Das ist das zweite Corona Silvester, das wir erleben. Und das erste Jahr, in dem kein Feuerwerk verkauft werden darf, Tischfeuerwerk schon. In Dänemark und Polen decken sich zur Zeit tausende von Deutschen mit Feuerwerkskörpern ein, da ist der Verkauf nicht verboten. Vielleicht bringen sie auch ein paar Viren mit nach Hause. Genau so war das mit dem Verkaufsverbot ja gedacht. Die Festlichkeiten werden in diesem Jahr klein sein, sehr klein. Wenn Joachim Ringelnatz in seinem Gedicht In der Neujahrsnacht schreibt: Die Menschen können sich in den Gassen vor lauter Übermut gar nicht mehr fassen. Sie singen und springen umher wie die Flöhe und werfen die Mützen in die Höhe, dann wissen wir, dass es so etwas bei uns in diesem Jahr nicht geben wird, der Übermut ist dahin. Und was hier Silvester 2012 stand, das kann man heute auch nicht mehr einstellen, das geht nicht. Der Altjahrstag hat seinen Namen nach dem Papst Silvester I, der an einem 31. Dezember gestorben ist. Im Heiligenkalender der römisch-katholischen Kirche ist das heute sein Gedenktag. In der Legenda Aurea können wir lesen:
Ich erinnere mich der Silvesternacht, in der das jetzige Jahrhundert sich erhob. Diese Nacht lag über einem Dorf jenseits der Oder-Neiße-Linie. Es war für die damalige so glückliche Welt eine Sensation, dass ein neues Jahrhundert begann. Alles wachte, alles feierte, die Kirchenglocken läuteten um Mitternacht, man erwartete irgend etwas ganz besonderes, eine Art Anbruch des Paradieses innen und außen. Mein Vater trat aus seinem Pfarrhaus und umarmte den Dorfschulzen, einen großen reichen Bauern, alles umarmte sich, es war eine schnee- und regenlose Nacht, es war ein großes Ereignis.
Ich erinnere mich an eine Silvesternacht im Ersten Kriege. Wir waren in einer glänzenden eleganten Stadt, einer Hauptstadt. In der berühmten wunderbaren weißen Kathedrale fand die Mitternachtsmesse statt. Das Land war katholisch, der Dom war überfüllt, die meisten mußten stehen, wir fremden Soldaten standen in Uniform zwischen ihnen, und alles gehörte in dieser Nacht zusammen.
Ich erinnere mich an eine Silvesternacht im Zweiten Krieg. In einer kleinen Stadt im Osten, im Warthegau. Es war in einer Kaserne. Ein schneereicher Dezember war gewesen, ungewöhnliche Kälte herrschte seit Wochen, Frost – und wir hatten nichts zu heizen. Wir hatten hundert Gramm Streichmettwurst als Sonderzulage erhalten und Bratlingspulver. Damals feierte man nicht Weihnachten, sondern Wintersonnenwende, und die Kommandeure hatten in der Neujahrsparole über Erneuerung des Lichts zu sprechen. Am Morgen war ein schwerer Angriff auf Berlin gewesen, und man fragte sich, ob die Wohnung noch stünde und was von den wenigen Bekannten, die dort lebten, übriggeblieben war.
1900, 1914, 1944, drei Silvesternächte! Drei Silvesternächte, alle in diesem Europa, in diesem Abendland, tief und gleisnerisch, universal und abstrakt, Olymp und Golgatha, Leda und Maria. Drei Silvesternächte, sie umschließen zwei Generationen, zwei verwundete Generationen, denen alles fraglich wurde, für die es zwar wieder Komfort, aber keinen Inhalt mehr gibt.
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