Freitag, 24. April 2020

Stenka Rasin


In dem Post Washington Crossing the Delaware hatte ich ein Lied abgedruckt, das die Düsseldorfer Malerkollegen von der Künstlervereinigung Malkasten für Emanuel Leutze, der sich nach Amerika verabschiedete, gedichtet und gesungen haben:

Hört ihr Leute das Gedichte
von dem großen Wasserfluß
der in der Naturgeschichte
heisst der Delawarius.


Der Slavist Friedrich Hübner wies mich damals darauf hin, dass dieses Lied wohl nach der Melodie des russischen Volkslieds Stenka Rasin gesungen wurde. Ich kannte zwar den Text des russischen Liedes nicht, aber ich kannte die Melodie. Wir hatten das Lied vor Jahrzehnten einmal mit dem Text Unrasiert und fern der Heimat gesungen. Es hat, wie das Lied Katjuscha, eine leicht eingängige Melodie. Hören wir mal eben in das Lied hinein, gesungen von keinem Geringeren als Fjodor Schaljapin

Am 24. April des Jahre 1671 ist der Kosakenführer Stepan Timofejewitsch Rasin (den man Stenka Rasin nannte), der bei seinem Aufstand weite Teile Südrusslands beherrscht hatte, von seinen eigenen Leuten gefangengenommen und dem russischen Adel übergeben worden. Man bringt ihn nach Moskau, der Zar verhört ihn persönlich, er wird abgeurteilt und auf dem Roten Platz gevierteilt. Das ist das Ende des Bauernkriegs und der Auflehnung der Leibeigenen gegen die Bojaren und den Zaren. Zwei Jahre zuvor hatte Stepan Rasin, der mit einer Flotte von Booten die Donau beherrschte, eine Flotte des persischen Schahs geschlagen und eine persische Prinzessin geraubt. Er kehrt an den Don zurück, will sich dem Zaren unterwerfen, veranstaltet ein großes Gastmahl, um den Abschied vom Räuber- und Piratenleben zu feiern.

So wird die Geschichte erzählt. Seine Männer werfen ihm vor, er sei kein richtiger Donkosake mehr, seit er die Prinzessin entjungfert und sie immer an Bord seines Bootes habe, bei dem die Taue angeblich aus persischer Seide geflochten sind. Er sei ein Weib geworden, sagen sie. Rauben, morden und brandschatzen ist in Ordnung für einen Kosaken, aber mit einer persischen Prinzessin im Bett liegen, das geht definitiv nicht. Stenka Rasin, den Puschkin die einzige poetische Gestalt der russischen Geschichte genannt hat, versteht das Murren seiner Krieger. Und nach einer letzten Liebesnacht nimmt er die junge Prinzessin und wirft sie mit ihrem Geschmeide über Bord. Nimm, Mütterchen Wolga, ruft er. Viel Silber und Gold und Reichtum jeder Art hast du mir gegeben und Ehre und Ruhm mir zuteil werden lassen, ich aber habe dir noch nicht gedankt. So oder so ähnlich wird die Geschichte erzählt. Wenn man Prinzessinen in die Wolga wirft, und sie elendiglich ersaufen läßt, dann ist man ein russischer Held. Sie können das Ganze auch in dem russischen Film aus dem Jahre 1908 sehen, von dem auch das Plakat da oben stammt.

Und hier ist, als Gedicht des Tages, der Text von Stenka Rasin, der einige Probleme bietet. Im Internet findet sich eine Version, die sehr poetisch klingt, aber einen großen Teil des Originals weglässt. Ich zitiere daraus einmal die ersten Strophen:

In den Wellen hinter Inseln
Ziehen Kähne malerisch, -
Fangen leis an aufzuwachen,
Bang ist jedes Angesicht.

Stenka Rasin vorn als erster,
Selig in der Trunkenheit,
Hält im Arme die Prinzessin,
Die er eben erst befreit.

Aber der nächste Text macht mehr Sinn, weil er sich an das russische Original hält:

Hinter der Insel hervor auf den Strom,
auf die weite Fläche der Wogen
schwimmen bunt bemalte
Kähne mit spitzem Bug.

Auf dem ersten sitzt Stenka Rasin,
hält die Fürstin umarmt,
er feiert seine neue Hochzeit,
er ist fröhlich und berauscht.

Hinter ihnen hört man Gemurmel:
"Er hat uns mit dem Weib vertauscht!
Nur eine Nacht hat er mit ihr verbracht
und am Morgen ist er selbst zum Weib geworden!"

Dieses Gemurmel und Gespött
hört der grimmige Ataman,
und mit mächtigem Arme
umfasst er die Figur der Perserin.

Die schwarzen Augenbrauen ziehen sich zusammen,
ein Gewitter zieht herauf,
heisses Blut schiesst
dem Ataman in die Augen.

"Alles will ich geben, ich werde es nicht bedauern,
selbst mein wildes Haupt will ich hergeben!"
schallt seine mächtige Stimme
über die benachbarten Ufer.

Und sie, mit niedergeschlagenen Augen,
mehr tot als lebendig,
vernimmt schweigend die berauschten
Worte des Atamans:

"Wolga, Wolga, liebe Mutter,
Wolga, du russischer Strom,
du hast noch kein Geschenk gesehen
von einem Donkosaken!

Und damit keine Zwietracht herrsche
unter freien Menschen,
Wolga, Wolga, liebe Mutter,
wegen eines schönen Mädchens - nimm du es!"

Mit machtvollem Schwung hebt er
die schöne Fürstin hoch
und wirft sie über Bord
in die heraneilenden Wogen.

"Was lasst ihr Teufel den Kopf hängen?
He, du, Filka, los, tanze!
Singen wir, Brüder, was Verwegenes
zum Gedenken an ihre Seele!"

Hinter der Insel hervor auf den Strom,
auf die weite Fläche der Wogen
schwimmen die bunt bemalten
Kähne Stenka Rasins.

Es gibt unzählige Varianten, das russische Original auf dieser Seite, da gibt es auch eine englische Nachdichtung, die sehr gut klingt. Ich stelle die mal da unten ein. Günter Wewel singt etwas ganz anderes. Bei James Last heißt das Lied Irgendwo auf fremden Straßen, der unerträgliche André Rieu spielt es auf der Geige, und am Ende der Skala singen die Seekers The Carnival is Over. Hat nichts mehr mit dem Kosakenhauptmann zu tun, hat aber dieselbe Melodie.

From beyond the wooded island
To the river wide and free
Proudly sail the arrow-breasted
Ships of Cossack yeomanry.

On the first is Stenka Razin
With his princess by his side.
Drunk, he holds a marriage revel,
Clasping close his fair young bride

From behind there comes a murmur:
"He has left his sword to woo;
One short night and Stenka Razin
Has become a woman, too."

Stenka Razin hears the murmur
Of his discontented band
And the lovely Persian princess
He has circled with his hand.

His dark brows are drawn together
As the waves of anger rise,
And the blood comes rushing swiftly
To his piercing jet-black eyes.

"I will give you all you ask for,
Head and heart and life and hand!"
And his voice rolls out like thunder
Out across the distant land.

And she, lowering her eyes,
Not alive nor dead is she,
Silently listens to the cries
of the Ataman groggy.

"Volga, Volga, Mother Volga,
Wide and deep beneath the sun,
You have ne'er seen such a present
From the Cossacks of the Don!

"So that peace may reign for ever
In this band so free and brave,
Volga, Volga, Mother Volga,
Make this lovely girl a grave!"

Now, with one swift mighty motion
He has raised his bride on high
And has cast her where the waters
Of the Volga roll and sigh.

"Dance, you fools, and let's be merry.
What is this that's in your eyes?
Let us thunder out a chanty
To the place where beauty lies!"

From beyond the wooded island
To the river wide and free
Proudly sail the arrow-breasted
Ships of Cossack yeomanry.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen