Donnerstag, 15. April 2010

Abschied


Fällt Ihnen etwas auf? Irgendetwas ist anders auf diesem Bild. Keine Menschen im Vordergrund. Das was der Kunsthistoriker Betrachterfiguren nennt. Nix. Wir werden gleich in das Bild hineinkatapultiert (man kann es übrigens durch Anklicken vergrössern), nicht so schön wie in der europäischen romantischen Malerei über die Betrachterfiguren in die Welt des Bildes geleitet. Es sind keine Menschen im Bild, weil hier noch keine Menschen sind. Der Maler Thomas Cole kann 1825 noch in die Natur des Hudson River Valley hinaus gehen und da ist noch nie jemand gewesen. Thomas Cole erfindet die amerikanische romantische Landschaftmalerei. Es wird bald eine ganze Schule geben, die Hudson River School, und bald wird die Natur voller Landschaftsmaler sein. Es gibt einen Cartoon von dem Deutschamerikaner Thomas Nast (ja, der, der Santa Claus erfunden hat) aus dem Jahre 1866 in Harper's Weekly. Heißt The Artist in the Mountains, und da sind die Berge voller Maler, auch die ersten Photographen sind schon dabei.

Der erste Maler in einer romantischen Landschaft taucht bei Thomas Cole selbst auf. In seinem Bild The Oxbow sitzt ganz vorne rechts der Maler an seiner Staffelei, sein Sonnenschirm ragt in den Fluss hinein. In die Landschaft auf der gegenüberliegenden Seite der Biegung des Oxbows hat der Maler etwas geheimnisvolles hineingeschrieben. Der Kunsthistoriker Matthew Baigell hat das entdeckt, es sind hebräische Schriftzeichen, die Der Allmächtige bedeuten. Romantische Maler haben immer Botschaften in der Landschaft, Caspar David Friedrichs Bilder sind voll davon. Leider schreibt er nie dazu, was es bedeuten soll, da muss man schon den Katalog von Helmut Börsch-Supan zur Hand nehmen, um zu erkennen, dass jeder Baum und jeder Ast bei Friedrich symbolisch sind. Die Amerikaner wissen das 1825 noch nicht, Thomas Cole denkt sich seine eigene Landschaftssymbolik aus.

Cole ist befreundet mit William Cullen Bryant. Der ist Amerikas Landschaftsdichter No. 1, das Gegenstück zu Englands William Wordsworth. Hat schon als Teen schwer verständliche Gedichte wie Thanatopsis geschrieben. Er schreibt jetzt weniger, er ist gerade dabei Chefredakteur der New York Evening Post zu werden. Er wird der angesehenste Journalist Amerikas im 19. Jahrhundert, eine Stimme, auf die man hört. Zu seiner Beerdigung kommen hunderttausend New Yorker. Heute gehört die Zeitschrift, die einst von Alexander Hamilton gegründet wurde, einem gewissen Rupert Murdoch. Zu dessen Beerdigung werden bestimmt keine hunderttausend Menschen kommen. Cole ist mit seiner Lyrik damals auch in Deutschland gelesen worden, Karl Elze (einer der ersten Anglisten Deutschlands) hat seine Gedichte herausgegeben.

Wenn Bryant jetzt auch weniger Naturgedichte wie das großartige The Prairies schreibt, in der Natur ist er noch an jedem Wochenende. Ralph Waldo Emerson hat gerade verkündet, dass man sonntags nicht unbedingt in die Kirche muss, man kann Gott auch in der Natur entdecken. Und das tun die New Yorker auch, sie folgen den romantischen Empfindungen ihrer Dichter und Philosophen. Nehmen in New York den Dampfer und fahren den Hudson hinauf und dann nichts wie rein in die Berge. Für diejenigen, die sich das nicht leisten können, wie zum Beispiel die armen Immigranten (für die sich Bryant zeitlebens einsetzt), kämpft Bryant für einen großen städtischen Park. Andere haben den Central Park gebaut (unter anderem Wilhelm Benque, der den Bremer Bürgerpark gebaut hat), aber ohne Bryant wäre aus dem Plan nie Wirklichkeit geworden. Nach seinem Tod wird es in New York noch einen Park geben, der bis zum heutigen Tag Bryant Park heißt.

Dies Bild ist von Asher B. Durand, es heißt Kindred Spirits, Geistesverwandte, und zeigt Cole und Bryant im Hudson River Valley. Cole hat das Skizzenbuch in der Hand, Bryant hat ehrerbietig vor der gewaltigen Naturkulisse den Hut gezogen. Da auf dem Felsvorsprung planen sie beide die amerikanische Romantik. Als Durand das 1849 malt (zwei Jahre bevor Melvilles Moby-Dick erscheint), da ist Cole schon tot. Der Vogel, der aus dem Tal fliegt, das soll seine Seele sein. Für Kunsthistoriker ist ein Vogel in einem Bild der Romantik niemals nur ein Vogel. Zwanzig Jahre zuvor, als Cole zu einer Europareise aufbrach, hat ihm sein Freund Bryant ein Sonett geschrieben:

Thine eyes shall see the light of distant skies:
  Yet Cole! thy heart shall bear to Europe's strand
  A living image of thy native land.
Such as on thy glorious canvas lies.

Lone lakes - savannahs where the bison roves -
  Rocks rich with summer garlands - solemn streams -
  Skies, where the desert eagle wheels and screams -
Spring bloom and autumn blaze of boundless groves.

Fair scenes shall greet thee where thou goest - fair,
  But different - every where the trace of men,
  Paths, homes, graves, ruins, from the lowest glen
To where life shrinks from the fierce Alpine air.

Gaze on them, till the tears shall dim thy sight,
But keep that earlier, wilder image bright.

Bryant musste das Gedicht ein klein wenig ändern, als er erfuhr, dass Cole gar nicht in Amerika geboren war, er war mit seinen Eltern aus England gekommen. Dass Bryant mit thou und thee die alten Du Formen verwendet, mag daran liegen, dass Bryant ihn für einen Quäker hielt (Thomas Cole hatte in Amerika einige Jahre bei einer Quäkerfamilie gelebt). Die Landschaften in Zeile 5 bis 8 sind natürlich die amerikanische Natur, that earlier, wilder image, denen in den Zeilen 9 bis die Landschaften Europas gegenübergestellt werden. Dort sind überall die Spuren des Menschen. graves und ruins spielt sicherlich auf den Ruinenkult der Romantik an, wir finden sie immer wieder bei Caspar David Friedrich. Bryant hat Angst, dass sein Freund sich angesichts der europäischen Natur und angesichts der europäischen Malerei an die Konventionen der europäischen Landschaftsmalerei anpassen wird und die urwüchsige Sichtweise seiner ersten Schaffensperiode aufgeben wird. Cole hat davor auch Angst. Um sich auf den Kulturschock vorzubereiten, will er sich noch ein Erlebnis des Erhabenen der amerikanischen Natur verschaffen. Er besucht, geleitet von indianischen Führern (touristisch sind sie noch nicht so recht erschlossen) die Niagara Fälle. Es war scheußlich, hat nur geregnet, das weihevolle Naturerlebnis wollte sich nicht einstellen. Es kommt dann - leider - wie es kommen muss. Nach dem Europaaufenthalt, wo er in London Turner und Constable kennenlernt und in Paris die Bilder von Claude Lorraine sieht, wird aus Cole ein konventioneller Landschaftsmaler. Das earlier, wilder image ist dahin.

Aber es wird noch einen anderen Cole geben, den Maler, der eine Art Surrealismus erfindet, wie in dem obigen Bild vom Traum des Architekten. Alle Baustile der Welt, betrachtet von einem Künstler, der hingegossen auf einer Säule liegt. Und hier sollten Sie jetzt unbedingt auf das Bild klicken, um es auf Bildschirmgröße zu vergrößern.

Die Zeit zwischen den ersten Bildern von Thomas Cole und Melvilles Roman Moby-Dick ist die aufregendste Kulturepoche Amerikas. Die amerikanische Literatur, vorher beinahe nicht existierend, erreicht eine erste Blüte. Cooper, Hawthorne, Poe, Melville, Emerson, alle sind sie jetzt am Schreiben. Die Maler der Hudson River School malen die amerikanische Natur, das American Paradise. Man hat die amerikanische Malerei und Cole lange Zeit nicht beachtet, erst die letzten Jahrzehnte haben sie aus der Vergessenheit befreit. Unter dem Titel Neue Welt. Die Erfindung der amerikanischen Malerei konnte man die Bilder der Hudson River School 2007 in Hamburg im Bucerius Forum bewundern. In dieser Phase der amerikanischen Romantik werden auch die ersten Stimmen hörbar (und Cole äußert sich sehr klar dazu), dass man mit diesem Geschenk Gottes an die Amerikaner vorsichtig bewahrend umgehen müsse. Nicht durch die Industrialisierung die Natur vernichten dürfe. Aber da haben die Amerikaner dann doch nicht auf Cole oder James Fenimore Cooper gehört.

2 Kommentare:

  1. Ich kann es garnicht deutlich genug sagen, wie sehr ich mir wünsche, dass diese Essays über dies und das und manches Andere von möglichst vielen Menschen gelesen werden. Alle mit Notebook oder vielleicht bald dem jetzt schon so berühmten iPad vor sich, damit man das eigene dürftige Wissen schnell mal mit einem der virtuellen Nachschlagwerke (es muss nicht immer Wiki sein)ergänzen kann. Manches, was ich lese ,ist mir neu, an Anderes, Verschüttetes werde ich erinnert, und vielleicht weiß ich auch manchmal was: wie eine große Fläche, die für ein schönes Mosaik vorbereitet ist, kommen hier kleine bunte Steinchen, manchmal auch nur glitzernde Splitter hinzu: und ohne dass ich hoffen dürfte, dass das Mosaik jemals fertig würde, entstehen hier und da doch liebenswerte Umrisse oder Einsichten, die die nächsten Stunden schöner machen.

    AntwortenLöschen