Dienstag, 30. April 2013

Richard Wagner


Wagner und kein Ende. Es ist verdächtig viel Wagner im Feuilleton der Zeitungen zu finden, die Kulturredakteure laufen sich offensichtlich schon warm: ein Wagnerjahr ist angesagt. Am 22. Mai ist der zweihundertste Geburtstag des Komponisten. Auf 3sat und ARTE gibt es schon ganze Opern zusehen. Und alle möglichen Wagner Fachleute führen mit ihren profunden Kenntnissen Wagner-Neulinge informativ und unterhaltsam in Wagners Welt ein. Das ist nicht von mir, das ist O-Ton 3sat. Mir wäre es bei dieser vierteiligen Dokumentation über Wagners Ring des Nibelungen lieber gewesen, dass da nicht Christian Thielemann, Elke Heidenreich, Stefan Mickisch, Dieter Borchmeyer und Udo Bermbach zu Wort gekommen wären, sondern dass Loriot den Ring erzählt hätte.

Aber eigentlich ist mir das egal. Ich habe es ja bei jeder x-beliebigen Gelegenheit ungefragt angedeutet, dass ich Richard Wagner nicht mag. Als er zum ersten Mal in diesem Blog erwähnt wurde, hieß der Post ➱bêtes noires. Muss ich noch mehr sagen? Ich war nie in Bayreuth, das überlasse ich ➱Thomas Gottschalk und Angela Merkel. Ich habe auch nur eine Wagner Oper gesehen, aber die gleich mehrere Male. Nicht unbedingt wegen Wagner, sondern weil die gesamte Inszenierung stimmig war. Und das Bühnenbild so toll war. Wenn man aus Bremen kam und Wilfried Minks' Bühnenbilder bewunderte, dann war man ja verwöhnt. Der  Generalmusikdirektor des Kieler Opernhauses hieß damals Peter Ronnefeld, der Komponist  galt als eine große Hoffnung der deutschen Musikszene. Er war Assistent von Herbert von Karajan an der Wiener Staatsoper und dann dort Kapellmeister gewesen. Kaum war er Generalmusikdirektor in Kiel und hatte den Fliegenden Holländer auf die Bühne gebracht, da war er auch schon tot. Er ist nur dreißig Jahre alt geworden. Sein Sohn, der wie der Vater Komponist war, ist tragischerweise auch nicht alt geworden.

Für Wagner Hasser hätte ich heute noch eine Literaturempfehlung: Richard Wagner: The Man, His Mind, and His Music von ➱Robert W. Gutman. Als Gutmans Mozartbuch erschien, fühlten sich manche Rezensenten bemüssigt, auf seine  Wagnerbiographie hinzuweisen, die dann immer mit dem Zusatz controversial versehen wurde. Aber kann man über Wagner schreiben, ohne dass das Endprodukt controversial ist? Was haben diese Kritiker dann zu Ernest Newmans vierbändiger Wagnerbiographie zu sagen?

Robert W. Gutmans Richard Wagner ist 1968 bei Secker und Warburg erschienen und wurde drei Jahre später in die ambitionierte Reihe der Pelican Biographies aufgenommen. Eines der Hauptkriterien dieser Reihe, in der Klassiker der Biographie erschienen sind, war dass die Bände readable and authoritative waren. Gutmans Buch mag in manchen Teilen durch neuere Funde überholt sein, mag Fehler enthalten (das Fehlen von Francis Hueffer, der den Engländern Wagner näher brachte, ist sicher zu beklagen). Aber welche Biographie ist fehlerlos? Dennoch bleibt das Buch zweifellos die beste einbändige Wagnerbiographie, die für einen general reader und nicht für einen Musikwissenschaftler geschrieben wurde. So lesbar geschrieben, dass man das Buch in einem Zug lesen kann.

Gutman ist Professor für Musikwissenschaft in New York gewesen, von Musik versteht er etwas, das werden ihm seine Kritiker nicht absprechen können. Aber neben der Musik gibt es ja immer noch, wie der Titel sagt The Man, His Mind. Untrennbar von der Musik. Und was Gutman hier in der Nachfolge von Ernest Newman sagt, wird vielen nicht gefallen. Das, was von Wagner direkt in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte führt. It ain't over till the fat lady sings, sagen die Engländer. Die Diskussion über Wagner ist nie zu Ende. Aber bevor man mitdiskutiert, sollte man dieses Buch lesen.

Ich könnte natürlich heute den Anfang von T.S. Eliots Gedicht ➱The Waste Land nehmen. Weil da - wie wir alle wissen - gleich am Anfang Wagner zitiert wird:

Frisch weht der Wind
Der Heimat zu,
Mein Irisch Kind,
Wo weilest du?


Und wenige Zeilen später noch einmal so ein Bildungszitat: Oed' und leer das Meer. Aber das verkneife ich mir, obgleich ich schon die Zeile April is the cruellest month auf den Lippen habe. Weil das nämlich automatisch dazu führt, dass ich auch noch den Anfang von Chaucers ➱Canterbury Tales erwähnen muss:

Whan that Aprille, with hise shoures soote,
The droghte of March hath perced to the roote
And bathed every veyne in swich licour,
Of which vertu engendred is the flour...


Nein, der April mit seinen shoures soote geht unwiderruflich zu Ende. Und mit ihm geht der Poetry Month in diesem Blog zu Ende: Und vielen Dank, liebe Leser, dass Sie durchgehalten haben. Im Gegensatz zum letzten Jahr gab es keine Einbrüche bei den Besucherzahlen. Das heutige Gedicht stand ➱hier schon einmal, als ich über Erwin Rennert schrieb. Aber das macht nichts, das Gedicht Fafnir folgt dem Ruf nach Bayreuth ist immer noch gut:

Ich legendäres altes Biest
hiermit nun dem bekunde,
der diese Zeilen freundlich liest:
Mich juckt meine alte Wunde.
Sie stammt von Siegfrieds Ungebühr
(tat mich mein Leben kosten) -
nun winkt in Bayreuth mir dafür
ein krisenfester Posten.


Und irgendwie ist es viel amüsanter als Nietzsches Wagner Gedicht:

Der du an jeder Fessel krankst,
friedloser, unbefreiter Geist,
siegreicher stets und doch gebundener,
verekelt mehr und mehr, zerschundener,
bis du aus jedem Balsam Gift dir trankst –,
Weh! daß auch du am Kreuze niedersankst!
Auch du! auch du – ein Überwundener!

Vor diesem Schauspiel steh’ ich lang,
Gefängniß athmend, Gram und Groll und Gruft,
dazwischen Weihrauch-Wolken, Kirchen-Duft,
mir fremd, mir schauerlich und bang.
Die Narrenkappe werf’ ich tanzend in die Luft,
denn ich entsprang!


2 Kommentare:

  1. (In der Liste der tiefen Schürfer haben Sie den Friedrich Dieckmann vergessen. Aber das nur als Petitesse.)
    Ansonsten, den Loriot kann man als DVD kaufen, wozu also den nochmal ins Fernsehen bringen?
    Ich fand die Dokumentation auf 3sat mit jeweils nur einer Stunde zu kurz; im Siegfried hätte ich gerne noch etwas über die Wissenswette erfahren, in der Götterdämmerung habe ich das nächtliche Zwiegespräch zwischen Alberich und Hagen schmerzhaft vermisst.
    Die Sendereihe vermittelte mir manch Neues und veranlasste einige Fragen. So z.B. ob Christian Thielemann verheiratet ist, warum die unsägliche Frau Heidenreich immer als Expertin herumgeschleppt wird und ob heutigentags die mit dem Ring assoziierte Gesellschaftskritik eigentlich mehr Chéreau als Wagner zuzuordnen ist.
    Eine Entdeckung im Nachgang: Die Webseite von Stefan Mickisch mit seinen Buchempfehlungen. Darin der beherzigenswerte Hinweis "Lesen Sie so wenig wie möglich Zeitung (im Idealfall gar keine), sondern nur Bücher von Niveau."

    Was die Faszination Wagner anbelangt (sie kam bei mir erst mit knapp vierzig Jahren): Auf den Dienstfahrten zwischen Köln und Frankfurt habe ich mich immer mit dem Parsifal zugedröhnt. Beim Karfreitagszauber musste ich aufpassen, nicht die Leitplanke zu touchieren ... Dennoch, meine Kinder heißen Johanna und Sebastian; nie im Leben hätte ich sie Richard und Cosima genannt.
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    Für den gestrigen Artikel zu General Kutusow herzlichen Dank! Vielleicht sollte ich nach einem halben Jahrhundert wieder einmal zu Wojna i Mir greifen, inzwischen gibt es ja nach der Übersetzung durch Werner Bergengruen die neue von Barbara Conrad.

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  2. Ich will ja gerne zugeben, dass es Zeiten gibt, in denen auch ich mal 'Isoldes Liebestod' auflege. Und ich höre auch Waltraud Meier und Hildegard Behrens sehr gerne. Aber das macht mich noch nicht zum Wagnerianer. Zur neuen Übersetzung von 'Krieg und Frieden' kann ich sagen, dass ich die schon in dem Post vom 20.11.2010 erwähnte habe. Dort gibt es auch eine Zuschrift von einem Slavisten, der das natürlich besser beurteilen kann als ich.

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