Wir müssen mal eben an die Sängerin Henriette Sontag erinnern, die am 3. Januar 1806 geboren wurde, sie war in der ausgehenden Romantik und dem Biedermeier Deutschlands berühmteste Opernsängerin. Goethe hat sie seine flatternde Nachtigall genannt, Karl von Holtei hat für sie ➱Sieben Lieder geschrieben. Und Ludwig Rellstab schreibt den satirischen Roman Henriette, oder die schöne Sängerin. Hier auf dem Ausschnitt eines Bildes von ➱Franz Krüger ist sie mit einem riesigen Hut zu sehen. Rechts neben ihr ist der Geiger Niccolo Paganini. Die göttliche Jette überragt, passend für eine gefeierte Opernsängerin, alle anderen Personen. Weil sie in ihrer Kutsche aufrecht steht, nicht weil sie überlebensgroß ist. Doch das war sie für viele Zeitgenossen.
Nicht unbedingt für den Komponisten Ludwig Berger, von dem diese Sätze überliefert sind: Nein, ich ertrag' den Wahnsinn nicht länger! Hier bei Ihnen hofft' ich doch vor der ewigen Sontag-Sontag-Sontag Ruhe zu finden, und nun fangen auch Sie von ihr an, noch ehe ich meinen Hut abgelegt habe... Ich komme, um für vier Wochen die Klavierstunden abzusagen — ich muss auf einige Zeit fort von hier, andere Lüfte atmen - die hiesige Sontag-Epidemie bringt mich um... ich gehe nach Frankfurt ...
Und dann gibt es da noch einen Pastor, der folgendes dichtet:
Wie preist man sie nicht als der Oper Zierde
und sie vergöttert mancher gute Christ.
O, dass d e r Sonntag so gefeiert würde,
wie es d i e Sontag ist.
Einer derjenigen, die sich mit der Heldin des Gesanges, der Perle der deutschen Oper, überhaupt nicht versteht, ist der Berliner Theatermaler ➱Carl Blechen. Der teuren Henriette gefallen die Dekorationen von Blechen nicht, sie verlangt Änderungen. Blechen weigert sich. Es gibt so etwas wie einen Skandal, Blechen wird gefeuert. Von da an ist er freier Maler. Vielleicht war das für seine Karriere besser so. Er ist nicht der einzige, der Streit mit der Sontag hat. Da ist noch der ➱Fürst Pückler, der eine Affäre mit ihr hat und immer in der ersten Reihe in der Oper sitzt. Sie sagt seinetwegen in London sogar eine Probe ab und begleitet ihn nach Richmond: Sie war den ganzen Tag allerliebst, harmlos wie ein Kind und lustig wie ein Reh, aus dem langweiligen Zwang und dem Gewimmel, das sie täglich umgibt, einmal befreit zu sein.
Im Park von Branitz gibt es immer noch den rosenumrankten Kiosk mit der goldfarbenen Büste der Henriette Sontag. Aber Streit gab es auch. Und wie. Mit fünf Jahren stand das holde Mägdelein auf der Bühne. Mit siebzehn singt sie die Titelpartie von Carl Maria von Webers Oper Euryanthe, mit neunzehn die Isabella in Rossinis Italienerin in Algier. Wahrscheinlich ihre größte Rolle, die sie immer wieder gesungen hat. In Berlin, Wien Paris und London. 1824 sang sie in den Premieren von Ludwig van Beethovens Neunter Symphonie und der Missa Solemnis in Wien. Beethoven selbst soll sie dafür ausgesucht haben.
Wir können ihren Gesang nicht hören, heute können wir alle Diven auf Platten und CDs hören und miteinander vergleichen. Für die Stimme der Sontag müssen wir uns auf Zeitgenossen wie die Schauspielerin Karoline Bauer verlassen (deren ➱Memoiren das schöne Motto von Jean Paul Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus welchem wir nicht getrieben werden können haben): Die Stimme war weder voll noch stark, aber glockenrein, perlenklar, silberhell. Und wie süß wusste sie zu trillern, wie heller Lerchenjubel! Dann wieder brillierte ihre eigentümliche, hohe Kopfstimme in den schwierigsten Passagen- so präzis wie eine zierliche Flötenuhr! Und das alles kam so spielend leicht und mühelos aus dem zierlichen Mündchen hervor, dass der Hörer sich mit vollem Behagen dem Genuss hingeben konnte. Vielleicht war es so, vielleicht auch anders.
Berühmte Sängerinnen hat es schon immer gegeben, aber ein Phänomen wie Henriette Sontag, das schon an eine Massenhysterie grenzt, hatte es in Deutschland noch nie gegeben. Jetzt beginnt das Zeitalter der Operndiven, neben der Sontag gibt es noch die gleichaltrige ➱Maria Malibran, dann kommt ➱Jenny Lind. Und dann geht das weiter bis zur Callas. Doch die göttliche Jette wollte das alles nicht: Ich bin nun einmal nicht zur Künstlerin geboren, es fehlt mir alles zur Primadonna. Mit vierundzwanzig verlässt sie die Opernbühne (ähnlich wie Anita Cerquetti), heiratet den sardischen Grafen Carlo Rossi und folgt dem Diplomaten nach Den Haag und St Petersburg. Und bekommt sieben Kinder.
Doch die 1848er Revolution erreicht auch Sardinien, ihr Gatte verliert sein Vermögen, Henriette muss wieder auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Neunzehn Jahre war sie nicht in den Opernhäusern der Welt. Sie hatte das Singen nicht verlernt, sie hat schon von Zeit zu Zeit in privaten Soireen und bei Wohltätigkeitskonzerten gesungen.
Der Skeptiker Heinrich Heine findet es unerträglich, dass der ganze Henriette Sontag Rummel wieder losgeht. Und so dichtet er im Oktober 1849:
Es knallt. Es ist ein Fest vielleicht,
Ein Feuerwerk zur Goethefeier! –
Die Sontag, die dem Grab entsteigt,
Begrüßt Raketenlärm – die alte Leier.
Henriette Sontag, die eigentlich Gertrude Walpurgis Sontag hieß, war schon häufiger in diesem Blog. Andere Operndiven auch. Lesen Sie doch einmal ➱Nachtigallen. Oder Diven, Grande Opéra und Primadonna assoluta.
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