Freitag, 1. April 2016

April, April


Zum zwanzigsten Mal feiern die Amerikaner jetzt ihren National Poetry Month. und dieser Blog feiert mit. Denn seit es SILVAE gibt, gibt es hier im Monat April Gedichte en masse. Diesen schönen Brauch wollen wir auch in diesem Jahr fortsetzen. Fangen wir mal mit Shakespeare an. Denn es ist wieder mal ein Shakespeare Jahr. Shakespeare und kein Ende, titelte schon Goethe. Und fuhr fort: Es ist über Shakespeare schon so viel gesagt, dass es scheinen möchte, als wäre nichts mehr zu sagen übrig, und doch ist das die Eigenschaft des Geistes, dass er den Geist ewig anregt. Fangen wir den April mal eben mit einem Sonett an, in dem der Monat April als proud-pied April, dressed in all his trim auftaucht:

From you have I been absent in the spring,
When proud-pied April, dressed in all his trim,
Hath put a spirit of youth in every thing,
That heavy Saturn laughed and leaped with him.

Yet nor the lays of birds, nor the sweet smell
Of different flowers in odour and in hue
Could make me any summer's story tell,
Or from their proud lap pluck them where they grew.

Nor did I wonder at the lily's white,
Nor praise the deep vermilion in the rose;
They were but sweet, but figures of delight
Drawn after you, you pattern of all those.

Yet seemed it winter still, and you away,
As with your shadow I with these did play.

In modernem Englisch heißt das ganz unpoetisch: I was away from you during the spring, when splendid April in all its finery made everything feel so young that even Saturn, the god of old age and gloominess, laughed and leaped along with it. But neither the songs of birds nor the sweet smell of all the various flowers could make me feel like it was summer or inspire me to go flower picking. I wasn’t amazed by how white the lily was, nor did I praise the deep red of the roses. They were only sweet, only pictures of delight, drawn in imitation of you, the archetype of spring. It seemed like it was still winter and, with you away, I played with these flowers as if I were playing with your reflection.

Ich habe das Sonett natürlich auch auf deutsch (in der Übersetzung von Friedrich Bodenstedt):

Ich war getrennt von Dir im Frühling auch,
Als der April im farbenbunten Drang
Die Welt belebt mit frischem Jugendhauch,
Daß selbst Saturnus mit ihm lacht' und sprang.

Doch nicht der Vögel Sang in Wald und Gründen,
Noch aller Blumen Duft und Farbenspiel
Verlockte mich des Sommers Lob zu künden,
Ich ließ sie ungepflückt auf stolzem Stiel.

Ich staunte ob der Lilien Weiße nicht,
Pries nicht die Glut die in der Rose lebt;
Es schienen Bilder lieblich dem Gesicht,
Doch denen Du als Muster vorgeschwebt.

Und immer schien mir's Winter ohne Dich,
Nur wie Dein Schattenspiel ergötzt es mich.


Das wäre ja etwas, was man in ein Poesiealbum schreiben könnte. Gibt es eigentlich noch Poesiealben? Oder sind die verschwunden wie diese Plattenspieler mit eingebautem Lautsprecher, die man früher zu Parties mitnahm? Also, Herbert Knebel kennt die noch, wie man ➱hier sehen kann. Das war die Zeit, wo man Klammerblues tanzte und ganz viele Gedichte auswendig lernte. Die man der Angebeteten ins Ohr flüstern oder in einen Brief schreiben konnte. Dieses Sonett 98 wohl kaum, solche Inszenierungen wie hier von ➱Christine Williamson sind völlig daneben. Bei Shakespeare dichtet ein Mann einen Mann an. Kein Aprilscherz. Von diesen same-sex amours Gedichten finden sich unter den 154 Sonetten elf Stück (Sie können alles zu diesem Thema in dem ➱Aufsatz Shakespeare’s Sonnets and the History of Sexuality: A Reception History von Bruce R. Smith lesen). Shakespeare und kein Ende.

Und dann können wir natürlich noch anmerken, dass Shakespeare bei diesem Gedicht geklaut hat. Auf einem höheren Niveau als Ursula von der Leyen. Sie könnten mal eben dieses Sonett von Petrarca (der ➱hier einen Post hat) lesen:

Der Zephyr kehrt, die schöne Zeit zu bringen,
Und Gras und Blumen, seine süßen Kleinen;
Und Progne schwatzt, und Nachtigallen weinen;
In Weiß und Roth will sich der Lenz verjüngen;

Die Wiese lacht, in Lüften tönt ein Klingen;
Zeus freut der Tochter sich, der klaren, reinen;
Luft, Erd' und Fluth der Liebe voll erscheinen,
Und Liebestriebe jeglich Thier durchdringen.

Doch mir ach' kehren Seufzer nur und Klagen,
So Jene läßt aus Herzens Tiefen steigen,
Die seine Schlüssel himmelwärts getragen.
Der Vöglein Singen und der Blumen Neigen

Und schöner Frauen ehrbar-hold Betragen
Wie Wüste mir und reißend Wild sich zeigen.

Shakespeare (und viele Dichter nach ihm) klauen nicht nur den ➱Blankvers bei Petrarca, sie klauen sich auch Bilder und Motive. Sir Thomas Wyatt und der Earl of Surrey hatten damit angefangen. Ich habe das am Beispiel eines Gedichts von Wyatt schon in dem Post ➱Anne Boleyn gezeigt, ein Post, der erstaunlicherweise ein Bestseller ist. Aber ich fürchte, dass das nicht an den Gedichten von Petrarca und Wyatt liegt, sondern an diesem morbiden Sensationellen, das der Name Anne Boleyn assoziiert. Ist aber auch egal, Hauptsache, man liest Gedichte. Wenigstens im April.

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