Sonntag, 4. August 2019

kein Melville am 1. August


Nobody had more class than Melville. To do what he did in 'Moby-Dick', to tell a story and to risk putting so much material into it. If you could weigh a book, I don’t know any book that would be more full. It’s more full than 'War and Peace' or 'The Brothers Karamazov'. It has Saint Elmo’s fire, and great whales, and grand arguments between heroes, and secret passions. It risks wandering far, far out into the globe. Melville took on the whole world, saw it all in a vision, and risked everything in prose that sings. You have a sense from the very beginning that Melville had a vision in his mind of what this book was going to look like, and he trusted himself to follow it through all the way. Das hat Ken Kesey im Paris Interview gesagt, ich habe das schon in dem Post Kuckucksnest zitiert.

New York August 1 Delivered by Dr Wright Post, at 6 Pearl Street, to Allan & Maria Melvill, a third child &; second son steht als erster Eintrag für das Jahr 1819 in Jay Leydas Melville Log. With a grateful heart I hasten to inform you of the birth of another Nephew, which joyous event occurred at 1/2 past 11 last night—our dear Maria displayed her accustomed fortitude in the hour of peril, & is as well as circumstances & the intense heat will admit - while the little Stranger has good lungs, sleeps well & feeds kindly, he is in truth a chopping boy, schreibt Allan Melvill am nächsten Tag an seinen Schwager Peter Gansevoort. Es ist heiß in New York, ein Fieber wütet. Nachdem der kleine Herman am 19. August getauft worden ist, zieht die Familie erst einmal nach Albany um.

Manche Leser haben sich beklagt, dass es hier am 1. August nichts zu Herman Melville gab. Ich hatte die Wahl für den Tag: entweder die Schlacht bei Minden oder Herman Melville. Ich nahm Minden, weil es in diesem Blog schon sehr viel Melville gegeben hat. Vor neun Jahren, als ich zu bloggen begann, gab es am 1. August den Post Herman Melville: Birthday, aber schon vorher schrieb ich die Posts Moby-Dick und Uwe Nettelbecks Melville. Die Adresse meines Blogs verdankt ihren Namen dem ersten Kapitel (Loomings) von Moby-Dick. Und am 1. August 2011 gab es den langen Post Moby-Dick. Der neueste Post heißt Herman Melville, Donald Trump und ich. Zwischen dem und meinen Anfängen gab es immer wieder Melville.

Ich war zwei Tage in der blogosphere, als ich den kurzen Post Tiefen schrieb: Der kleine Pip ist der einzige, für den das erkaltete Herz von Kapitän Ahab noch letzte menschliche Gefühle zeigt. Die Mannschaft der Pequod hält Pip für wahnsinnig. Es wäre besser, wenn sie Ahab für wahnsinnig halten würden. Der kleine Pip ist wahnsinnig, seit er über Bord gefallen ist und man ihn allein im Pazifik treiben ließ. Der kleine Pip hat in der Tiefe des Ozeans die Füße Gottes gesehen, wie sie den Webstuhl der Welt treten. Und er hat davon erzählt, deshalb hält man ihn für verrückt: So man's sanity is heaven's sense; and wandering from all mortal reason, man comes at last to that celestial thought, which, to reason, is absurd and frantic; and weal or woe, feels then uncompromised, indifferent as his God. Melville hat seltsame Dinge aus der Bibel herausgelesen. Das hat seine wenigen zeitgenössischen Leser wahrscheinlich mehr verstört als seine komplizierte Syntax.

Ich erwähne das alles nur, damit Sie sehen, dass ich weiß, wann Melville Geburtstag hat. Aber ich wollte nicht mit dem Feuilleton konkurrieren, es war mir klar, dass man an diesem Tag den sonst selten zitierten Melville abfeiern würde. Die FAZ hat da einen interessanten Post von ihrem Ressortchef zum Thema Thomas Mann und Melville. Die New York Times verfolgt, was sie in den letzten zweihundert Jahren über Melville gesagt hat, das ist interessant. Die Harvard Professorin Jill Lepore, deren Geschichte der Vereinigten Staaten demnächst bei CH Beck erscheint, schreibt im New Yorker. Aus dem Artikel, der natürlich auf dem Niveau des New Yorker ist, stammt auch das witzige Bild hier.

Was soll man von Melville lesen? Moby-Dick auf jeden Fall. Die erste kritische Ausgabe von Mansfield und Vincent ist leider vergriffen, steht aber glücklicherweise im Netz. Das Beste ist wohl die Norton Critical Edition, die Harrison Hayford und Hershel Parker herausgegeben haben. Mein persönlicher Lieblingstext ist die von Harold Beaver kommentierte Penguin Ausgabe: 600 Seiten Text, über 300 Seiten Kommentar, unglaublich. Im Internet findet sich ein Power Moby-Dick, erstklassig gemacht. Bevor Sie sich eine deutsche Übersetzung kaufen, lesen Sie erst einmal, was in dem Post Fritz Güttinger steht.

Der Roman ist eine Herausforderung für den Leser. Melville wusste das: It is not a piece of fine feminine Spitalfields silk. But is of the horrible texture of a fabric that should be woven of ships‘ cables & hausers. A Polar wind blows through it, & birds of prey hover over it. Warn all gentle fastidious people from so much as peeping into the book – on risk of a lumbago and sciatics. Ich weiß nicht, was Melville zu dem Leser gesagt hätte, der bei Amazon unter dem Titel Äußerst langatmig schreibt: Hat mir nicht gefallen, viel zu langatmig. Vielleicht gefällt ja manchem diese langen Abhandlungen über Meeresgetier usw, ich will die eigentliche Geschichte lesen, dafür hab ich das Buch. Würde man sich auf die eigentliche Geschichte beschränken, war das Buch nur halb so lang... Vielleicht wäre der Emoji Dick oder eine Graphic Novel für den Leser das Richtige.

Auf einem etwas höheren Niveau sagte einer der ersten Rezensenten im Oktober 1851 im Londoner SpectatorThis sea novel is a singular medley of naval observation, magazine article writing, satiric reflection upon the conventionalisms of civilized life, and rhapsody run mad.... The rhapsody belongs to wordmongering where ideas are the staple; where it takes the shape of narrative or dramatic fiction, it is phantasmal—an attempted description of what is impossible in nature and without probability in art; it repels the reader instead of attracting him. Wir sehen schon an dieser Kritik, der Roman findet nicht viele Leser. Heute ist der Roman ein Teil der Popular Culture, wie man an David Shaerfs Dokumentarfilm sehen kann.

Die Erzählung Benito Cereno, die sich in den Piazza Tales findet, sollte man unbedingt lesen. Hier ist Melville auch nicht so sperrig wie in Moby-Dick. Die Geschichte wird schon in den Posts Bounty, Sklavenschiff und Amistad erwähnt. Der berühmte amerikanische Literaturkritiker F.O. Matthiessen hat sie one of the most sensitively poised pieces of writing he had ever done genannt. Das Bild vom Sklavenschiff ist natürlich von William Turner. Der übrigens immer wieder auf das Thema des Walfangs zurückkam. Es ist kein Zufall, dass der Cover von Harold Beavers Penguin Ausgabe ein Bild von Turner zeigt. Zu Turners Bildern über den Walfang habe ich hier einen sehr interessanten Aufsatz.

Mehr als Moby-Dick und die Piazza Tales tue ich Ihnen heute nicht auf die Leseliste. Über Billy Budd, Bartleby und Clarel reden wir ein anderes Mal. In meinem Studium habe ich keine Seminare über Melville besucht, obgleich Moby-Dick immer wieder im Vorlesungsverzeichnis stand. Aber ich machte um den Professor, der die Seminare anbot, einen Bogen. Ich wusste, dass er Moby-Dick nie ganz gelesen hatte. Man soll sich sein eigenes Leseerlebnis nicht durch Uni-Kurse versauen. Mehrere meiner Studienfreunde hatten Doktorarbeiten über Melville geschrieben, wenn ich etwas über die wissenschaftliche Rezeption Melvilles wissen wollte, fragte ich die. Und in die Lage kam ich 1976, als ich aus heiterem Himmel der literaturwissenschaftliche Berater für die Ausstellung wurde, deren Katalog hier abgebildet ist.

Über diese Erfahrungen habe ich in den Posts Moby-Dick und Vierzig Jahre geschrieben. Ich hatte damals den Roman in der deutschen Übersetzung von Fritz Güttinger gelesen und besaß durch einen glücklichen Zufall die Ausgabe von Mansfield und Vincent, die 1952 bei Hendricks House erschienen war. Es gab damals noch keinen Power Moby-Dick im Internet, es gab überhaupt kein Internet. Wenn man für den Katalog eine bestimmte Textstelle aus Moby-Dick brauchte, musste man lesen und lesen. Es hat mir nicht geschadet.

Und wenn Sie ein Buch suchen, in dem alles zu Melvilles Leben und Werk steht, dann kann ich nur Andrew Delbanco empfehlen. Gibt es auch in deutscher Sprache bei Hanser. Es ist so geschrieben, dass es von jedermann gelesen werden kann. Das Buch hat eine Rezension bei Amazon, nach der Delbanco angeblich Journalist ist. War er nie, er hat einen Doktortitel von Harvard und war jahrzehntelang Professor an der Columbia University. One can hardly imagine a more artful or succinct biography of Herman Melville, one that makes his fiction seem not only relevant but urgent, presenting the familiar facts in a fashion that makes the life and work luminously comprehensible, schrie Jay Parini im Guardian. Glauben Sie lieber ihm und nicht dem Amazon Rezensenten.

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