Freitag, 31. Oktober 2014

Halloween


Nee, das denn doch nicht. Diese schamlos kommerzialisierte Unsitte hat keinen Platz in diesem Blog. Da ist Halloween zwar schon einmal in dem Posts ➱Nikolaustag und ➱Fantasy erwähnt worden, aber das ist es dann auch. Ich schreibe zwar gerade, wie es der Zufall will, über den literarischen Schrecken, aber es wäre abgeschmackt gewesen, den Post über die Gothic Novel an diesem Tag einzustellen. Er ist auch noch nicht ganz fertig, gut Ding will Weile haben. Die ganze deutsche Halloween Feierei hat die ehemalige Bischöfin Margot Käßmann als Blödsinn bezeichnet: Es ging darum, irgendwo im Kalender zwischen den Sommer-Grillpartys und dem 1. Advent noch ein Verkaufs-Event mit allem möglichen Schnickschnack zu etablieren. Mehr kann man dazu wirklich nicht sagen.

Es gibt am heutigen Abend nur zwei Möglichkeiten, um mit den auf dem Heischegang befindlichen Kindern fertig zu werden. Die erste ist: man macht die Tür nicht auf. Dann bleibt einem der Schlachtruf  Süßes, sonst gibt’s Saures! erspart. Die zweite Möglichkeit ist, anstelle von Süßigkeiten Lutherbibeln zu verschenken. Schließlich ist heute Reformationstag.

Und damit dieser Post ein klein wenig kulturell schwergewichtiger wird, habe ich noch ein kleines Gedicht von dem amerikanischen Dichter Carl Sandburg. Es heißt Theme in Yellow und ist genau für diesen Tag geschrieben:

I spot the hills
With yellow balls in autumn. 
I light the prairie cornfields 
Orange and tawny gold clusters 
And I am called pumpkins. 
On the last of October 
When dusk is fallen 
Children join hands 
And circle round me 
Singing ghost songs 
And love to the harvest moon; 
I am a jack-o’-lantern 
With terrible teeth 
And the children know I am fooling.

Dienstag, 28. Oktober 2014

Mundharmonika


Douglas Tate, der heute vor achtzig Jahren geboren wurde, war ein britischer Mundharmonikavirtuose, Hersteller von Mundharmonikas und der Präsident der englischen Society for the Preservation and Advancement of the Harmonica. Sie können ihn hier einmal hören. Mit dem Instrument habe ich nicht viel im Sinn, ich hatte als Kind mal eine, aber ein Virtuose bin ich nie geworden. Ich besitze auch keine CD von Douglas Tate, aber eine CD mit Musik für Mundharmonika habe ich doch (Toots Thielemans habe ich bestimmt auch auf einer Jazz CD). Und das ist die da oben von Larry Adler (den habe ich hier schon einmal erwähnt), der zu Recht sehr berühmt geworden ist.

Die Komponisten Ralph Vaughan Williams, Malcolm Arnold, Darius Milhaud und Arthur Benjamin haben Stücke für ihn komponiert, aber wir lieben ihn wegen einer Komposition, die er selbst geschrieben hat: die Filmmusik zu dem bezaubernden englischen Film Genevieve. Mit der schönen Kay Kendall, die leider so früh gestorben ist. In einer der Szene spielt Kay Kendall Trompete, aber in Wirklichkeit kam der Sound von Kenny Baker. Dabei konnte sie Trompete spielen, nur nicht so gut wie Kenny Baker. Die Drehkosten des Films betrugen nur 100.000 Pfund Sterling, die Hauptdarsteller bekamen jeder 1.500 Pfund. Larry Adler wollte für die Filmmusik gerne 750 haben, ging dann dann mit dem Preis herunter. Forget it, Larry. This is a small time outfit. Let it go, and we'll find another picture for you later in the year, sagte sein Agent. Larry Adler akzeptierte eine prozentuale Basis von zweieinhalb Prozent. Es machte ihn reich: As for me, I happily put my children through college on the proceeds.

Die Musik bekam eine Oscar Nominierung, Larry Adlers Name war aber nicht im Film zu finden (auf jeden Fall nicht in den amerikanischen Kopien): der Komponist stand auf McCarthys schwarzer Liste. Der Walzer aus Genevieve (Sie können ihn hier hören) ist beschwingt und leicht, ein wenig so wie Dave Brubecks Wonderful Copenhagen, das ja auch aus dieser Zeit stammt.

Die Musik zu Genevieve blieb nicht seine einzige Filmmusik, auch die Musik für den Gangsterfilm Touchez pas au Grisbi (Wenn es Nacht wird in Paris) mit Jean Gabin und Lino Ventura (und, wie man hier sehen kann, der jungen Jeanne Moreau) wurde berühmt. Den Film können Sie hier in ganzer Länge sehen. Genevieve leider nicht (von dem gibt es hier ein Schnipsel), aber den kann man jederzeit als DVD kaufen. Ab 3,94 bei Amazon Marketplace. Lohnt sich auf jeden Fall.

Larry Adler, der in diesem Jahr hundert geworden wäre, war ein lebenslanger Freund von George und Ira Gershwin. Und ein Freund von Prince Philip. Die Queen Mum mochte ihn. Seine Liebesaffäre mit Ingrid Bergman lassen wir hier mal aus. Mit achtzig hatte er noch einen Top Hit in den British Charts (klicken Sie dies doch mal an). Im Who is Who gab er als seine obsession an, dass er Leserbriefe schreibe. Er bombardierte das Satiremagazin Private Eye mit witzigen Briefen. Die alle gedruckt wurden. Daneben schrieb er für den Spectator, für den New Statesman und schrieb Filmkritiken für The Oldie. Eine Zeit lang war auch der Restaurantkritiker von Harpers & Queen.

Er liebte Tennis, er spielte einmal ein Doppel mit Charlie Chaplin und zwei ihm unbekannten Gästen. Charlie Chaplin hatte ihn eingeladen, weil sein Doppelpartner Bill Tilden nicht gekommen war. Erst später erfuhr Larry Adler, dass die schlecht gekleidete Frau und der Mann mit dem grotesken Schnurrbart auf der anderen Seite des Netzes Greta Garbo und Salvador Dali waren. Das Spiel hätte ich gern sehen mögen. Kann man aber leider nicht, aber hören kann man Larry Adler noch immer. Viele seiner Aufnahmen sind heute noch lieferbar.

Eine von Douglas Tate gebaute Mundharmonika hat er nie gespielt, er hat immer Instrumente von Hohner bevorzugt. Die Firma brachte 1935 zwei Larry Adler Modelle auf den Markt, was den Umsatz von Hohner in England um zweitausend Prozent steigerte. Jeder wollte wie Larry Adler sein. Aber nicht jeder erreichte seinen berühmten singing tone:  If you can get a singing tone in your playing, that’s as far as you can go. Miles Davis does it on the trumpet; Johnny Hodges did it on the saxophone. That’s what I loved about Rachmaninoff when I heard him play the piano when I was a kid in Baltimore... Years ago I played 'Sophisticated Lady' with Duke Ellington and his band at the club. Billie Holiday was there and afterwards Duke introduced me to her at the table. She said, “You don’t play that thing, Man, you sing it.” Now I cannot think of a better epitaph than that. Einen besseren Satz für den Schluss kann ich auch nicht finden.

Montag, 27. Oktober 2014

Dylan Thomas


Now as I was young and easy under the apple boughs
About the lilting house and happy as the grass was green,
The night above the dingle starry,
Time let me hail and climb
Golden in the heydays of his eyes,
And honoured among wagons I was prince of the apple towns
And once below a time I lordly had the trees and leaves
Trail with daisies and barley
Down the rivers of the windfall light.

And as I was green and carefree, famous among the barns
About the happy yard and singing as the farm was home,
In the sun that is young once only,
Time let me play and be
Golden in the mercy of his means,
And green and golden I was huntsman and herdsman, the calves
Sang to my horn, the foxes on the hills barked clear and
cold,
And the sabbath rang slowly
In the pebbles of the holy streams.

All the sun long it was running, it was lovely, the hay
Fields high as the house, the tunes from the chimneys, it was
air
And playing, lovely and watery
And fire green as grass.
And nightly under the simple stars
As I rode to sleep the owls were bearing the farm away,
All the moon long I heard, blessed among stables, the
nightjars
Flying with the ricks, and the horses
Flashing into the dark.

And then to awake, and the farm, like a wanderer white
With the dew, come back, the cock on his shoulder: it was all
Shining, it was Adam and maiden,
The sky gathered again
And the sun grew round that very day.
So it must have been after the birth of the simple light
In the first, spinning place, the spellbound horses walking
warm
Out of the whinnying green stable
On to the fields of praise.

And honoured among foxes and pheasants by the gay house
Under the new made clouds and happy as the heart was long,
In the sun born over and over,
I ran my heedless ways,
My wishes raced through the house high hay
And nothing I cared, at my sky blue trades, that time allows
In all his tuneful turning so few and such morning songs
Before the children green and golden
Follow him out of grace.

Nothing I cared, in the lamb white days, that time would
take me
Up to the swallow thronged loft by the shadow of my hand,
In the moon that is always rising,
Nor that riding to sleep
I should hear him fly with the high fields
And wake to the farm forever fled from the childless land.
Oh as I was young and easy in the mercy of his means,
Time held me green and dying
Though I sang in my chains like the sea.

Dylan Thomas, der für das englische Volk heute so sehr Bild und Legende des Dichters an sich wie vielleicht ein Jahrhundert vor seiner Zeit Byron und Shelley, seither aber kein englischer Dichter ist (Erich Fried), wurde heute vor hundert Jahren geboren. Sein Gedicht Fern Hill liest ➱Richard Burton meiner Meinung nach am schönsten vor, ein Waliser und Säufer wie Dylan Thomas. Obgleich es da Konkurrenten im Vorlesewettbewerb gibt: ➱Dylan Thomas selbst zuzuhören, ist ein Erlebnis. Und dann gibt es noch eine Aufnahme von einem Prominenten: der Prinz der Waliser liest das ➱Gedicht vom prince of the apple towns.

Ich habe schon seit ewigen Zeiten eine Langspielplatte, auf der Richard Burton Under Milk Wood liest. Die gibt es inzwischen auch als CD (und ➱hier ganz). Kongenialer kann man den ➱Text nicht lesen: To begin at the beginning: It is spring, moonless night in the small town, starless and bible-black, the cobblestreets silent and the hunched, courters'-and-rabbits' wood limping invisible down to the sloeblack, slow, black, crowblack, fishingboatbobbing sea. The houses are blind as moles (though moles see fine to-night in the snouting, velvet dingles) or blind as Captain Cat there in the muffled middle by the pump and the town clock, the shops in mourning, the Welfare Hall in widows' weeds. And all the people of the lulled and dumbfound town are sleeping now.

Man verzeiht dem alten Saufkopp Burton ja alles, wenn man seine Stimme gehört hat. Zart, singend und ungeheuer poetisch (seine Aufnahme der Gedichte von ➱Thomas Hardy gehört für mich zum Schönsten, das man auf Sprechplatten kaufen kann). Die BBC, die auch Under Milk Wood zum ersten Mal sendete, hat einmal eine schöne mehrteilige Dokumentation, Dylan Thomas From Grave to Cradle, gedreht. Kann man ➱hier sehen. Und ein Gespräch mit dem Erzbischof von Canterbury über Dylan Thomas hätte ich ➱hier auch noch anzubieten.

Ich kann noch viel von Dylan Thomas auswendig. Was vielleicht auch daran liegt, dass ich mal Unter dem Milchwald mit der Theater AG eines Gymnasiums aufgeführt habe. Das kunstvolle Stimmengeflecht ist ja eigentlich ein Hörspiel, trotzdem wird es im Schultheater gerne auf die Bühne gebracht. Ich brachte als erstes die Langspielplatte mit, auf der Richard Burton mit der walisischen Originalbesetzung der BBC Aufnahme die first voice spricht, den Hauptpart des Stückes. Und dann habe ich meinen angehenden Bühnenstars gesagt, dass ich so etwas Ähnliches haben will. Ein Sprechkunstwerk, kein realistisches walisisches Fischerstädtchen. Die Hauptrolle des Stückes ging an Klaus, was ein gewisses Wagnis war. Weil der Klaus im normalen Leben stotterte. Aber wenn das Licht des Scheinwerfers auf sein Gesicht fiel, verwandelte er sich auf der Bühne in jemanden, der die Rolle, die Richard Burton einst gesprochen hatte, fehlerfrei beherrschte. Es war wie Magie. Ich glaube, Dylan Thomas hätte das gefallen.

Ich will nicht vergessen, auf den schönen ➱Essay des deutschen Schriftstellers Olaf Velte hinzuweisen. Der ist zwar schon zehn Jahre alt, aber immer noch sehr gut.

Sonntag, 26. Oktober 2014

saudade


Ich hätte fragen sollen, wer da singt. Die Fetzen der Musik, die aus dem Plattenladen auf die Straße drangen, klangen betörend. Klang wie ein Chanson mit einem Cello im Hintergrund. Aber ich musste dringend zu meinem Auto zurück, die Parkzeit war längst abgelaufen. Als ich Tage später wieder in der Stadt war, erkundigte ich mich, ob jemand noch wüsste, was an dem Nachmittag im CD Player war. Wusste natürlich niemand mehr. Man riet mir zu Saudade von der Thievery Corporation (kann man ➱hier ganz hören), die CD verkaufe man wie geschnitten Brot. Saudade heißt Sehnsucht, Traurigkeit, Melancholie und Einsamkeit. Das Wort ist in der Top Ten Liste der unübersetzbaren Wörter.

Man weiß nicht einmal genau, woher das Wort kommt. Ich zitiere einmal den Linguisten Patrick FarrellSaudade is a quintessential Brazilian and Western Iberian emotion concept. The word does not exist in Spanish, except in some translations of Portuguese works and perhaps in the form soledad ‘solitude’, which apparently could at one time be used in a way similar to saudade (Vasconcellos 1914:67–72). Saudade does, however, occur in Galician, with a meaning much like that of the Portuguese cognate (Piñeiro 1953; García 1985). Expressing sentiments shared by many who have studied this word, the 19th century Portuguese poet Almeida Garrett declares in a note on his epic poem 'Camões' that saudade is the sweetest, most delicate, and most expressive word of Portuguese and that, although this emotion is surely felt in other cultures, having a specific word for it “não o é de outra nenhuma linguagem senão da portuguesa” (‘is the case for no other language but Portuguese’; Castro 1980:8). Saudade constitutes a salient theme in Portuguese poetry, from Luís de Camões to Fernando Pessoa, and pervades the lyrics of Brazilian bossa nova and the popular novels of Jorge Amado. Being at least equally common in routine informal discourse, it is among the most frequent emotion words in the Portuguese language.

Es gab mal eine Segelyacht gleichen Namens, die dem Hamburger Albert Büll gehörte. Sie war rot, und hieß deshalb in Seglerkreisen auch die rote Sau. Was natürlich nichts mehr mit saudade und der Sehnsucht zu tun hat. Auf dem Heckspiegel der Yacht standen unter dem weißen Schriftzug Saudade nur die Buchstaben NRV und RORC (ich habe das mal aus nächster Nähe photographiert), steht für Norddeutscher Regatte Verein und Royal Ocean Racing Club, mehr geht unter Seglern nicht.

Vielleicht doch. Es gibt da noch die Royal Yacht Squadron, deren Mitglieder statt des Red Ensign die englische Seekriegsflagge setzen dürfen. Da kommt man aber schwer rein, das haben im letzten Jahrhundert nur zwei Deutsche geschafft: Kaiser Wilhelm II und der Hamburger Hans-Otto Schümann. Mehr an Erfüllung eines Traumes von der Englishness kann es für einen Hamburger wohl nicht geben. Hamburger möchten (wie auch Bremer) ja immer gerne kleine Engländer sein. Es hat Oswalds gegeben, die sich als ➱O'Swald stilisierten, es hat Hamburger Millionäre wie ➱Gustav Christian Schwabe und ➱Sir John Henry von Schroder gegeben, die richtige Engländer geworden sind. Aber keine Mitglieder in der Royal Yacht Squadron.

Das mit der roten Saudade war vor vierzig Jahren, als Deutschland zum ersten Mal den Admiral's Cup gewann. Die Carina III (hier im Kieler Hafen) war auch dabei, die Dieter Monheim gehörte. In dessen Schokoladenfabrik (Trumpf Schokolade) regierte der Kunstsammler Peter Ludwig. Der kaufte sich aber keine Luxusyachten, der sammelte Kunst. Für Dieter Monheim war auch noch ein bisschen Geld da, so konnte er seine Yacht finanzieren. Gesegelt wurde die Yacht von Hans Beilken, sein Bruder Berend hatte auf der Saudade das Sagen. Ich kannte sie beide, denn sie kamen aus meinem Heimatort, wo sie eine Segelmacherei besaßen. Mit der Ex von einem der beiden war ich in der Evangelischen Jugend gewesen.

Und falls sie das hier lesen sollte: Antje, wo ist die Flasche zollfreier Whisky, die Du mir vor Jahren versprochen hast? In dem Trio der deutschen Admiral's Cup Bootseigner segelte nur Hans-Otto Schümann (dessen Yachten immer Rubin hießen) selbst. Drei Jahre zuvor hatten die Engländer und nicht die Vegesacker das Rennen gewonnen, der Captain ihrer Mannschaft war kein Geringerer als der englische Premierminister. Dies Bild zeigt die Besatzung der Saudade im Jahre 1973, die sehen noch aus wie jedermann damals aussah. Könnte ein Photo von meiner Fußballmannschaft sein. Heute sehen die Besatzungen von hochgezüchteten Teflon Rennziegen eher furchterregend aus.

Die CD Saudade von der Thievery Corporation ist ja ganz nett, wenn man die Thievery Corporation mag. Ansonsten ist das wie Astrud Gilberto, nur mit schlechterer Combo. ➱Astrud Gilberto kann ich immer hören, vielleicht liegt das daran, dass ich in den sechziger Jahren steckengeblieben bin. Und damit meine ich natürlich nicht ➱Manuelas Schuld war nur der Bossa Nova. Ich kenne mich mit portugiesischem Fado, kubanischer und brasilianischer Musik nicht so aus, doch ich kann an keinem Sonderangebot dieser Musik vorbeigehen.

Meine kleine Sammlung südamerikanischer Musik besteht also aus Zufallskäufen. Und so habe ich die CD Havanna Mood ebenso wie 3 de la Habana aus dem Jahre 1997, damals war die Gruppe ja noch jung. Inzwischen sind sie wohl berühmt. Ich weiß nicht, wer oder was mich dazu gebracht hat, die CD Cuba: Por la musica sempre zu kaufen, aber es war ein guter Kauf. Bei den vielen Titeln ist auch das Lied, in dem die Zeilen Aquí se queda la clara, la entrañable transparencia, de tu querida presencia, Comandante Che Guevara vorkommen. Das hat Wolf Biermann 1976 bei seinem ➱Konzert in Köln gesungen. Hat die ARD damals voll übertragen, ich kann mich noch gut daran erinnern. Wenige Tage später hat man ihn ausgebürgert, wegen grober Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten.

Che Guevara trug eine Rolex, wahrscheinlich hatte er die bei Cuervo y Sobrinos in Havanna gekauft, die der einzige Rolex Händler in Cuba waren. Ein etwas windiger Antiquitätenhändler hat mir mal erzählt, dass er sich in Havanna Ende der fünfziger Jahre billig eine Rolex gekauft habe. Und dann vergessen habe, dass sie in einer Hosentasche seiner Jeans war, als er die in die Waschmaschine warf. Ja, das halten auch angeblich wasserdichte Uhren nicht aus. Die Taschenuhr von Kapitän Charles Dwight Sigsbee, die ein Taucher aus dem im Hafen von Havanna explodierten ➱Schlachtschiff Maine geholt hatte, war hinterher (nachdem sie in der Fabrik von Edward Howard revisioniert worden war) wieder voll gebrauchsfähig.

Ich besitze auch eine Armbanduhr von der Firma Cuervo y Sobrinos in Havanna. Ein Zufallsfund, von dem jeder Sammler träumt. Sie stammt aus den dreißiger Jahren, der Zeit, als amerikanische Millionäre in Kuba Urlaub machten. Und Albert Einstein und Ernest Hemingway sich bei Cuervo y Sobrinos in Havanna Uhren kauften. Da bin ich mit meiner ja in guter Gesellschaft. Die Uhr hatte sich ein DDR Bürger bei seinem einzigen Auslandsaufenthalt in Havanna gekauft und nach der Wende bei ebay vertickt.

Es ist natürlich keine Rolex, es ist eine Schweizer Juvenia. Mit einem erstklassigen Werk, das statt der roten Rubine blaue Steine hat. Als mein Uhrmacher die Uhr mal zur Revision in seiner Werkstatt hatte, bekam er bald Besuch von allen Uhrmachern der Umgebung. Denn ein Werk mit blauen Saphiren sieht man selten. Die Farbe der Steine trägt natürlich nichts zur Funktion bei, sie ist nur ein dekoratives Element.

Vor allem auf dem amerikanischen Markt schätzte man das, viele amerikanische Fabriken von Taschenuhren (auch das Werk meiner Armbanduhr ist ja ein kleines Taschenuhrwerk) boten das ihren Kunden gegen Aufpreis an (dies hier ist eine Schweizer Erbo, eine Marke von Ernest Borel). Und Amerikaner sind auch die Kunden des Juweliers Cuervo y Sobrinos, der seit Ende des 19. Jahrhunderts gut von der etwas zwielichtigen Kundschaft leben kann. Denn täuschen wir uns nicht, Kuba ist in den dreißiger Jahren mehr oder weniger ein Bordell, nicht erst seit den Tagen von Batista (lesen Sie ➱hier dazu einen interessanten Artikel aus der Zeitschrift Lettre). Haben Castro und der Comandante Che Guevara daran etwas geändert? Wir Leser von ➱Guillermo Cabrera Infante, der wegen Castro die Insel verließ, wissen, dass nein.

Und so bleibt nur die Tristesse. Verfall allerorten. Wie auf diesem Photo aus Havanna von Walker Evans. Die Trumpf Schokoladenfabrik von Monheim ist auch pleite. Hans-Otto Schümann, der Nestor des deutschen Segelsports ist vor vier Wochen im Alter von 97 Jahren gestorben. Die Yacht von Albert Büll aber heißt immer noch Saudade, allerdings ist sie nicht mehr rot. Und sieht auch nicht mehr so hübsch aus wie im Jahre 1973. Sie ist inzwischen mit 45 Metern halb so lang wie die Gorch Fock (die ➱hier einen Post hat) Und die Rennen, in denen sie mitsegelt, heißen Rolex Maxi Cup. Rolex, da ist dieses furchtbare Wort wieder, das ich eigentlich nicht mehr verwenden wollte, seitdem mein Post ➱Rolex die Rolex Gemeinde durchgeschüttelt hat.

Aber alles Geld der Welt kann nichts gegen die saudade ausrichten. Die aber nur diejenigen befällt, die Portugiesisch sprechen. Wie Alberto Pessoa dichtete:

Saudades, só portugueses
Conseguem senti-las bem.
Porque têm essa palavra
para dizer que as têm.

Und wer die Frau war, die da mit dem Cello im Hintergrund sang, das werde ich wohl nie erfahren. So höre ich erst einmal weiter Astrud Gilberto. Oder ➱Joao Gilberto, der als erster mit Chega de Saudade einen Bossa Nova Song über die saudade schrieb.

Lesen Sie auch: ➱Max Oertz, ➱Segelboote, ➱Cutty Sark. Und Havanna kommt schon in den Posts ➱Havanna, ➱Schnellboote, ➱Blauer Dunst und ➱John Singleton Copley vor.

Und aus gegebenem Anlass kann ich am heutigen Tag die Lektüre des Posts ➱Sommerzeit empfehlen.


P.S. Ein Leser hat mir gerade geschrieben, dass seine Rezension bei Amazon von Maria João Pires' Aufnahme von Schuberts Klaviersonate 960 auch den Titel Saudade hatte. Great minds think alike, ich wollte es veröffentlichen, habe aber auch Versehen auf die falsche Taste gedrückt. Schon war's gelöscht. Deshalb gibt es hier den Hinweis auf die Rezension, die Saudade heißt. Was sich bei einer portugiesischen Pianistin vielleicht anbietet. Polski Radio hatte in diesem Jahr auch schon einmal einen Titel Maria João Pires: Chopin a saudade. Lesen Sie doch einmal die Rezension zu Pires-Schubert bei Amazon. Sie können da auch noch mehr Rezensionen dieses Rezensenten lesen. Ich staune immer wieder darüber, welch gebildete Leser ich habe.

Donnerstag, 23. Oktober 2014

Gordale Scar


Es ist eins dieser Bilder, die einen umhauen. Schon durch die schiere Größe: drei Meter dreißig mal vier Meter zwanzig. Albert ➱Bierstadts monumentales ➱Bild A Storm in the Rocky Mountains ist kleiner. Das Gemälde mit dem Titel Gordale Scar wurde von James Ward (der heute vor 245 Jahren geboren wurde) für den Großgrundbesitzer Lord Ribblesdale gemalt, heute gehört das Bild der Tate Gallery. Allerdings sagt die ➱Seite der Tate: not on display, was eine Bloggerin zu dem Post ➱I hate the Tate bewegte. Vielleicht haben sie es ja als Bühnenbild an ein Theater oder eine Oper ausgeliehen. Zu einer Aufführung des Freischütz zum Beispiel. Ist besser als das Bild von Meno Mühlig, das Sie in dem Post ➱Wolfsschlucht sehen können.

Sie müssen also heute mit der Abbildung oben vorlieb nehmen. Oder ➱hier einen Video Spaziergang unternehmen. William Wordsworth hat die Kalksteinklippen bei Malham in Yorkshire (die geologisch zu dem Craven Fault System gehören) mit einem Sonett bedichtet. Als das Bild von Ward 1815 zum ersten Mal in der Royal Academy ausgestellt wurde, konnte man Wordsworths Gedicht Gordale neben dem Bild lesen:

At early dawn, or rather when the air
Glimmers with fading light and shadowy eve
Is busiest to confer and to bereave;
Then, pensive votary! let thy feet repair
To Gordale chasm, terrific as the lair
Where the young lions couch; for so, by leave
Of the propitious hour, thou mayst perceive
The local deity, with oozy hair
And mineral crown, beside his jagged urn
Recumbent: him thou mayst behold, who hides
His lineaments by day, yet there presides,
Teaching the docile waters how to turn,
Or, if need be, impediment to spurn,
And force their passage to the salt-sea tides!

Hätte John Constable, der zwei Jahre zuvor ➱Weymouth Bay gemalt hatte, so etwas wie James Wards Monstergemälde gemalt? Auf den ersten Zeichnungen und ➱Skizzen hat Wards Landschaft ja noch nichts von dem, was den Dichter Thomas Gray 1769 sagen ließ: I stayed here (not without shuddering) a quarter of an hour, and thought my trouble richly paid, for the impression will last for life. Jahre vor James Ward hat William Turner die Schlucht gemalt (oben), es ist mit 55 x 77 cm seine größte plein air Malerei. Kein Aquarell, wie man vermuten könnte, Öl auf Papier.

Wahrscheinlich hätte John Constables Bild ähnlich wie das von Turner ausgesehen, wäre er je auf die Idee gekommen, Gordale Scar zu malen. James Wards Version der Kalksteinklippen hat etwas Düsteres an sich, als sei die Kalksteinschlucht mit den Wasserfällen ein Tor zur Hölle. Das Bild erscheint wie ein Vorbote des Bildes von John Martin The Great Day of His Wrath. Das mit 1,97 x 3,03 viel kleiner ist als Wards Gemälde, aber größer wirkt, die apokalyptische Bedrohung ist in unserer Vorstellung immer größer als eine Landschaft in Yorkshire.

Woher kommt die Begeisterung für Felsen in der Malerei des 19. Jahrhunderts? Bei Caspar David Friedrichs Kreidefelsen von Rügen kann man den romantischen Enthusiasmus ja noch verstehen, aber was ist mit diesen tristen Felsen von Gustave Courbet hier? Dagegen wirkt der ➱Steinbruch bei Weimar, den Christian Rohlfs mehrfach gemalt hat (einen davon habe ich in dem Post ➱Christian Rohlfs abgebildet), schon richtig fetzig.

Bevor Rohlfs seine Felsen malte (die wohl ein Kommentar zu Courbets Felsen sind), wurden Felsen in der deutschen Malerei mit Märchen und Sagen verbunden. Wie auf ➱Moritz von Schwinds Einsiedler führt Rosse zur Tränke oder auf seinem ➱Bild vom Kaiser Max, der in der Martinswand betet. Unsere Loreley ist ja zuerst auch nur ein Schieferfelsen, bevor die Geschichte mit der Blondine dazu kommt. Lei (oder -ley) ist nicht der Nachname von Lore. Das heißt schlicht Stein, Schiefer. Ist aus dem Keltischen entlehnt und ist seit dem 14. Jahrhundert in der deutschen Sprache heimisch (lesen Sie hier doch auch die Posts ➱Loreley und ➱Meerjungfrauen + Waldnixen).

Irgendwie führt ein direkter Weg (mit einem Abstecher über die deutsche Romantik) von James Wards Gordale Scar zu Arnold Böcklins Toteninsel. Böcklin mag ich nun überhaupt nicht, das habe ich ➱hier schon gesagt. Hat aber einige tausend Leser nicht davon abgehalten, es zu lesen. Oder es erneut anzuklicken. In einer Pressemitteilung der BBC kann man lesen: Ward's 'Gordale Scar' is one of the greatest triumphs in British landscape art. Das Internet ist voll von ähnlichen Sprüchen. Ich würde die Höhepunkte der englischen Landschaftsmalerei eher bei ➱Constable und ➱Turner und den Meistern des Aquarells wie ➱Thomas Girtin oder ➱John Sell Cotman suchen, aber nicht bei James Wards Riesengemälde.

Dass es auch anders geht, hat er selbst gezeigt. Mit dieser kleinen Ölskizze, drei Jahre nach Turners erstem Besuch bei den Klippen gemalt. Aber vielleicht wollte Lord Ribblesdale etwas so Friedliches nicht haben, wahrscheinlich musste es unbedingt diese theatralische Version sein. Die Tate Gallery offeriert auf ihrer Seite eine politische Interpretation des großen Bildes: In the foreground he shows deer and cattle, including a white bull from the (originally wild) Chillingham herd, who appears to guard the cleft of Gordale Beck. Working in the last years of the Napoleonic wars, Ward aimed to depict a national landscape, primordial and unchanging, defended by ‘John Bull’ in animal form. His painting also epitomised the awe-inspiring qualities of the fashionable ‘Sublime’ landscape. 

Wir lassen das sublime einmal weg, weil es ➱hier schon so oft vorkam. Aber die Kriege gegen Napoleon sind natürlich etwas, was die englische Malerei dazu bringt, zu einer wirklich englischen Landschaftsmalerei zu werden. Nicht nur aus patriotischen Motiven. Es ist jetzt nichts mehr mit der Grand Tour (die ➱hier einen langen Post hat), die englischen Maler sind gezwungen, die landschaftlichen Schönheiten ihres eigenen Landes zu entdecken. Und so entdecken sie jetzt das ➱Vye Valley, den ➱Lake District, Schottland und Wales. Und Gordale Scar in Yorkshire. Das Bild von Geoffrey Scowcroft Fletcher aus dem Jahre 1994 habe ich hierher gestellt, um zu zeigen, dass die Kalksteinklippen die englischen Maler auch noch über die Romantik hinaus beschäftigt haben (das Bild von John William Inchbold lasse ich jetzt mal aus).

Es ist wohl kein Zufall, dass das Bild Gordale Scar in dem Jahr fertig wird, in dem die Engländer Napoleon bei ➱Waterloo schlagen. Da bietet sich eine politische Interpretation wohl an. Zumal Ward auch einen Auftrag von der British Institution bekommen hatte, ein Bild über Waterloo zu malen. Zwar ist seine übergroße Waterloo Allegory (zehn mal sieben Meter groß) verloren gegangen, sodass man wenig zu dem Bild (von dem es jedoch eine Vielzahl von Studien gibt) sagen kann, doch die Skizze zu dem scheußlichen Bild ist erhalten. Fünf Jahre hat er daran gearbeitet, die tausend Pfund, die er vorab bekommen hatte, waren da längst verbraucht. Auch Gordale Scar war für ihn ein schlechtes Geschäft gewesen. Vier Jahre Arbeit und dreihundert Pfund Honorar. Soviel verdient ➱Thomas Lawrence mit einem Porträt in einer Woche. Historienmalerei, so beliebt sie seit ➱Benjamin West ist, wird nicht dadurch besser, dass das Bild größer wird. John Singleton Copley ist bei The Siege of Gibraltar mit weniger Leinwand ausgekommen (lesen Sie mehr dazu in dem Post ➱Hoya).

Dies Bild zeigt Napoleons Pferd Marengo (Wellingtons ➱Lieblingspferd Copenhagen hat Ward auch gemalt), wie es mit rollenden Augen auf das Meer starrt, dorthin, wo sein Herr verschwunden ist. Ward hat unzählige Lithographien von dem Bild verkauft. Man weiß nicht, wo das Geld geblieben ist. Als er mit einundneunzig Jahren starb, war er ein armer Mann. Vielleicht hätte man dem armen Tier mal erzählen sollen, dass Napoleon ein ganz anderes Pferd mit nach St Helena genommen hat. Das hieß Vizir, Sie können ➱hier alles darüber lesen. Und alles zu Marengo finden Sie bei der ➱Duchess of Hamilton.

Dass man in der Region von Malham in North Yorkshire touristisch immer noch etwas entdecken kann, damit wirbt diese ➱Seite. Wo man neben den Bildern von Gordale Scar auch erfährt, dass der Film A boy, a Girl and a Bike hier gedreht wurde. Mit Diana Dors, Englands Antwort auf ➱Marilyn Monroe (ich habe sogar eine ➱CD von ihr, die Swinging Dors heißt). Was die Seite malhamdale.com nicht sagt: Diana Dors hatte nur eine kleine Nebenrolle. Die Hauptrolle hatte diese junge Frau, die wir unter ganz anderen Namen kennen. Nämlich als Cathy Gale (in der Serie The Avengers) oder als Pussy Galore (in Goldfinger). Ich habe Honor Blackman schon in dem Post ➱Lederjacken erwähnt, und sie hat ➱hier einen eigenen Post. Man kann natürlich in dieser Liebesszene auch die landschaftlichen Schönheiten von Malham und Umgebung sehen.

Auf der Seite von Malham ist auch noch ein anderes Bild von Gordale Scar abgebildet, das ich viel schöner als das von James Ward finde. Nicht diese Weltuntergangsstimmung wie bei Ward. Der englische Maler John Piper hat es 1942 gemalt, es ist eigentlich ganz klein (30 x 25 inches), aber doch ganz groß. Es gibt zu dem Bild ➱hier noch ein interessantes Video. ➱Kenneth Clark, der in dem Jahr von John Betjeman beauftragt wurde, ein Buch für den Penguin Verlag über John Piper zu schreiben, hat es 1943 gleich gekauft. Er war der jüngste Direktor der National Gallery und vielleicht auch der größte Förderer der modernen englischen Malerei in dieser Zeit. Er kann sich das erlauben. Man redet in diesen Kreisen nicht über Geld, aber er ist sehr, sehr reich. Er kann es sich schon in seinem Studium erlauben, echte Bilder zu kaufen. Unsereins kaufte sich an der Museumskasse Kunstpostkarten. Vielleicht komme ich ja irgendwann noch einmal dazu, über ihn zu schreiben (bis dahin müssen Sie sich mit dem zufriedengeben, was in dem Post ➱Gainsborough steht).

James Ward konnte auch anders, wie man am Beispiel dieses schönen Aquarells sehen kann. Von diesen Aquarellen hat er noch mehrere gemalt. Der jüngere Bruder von William Ward begann seine Karriere als Kupferstecher, malte dann bäuerliche ➱Szenen im Stil seines Schwagers George Morland (der ➱hier schon einmal erwähnt wurde). Danach kamen Landschaften mit ➱Pferden, die allerdings anders aussahen, als Moritz von Schwinds Einsiedler, der die Rosse zur Tränke führt. In seinen besten Arbeiten kann man ihn schon mit ➱George Stubbs vergleichen. Pferdebilder gehen in England immer, da braucht man nur mal auf die Sammlungen von ➱Robert Vernon und John Sheepshanks zu schauen. Acht Jahre vor John Constable wurde James Ward Mitglied der Royal Academy.

Auf dieses Bild (The deer stealer) war er sehr stolz. Er hat es für seinen Mäzen Theophilus Levett gemalt, fünfhundert Pfund Sterling war der vereinbarte Preis. Als er das Bild 1823 in der Royal Academy ausstellte, war es eine Sensation für das Publikum. Interessenten boten ihm tausend Pfund für das Bild, aber er hat es an Levett verkauft. Hat den Preise allerdings um hundert Pfund angehoben. Heute besitzt es die Tate Gallery, die es aber wie Gordale Scar im Magazin verwahrt. Viktorianische Maler scheinen heute nicht mehr so en vogue zu sein. Das hätte den Herren Vernon und Sheepshanks nicht gefallen, deren Sammlungen der Grundstock für die National Gallery und das ➱Victoria & Albert Museum waren.

Das Bild von Gordon Scar erwies sich unglücklicherweise als zu groß für die Wände des Landsitzes des ersten Lord Ribblesdale. Er schenkte es dem British Museum. Wo es zusammengerollt wurde und in einem Keller verschwand. Bei einem Hochwasser der Themse wurde es beschädigt und eines Tages wieder entdeckt. Das berichtet auf jeden Fall Wards Urenkel Sir Leslie Ward in seinen Memoiren. Dass die Ribblesdales auch später noch Kunstwerke in Auftrag geben, beweist das Bild des vierten ➱Lord Ribblesdale von John Singer Sargent. Es ist ein Bild, das den englischen ➱Dandy auf seinem Höhepunkt zeigt, voller arroganter Eleganz. Vergleichbar mit Munchs ➱Bild von Harry Graf Kessler oder Anders Zorns ➱Bild des schwedischen Königs.

Ob er jemals Gordale Scar gesehen hat, weiß ich nicht. Sein Vater hatte Grundbesitz und Landsitz 1851 verkauft und war mit der Familie nach Fontainebleau gezogen, wo Thomas Lister, der vierte Baron Ribblesdale, auch geboren wurde. Das Gemälde hat er der National Gallery geschenkt: Presented by Lord Ribblesdale in memory of Lady Ribblesdale and his sons, Captain the Hon. Thomas Lister and Lieutenant the Hon. Charles Lister, 1916. Die Seite der National Gallery sagt: not on display. Manchmal frage ich mich, was englische Museen überhaupt noch zeigen.

Lesen Sie auch: ➱Kreidefelsen und ➱Klippen.

Dienstag, 21. Oktober 2014

François Truffaut


Hier ist der französische Filmregisseur François Truffaut bei den Dreharbeiten von La nuit américaine. Links ist sein alter ego, der Schauspieler Jean-Pierre Léaud, den wir aus dem Antoine Doinel Zyklus kennen. Die schöne Frau in der Mitte ist natürlich Jacqueline Bisset. Leaud ist jetzt (wie Jacqueline Bisset) auch schon siebzig, nur Truffaut lebt leider nicht mehr. Er ist heute vor dreißig Jahren gestorben.

In einem Brief an Annette Insdorf (die viel über ihn geschrieben hat) schreibt er im Januar 1984: Was gibt es noch zu erzählen? Ich gehe wieder regelmäßig ins Kino. Gefallen haben mir Fellinis Film über das Schiff  [E la nave vaund dann noch 'Zelig', nicht nur, weil er in Schwarzweiß ist. Er gibt auch noch der Hoffnung Ausdruck, dass es in dem Jahr ein Wiedersehen gibt. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Die Aufführung seines Films Vivement Dimanche mit Fanny Ardant (die ihm gerade ein enfant de l'amour geschenkt hat) hat er aber noch erlebt.

Die Briefe Truffauts, Briefe eines Jungen, der heftig darunter litt, nicht schreiben zu können, wie Godard in seinem Vorwort sagt, sind 1990 von Robert Fischer herausgegeben und übersetzt worden. Man merkt auf jeder der über siebenhundert Seiten, dass er etwas davon versteht. Ich war mal bei einem dreitägigen Truffaut Seminar, Freitagnachmittag bis Sonntagmittag. Außer Mittags- und Kaffeepause keine Pausen. Keine Diskussion. Der Referent überschüttete uns mit seinem Wissen und hunderten von Filmbeispielen. Die Filme von Truffaut kannte ich, aber der halbe Tag über den ➱Einfluss von Jean Renoir war sehr interessant.

Ich habe leider den Namen des Referenten vergessen, aber ich vermute mal, dass das Robert Fischer war. Fischer hat auch die Filmkritiken Truffauts unter dem Titel Die Filme meines Lebens herausgegeben. Weiterhin hat er das lange Interview La leçon de cinema de François Truffaut, das der Regisseur mit José-Maria Berzosa, Jean Collet und Jérome Prieur geführt hat, übersetzt und ediert. Es ist 1991 unter dem Titel Monsieur Truffaut, wie haben Sie das gemacht? bei der Kölner vgs Verlagsgesellschaft erschienen. Der Titel lehnt sich natürlich an das berühmte Interview-Buch Mr Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? an (das Robert Fischer auch herausgegeben hat). Das Photos zeigt Truffaut mit Bernadette Lafont bei den Dreharbeiten von Ein schönes Mädchen wie ich (Une belle fille comme moi) im Jahre 1972.

Den Namen Bernadette Lafont kannte ich damals schon seit Jahren, weil ich sie in dem unheimlich spannenden Kriminalfilm von Costra-Gavras, Mord im Fahrpreis inbegriffen (Compartiment tueurs), mit ➱Yves Montand gesehen hatte (➱hier bei YouTube). War eine Verfilmung des Romans von Sébastien Japrisot. Der war damals bei Rowohlt in der von ➱Richard K. Flesch herausgegebenen Krimireihe auch vertreten. Die Frau neben Truffaut auf diesem Bild ist natürlich nicht Bernadette Lafont, das ist seine Freundin Jeanne Moreau, die durch Jules et Jim weltberühmt wurde. Wo sie auch singt. Sie hat ihm auch den Film Das Geheimnis der falschen Braut (La sirène du Mississipi / Waltz into Darkness) finanziert. Den Film, von dem ➱Brigitte Bardot später behauptete, Truffaut habe ihr die Rolle versprochen, die die Deneuve bekommen hatte.

Im Gymasium zeigte unser Schüler Film-Club, der natürlich nur pädagogisch wertvolle Filme zur Aufführung brachte (manchmal aber auch gute wie Tod eines Radfahrers), den Film Sie küßten und sie schlugen ihn. Mit einer Einleitung vom Direx. ➱Bardems Tod eines Radfahrers der ➱hier schon erwähnt wird, hat mich schwer beeindruckt, weil da tolle Trenchcoats und ➱Lucia Bose drin vorkamen. Sie küßten und sie schlugen ihn, der der erste Teil der Antoine Doinel Saga war (aber das wusste damals noch keiner von uns), hat mich damals nicht so beeindruckt. Kamen zu wenig schöne Frauen drin vor. Wir waren in dem Alter, wo man Filme nicht wegen der pädagogischen Probleme oder der Filmkunst guckte, sondern der schönen Frauen wegen. Dass dies die Basis des französischen Kinos ist, hat Truffaut auch gewusst, schließlich ist er es gewesen, der gesagt hat: Le cinéma c'est l'art de faire de jolies choses à de jolies femmes. Die schöne Frau auf diesem Photo ist Claire Maurier, die in Sie küßten und sie schlugen ihn die Mutter von Antoine Doinel spielte.

Ich habe beinahe alle Filme von Truffaut auf DVD, im Filmregal stehen Bücher und Drehbücher zu seinen Filmen nebeneinander. Sein Kino hat mich einen großen Teil meines Lebens begleitet. Dies ist kein Photo von der Beerdigung von Truffaut, das ist ein Filmphoto aus Der Mann, der die Frauen liebte (L’homme qui aimait les femmes), ein Titel, den man auch auf den Regisseur beziehen könnte. Es sind viele Frauen zu seiner Beerdigung gekommen, ➱Catherine Deneuve auch. Truffaut hasste Beerdigungen, im Februar 1971 schrieb er an Tanya Lopert zum Tod ihres Vaters (der Truffauts Filmgesellschaft La société des Films du Carrosse auch in den USA bekannt gemacht hatte):

Il y a beaucoup, beaucoup trop de morts autour de moi, que j'ai aimés, et j'ai pris la décision, après la disparition de Françoise Dorléac, de ne plus assister à aucun enterrement, ce qui, vous le pensez bien, n' empêche pas la tristesse d être là, de tout obscurcir pendant un temps et de ne jamais estomper complètement, même avec les années, car on ne vit pas seulement avec les vivants, mais aussi avec tous ceux qui ont compté dans notre vie.

Auf dem Schwarzweiß Photo oben sitzt Françoise Dorléac neben Truffaut. Ganz eng. Truffaut braucht schöne Frauen in seiner Nähe. Wir auch. Und deshalb lieben wir ihn. Der Film von morgen erscheint mir noch persönlicher als ein Roman, individuell und autobiographisch wie ein Tagebuch ... Der Film von morgen wird eine Liebeserklärung sein, hat er 1957 gesagt. Er dreht gerade seinen ersten Film, zwei Drehbücher von kleinen Filmen hat er schon geschrieben. Aber da ist noch nichts, was darauf hindeutet, was er im nächsten Vierteljahrhundert drehen wird. Aber den Satz Der Film von morgen wird eine Liebeserklärung sein, den wird er wahr machen.

Er wäre gerne Romanschriftsteller geworden, aber er wusste, dass seine Begabung dafür nicht reichte. Die Romane, die er uns jetzt erzählt, sind seine Filme: Ich gebe mir Mühe, ganz unterschiedliche Filme zu machen. Ich habe Angst, immer das gleiche zu erzählen. Aber ich weiß nur zu gut, daß im Grunde immer wieder das gleiche herauskommt. Denn wahrscheinlich arbeitet man in seinem ganzen Leben doch nur mit sehr wenigen Elementen, sehr wenigen Einfällen. Es ist doch so: Romanciers zum Beispiel haben nur ein paar Jahre großer Kreativität zur Verfügung. In den ersten Romanen ist eine starke Kraft spürbar,und im allgemeinen schreiben sie auch nicht mehr als fünf oder sechs Romane. Jedenfalls ist das in Frankreich so. Na, ja. Er hat ➱Theodor Fontane nicht gekannt. Hätte er den ➱Roman Effi Briest verfilmen können?

Das Schwarzweiß Photo im Absatz oben zeigt Truffaut im ➱Smoking an der Seite von Marie-France Pisier. Mit siebzehn war sie in Truffauts Antoine und Colette (hier ein Filmbild). Da hat sie Truffaut so verzaubert, dass er gleich seine Frau verlassen hat. Aber es hat nicht lange gehalten mit den beiden. Das ist bei Truffaut immer so. Zwanzig Jahre später ist sie Clawdia Chauchat, die ➱Hans Castorp im Zauberberg den Kopf verdreht. Und noch einmal Jahrzehnte später konnten wir sie als Madame Verdurin in ➱Raúl RuizLe Temps retrouvé sehen. 

Aber hier sehen wir sie in Liebe auf der Flucht (L'amour en fuite), dem letzten Teil des filmischen Lebensromans des romancier manqué François Truffaut (sie hatte in L'amour en fuit auch eine kleine Nebenrolle gehabt). Sie liest im Schlafwagen der SNCF ein Buch, das wir leider nicht lesen können: Antoine Doinels autobiographischen Roman Les salades de l'amour. Das ist wieder so ein typisches Truffaut Zitat. Denn in La nuit américaine sagt der Regisseur Ferrand (Truffaut) über das komplizierte Liebesleben (das sich von Truffauts eigenem Liebesleben wenig unterscheidet) seines Hauptdarstellers Adolphe (Jean-Pierre Léaud): C' est ça, d'ailleurs un jour je tournerai un film qui s'appellera 'Les salades de l' Amour'. Der größte Teil des Drehbuches von L'amour en fuite wurde übrigens von Marie-France Pisier geschrieben. In den salades de l' Amour von Truffaut kennt sie sich bestens aus.

Eigentlich wollte ich heute nichts schreiben, ich wollte nur die Links zu den wichtigsten Truffaut Posts in diesem Blog hierher stellen. Und vielleicht einige Verse dazu tun. Wie den ➱Text des Chansons Baisers Volées. Oder so etwas wie den ➱Song Truffaut von ➱Angelika Express. Aber es ist, wie es ist. Kaum hatte ich das erste Photo, hatte ich auch den ersten Absatz geschrieben. Warum jetzt aufhören? Draußen regnete es. Ich nahm das als Wink des Schicksals. Und begann zu schreiben. Und ein Photo von Truffaut mit ➱Lederjacke von den Dreharbeiten von Tisch und Bett (Domicile conjugal) habe ich natürlich auch anzubieten.

Lesen Sie auch: ➱Fanny Ardant, ➱Waltz into Darkness, ➱Jean Desailly, ➱Jacqueline Bisset, ➱Henri Langlois ➱Ray Bradbury. Den schönen Film François Truffaut, une autobiographie von Anne Andreu kann man ➱hier sehen.