Freitag, 9. April 2010

Stately Homes


Marlbrough s'en va-t-en guerre, ne sait quand reviendra, trällern französische Kinder seit dreihundert Jahren. Damals ist das Lied entstanden, als man ihn nach der Schlacht von Malplaquet fälschlicherweise totgesagt hatte. Das Lied ist leicht zu lernen, For he is a jolly good fellow hat die gleiche Melodie. Aber der Herzog von Marlborough gewinnt zusammen mit Prinz Eugen (dessen Taten wir den zweiten musikalischen Dauerbrenner, Prinz Eugen, der edle Ritter, verdanken) die Schlacht von Malplaquet und wird noch viele Schlachten gewinnen. Unter anderem die entscheidende Schlacht von Blindheim. Das kann ja nun kein Engländer aussprechen, also macht man Blenheim daraus. Und Blenheim heißt das neue Schloss, das sich John Churchill baut. Das dankbare englische Volk gibt ihm das Geld dazu. Genau genommen ist das Volk nie gefragt worden, ob es dankbar ist oder Geld geben will, das Parlament beschließt das mal so.

John Vanbrugh ist der Architekt von Blenheim, aber gleichzeitig baut er Castle Howard und Seaton Delavale. Eigentlich ist John Vanbrugh ja Offizier. Und Theaterautor. Und er verkehrt in den feinsten Londoner Kreisen, dem elitären Kit-Kat-Club. Da sitzen auch seine Auftraggeber. Die Detailarbeit in Blenheim überlässt Vanbrugh seinem Assistenten Nicholas Hawksmoor, und den ➱Garten legt Capability Brown an. Blenheim und Castle Howard werden die größten englischen Schlösser. Auf Repräsentation ausgelegt, nicht auf das praktische Leben. Denn in Blenheim ist die Küche so weit weg vom Esszimmer, dass das Essen bestimmt kalt ist, wenn es serviert wird. Aber das ist in Versailles wahrscheinlich nicht anders. Die englischen Adligen, die nicht so große Schlösser haben wie der Herzog von Marlborough, achten mehr auf Funktionalität als auf Repräsentation, wie der englische Kunsthistoriker ➱Mark Girouard in seinem Buch Life in the English Country House gezeigt hat. Der Italiener Andrea Palladio, dessen Stil die Engländer übernehmen werden, wenn der Vanbrugh Barock nicht mehr in ist, hat seine Villen immer nur funktional gebaut. Von dem kann der ganze englische Palladian Style viel lernen.

Obgleich das Schloss Zimmer genug hat, kommt der kleine Winston Churchill hier in einem der kleinsten Zimmer zur Welt. Als er später einmal gefragt wird, ob seine Mutter beim Tanz in Blenheim merkte [☆] oder ob es bei der Fuchsjagd war, dass er verfrüht zur Welt kam, hat er gesagt, dass er sich nicht so genau daran erinnern könne. Seine Mutter war damals zwanzig, sie war eine Amerikanerin. In der Familie ist zwar von einer Liebesheirat zwischen Lord Randolph Churchill und ihr die Rede, aber es wird schon eine Rolle gespielt haben, dass man Jennies Vater den König der Wall Street nannte. In dieser Zeit heiraten viele (ein Drittel der zwischen 1870 und 1914 geschlossenen Ehen des Hochadels) englische Adlige die Töchter der nach dem Bürgerkrieg reich gewordenen amerikanischen robber barons. Der berühmte englische Journalist W.T. Stead (der eines Tages mit der Titanic untergeht) hat dieses Phänomen als gilded prostitution bezeichnet. Winston Churchills Cousin, der 9. Herzog von Marlborough, wird eine Tochter aus dem Vanderbilt Clan heiraten. Wenn der englische Steuerzahler Blenheim nicht mehr, wie bei seiner Erbauung finanziert, muss jetzt das Geld für die Churchills aus Amerika kommen. Winston Churchill wird das Schloss und den Herzogtitel nicht erben, aber er wird neben seinen Eltern dort auf dem Dorffriedhof begraben werden. Er hat keine Amerikanerin abgekriegt, obgleich er das versucht hat.


Ein Jahrhundert nach der Entstehung des französischen Kinderliedes schreibt eine Engländerin namens Felicia Hemans (aus Liverpool) ein Gedicht, für das ihr englische Immobilienmakler bestimmt heute noch dankbar sind:

The stately Homes of England,
how beautiful they stand
midst their tall ancestral trees,
o'er all the pleasant land...

und so weiter und so fort. Sie hat zu Lebzeiten großen Erfolg mit sentimentalen und rührseligen Gedichten, ist aber ein Jahrhundert später nur noch Gegenstand von Spott und Parodie. Hemans Gedicht vorangestellt ist ein Motto aus Sir Walter Scotts Marmion: Where's the coward that would not dare to fight for such a land? Man kann die Frage nach dem coward leicht beantworten. Dieser Coward heißt Noel, und er hat eine der witzigsten Parodien zu dem Gedicht von Hemans geschrieben:

The Stately Homes of England
how beautiful the stand
to prove the upper classes
have still the upper hand

und am Ende der ersten Strophe dieses vielstrophigen Gedichtes (das leicht im Internet zu finden ist, deshalb erspare ich es mir, es zur Gänze abzutippen. Man kann dort auf YouTube einer Schallplattenaufnahme von Noel Coward lauschen, die auf einer Musiktruhe von 1938 abgespielt wird) heißt es:

The playing field of Eton
have made us frightfully brave - 
and though the Van Dycks had to go
and he pawn the Bechstein Grand,
we'll stand
by the Stately Homes of England.

Es ist natürlich so gekommen, wie Noel Coward es besingt. Die Aristokratie verkauft ihre Van Dycks und Gainsboroughs (und ➱Joseph Duveen wird damit Millionär, indem er das Inventar von englischen Schlössern an amerikanische neureiche Millionäre verhökert), heute sind sie dankbar für die Unterstützung durch den National Trust.

Das Bild oben zeigt nicht Blenheim, sondern Castle Howard, irgendwie sieht das immer (trotz seiner Größe) graziler aus als Blenheim. Es wirkt besonders gut auf den Farbphotos des Buches Die großen englischen Landsitze, das mir mein Freund Georg geschenkt hat. Da kann man Castle Howard mit den heraus geklappten Seiten auf 96 Zentimetern sehen.

[☆] Die Geschichte, dass ➱Winston Churchill sozusagen zwischen zwei Tänzen in der Garderobe von Blenheim Palace geboren wurde (weil seine Mutter nach der Geburt angeblich gleich weitergetanzt hatte), ist sicherlich nett, aber sie ist wohl nicht wahr. Das kann man der Biographie der charmanten Plaudertasche Anita Leslie entnehmen, die mit ihr verwandt war. Die Geschichte mit dem Tanz ist wohl deshalb erfunden worden, weil Lady Jennie Churchill die ungekrönte Partykönigin Londons war. Um ihr Baby hat sie sich nach der Geburt nicht sonderlich gekümmert. Dafür hat sie aber den Manhattan erfunden.

2 Kommentare:

  1. Hallo Jay,
    Bei dem Bau von Blenheim Castle fühlte sich Sarah, die Gemahlin von John Churchill, als "Bauherrin". Ihre Sonderwünsche führten zu einer Vielzahl von Änderungen, zusätzlichen Kosten und natürlich auch Verzögerungen, so dass das Schloss erst nach dem Tod des ersten Herzogs von Marlborough beendet wurde. Sie war offensichtlich eine durchsetzungsstarke Dame ;-)

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  2. Hallo Mystery,
    "durchsetzungsstark" ist bei Sarah Churchill sicherlich noch ein stark untertriebenes Beiwort. Sie ist sicherlich eine der einflussreichsten Frauen in ihrer Zeit. Der deutsche Wikipedia Artikel wird ihr nicht so ganz gerecht, der englischsprachige ist viel besser.

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