Mittwoch, 26. Mai 2021

Malbrough s'en va-t-en guerre


Nachts geht nun das Singen und Lärmen recht an. Das Liedchen von Marlborough hört man auf allen Straßen, dann ein Hackebrett, eine Violine, schreibt Goethe in seiner Italienischen Reise. Das Liedchen, das man auf allen Straßen hört, ist ein Ohrwurm, es verfolgt Goethe auf seinen Reisen. Er schreibt es in seine zweite Römische Elegie hinein:

Ehret, wen ihr auch wollt! Nun bin ich endlich geborgen!
Schöne Damen und ihr, Herren der feineren Welt;
Fraget nach Oheim und Vettern und alten Muhmen und Tanten;
Und dem gebundnen Gespräch folge das traurige Spiel.
Auch ihr übrigen fahret mir wohl, in großen und kleinen
Zirkeln, die ihr mich oft nah der Verzweiflung gebracht,
Wiederholet, politisch und zwecklos, jegliche Meinung,
Die den Wandrer mit Wut über Europa verfolgt.
So verfolgte das Liedchen Malbrough den reisenden Briten
Einst von Paris nach Livorn, dann von Livorno nach Rom,
Weiter nach Napel hinunter; und wär’ er nach Smyrna gesegelt,
Malbrough! empfing ihn auch dort, Malbrough! im Hafen das Lied.
Und so mußt’ ich bis jetzt auf allen Tritten und Schritten
Schelten hören das Volk, schelten der Könige Rat.
Nun entdeckt ihr mich nicht sobald in meinem Asyle,
Das mir Amor der Fürst, königlich schützend, verlieh.
Hier bedecket er mich mit seinem Fittich; die Liebste
Fürchtet, römisch gesinnt, wütende Gallier nicht;
Sie erkundigt sich nie nach neuer Märe, sie spähet
Sorglich den Wünschen des Manns, dem sie sich eignete, nach.
Sie ergötzt sich an ihm, dem freien, rüstigen Fremden,
Der von Bergen und Schnee, hölzernen Häusern erzählt;
Teilt die Flammen, die sie in seinem Busen entzündet,
Freut sich, daß er das Gold nicht wie der Römer bedenkt.
Besser ist ihr Tisch nun bestellt; es fehlet an Kleidern,
Fehlet am Wagen ihr nicht, der nach der Oper sie bringt.
Mutter und Tochter erfreun sich ihres nordischen Gastes,
Und der Barbare beherrscht römischen Busen und Leib.


Was ist das für ein Lied, das ganz Europa seit 1781 zu singen scheint? Ich mache mir die Antwort leicht und zitiere einmal etwas, das schon in dem Post Stately Homes steht: Marlbrough s'en va-t-en guerre, ne sait quand reviendra trällern französische Kinder seit dreihundert Jahren. Damals ist das Lied entstanden, als man ihn nach der Schlacht von Malplaquet fälschlicherweise totgesagt hatte. Das Lied ist leicht zu lernen, For he is a jolly good fellow hat die gleiche Melodie. Aber der Herzog von Marlborough gewinnt zusammen mit Prinz Eugen (dessen Taten wir den zweiten musikalischen Dauerbrenner, Prinz Eugen, der edle Ritter, verdanken) die Schlacht von Malplaquet und wird noch viele Schlachten gewinnen. Unter anderem die entscheidende Schlacht von Blindheim. Das kann ja nun kein Engländer aussprechen, also macht man Blenheim daraus. Und Blenheim heißt das neue Schloss, das sich John Churchill baut. Das dankbare englische Volk gibt ihm das Geld dazu. Genau genommen ist das Volk nie gefragt worden, ob es dankbar ist oder Geld geben will, das Parlament beschließt das mal so.

John Churchill, der spätere Herzog von Marborough, wurde am 26. Mai 1650 geboren. Da war der Dreißigjährige Krieg mal gerade zwei Jahre zuende, und viele dachten, dass das jetzt genug an Krieg war. Da dichtet Paul Gerhardt Gott Lob! Nun ist erschollen das edle Fried- und Freudenwort, dass nunmehr ruhen sollen die Spieß’ und Schwerter und ihr Mord. Aber der Krieg ist nie zuende. Vier Jahre nach Churchills Geburt beginnt der Bremisch-Schwedische Krieg (der hier schon einmal erwähnt wurde), und wenn der junge John Churchill alt genug für die Soldaten ist, darf er am Krieg der Franzosen gegen die Holländer teilnehmen. Den habe ich in dem Post Holland nicht erwähnt, weil der Post eh zu lang war. Hat aber keinen Leser abgeschreckt. Als John Churchill 1678 zum Colonel ernannt wird, heiratet er die achtzehnjährige Sarah Jennings, er wird ihr jahrzehntelang treu sein. Auf diesem Portrait des irischen Malers Charles Jervas ist sie vierundfünfzig, aber man sieht es ihr nicht an.

Der Herzog von Marlborough ist dankbar für den Spanischen Erbfolgekrieg, der ihn berühmt machen wird. Er ist als Feldherr Englands ein mächtiger Mann, aber der Einfluss seiner Gattin ist noch größer. Sie ist die Freundin der Königin Anne, und eigentlich regiert sie England. Das wissen Sie natürlich, weil Sie den vielfach preisgekrönten Film The Favourite gesehen haben. Falls Sie den nicht gesehen haben, können Sie ihn hier anklicken. Und Malbrough s'en va-t-en guerre können Sie natürlich auch hören, einmal in einer schönen Barockversion und einmal ganz frech von Colette Renard, die eine ganz schmutzige Version des Liedes singt. Das fängt schon damit an, dass sie statt ne sait quand reviendra den Text in ne sait quand baisera ändert.

Malbrough s'en va-t-en guerre taucht über die Jahrhunderte immer wieder auf, sei es in Beaumarchais' Le Mariage de Figaro (dort allerdings mit anderem Text) oder Beethovens Wellingtons Sieg. Wir finden das Lied in Tolstois Krieg und Frieden und in Jean Renoirs zweitem Tonfilm La Chienne. Aber beim European Song Contest hätte es wahrscheinlich keine Chance.

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