Donnerstag, 21. Dezember 2017
Thomas Couture
Manche Maler malen in ihr Selbstportrait alles hinein. Wie der Franzose Thomas Couture, der am 21. Dezember 1815 geboren wurde. Coutures Vater war Schuster, er selbst wollte höher hinaus. Und so blickt er uns herausfordernd an. Ein schöner Mann. Dieser romantische Blick, ein wenig verachtungsvoll. Alles ein wenig im Stile des ➱Byronic Hero. Er ist fünfundzwanzig Jahre alt, er weiß noch nicht, wohin ihn der Weg der Kunst führen wird. Am Ende seines Lebens werden ➱Édouard Manet, Henri Fantin-Latour und Pierre Puvis de Chavannes seine Schüler gewesen sein. Das mit Puvis de Chavannes kann ich sofort verstehen, den kann ich überhaupt nicht ausstehen.
Und damit komme ich zu dem Hauptwerk von Thomas Couture, das Welten von dem schönen Selbstbildnis entfent ist. Es heißt ➱Les Romains de la décadence und machte im Salon 1847 Furore. Es ist ein großes Bild. Nicht im Sinne von großartig (obgleich man 1847 dieser Meinung war), sondern flächenmässig: 4,70 mal 7,70. Der Maler hat drei Jahre an seinem Werk gearbeitet. Im Ausstellungskatalog hat er dem Bild zwei Verse von Juvenal mitgegeben: Grausamer als der Krieg hat sich das Laster auf Rom gestürzt und rächt das besiegte Universum.
Thomas Couture ist nicht der einzige, der the beauty of fair Greece, and the grandeur of old Rome (um ➱Edgar Allan Poe zu zitieren) malt. Seit Edward Gibbon seine ➱History of the Decline and Fall of the Roman Empire veröffentlicht hat, stürzen sich die Maler darauf, die ➱Spätrömische Dekadenz darzustellen. Auch in Thomas Coles Bilderreihe The Course of the Empire folgt auf dieses Bild, das The Consummation of Empire heißt, das Bild ➱Destruction
Coutures Historienbild soll eine Allegorie auf die Dekadenz der Franzosen sein. Da liegen sie vor einer klassischen Statue, die wie der steinerne Gast in Don Giovanni ihr Mißfallen auszudrücken scheint, erschöpft herum. Andere trinken und tanzen noch, aber so richtige Freude scheint bei dieser Massenorgie nicht aufkommen zu wollen.
Wenn die alten Niederländer den Untergang malen wollten, dann waren sie direkter. Dann malten sie die Welt wie Bruegel oder ➱Joachim Patinir. Was Couture da malt, ist nichts Halbes und nichts Ganzes. Da wird nicht Mene, mene, tekel, upharsin an die Wand geschrieben. Und richtigen Sex gibt es auch nicht, was ist mit den Franzosen los?
Der Spezialist in Untergangsszenarien im 19. Jahrhundert ist ein Engländer namens John Martin, der dieses Bild, (➱Belshazzar's Feast) gemalt hat. Und wenn Sie wirklich wissen wollen, wie der Untergang aussieht, dann klicken Sie doch mal eben seinen ➱Great Day of His Wrath an. Ich nehme an, dass Theresa May eine Kopie davon in Number Ten hängen hat und sich täglich anguckt, was sie erwartet.
Nach dem großen Erfolg von Les Romains de la décadence kamen für den Schüler von Baron Antoine-Jean Gros und Paul Delaroche nicht mehr viel Erfolge. Aber von der politischen Allegorie konnte er nicht lassen, wie dieses Bild zeigt. Es heißt La courtesan moderne oder The Courtesan's Chariot, or Love Leading the World, ist aber auch unter dem Titel The Thorny Path bekannt. Couture hat es sechs Jahre vor seinem Tod gemalt. Es soll wieder die dekadente französische Gesellschaft darstellen. Vor der Kutsche der Kurtisane und ihrer Mutter. Der nackte alte Mann links ist von seinem ausschweifenden Leben gezeichnet, Couture wird im Alter ähnlich aussehen. Da ist nichts mehr von der jugendlichen Schönheit, das ist ähnlich wie bei Christine Keeler.
Dies ist eine Variante des Bildes, die Komposition ist die gleiche. Vorne der Fettwanst, daneben ein Harlekin (der für die Parodien mittelalterlicher Balladen stehen soll, die damals in Frankreich in Mode sind), ein Student (der im Gehen schreibt) und ein Soldat. Nicht auf diesem Bild ist der grinsende Satyr, den der Maler mit seinen Initialen signiert hat.
Kurtisanen sind jetzt chic in der französischen Malerei; der englische Kunsthistoriker T.J. Clark hat in ➱The Painting of Modern Life: Paris in the Art of Manet and his Followers über die Kurtisane gesagt: She was discovered, and to some extent permitted, in almost any depiction of the body or Desire in this decade. She seemed to be the necessary, if regrettable, form of nakedness itself. And not just of nakedness: everywhere that flesh was visible and feminine, the courtisane materialized. Bei Coutures Schüler Manet sieht sie allerdings ganz anders aus als die allegorische peitschenschwingende Schönheit von Couture.
Als Couture seine La courtesan moderne malt, malt sein ehemaliger Schüler (auf den Couture keinen Einfluß gehabt hat) das Bild von dem Kindermädchen und der Eisenbahn (lesen Sie hier mehr in dem Post ➱Kindermädchen). Und Monet mal dieses Bild. Ich stelle das einmal hierhin, um zu zeigen, wie weit Thomas Couture sich im Abseits befindet. Einfluß hat Couture wohl nur auf Henri Fantin-Latour und Pierre Puvis de Chavannes gehabt.
Und auf die Amerikaner, von denen ➱John La Farge (oder der in Amerika lebende Tommaso Juglaris) wohl der berühmteste ist. 1970 gab es in Maryland eine kleine Ausstellung, die American pupils of Thomas Couture hieß. Die vielen amerikanischen Maler sorgen unter anderem dafür, dass sich Couture in Villiers-le-Bel ein stattliches Anwesen leisten kann.
Ich muss noch einen Schüler von Thomas Couture erwähnen, es ist ein Deutscher namens Anselm Feuerbach. Couture hat ihn gemalt, und das ist eigentlich ein schönes ➱Bild. Ich selbst kann Feuerbach nicht ausstehen, bleibe aber doch in Museen länger vor seinen Bildern stehen. Mein witzigstes Erlebnis vor einem Feuerbach Gemälde hatte ich, als ich mit meinem Freund Uwe in der Bremer Kunsthalle war. Die Geschichte mit den zwei unterschiedlichen Händen steht schon ➱hier. Und was hier aussieht wie eine etwas milchige Photoshop Kopie von Les Romains de la décadence ist gar nicht von Couture, es ist von seinem Schüler Anselm Feuerbach.
Wenn Sie beim Lesen des Titels dieses Posts an Mode denken müssen, dann liegen Sie gar nicht so falsch. Denn als Thomas Couture seinen Höhepunkt hat, gibt es noch eine andere Couture in Paris: die ➱Haute Couture.
Montag, 18. Dezember 2017
Angströhre
Wie die Zeit vergeht! Ich kann das nicht glauben, dass es schon mehr als ein Jahr her ist, dass ich über den Maler ➱Philipp Wirth (der am 18. Dezember 1878 starb) geschrieben habe. Er ist ja jemand, mit dem sich die Kunstgeschichte nicht so sehr beschäftigt, obgleich man Gustav Paulis Begeisterung für dieses Selbstportrait verstehen kann. Wirth muss das Selbstportrait nach seinem Pariser Aufenthalt gemalt haben, so viel großstädtische Eleganz findet man in Wirths Heimatstadt Miltenberg in der Mitte des 19. Jahrhunderts wohl nicht. Hat er sich seinen Zylinder aus Paris mitgebracht? Oder ist das ein Werk seines Vaters, der Hutmacher war?
Als Philipp Wirth sich mit dem Zylinder malt, ist der Zylinder als Kopfbedeckung hauptsächlich bei den Nachfolgern von ➱Beau Brummel zu finden. Also eher bei Künstlern und in der Bohème als im bürgerlichen Leben. Das ändert sich, als Victorias Gatte ➱Albert von Coburg Gotha den Zylinder aufsetzt. Von nun an ist die Angströhre auch für die bürgerliche Gesellschaft de rigeur. Zum ➱Cutaway ist sie heute noch Vorschrift. Selbst John F. Kennedy, dem man nachsagte, dass er die Hutmode beendet hätte, trug zu seiner ➱Inauguration einen Zylinder.
Wir können dem Selbstportrait von Philipp Wirth noch etwas entnehmen: die Kleidung wird schwarz, nicht nur in der Bohème. Gab es vorher grüne und blaue Fräcke, so ist jetzt alles schwarz. Wenn Albert stirbt, wird die ➱Königin Victoria ein beispielloses Trauerzeremoniell ausleben. Selbst Kleinkinder werden schwarze Fäden in die Windeln gestickt bekommen, wenn jemand in der Familie stirbt. Samuel Courtauld wird mit seiner schwarzen Kunstseide ein Millionenvermögen machen. Die beste Kulturgeschichte zur schwarzen Kleidung ist John Harveys Men in Black, das habe ich schon in den Post ➱Men in Black und ➱Schwarz geschrieben.
Hier ist Philipp Wirth noch ein junger Künstler, hier hat er sich im Stil der Romantik gemalt, in der man die sogenannte altdeutsche Tracht trug. Die noch die Kleidung der Studenten und der Maler war, bevor sie die Kleidung der ➱Revolutionäre wurde. Carl Philipp Fohr, der ➱hier einen viel gelesenen Post hat, hat so etwas getragen, wahrscheinlich ist er auch in seiner altdeutschen Tracht im Tiber ertrunken. Der Zylinder ist heute aus dem Bild der Mode verschwunden. Mein Opa hatte einen chapeau claque, mit dem wir als Kinder gespielt haben. Als ich acht war, trat ich damit als Zauberkünstler auf. Ich trug meinen verschlissenen weinroten Brokatbademantel und den Zylinder, ich konnte allerdings nur drei Zauberkunststücke. Da reißt auch ein chapeau claque nicht viel heraus.
Die Zylinder sind noch in der Malerei zu finden (zum Beispiel bei dem Bild ➱Streik), auch in der Literatur. Zahlreich bei ➱Proust. Sie haben noch ihre große Zeit im Film der dreißiger Jahre. People think I was born in top hat and tails, hat Fred Astaire, der Star von ➱Top Hat, gesagt. Wir finden den Zylinder auch in der Karikatur, kaum ein Kapitalist oder Plutokrat, der nicht einen Zylinder trägt und eine Zigarre raucht. Im Deutschen heißt der Zylinder manchmal auch Angströhre, was wahrscheinlich von dem englischen anxiety hat kommt.
Denn bei seinem ersten Auftreten verbreitet der Zylinder Angst und Schrecken. Ein gewisser John Hetherington soll am 15. Januar 1797 zum ersten Mal so etwas getragen haben, appearing on the public highway wearing upon his head a tall structure having a shining lustre and calculated to frighten timid people, steht im Polizeibericht. Ich weiß nicht, ob die Geschichte wirklich wahr ist, aber se non è vero, è ben trovato. Das mit der Erfindung des Zylinders im Jahre 1797 ist zu bezweifeln, denn schon vorher finden sich französische ➱Incroyables mit Zylindern in den Modezeitschriften. Und zwei Jahre vor dem kurzen dramatischen Auftritt von Mr Hetherington mit seiner Angströhre (several women fainted at the unusual sight, while children screamed, dogs yelped and a younger son of Cordwainer Thomas was thrown down by the crowd which collected and had his right arm broken), malt Jacques Louis David den Monsieur Pierre Seriziat. Und der trägt bestimmt einen Zylinder.
Wenige Jahre, bevor sich Phlipp Wirth mit seinem Zylinder malt, malt sich der Berliner Maler Franz Krüger zusammen mit dem Prinzen Wilhelm von Preußen. Den Prinzen kennen wir auch unter dem Namen ➱Kartätschenprinz, den Maler als ➱Pferde-Krüger, beide haben hier schon einen Post. Es ist ein schönes Bild, aber mit dem Gedanken an die blutige Niederschlagung des Aufstandes, bekommt es eine andere Dimension. Da ahnt man, weshalb Karl Gutzkow über Krüger, den er als den Hofmaler Professor Lüders in seinen Roman ➱Die Ritter vom Geiste hineingeschrieben hat, von einem Künstler spricht, den die niedrigste Servilität zum Parade- und Uniformmaler gestempelt hatte.
Ich kann nicht mit diesem Eelking aufhören, ich muss noch einen Zylinderträger aus dem Hut zaubern. Wir kennen ihn als den Mad Hatter, obgleich er im ➱Text von ➱Alice in Wonderland nur Hatter und nicht Mad Hatter heißt. Aber ein klein wenig mad ist er schon. Wie die Engländer, die jetzt wieder aus dem Brexit herauswollen. Bevor es den (mad) hatter gab, gab es im Englischen schon die Redewendung mad as a hatter. Und die hatte einen traurigen Grund, die Hutmacher verwandten bei ihrer Arbeit an den Filzhüten ➱Quecksilber, eine der Folgen der Quecksilbervergiftung war, dass sie im Irrenhaus landeten. Zylinder sind eine gefährliche Sache.
Samstag, 16. Dezember 2017
Universitätsromane
In den siebziger Jahren blühte in England ein Romangenre auf, das eigentlich so neu nicht war: der ➱Universitätsroman. Der ungekrönte König des Genres war sicherlich ➱David Lodge. Sein professoraler Kollege Malcolm Bradbury hätte auch gern den Thron für sich beansprucht, aber sein Roman The History Man ist nun mal lange nicht so witzig wie David Lodges Small World. Lodge hat den Universitätsroman charakterisiert als: The high ideals of the university as an institution - the pursuit of knowledge and truth are set against the actual behaviour and motivations of the people who work in them, who are only human and subject to the same ignoble desires and selfish ambitions as anybody else. The contrast is perhaps more ironic, more marked, than it would be in any other professional milieu.
Ich hatte am Anfang der achtziger Jahre eine neue Zeitschrift abonniert, die ➱The London Review of Books hieß. Die Zeitschrift war 1979 von den Herausgebern des Times Literary Supplement gegründet worden, damals - das kann man sich gar nicht mehr vorstellen - erschien die Londoner Times für ein ganzes Jahr nicht mehr. Während des ersten halben Jahres ihrer Existenz erschien die Literaturzeitung The London Review of Books als Beilage des New York Review of Books. Den schickte mir mein Freund ➱Peter Gutkind immer aus ➱Kanada, und durch diese Beilagen war ich auf die Zeitschrift gekommen.
Im London Review of Books las ich, als der Boom der campus novel begann, eine wunderbare Rezension. In der der Verfasser sagte, dass die Universitätsromane ein etwas billiges Vergnügen seien. Jeder wisse doch, dass an der Uni nur Leute seien, die ein klein wenig bescheuert seien und mit dem wirklichen Leben nicht zurecht kämen. Es sei doch kleinlich, über die noch zu witzeln und sie in Romanen lächerlich zu machen. Nach einem halben Leben an der Uni muss ich sagen, dass der anonyme Verfasser da ein interessantes Argument vorbrachte. Ich habe übrigens Professor Malcolm Bradbury (Bild), den Verfasser von ➱The History Man, einmal kennengelernt. Er war geistreich, witzig und gebildet, und er war für einen englischen ➱Professor sehr elegant gekleidet. Also nicht so wie Michael Caine in ➱Educating Rita.
Er war auch ein klein wenig eitel und arrogant, er ließ sein Gegenüber immer wissen, dass er ein bedeutender Mann war. An seiner Uni gab es mal einen Graffito auf einer Klotür, der lautete: What is the difference between God and Professor Bradbury? Die Antwort stand natürlich dabei God is here but everywhere. Professor Bradbury is everywhere but here. Immerhin brachten seine Vortragsreisen und die ständige Abwesenheit an der University of East Anglia solche schöne Dinge hervor. Wie auch einen zweiten Graffito, der ein wenig elegisch klingt: Remote and ineffectual don, Where have you gone, where have you gone? Ich habe es damals nicht gewagt, ihn zu fragen, ob er das witzig fand.
David Lodge und seine Kollegen hatten mit ihren Romanen großen Erfolg in England. Die Welle der Universitätsromane schwappte dann auch nach Deutschland über. Ein obskurer deutscher Professor namens Dietrich Schwanitz schaffte es mit seinem Universitätsroman Der Campus im Spiegel und im Fernsehen ernstgenommen zu werden. Das Werk, das ➱Tom Wolfes Bonfire of the Vanities ausplündert, ist aber eigentlich nur peinlich, noch peinlicher war die Verfilmung. Da ich eben Tom Wolfe erwähnt habe, sollte ich noch hinzufügen, dass er mit I am Charlotte Simmons auch einen Roman zu dem Genre beigesteuert hat. Wenn schon, dann sollte man englische Universitätsromane lesen. Es ist sicherlich immer witzig, wenn Professoren als völlig tumb oder hilflos in Liebesdingen geschildert werden, aber der Schmäh sollte doch stilvoll daherkommen.
Und das können die Engländer besser als Herr Schwanitz. Vor allem, weil sie mit ihren Universitäten Jahrhunderte von Geschichte und Kulturgeschichte bieten können. Und ihnen ihre Universität etwas mehr bedeutet als Mensa, Fahrradständer und Photokopierer. ➱Joseph Losey hat Teile seiner ➱Verfilmung von Nicholas Mosleys Universitätsroman ➱Accident nach ➱Syon Hall verlegt, stilvoller geht es natürlich nimmer. Auch wenn sich ➱Dirk Bogarde, der stilvoll einen Universitätsprofessor spielt, bei der Aristokratie etwas deplaziert vorkommt.
Jahre vor dem Erscheinen von David Lodges Campus Trilogie hatte J.I.M. Stewart einen fünfbändigen Universitätsroman vollendet. Wir kennen den Autor unter seinem Pseudonym ➱Michael Innes, unter dem der Oxforder Literaturprofessor die besten englischen Krimis geschrieben hat. Er hat natürlich ➱hier schon einen Post. A Staircase in Surrey war kein Bestseller wie Small World, die Romane sind eher in der Tradition von C.P. Snow (dessen Roman ➱The Masters von 1937 ein klassischer Universitätsroman ist) und Anthony Powell. So etwas verkauft sich nicht so leicht. Anthony Powell hat in diesem Blog schon zwei Posts (➱Tänzer und ➱Bilder - Texte - Bilder), die mir zwar das Lob des deutschen Verlegers von Powell eingetragen haben, aber die Verkaufszahlen wahrscheinlich nicht gerade nach oben getrieben haben.
Raymond Chandler, der eine englische Public School besuchte, war übrigens von Michael Innes begeistert: In spite of several mentions by you I have only just discovered Michael Innes. I think he is quite wonderful and I am about to buy up all the books of his that are still in print. Even if the plot were rotten, it would still be a pleasure to come into contact with a whole literate mind, full of sly humor and soft chuckles. What the typical mystery addict makes of him, God knows. Very little, I imagine, but he suits me fine, and makes all the words-of-one-syllable boys sound like so many lame-brain-dead-end-kids.
Bradburys History Man stand in der Tradition eines Klassikers der campus novel, nämlich des wunderbar komischen Romans Lucky Jim von ➱Kingsley Amis aus dem Jahre 1954. Amis hat diesen Roman seinem Freund ➱Philip Larkin gewidmet, damals waren beide noch jung und noch nicht verbiestert rechtsradikal. Lucky Jim war der erste Roman von Kingsley Amis, der Roman ist heute noch immer ein ➱Klassiker, der sich auch in der Liste der hundert besten Bücher des Magazins Time findet. Der Roman wird man manchmal mit dem ➱Angry Young Men Movement in Verbindung gebracht, aber zu denen wollte Kingsley Amis nicht gehören. Das war ihm irgendwie zu prollig.
Auch Detektivromane können Universitätsromane sein. Die Herren ➱Morse, ➱Lewis und ➱der junge Inspektor Morse sind literarische Geschöpfe des Cambridge Absolventen Colin Dexter, der wie Morse Klassische Philologie studiert hatte und eines Tages an der Uni Oxford landete. Es gab seine Romane, bevor die beiden Detectives die Lieblinge der Nation auf dem Fernsehschirm wurden. Leider haben sich die Abenteuer des Professors Gervase Fen von ➱Edmund Crispin nicht so durchgesetzt, obgleich das auch schöne Universitätsromane mit Krimihandlung sind.
Wir mögen Morse und Lewis. Colin Dexters Romane sind Detektivromane mit ein bisschen Universität, sie sind keine echten Universitätsromane. So etwas kann man verfilmen, einen wirklichen Universitätsroman kaum. Ian Carmichael mag als Jim Dixon in der Verfilmung von ➱Lucky Jim gerade noch durchgehen. Schwanitz' Campus ist so simpel gestrickt, dass man ihn leicht verfilmen kann, aber wer glaubt Heiner Lauterbach, dass er ein Professor sein soll? Seine schauspielerische Begabung reicht doch gerade für die Möbelwerbung.
Ein erstaunliches Phänomen beim Universitätsroman war, dass er an den Ort zurückkam, der sein Handlungsort war. Plötzlich wurden an Universitäten Seminare zum Universitätsroman angeboten, Aufsätze und Bücher erschienen. Ich könnte dazu witzige Geschichten erzählen, aber ich lasse das lieber. Einen Universitätsroman könnte ich mit links schreiben. Der ➱Spagatprofessor, der fünf Minuten braucht, um sein Büro aufzuschließen, der käme natürlich drin vor. Und ➱Dr Hilarius würde ich sicher auch erwähnen. Auch den Professor, dessen ➱Ärmel sich vom Jackett löst. Oder den Professor, der eine Vorlesung über den Universitätsroman hielt, ohne einen einzigen gelesen zu haben. Manchmal finden sich in meinen Posts schon Passagen, die wie eine Arbeitsnotiz zu einem Universitätsroman wirken. Ich zitiere mal eben einen Absatz, der sich in dem Nachruf für ➱Peter Nicolaisen findet:
Eine der kuriosesten Aufgaben von uns Hilfskräften betraf den Herrn Professor Germer, der bei seiner Berufung verlangte, dass man die leeren Bücherregale in seinem neuen Dienstzimmer mit Büchern füllte. Eigene Bücher brachte er offensichtlich nicht mit. Books do furnish a room, wie es bei Anthony Powell heißt. Schweren Herzens opferte unsere Bibliothekarin, Frau Gertrud Klein, die sogenannte studentische Ausleihbibliothek, die eigentlich aus nichts anderem als Doubletten und ausgesonderten Luschen bestand. Mein Freund Götz und ich arbeiteten tagelang daran, die vorzeigbarsten Stücke in die Regale zu sortieren. Schön nach Autoren und Jahrhunderten geordnet. Als Rudolf Germer zum ersten Mal sein neues Zimmer betrat, würdigte er unsere Arbeit keiner genaueren Betrachtung. Er sagte nur: Meine Herren, ich bin Ästhet. Ordnen Sie die Bücher bitte nach Farben! Ich habe mir immer gedacht, dass dies zwei Sätze sind, die – wären sie Thomas Bernhard oder Botho Strauß eingefallen – zur Weltliteratur hätten werden können.
Die erste seriöse deutsche Publikation zum Thema Universitätsroman war Der anglo-amerikanische Universitätsroman von Wolfgang Weiß. Das Buch erschien 1988 in der renommierten Reihe Erträge der Forschung der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft und erlebte 1994 eine überarbeitete Neuauflage. Ich kann Ihnen das Buch, das als Motto John Donnes an University is but a wildernesse, though we gather our learning there hat, sogar ➱hier zur Lektüre anbieten. Das Buch wird in dem Wikipedia Artikel zum Universitätsroman nicht erwähnt, aber den Artikel brauchen Sie gar nicht erst anzuklicken, der bringt keinen intellektuellen Zugewinn.
In der Nachfolge von Schwanitz' Campus gab es auch zahlreiche deutsche Universitätsromane. Einen sogar über mein Institut. Im Klappentext heißt es über das Werk: Eine kleine norddeutsche Universitätsstadt: Die junge Magistra Kathrin fühlt sich zu ihrem doppelt so alten Doktorvater Prof. Förster hingezogen. Die romantische Liaison wendet sich zum Unromantischen, als er seine akademische Machtstellung mit sexuellen Forderungen verknüpft. Während die Heldin ratlos zwischen Lachen und Weinen taumelt, weiß der alte Platzhirsch seinen Ruf als ehrbarer Professor geschickt zu wahren. Hier rächt sich eine Studentin, die offenbar eine Affäre mit einem Professor hatte (oder gerne gehabt hätte?) an ihrem Professor. Am Ende des Romans wird er mit einem Herzinfarkt aus einem Kieler Szenelokal getragen, während das Blaulicht von Polizei- und Krankenwagen den Alten Markt beleuchtet.
Glücklicherweise komme ich in dem Roman nicht vor, die Autorin hat auch nie ein Seminar bei mir besucht. Es ist viel Gift und viel Schmäh in dem Roman, aber er hat nichts von den Romanen von Kingsley Amis oder David Lodge an sich. Die ➱Hamburger Morgenpost schrieb in ihrer Rezension: Der Klappentext des Lüneburger Verlages Dreidreizehn attestiert der Autorin "Sprachwitz", mit dem sie "eine Geschichte von hemmungsloser Abhängigkeit und Erotik" erzähle. In Wahrheit jedoch kommt ihre Story ähnlich dröge daher wie ein unterdurchschnittliches Uni-Seminar. Ihre Leser traktiert Bohn mit hölzernen Dialogen ("Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß du mit Frauen recht willfährig umgehst") und kryptischen Satzungetümen ("Berührungen mußten für sie Gegenseitigkeit haben und nicht einen einseitigen Anfall von Lust demonstrieren"). Kurse über Schriftstellerei ("Creative Writing") gehören an angelsächsischen Hochschulen zum Regelangebot. Hierzulande nicht. Eigentlich schade, denn Bohn hätte ein solcher Kurs bestimmt sehr gut getan.
Mehr kann man dazu nicht sagen. Es gibt schöne Sätze in dem Roman, der die Geschichte einer amour fou sein will: Sie hatte immer studieren wollen, und ihre Vorstellung vom wissenschaftlich-akademischen Dasein war von einer elitären Romantik [...] Welche Ironie des Schicksals, daß Kathrin sich nun in trübweißen Seminarräumen wiederfand, in denen mehr oder minder mißmutige Dozenten sich vor recht gleichgültigen Zuhörern verbreiteten, die mehr an einem „Schein“ als an geistigem Zugewinn interessiert waren. Doch letztlich ist ihre Geschichte nur platt wie das Land Schleswig-Holstein. Das Thema 'Studentin liebt Professor', diese unendliche Geschichte von hemmungsloser Abhängigkeit und Erotik, ist schon ein wenig abgegriffen. Ich war mal im Tagungszentrum Steinkimmen, mein Freund Uwe, der zuletzt ➱hier vorkam, hatte mich mitgeschleppt. Ich war in dem Kurs Marionettenbau gelandet, schnupperte aber immer in einen Kurs hinein, der Songs der DDR hieß. Da gab es (es war Anfang der sechziger Jahre) sogar schon Systemkritisches zu hören. Einen Song habe ich nie vergessen, auf jeden Fall die letzten Zeilen des Refrains nicht. Die lauteten:
Denn sie wollt' ja immer einen von der Universität
wenn' s geht, wenn's geht
Das wurde herrlich ordinär herausgebrüllt, aber in diesen zwei Zeilen steckte mehr Potential für einen Universitätsroman als in dem ganzen Roman Magistra.
Monika Bohns Roman ist ein literarischer Rachefeldzug, den man nicht mit Literatur verwechseln sollte. Da sollte man einmal Heidi Frommanns Innerlich und außer sich: Eine Geschichte aus der Studienzeit lesen, das ist schon richtige Literatur. Ich weiß noch, dass ich mir vor Jahrzehnten bei der Lektüre einen kleinen Bleistiftstrich an der Stelle machte, wo die Autorin über die Anglisten ätzt, die immer die Photokopierer der Uni beschlagnahmen. Heidi Frommanns Buch ist bei Diogenes erschienen und erlebte mehrere Auflagen, Monika Bohns Roman erschien bei einem Lüneburger Comicsverlag und erlebte keine zweite Auflage.
Universitätsromane werden häufig von Universitätsprofessoren geschrieben. Und von Akademikern gelesen. In der Zeit des Golden Age of the Detective Novel hatte man das Gefühl, dass hier ein Genre war, das nur von Professoren für Professoren geschrieben wurde. So ähnlich wie der deutsche Philosoph Odo Marquard die Misere der Philosophie beschrieb: Philosophen [...] gleichen Sockenfabrikanten, die Socken nur für Sockenfabrikanten herstellen. Der Kreis der Autoren war klein, der Kreis der Leser auch. Die im Roman beschriebenen Colleges kannten sie alle, sie waren ja alle in Oxbridge gewesen. P.D. James, die später Baroness James of Holland Park wurde, hat in einem ➱Vortrag eine wunderbare Anekdote zum Thema Professoren und Krimis erzählt: Dr Erik Routley, in his book 'The Puritan Pleasures of the Detective Story', tells the story of Professor Henry Robinson, principal of an Oxford theological college and one of the great Old Testament scholars of his day. Professor Robinson was very fond of detective stories and, travelling from Oxford to London for a meeting, he called at the station bookstall to find one for the journey. The professor looked at the paperbacks at the front and said, "I have read them all". The assistant, who was new to the job, directed him to the ones on the side. The professor peered at those and said, "I have read those too". The assistant then suggested that there were some at the back. The professor rummaged there, then came back and said, "I have read them all". The assistant then said, "In that case, sir, may I suggest it is high time you turned your attention to serious literature".
Mittwoch, 13. Dezember 2017
Harry - Heinrich - Henri
Heute vor 220 Jahren wurde Harry Heine in Düsseldorf im Herzogtum Berg geboren (Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der Ferne an sie denkt und zufällig dort geboren ist, wird einem wunderlich zu Muthe. Ich bin dort geboren und es ist mir, als müsste ich gleich nach Hause gehn. Und wenn ich sage nach Hause gehn, dann meine ich die Bolkerstraße und das Haus, worin ich geboren bin). Im Herzogtum Berg wird bis 1808 der Joachim Murat herrschen. Den hat Harry gesehen, und er das das ▹Erlebnis beschrieben. Den Napoleon hat er auch gesehen, den hat er immer bewundert. Das klingt sicher noch in seinem Gedicht von den zwei ▹Grenadieren an, ich kann das immer noch aufsagen. Mein Opa mochte Frankreich nicht, aber dies Gedicht, das mochte er. Er rezitierte es immer wieder. Wenn er nicht am Klavier sang:
Zu Mantua in Banden
Der treue Hofer war,
In Mantua zum Tode
Führt ihn der Feinde Schar.
Es blutete der Brüder Herz,
Ganz Deutschland, ach, in Schmach und Schmerz.
Mit ihm das Land Tirol,
Mit ihm das Land Tirol.
Für meinen Opa, den kaisertreuen Hauptmann des Ersten Weltkriegs, blieb der Franzose der Erbfeind. Ich glaube, das ging vielen seiner Generation so. Nicht allen: Nein, Heinrich Heine war kein 'guter' Mensch. Er war nur ein großer Mensch. — Nur...! Das schreibt ein 18-jähriger Gymnasiast in einem Schulaufsatz. Er wird wie Heine auch Schriftsteller werden. Hätt’ er gelernt was Rechtes, müsst er nicht schreiben Bücher, soll sein Onkel in Hamburg gesagt haben. Der 18-jährige Gymnasiast hat auch nichts Rechtes gelernt, er muss auch schreiben Bücher. Er heißt übrigens Thomas Mann.
Wir tun uns schwer mit Heine. Seit zwölf Jahren diskutiert man über mich in Deutschland, man lobt mich und man tadelt mich, aber immer mit Leidenschaft und unaufhörlich. Dort liebt man mich, verabscheut man mich, vergöttert man mich, beleidigt man mich, das schreibt Heine 1835. Hat sich viel verändert? Nun, es gab nach 1945 zwei Deutschlands. Das hätte Heine wohl nicht gedacht, wenn er an Deutschland in der Nacht dachte.
Jedes Deutschland brachte eine kritische Heine Gesamtausgabe heraus, und so haben wir die Düsseldorfer Heine Ausgabe (DHA) und die Heine Säkularausgabe (HSA). Aber dieser Wettkampf der Philologen interessiert eigentlich niemanden, weil jedermann die von Klaus Biegleb herausgegebene Hanser Ausgabe benutzt. Ich auch. Die HSA, die von der Klassik Stiftung Weimar und dem Centre national de la recherche scientifique in Paris herausgegeben wird, ist noch nicht ganz fertig, aber man sollte hervorheben, dass Heinrich Heine in der Zeit der beiden Deutschlands in der DDR immer mehr geschätzt wurde als im Westen. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat ▹hier zu dem Thema der Heine Rezeption interessante Seiten. Wir können natürlich auch noch anfügen, dass es Zeiten gab, wo Heine im Ausland berühmter war als in Deutschland. Dazu könnten wir ▹Jorge Luis Borges zitieren:
Meine Nächte sind mit Virgil angefüllt;
so sagte ich einmal;
ich könnte aber auch gesagt haben:
mit Hölderlin und Angelus Silesius.
Heine gab mir seine Nachtigallenpracht;
Goethe die Schickung einer späten Liebe,
gelassen sowohl wie bereichernd;
Die Nachtigallenpracht mochten die Nazis nicht so sehr. Heines Name wurde aus den Lesebüchern entfernt, die ▹Loreley zu einem Volkslied mit unbekanntem Verfasser erklärt. Als im Dezember 1988 der Senat der Düsseldorfer Universität beschloss, dass die Universität den Namen Heinrich Heine Universität Düsseldorf tragen sollte, war dem ein mehr als zwanzig Jahre langer erbitterter Streit um die Namensgebung vorausgegangen. Den Namensgeber hätte das bestimmt belustigt: Dort liebt man mich, verabscheut man mich, vergöttert man mich, beleidigt man mich.
Thomas Manns Aufsatz Heinrich Heine der 'Gute' ist eine Jugendsünde. Wie der Brief, den Heine (der Goethe einmal als Aristokratenknecht bezeichnete) zusammen mit seinen Gedichten an Goethe schickt: Ich hätte hundert Gründe Excellenz meine Gedichte zu schicken. Ich will nur einen erwähnen: Ich liebe Sie. Ich glaube das ist ein hinreichender Grund. - Meine Poetereyen, ich weiß es, haben noch wenig Werth; nur hier und da wär manches zu finden, woraus man sehen könnte was ich mahl zu geben im Stande bin. Ich war lange nicht mit mir einig über das Wesen der Poesie. Die Leute sagten mir: frage Schlegel. Der sagte mir: lese Göthe. Das hab ich ehrlich gethan, und wenn mahl etwas Rechts aus mir wird, so weiß ich wem ich es verdanke. Ich küsse die heilige Hand, die mir und dem ganzen deutschen Volke den Weg zum Himmelreich gezeigt hat, und bin Ew Excellenz gehorsamer und ergebener H. Heine.
Wir tun uns schwer mit Heine. Seit zwölf Jahren diskutiert man über mich in Deutschland, man lobt mich und man tadelt mich, aber immer mit Leidenschaft und unaufhörlich. Dort liebt man mich, verabscheut man mich, vergöttert man mich, beleidigt man mich, das schreibt Heine 1835. Hat sich viel verändert? Nun, es gab nach 1945 zwei Deutschlands. Das hätte Heine wohl nicht gedacht, wenn er an Deutschland in der Nacht dachte.
Jedes Deutschland brachte eine kritische Heine Gesamtausgabe heraus, und so haben wir die Düsseldorfer Heine Ausgabe (DHA) und die Heine Säkularausgabe (HSA). Aber dieser Wettkampf der Philologen interessiert eigentlich niemanden, weil jedermann die von Klaus Biegleb herausgegebene Hanser Ausgabe benutzt. Ich auch. Die HSA, die von der Klassik Stiftung Weimar und dem Centre national de la recherche scientifique in Paris herausgegeben wird, ist noch nicht ganz fertig, aber man sollte hervorheben, dass Heinrich Heine in der Zeit der beiden Deutschlands in der DDR immer mehr geschätzt wurde als im Westen. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat ▹hier zu dem Thema der Heine Rezeption interessante Seiten. Wir können natürlich auch noch anfügen, dass es Zeiten gab, wo Heine im Ausland berühmter war als in Deutschland. Dazu könnten wir ▹Jorge Luis Borges zitieren:
Meine Nächte sind mit Virgil angefüllt;
so sagte ich einmal;
ich könnte aber auch gesagt haben:
mit Hölderlin und Angelus Silesius.
Heine gab mir seine Nachtigallenpracht;
Goethe die Schickung einer späten Liebe,
gelassen sowohl wie bereichernd;
Die Nachtigallenpracht mochten die Nazis nicht so sehr. Heines Name wurde aus den Lesebüchern entfernt, die ▹Loreley zu einem Volkslied mit unbekanntem Verfasser erklärt. Als im Dezember 1988 der Senat der Düsseldorfer Universität beschloss, dass die Universität den Namen Heinrich Heine Universität Düsseldorf tragen sollte, war dem ein mehr als zwanzig Jahre langer erbitterter Streit um die Namensgebung vorausgegangen. Den Namensgeber hätte das bestimmt belustigt: Dort liebt man mich, verabscheut man mich, vergöttert man mich, beleidigt man mich.
Thomas Manns Aufsatz Heinrich Heine der 'Gute' ist eine Jugendsünde. Wie der Brief, den Heine (der Goethe einmal als Aristokratenknecht bezeichnete) zusammen mit seinen Gedichten an Goethe schickt: Ich hätte hundert Gründe Excellenz meine Gedichte zu schicken. Ich will nur einen erwähnen: Ich liebe Sie. Ich glaube das ist ein hinreichender Grund. - Meine Poetereyen, ich weiß es, haben noch wenig Werth; nur hier und da wär manches zu finden, woraus man sehen könnte was ich mahl zu geben im Stande bin. Ich war lange nicht mit mir einig über das Wesen der Poesie. Die Leute sagten mir: frage Schlegel. Der sagte mir: lese Göthe. Das hab ich ehrlich gethan, und wenn mahl etwas Rechts aus mir wird, so weiß ich wem ich es verdanke. Ich küsse die heilige Hand, die mir und dem ganzen deutschen Volke den Weg zum Himmelreich gezeigt hat, und bin Ew Excellenz gehorsamer und ergebener H. Heine.
Wie hat sich der kritische Geist, der große Ironiker dabei gefühlt, als er das schrieb? Oder ist Ich küsse die heilige Hand, die mir und dem ganzen deutschen Volke den Weg zum Himmelreich gezeigt hat schon fette Ironie? Obgleich mein Opa Heine nicht mochte, besaß er doch ein Exemplar des ▹Romanzero. Das ich mir mopste, weil ich den Titel so geheimnisvoll fand. Das war so ähnlich wie bei Storms ▹Aquis Submersis, auch bei Opa gemopst. Man konnte Opa oder die Eltern nicht fragen, was diese Titel bedeuteten. ▹Lesen war etwas, mit dem man sich die eigene Welt eroberte, nicht die Welt, die einem die Erwachsenen erklären.
Heine gilt als „letzter Dichter der Romantik“ und zugleich als deren Überwinder. Das ist der erste Satz des Wikipedia Artikels zu Heinrich Heine. Das wusste er allerdings selbst: Ein geistreicher Franzose – vor einigen Jahren hätten diese Worte einen Pleonasmus gebildet – nannte mich einst einen romantique défroqué. Ich hege eine Schwäche für alles was Geist ist, und so boshaft die Benennung war, hat sie mich dennoch höchlich ergötzt. Sie ist treffend. Trotz meiner exterminatorischen Feldzüge gegen die Romantik, blieb ich doch selbst immer ein Romantiker, und ich war es in einem höhern Grade, als ich selbst ahnte. Nachdem ich dem Sinne für romantische Poesie in Deutschland die tödlichsten Schläge beigebracht, beschlich mich selbst wieder eine unendliche Sehnsucht nach der blauen Blume im Traumlande der Romantik, und ich ergriff die bezauberte Laute und sang ein Lied, worin ich mich allen holdseligen Übertreibungen, aller Mondscheintrunkenheit, allem blühenden Nachtigallenwahnsinn der einst so geliebten Weise hingab. Ich weiß, es war »das letzte freie Waldlied der Romantik«, und ich bin ihr letzter Dichter: mit mir ist die alte lyrische Schule der Deutschen geschlossen, während zugleich die neue Schule, die moderne deutsche Lyrik, von mir eröffnet ward. Diese Doppelbedeutung wird mir von den deutschen Literarhistorikern zugeschrieben.
Sie merken wahrscheinlich, dass ich über Heinrich Heine immer so weiter schreiben könnte, aber ich will mich an seinem Geburtstag doch einmal kurz fassen. Heine ist in diesem Blog immer wieder erwähnt worden, in meinem ersten Jahr als Blogger hat er hier zwei Posts bekommen. In dem Post ▹Harry Heine findet sich die wichtigste Literatur zu dem Dichter. Und der Post ▹Heinrich Heine handelt von dem Heine Denkmal, das zum hundertsten Geburtstag in Düsseldorf enthüllt werden sollte. Wurde nicht. Die antisemitischen und deutschnationalen ▹Meinungen verhinderten das. Das Denkmal steht heute in der Bronx. Ob Donald Trump sich das schon mal angeguckt hat?
Die Kaiserin Elisabeth, die wir in der Version von Romy Schneider kennen, war eine Verehrerin von Heine. Sie stand auch als eine treibende Kraft hinter dem Heine Denkmal, zog jedoch unter dem Druck der Öffentlichkeit die zugesagten 50.000 Goldmark zurück. Sie hat dann den dänischen Bildhauer Ludvig Hasselriis (der die Heine Büste schuf, die in Paris auf dem Friedhof Montmartre steht) mit der Schaffung einer Marmorskulptur beauftragt. Die fand ihren Platz im Garten ihres Schlosses in Korfu. Als ▹Wilhelm II Sissis Schloss eines Tages ihren Erben abkauft, läßt er als erstes die Marmorstatue des Schmutzfinks im deutschen Dichterwald entfernen. Schmutzfink und Nachtigallenpracht, irgendwo dazwischen ist Heinrich Heine. Auf dem Sockel der Heine Büste im Cimetière de Montmartre steht: Immerhin mich wird umgeben, Gottes Himmel dort wie hier, und als Totenlampen schweben nachts die Sterne über mir. Henri Heines letzte Worte sollen gewesen sein: Dieu me pardonnera, c'est son métier.
Auf dem Gelände der Heinrich Heine Universität gibt es heute auch eine Heine Statue. Die im letzten Jahr von der ▹AfD zweimal geschändet wurde. Da hat sich offensichtlich nicht so viel geändert, seit die patriotischen Studenten der ▹Universität Bonn (das ist die, die Thomas Mann den Doktortitel entziehen wird) 1887 erklärten: Seit Beginn unseres Jahrzehntes geht eine mächtige, christlich-deutsche Bewegung durch die deutsche Studentenschaft. Begeistert tritt die akademische Jugend ein für jedes vaterländische Unternehmen. (…) Aber nie und nimmer wird sie auch nur einen Pfennig opfern zu Ehren eines Heinrich Heine. Die studentische Hochschulgruppe der AfD steht da in einer schönen Tradition, das kann einen schon um den Schlaf bringen.
Heine gilt als „letzter Dichter der Romantik“ und zugleich als deren Überwinder. Das ist der erste Satz des Wikipedia Artikels zu Heinrich Heine. Das wusste er allerdings selbst: Ein geistreicher Franzose – vor einigen Jahren hätten diese Worte einen Pleonasmus gebildet – nannte mich einst einen romantique défroqué. Ich hege eine Schwäche für alles was Geist ist, und so boshaft die Benennung war, hat sie mich dennoch höchlich ergötzt. Sie ist treffend. Trotz meiner exterminatorischen Feldzüge gegen die Romantik, blieb ich doch selbst immer ein Romantiker, und ich war es in einem höhern Grade, als ich selbst ahnte. Nachdem ich dem Sinne für romantische Poesie in Deutschland die tödlichsten Schläge beigebracht, beschlich mich selbst wieder eine unendliche Sehnsucht nach der blauen Blume im Traumlande der Romantik, und ich ergriff die bezauberte Laute und sang ein Lied, worin ich mich allen holdseligen Übertreibungen, aller Mondscheintrunkenheit, allem blühenden Nachtigallenwahnsinn der einst so geliebten Weise hingab. Ich weiß, es war »das letzte freie Waldlied der Romantik«, und ich bin ihr letzter Dichter: mit mir ist die alte lyrische Schule der Deutschen geschlossen, während zugleich die neue Schule, die moderne deutsche Lyrik, von mir eröffnet ward. Diese Doppelbedeutung wird mir von den deutschen Literarhistorikern zugeschrieben.
Sie merken wahrscheinlich, dass ich über Heinrich Heine immer so weiter schreiben könnte, aber ich will mich an seinem Geburtstag doch einmal kurz fassen. Heine ist in diesem Blog immer wieder erwähnt worden, in meinem ersten Jahr als Blogger hat er hier zwei Posts bekommen. In dem Post ▹Harry Heine findet sich die wichtigste Literatur zu dem Dichter. Und der Post ▹Heinrich Heine handelt von dem Heine Denkmal, das zum hundertsten Geburtstag in Düsseldorf enthüllt werden sollte. Wurde nicht. Die antisemitischen und deutschnationalen ▹Meinungen verhinderten das. Das Denkmal steht heute in der Bronx. Ob Donald Trump sich das schon mal angeguckt hat?
Die Kaiserin Elisabeth, die wir in der Version von Romy Schneider kennen, war eine Verehrerin von Heine. Sie stand auch als eine treibende Kraft hinter dem Heine Denkmal, zog jedoch unter dem Druck der Öffentlichkeit die zugesagten 50.000 Goldmark zurück. Sie hat dann den dänischen Bildhauer Ludvig Hasselriis (der die Heine Büste schuf, die in Paris auf dem Friedhof Montmartre steht) mit der Schaffung einer Marmorskulptur beauftragt. Die fand ihren Platz im Garten ihres Schlosses in Korfu. Als ▹Wilhelm II Sissis Schloss eines Tages ihren Erben abkauft, läßt er als erstes die Marmorstatue des Schmutzfinks im deutschen Dichterwald entfernen. Schmutzfink und Nachtigallenpracht, irgendwo dazwischen ist Heinrich Heine. Auf dem Sockel der Heine Büste im Cimetière de Montmartre steht: Immerhin mich wird umgeben, Gottes Himmel dort wie hier, und als Totenlampen schweben nachts die Sterne über mir. Henri Heines letzte Worte sollen gewesen sein: Dieu me pardonnera, c'est son métier.
Auf dem Gelände der Heinrich Heine Universität gibt es heute auch eine Heine Statue. Die im letzten Jahr von der ▹AfD zweimal geschändet wurde. Da hat sich offensichtlich nicht so viel geändert, seit die patriotischen Studenten der ▹Universität Bonn (das ist die, die Thomas Mann den Doktortitel entziehen wird) 1887 erklärten: Seit Beginn unseres Jahrzehntes geht eine mächtige, christlich-deutsche Bewegung durch die deutsche Studentenschaft. Begeistert tritt die akademische Jugend ein für jedes vaterländische Unternehmen. (…) Aber nie und nimmer wird sie auch nur einen Pfennig opfern zu Ehren eines Heinrich Heine. Die studentische Hochschulgruppe der AfD steht da in einer schönen Tradition, das kann einen schon um den Schlaf bringen.
Montag, 11. Dezember 2017
Nationalmarsch
Heute vor dreißig Jahren wurde John Philip Sousas ➱Stars and Stripes Forever per Gesetz zum offiziellen Nationalmarsch der Vereinigten Staaten erklärt. Zwei Jahre zuvor war er bei der ➱Last Night of the Proms gespielt worden. Als der Marsch im Mai 1897 zum ersten Mal erklang (sie können die Originalversion ➱hier hören), schrieb eine Zeitung: It is stirring enough to rouse the American eagle from his crag, and set him to shriek exultantly while he hurls his arrows at the aurora borealis. Sousa hat den Marsch an Bord der RMS Teutonic der White Star Line Reederei geschrieben. Die Reederei kennen Sie, die besaß auch die ➱Titanic. Sousa hat auch einen patriotisch martialischen Text zu seinem Marsch geschrieben:
Let martial note in triumph float
And liberty extend its mighty hand
A flag appears 'mid thunderous cheers,
The banner of the Western land.
The emblem of the brave and true
Its folds protect no tyrant crew;
The red and white and starry blue
Is freedom's shield and hope.
Other nations may deem their flags the best
And cheer them with fervid elation
But the flag of the North and South and West
Is the flag of flags, the flag of Freedom's nation.
Other nations may deem their flags the best
And cheer them with fervid elation,
But the flag of the North and South and West
Is the flag of flags, the flag of Freedom's nation.
Hurrah for the flag of the free!
May it wave as our standard forever,
The gem of the land and the sea,
The banner of the right.
Let despots remember the day
When our fathers with mighty endeavor
Proclaimed as they marched to the fray
That by their might and by their right
It waves forever.
Let eagle shriek from lofty peak
The never-ending watchword of our land;
Let summer breeze waft through the trees
The echo of the chorus grand.
Sing out for liberty and light,
Sing out for freedom and the right.
Sing out for Union and its might,
O patriotic sons.
Hurrah for the flag of the free.
May it wave as our standard forever
The gem of the land and the sea,
The banner of the right.
Let despots remember the day
When our fathers with mighty endeavor
Proclaimed as they marched to the fray,
That by their might and by their right
It waves forever.
Diese Verse passten in die Zeit, heimlich bereiten die USA schon einen Krieg in Cuba vor (lesen Sie mehr dazu in dem Post ➱Yellow Press). Ich glaube nicht, daß eine Armee ohne Musik existieren kann, hatte Robert E. Lee während des Bürgerkriegs gesagt. Jetzt wird Sousa mit seiner Band der berühmteste Musiker im ➱Spanisch-Amerikanischen Krieg. Ich habe Stars and Stripes Forever (zu dem es hier eine interessante ➱Seite gibt) zum ersten Mal im Sommer 1959 in Frankreich gehört, damals pfiff es jeder Franzose auf den Straßen von Amiens. Das steht schon in dem Post ➱Stars and Stripes Forever, John Philipp Sousa ist längst in diesem Blog. In Amerika ist Stars and Stripes Forever eine Art Nationalheiligtum, in anderen Ländern nicht unbedingt. Schauen Sie sich doch mal ➱hier eben Eirik Gjerdevik mit einem Bergener Schulorchester an, ist witzig.
Amerikaner können selten den Text zu ihrer ➱Nationalhymne, auch ➱Trump scheint damit Schwierigkeiten zu haben. Die Melodie des Trinklieds aus dem 18. Jahrhundert überfordert viele Stimmen, nicht nur diese ➱Blondine. Den Text von Sousas Marsch beherrschen die wenigsten Amerikaner, die Melodie schon. Als ➱Vladimir Horowitz amerikanischer Staatsbürger wurde, schrieb er zu Sousas Marsch eine Klaviertranskription, wir lassen sie mal von ➱Claire Huanci spielen. Es lohnt sich, das YouTube Video anzuklicken. Wenn Sie eine einfache Klavierversion haben wollen, dann klicken Sie dies an.
Es gibt andere Texte als Let martial note in triumph float And liberty extend its mighty hand zu Sousas Marsch. Ich denke da an ➱Wir trinken das schäumende Bier, einen Text der unvergessenen Gruppe Die 3 Besoffkis. Ich weiß, damit sind wir auf Ballermann Niveau, aber ich brauche einen Übergang zum Bier. Weil ich noch ein bedeutendes Ereignis vom 11. Dezember präsentieren möchte. Ein wirklich bedeutendes Ereignis. Denn am 11. Dezember 1905 hat König Friedrich August von Sachsen ein Dekret erlassen, wonach das Pilsener Bier der Radeberger Exportbierbrauerei jetzt das Tafelgetränk Sr Majestät sei.
Friedrich August III ist der letzte König von Sachsen. Hundert Jahre zuvor hatte sich Friedrich August I, den man den Gerechten nannte, von Napoleon zum König machen lassen. Er bekommt diesen schönen Titel, seine Untertanen dürfen 1812 an der ➱Beresina sterben. Von dem mehr als 20.000 Mann starken sächsischen Heer überlebten nur 1.436 Mann. Musik gaukelt immer vor, dass der Krieg schön sei, ob da die blauen Dragoner mit klingendem Spiel durch das Tor reiten oder ob wir gen ➱Engeland fahren. So einprägsam die Melodie für Märsche und ➱Zapfenstreich sein mag, am Ende steht der Tod. Dann singen die Schweizergarden an der ➱Beresina:
eines Wandrers in die Nacht.
Jeder hat auf seinem Gleise
Vieles, das ihm Kummer macht.
Samstag, 9. Dezember 2017
Colani
Du könntest morgen statt der dicken Kapitänsjacke die dünne Kapitänsjacke anziehen, sagte mein Freund ➱Ekke zu mir. Er hatte mich und ➱Gudrun zum Kaffee eingeladen, und da ist ein Blazer (was er mit der dünnen Kapitänsjacke meinte) sicherlich die angemessene Kleidung. Auf jeden Fall im Bremen der frühen sechziger Jahre. Das Kleidungsstück mit dem Namen Blazer hat hier natürlich schon einen ausführlichen ➱Post. Ich besitze einen von einer italienischen Luxusfirma. Zweireihig, Goldknöpfe, reine Handarbeit. Und das Ganze für zehn Euro bei ebay (ungetragen), da konnte ich nicht widerstehen. Ich habe den erst ein einziges Mal getragen, mit grauer Flanellhose und Schlips vom ➱MCC (wo ich kein Mitglied bin), man fällt furchtbar damit auf. Ich gebe dem Blazer im nächsten Sommer zur ➱Kieler Woche noch mal eine Chance, mit ➱Jeans, weißem Hemd und ➱Wildlederschuhen.
Ich finde, man sieht mit einem blauen Blazer mit Goldknöpfen immer etwas affig aus, aber vielleicht liegt das daran, dass ich die ➱Marine nicht so mag. An kleinen aristokratischen Gören im 18. Jahrhundert sieht so etwas ja ganz nett aus (auf jeden Fall, wenn ➱John Singleton Copley das malt), aber es nichts für jedermann. Das Schlimme dabei war, dass jedermann in Deutschland vor Jahrzehnten einen Blazer tragen musste. Und da gab es noch einen Steigerung: Blazer in dunkelbraun. Weitverbreitet.
Das war sehr deutsch. Und ganz furchtbar. Die braunen Blazer waren so ein 70er Jahre Ding. Das war das Jahrzehnt, in dem es keinen guten Geschmack gab. War aber manchmal witzig. Auf jeden Fall witziger als die heutige modische Eintönigkeit: dunkelgraue slimline Anzüge und weiße U-Hemden. Kehle zeigen ist das Gebot der Stunde. Ich habe diese braune Scheußlichkeit hier aus einem bestimmten Grund abgebildet. Weil sie auch etwas mit der Royal Navy zu tun hat, aus der all die maritimen Kurzjacken kommen.
Wenn Sie mehr zu den Uniformen wissen wollen, die man gerade letzte Woche im Fernsehen in dem Film ➱Master and Commander sehen konnte, dann kann ich Amy Millers Buch ➱Dressed to Kill (Katalog einer Ausstellung des National Maritime Museum in Greenwich) empfehlen. Die Kuratorin des National Maritime Museum gibt eine souveräne Kostümgeschichte der Royal Navy von den Anfängen der Uniformierung der Seeoffiziere bis zum Jahre 1856. Sprich: über hundert Jahre englische Marineuniformen, denn die gibt es in Blau erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts. Sie waren unter Admiral Anson eingeführt worden, wurden aber nicht von allen Marineoffizieren begrüßt. Viele hätten lieber die roten Uniformen der Army gehabt.
Der Captain Richard Chadwick kannte die Uniform noch nicht. Man würde diesen eleganten Gentleman nicht unbedingt für einen Marineoffizier halten, wenn er nicht mit der linken Hand auf sein Schiff hinweisen würde. Es ist die Cornwall, ein Linienschiff mit 80 Kanonen. Chadwick wird 1748 auf seinem Schiff in den West Indies sterben. Die elegante ➱Kleidung, die er auf diesem Portrait von 1744 trägt, hatte er sich extra für das Portrait schneidern lassen. Er wird an Bord andere Kleidung getragen haben, wir wissen nicht welche. Aber blau war sie wohl nicht.
Eine solche Uniform ist ja schön und gut, aber Kniehosen sind nicht sehr praktisch, wenn man die Wanten entern will. Wir finden diese Uniformen auf vielen Bildern des 18. Jahrhunderts, an Bord sieht das anders aus. Da tragen die Kapitäne normale Drillichhosen statt der Seidenstrümpfe und Kniehosen. Und sie tragen kurze Arbeitsjacken, wie sie die Mannschaft auch trägt. Diese Kleidung gelangt nie auf die Gemälde, aber es gibt genügend schriftliche Zeugnisse dafür. Die Admiralität wird statt der dress uniform auch eine undress uniform zulassen. Dafür gibt es heute die Number 4 Dress Uniform. Es wird einige Zeit dauern, bis sich die neuen Uniformen durchsetzen, Schiffsärzte erhalten erst 1805 eine Uniform.
Der junge Gentleman, der hier mit einem Eisbären auf einer Eisscholle kämpft, trägt keine Kniebundhosen und Seidenstrümpfe. Lediglich der Degen an seiner Seite weist ihn als Offizier aus. Er wird den Bären nicht erlegen, aber er wird noch Karriere in der Navy machen und alle Orden Englands bekommen. Bei seinem Tod auf der Victory - das versichern uns die ➱Maler - wird er dann weiße Kniebundhosen tragen, England expects that every man will do his duty.
Auf diesem Bild von ➱Thomas Gainsborough ist der Admiral Edward Vernon (nach dem George Washingtons Bruder seinen Landsitz Mount Vernon nannte) auch nicht in dunkelblau, sondern in braunem Samt gekleidet. Weil die blaue ➱Uniform für die Marine, wie gesagt, noch nicht erfunden ist. Er trug nicht immer diese Jacke, die eher ein Mantel ist. Er bevorzugte eine kurze Jacke, aus einem Stoff, den man Grogram (vom französischen Grosgrain) nennt. Was ihm den Namen Old Grog eintrug. Sie ahnen schon, dass das Getränk nach ihm benannt wurde, lesen Sie mehr dazu in dem Post ➱Rum.
Admiral Rudolf Brommy (der ➱hier einen Post hat), der Kommandeur der ersten deutschen Flotte von 1848, trägt hier eine blaue Uniform nach englischem Vorbild. Beinahe hätte er eine grüne Uniform tragen müssen. Denn König Friedrich Wilhelm IV favorisierte die Farbe Grün, die die Farbe der russischen Marine bis zum ersten Weltkrieg war (es war auch die Farbe der österreichischen Marine). Das gefiel nun dem Prinzen Adalbert von Preußen (der 1854 Oberbefehlshaber der preußischen Flotte werden wird) überhaupt nicht. So heißt es in dem wunderbar lobhudelnden Artikel in der ADB: Auch die praktische und kleidsame dunkelblaue Farbe unserer Matrosenuniform ist des Prinzen englischen Eindrücken zu danken: das Grün der russischen Seeleute kam für die entstehende preußische Marine nie ernsthaft in Frage. Als es erst preußische Seecadetten gab, sorgte der Prinz dafür, daß sie das große Treiben der englischen Flotte kennen lernen konnten, und zwar nicht nur im Frieden, sondern auch im Kriege.
Die dicke Kapitänsjacke, von der mein Freund Ekke sprach, war streng genommen kein Blazer, sondern ein Colani. Auf jedenfall war es die italienische Version eines Colanis der Marine; die dunkelblaue Jacke stammte nicht aus dem ➱Geschäft von Ekkes Vater (der mir immer die neuesten ➱Herrenjournale lieh), sie stammte aus dem Laden von ➱Hans Kalich in der Böttcherstraße. Von wo auch mein ➱Trenchcoat, der gelbe ➱Lamamantel von Tiger und die handgeschneiderten Anzüge stammten die schon mehrfach in diesem Blog erwähnt wurden.
Dass die Deckjacke der Marine Colani oder Collani heißt, hat einen ganz einfachen Grund, sie wurde der Reichsmarine von der Berliner Firma L.H. Berger & Collani geliefert, die sich mit der Bezeichnung Hoflieferant Sr. Majestät des Kaisers und Königs schmückte. Für die Marine unterhielt die Firma Niederlassungen in Kiel und Wilhelmshaven. Bei der Volksmarine der DDR hieß die Jacke nicht Colani sondern Kulani, ich weiß nicht weshalb.
Der Satz bei Wikipedia: In Deutschland wurde die Jacke Ende des 19. Jahrhunderts von der Kieler Schneiderei Berger & Colani für die Kaiserliche Marine gefertigt und daher auch Colani, Collani oder Kulani genannt, ist mal wieder ein klein wenig falsch. Es ist eine Berliner Firma, und sie heißt Collani, nicht Colani. Die Collanis hatten ursprünglich eine Gold- und Silbermanufaktur, die sie um die Herstellung sämmtlicher Militair-Effecten und den Verkauf von Blankwaffen erweiterten (man kann das hier auf der Militär Siegelmarke ablesen). Mit allem, was mit ➱Uniformen zu tun hat, kann man nach dem Krieg mit Frankreich jetzt viel Geld verdienen. Um 1879 kauften sich die ➱Collanis bei der Firma L.H. Berger ein. Der Schneiderbetrieb war Hoflieferant und belieferte das Königshaus und den preußischen Adel. Eigentlich müsste die Jacke Berger und nicht Colani heißten, die Collanis waren Kaufleute, die hatten mit der Schneiderkunst nichts am Hut.
Was wir in Deutschland Colani nennen, heißt in Frankreich Caban, im Englischen Pea Jacket, ➱Peacoat oder Reefer. Das Bild hier zeigt einen ➱Peacoat der US Navy. Woher das Wort Pea Jacket kommt, weiß man nicht so genau. Häufig wird das holländische Wort Pijjekker (von Pij: Kutte und Jekker: Jacke) genannt, aber seriöse Lexika versichern uns, dass das nur volksetymologisch ist. Was bedeutet, dass es überzeugend klingt, aber wohl nicht wahr ist. Wie zum Beispiel die Fisematenten, die vom französischen ➱visitez ma tente kommen sollen. Klingt einleuchtend, ist aber leider auch nicht richtig.
Kaum ist die zweireihige kurze Jacke in der Navy eingeführt, da wandert sie schon in die zivile Herrenmode. Das Ehepaar Cecil Willett und Phillis Emily Cunnington schreibt in seinem unübertroffenen Handbook of English Costume in the Nineteenth Century: The Double-breasted: 'Reefer', 'Pea-jacket', ' Yachting Jacket' (synonymous). A very short D-B jacket with low collar and small lapels. Cut without a back seam; short vents at the bottom of side-seams. Pockets flapped, patched, or slit; often an outside pocket on the left breast and usually an inside pocket in the right. Borders bound; four pairs of buttons. This style came into fashion in 1865 even for town wear especially in winter when it was sometimes worn as an overcoat. Wir können an dem jüngeren Herrn, der uns den Rücken zuwendet, die kleinen Stummelschlitze in der Seitennaht sehen.
Viele berühmte Leute haben den Marinekurzmantel getragen. Winston Churchill zum Beispiel, wenn er nicht gerade seinen selbst entworfenen ➱boiler suit trug, den ihm New and Lingwood geschneidert hatte. Dass hier ➱Montgomery einen Schirm trägt, das geht für einen General nun gar nicht. Das war schon Wellington ein Ärgernis (lesen Sie mehr in dem Post ➱Regenschirme).
Ich weiß nicht, ob Wilhelm II einen Colani besessen hat. Ich war mal in einer Ausstellung, in der man all seine ➱Uniformen sehen konnte, aber an einen Colani erinnere ich mich nicht. Er hatte ja nicht viel Intelligenz, aber viele Uniformen. Der Graf zu Eulenburg hat für die Kostümierungssucht des Kaisers den schönen Satz alle Tage Maskenball gefunden. Wenn auch Wilhelm keinen Colani hatte, dieser Herr, der gerade von Bord geht, trägt einen. ➱Dropping the Pilot hieß dieser Cartoon, den Sir John Tenniel (der ➱Alice in Wonderland illustrierte) 1890 zeichnete. Wahrscheinlich ist es der berühmteste politische ➱Cartoon aller Zeiten.
Es gibt die Jacke auch für Damen. Spätestens seit 1962, seit Yves Saint Laurent das hier kreierte. War wahrscheinlich die passende Tracht für Paris, in meinem Heimatort sah man so etwas nicht. Ich glaube, die Gattinnen von Werftbesitzern und Reedern wären sich ungeheuer blöd damit vorgekommen. Aber je weiter man von Fluss und Meer weg ist, desto besser kann man maritime Kleidung verkaufen. Die Jacke ist bei Saint Laurent immer noch im Programm, verkauft sich aber anscheinend schlecht.
Damen, die Stil haben, kaufen natürlich nicht die Saint Laurent Jacke, sondern diese elegante Jacke von der Firma Armor Lux. Die französische Firma hat Manufactum seit Jahren im Angebot. Liefert auch gleich eine Geschichte dazu, das ist ja das ➱Erfolgsgeheimnis von Manufactum: Aber es war doch der gelernte Buchhändler und ehemalige Grünen-Geschäftsführer in Nordrhein-Westfalen, Thomas Hoof, der die zentrale Idee erkannte, in eine gültige Form brachte und inzwischen zu einer kompletten Gegenideologie gegen die Moderne (also Globalisierung, Massenproduktion, Designwahn) ausgebaut hat. Äußerlich geht es dabei um die Vermarktung vergessener Handwerkstraditionen, hochwertiger Materialien und nostalgischer Ästhetik, aber das ist nicht der Kern der Sache. Entscheidend ist ein letzter Produktionsschritt, der erst durch den Händler selbst erfolgen kann: die Veredelung der Produkte durch Geschichten.
Man muss heute Märchen erzählen, wenn man Klamotten verkaufen will. Und so konnte man vor einem Jahr im Zeit Magazin lesen: Die ungebrochene Männlichkeit der Seefahrt drückt sich auch in der Mode aus. Denn seit Langem sind die Uniformen der Seefahrer Teil des Spiels mit männlichen Rollenbildern. Zur starken Frau gehört, modische Anleihen bei den Männern der rauen See zu machen. Zurzeit geht es auf den Laufstegen besonders maritim zu. Der neue Liebling der Designer ist der Navy-Coat, der Matrosenmantel. Es gibt ihn bei Prada als paspelierten Wollmantel, bei Tommy Hilfiger als Mantel mit Goldknöpfen sowie knöchellang und tailliert bei Red Valentino. Aber auch in ähnlicher Form bei Givenchy, Miu Miu, Burberry und John Galliano. Mir wird bei solchen Texten immer schlecht. Ich schreibe zwar häufig über Mode, aber solchen Unsinn kriege ich nicht hin.
Meinen dunkelblauen italienischen Colani, der keine Stummelschlitze, sondern einen langen Rückenschlitz hatte, habe ich zehn Jahre lang getragen. Dann habe ich ihn mit meinem ersten ➱Regent Jackett, einem ➱Kreidestreifen Zweireiher und einem blauen ➱Bowler einer studentischen Theatertruppe gespendet. Ich konnte ihn immer wieder auf der Bühne bewundern, er verwandelte jeden studentischen Amateurschauspieler in einen dandyhaften Kapitän.
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