jahr und Tag, 1933). Ich guckte mir den Film mehr oder weniger unlustig an, wollte den Fernseher schon ausmachen, da kam Marika Lagercrantz ins Bild. Gott, war sie damals hübsch. Ich verliebte mich sofort in diese Lovise Margrete. Marika Lagercrantz war sechsunddreißig, sah aber viel jünger aus. Ich habe den Film nie vergessen. Und am 160. Geburtstag von Knut Hamsun testete ich einmal die russische Seite, die ich letztens in Cyrano mit Mac erwähnte, und siehe da: Landstrykere war da. Auch wenn es Edevart, der Hauptfigur des Romans nicht gelingt, seine große Liebe Lovise Margrete zurückzuholen, konnte ich mir meine filmische Liebe Marika aus der Vergangenheit zurückholen.

Fünf Jahre später hatte Marika Lagercrantz mit dem Film von Bo Widerberg, der Schön ist die Jugendzeit (Lust och fägring stor) hieß, einen großen Erfolg. Der Film, der in Berlin einen Silbernen Bären erhielt, blieb ihr einziger internationaler Erfolg. Er machte sie außerhalb Schwedens bekannt: That's why I ended up choosing a Swedish actress, Marika Lagercrantz, who was in Bo Widerberg's last film, Love Lessons (Lust ogfägring stor). She was a great success. She was incredibly good. I really, really enjoyed working together with her, and we only needed to change the script slightly to accommodate her being Swedish, hat der dänische Regisseur Henning Carlsen gesagt, der mit ihr I Wonder Who’s Kissing you Now drehte.

Von dem Film abgesehen, drehte sie nur Filme in Schweden. Aber die Zeit von großen Regisseuren wie Ingmar Bergman und Bo Widerberg war vorbei. Was jetzt kommt sind Rollen in Serien, wie die Staatsanwältin ➱Emma åklagare, Krimis wie Reißende Wasser, wo sie eine Polizistin spielt. Oder Kronvittnet, ein Thriller, in dem sie eine betrogene Ehefrau spielt. In einer Folge von ➱Der Kommissar und das Meer (Bild) ist sie auch zu sehen. Und natürlich in dem Film Verblendung (➱The Girl with the Dragon Tattoo). Dazu sage ich jetzt lieber nichts, ich habe schon in dem Post Henning Mankell Bösartigkeiten dazu verbreitet.

Marika Lagercrantz ist eine schöne Frau, eine Schauspielerin, die sich nicht scheut, in Filmen nackt aufzutretn (so in ➱Landstrykere, ➱Sort höst, ➱Schön ist die Jugendzeit und I Wonder Who’s Kissing you Now), das erwarten wir von Schwedinnen, sagt uns das Klischee. Sie ist eine gute Schauspielerin, aber viele Filme mit ihr sind keine wirklich guten Filme. Sind nur der Eintopf von Thriller und Krimi, der auch uns im Abendprogramm des Fernsehens aufgetischt wird. Es ist eine traurige Geschichte. Im Jahre 2011 gab sie die Schauspielerei für vier Jahre auf und wurde Botschaftsrätin für kulturelle Fragen in der schwedischen Botschaft in Berlin.

Nach der Zeit in Berlin ging sie zum Film zurück und war in einer Serie zu sehen, die Längtans blåa blomma heißt und in der napoleonischen Zeit spielt. Ein opulenter Kostümfilm, ein filmisches Genre, das nicht totzukriegen ist. Die Engländer waren mit ihren Jane Austen Verfilmungen und den Filmen von Merchant/Ivory mal die Marktführer. Die Franzosen mit Bertrand Tavernier konnten es auch, wie Un dimanche à la campagne oder La vie et rien d'autre zeigen. Auch die Skandinavier beherrschten das, ob das Ingmar Bergman war oder Bo Widerberg mit Elvira Madigan. Und in den letzten Jahren hat es außer Längtans blåa blomma immer wieder skandinavische Historienfilme gegeben. Zum Beispiel Bille August mit Marie Kroyer oder Mika Kaurismäki mit The Girl King.

Die Häuser lagen in der grünen Bucht mitten in dem Tosen des Wasserfalls, und Lovise Margrete Doppen und ihre Kinder waren genau so wie früher, sie standen vor dem Haus und sahen Edevard entgegen, notdürftig bekleidet, schön und still. Das junge Weib lächelte unsicher, es hatte so neue Kleider an, ihre Augenlider zitterten, sie sagte etwas wie: Was sehe ich da — ! heißt es in Hamsuns Landstreicher. Klingt idyllisch, aber aus der Liebe von Lovise Margrete und Edevard wird nichts werden. Sie wird wieder nach Amerika zurückgehen, wo sie nur unglücklich war. Aber vielleicht war ich weniger unglücklich als hier, sagt sie. Es ist schöner Kitsch, sie ist keine starke Frau wie die Heldin in  Carl Jonas Love Almqvists Roman Die Woche mit Sara. Aber Marika Lagercrantz macht die Lovise Margrete für uns erträglich, dafür lieben wir sie.


Bei allen Links, die heute dieses  Symbol haben, kann man einen Film anklicken.

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