Mittwoch, 7. September 2022

Kopenhagen


Ich bleibe mal eben bei dem Thema des Posts Caroline Mathilde, weil hier heute zwei Dinge daraus wieder aufscheinen. Das eine ist der Ort Rotenburg, das andere ist der Sohn von Caroline. Rotenburg, damals zum Kurfürstentum Hannover gehörend, spielt eine Rolle, weil der Herr in der roten Uniformjacke auf dem Bild im nächsten Absatz dort geboren wurde. Und der Sohn von Caroline ist jetzt Kronprinz und regiert an Stelle seines kranken Vaters Dänemark.

Der Herr in Blau ist ein Admiral, das können wir uns denken; er heißt Steen Anders Bille, sein Vater war schon Admiral, sein Sohn wird auch Admiral werden. Der Herr mit der roten Uniformjacke verabschiedet den Admiral gerade, er soll mit seinen Schaluppen gegen die Royal Navy kämpfen. Wir sind im August 1807, einen Monat später ist alles vorbei. Der Herr mit der roten Uniformjacke heißt Heinrich Ernst von Peymann, er ist ein dänischer General. Seit 1801 Träger des Großkreuzes des Danebrog Ordens. Eigentlich ist er im Rentenalter, er ist zweiundsiebzig Jahre alt, hat ein wenig Übergewicht und hat Schwierigkeiten, auf ein Pferd zu steigen. Jetzt soll er Kopenhagen gegen die Engländer verteidigen. 

Eine Woche, bevor er den Admiral Bille am Toldboden Zollhaus verabschiedet, hatte er vom Kronprinzen einen Brief bekommen: Meine Pflichten rufen mich zur Armee, wo meine Gegenwart nothwendiger ist als hier, allwo es Männer giebt wie Sie, in welche ich das größte Vertrauen seße. Sie übernehmen daher das ganze Commando der Land- und Seedefension und treffen alle Vorkehrungen, die Sie als nöthig ansehen. Alles, sowohl der Civiletat, als das Militär, gehorcht Ihnen. Sie werden diesen Befehl der Admiralität, dem Magistrate und der Kanzlei mittheilen. Daß Sie sich bis auf's Aeußerste vertheidigen, versteht sich von selbst, weshalb es unnöthig ist, dies erst einem so kühnen Soldaten zu befehlen. 

Der Kronprinz läßt in ganz Kopenhagen Plakate anschlagen: Mitbürger, nachdem ich Alles dergestalt angeordnet habe, wie es Zeit und Umstände gebieten, eile ich zur Armee, um mit derselben sobald als möglich zum Wohle meiner lieben Landsleute mitzuwirken, wenn nicht bald Umstände eintreten, die Alles nach meinem Wunsche auf eine ehrenvolle Weise beendigen. Und schon ist er weg, ist schon am nächsten Tag in Kiel. Die Kopenhagener hatten gehofft, er würde bleiben. Man kann das auch eine Flucht nennen.

Zwei Jahre später wird Peymann von einem Kriegsgericht verurteilt: Der General-Major Heinrich Ernst Peymann hat die Ehre und das Leben verwirkt, und seine Güter sind der Confiscation verfallen. Im dänischen Urteil heißt es: bör have Aere og Liv forbrudt og hans Gods vare confiskeret. Noch zwei andere dänische Generäle erhalten dieses Urteil, aber die Hinrichtungen werden nicht vollstreckt. Der König gewährt den Offizieren eine Begnadigung, eine Entlassung ohne Pension und mit dem Verbot, die Zitadelle Frederikshavn  zu verlassen. Der Generalmajor Peymann darf seine schöne rote Uniform und seine Orden nicht mehr tragen.

Es ist ein neuer König, den Dänemark jetzt hat. Seit Vater war 1808 in Rendsburg gestorben (wir kennen den geisteskranken König aus dem Post Caroline Mathilde), aber bei dem Angriff der Engländer auf Kopenhagen hatte der liberale Regent schon die Regierungsgeschäfte in der Hand. Als er König wird, verlangt er den Prozess gegen seine Generäle und Obristen. Und begnadigt sie hinterher. Als Dänemark nach dem verlorenem Krieg gegen England, dem Staatsbankrott von 1813 und dem Kieler Frieden darnieder liegt, beschließt der König, den Haushalt für Kunst und Bildung zu erhöhen. Seine Minister protestierten, aber der König sagt: Arm und elend sind wir sowieso. Wenn wir jetzt auch noch dumm werden, können wir aufhören, ein Staat zu sein. Sieben Jahre nach der Bombardierung Kopenhagens wird er in Dänemark per Gesetz die allgemeine Schulpflicht vom siebten Lebensjahr bis zur Konfirmation einführen. Der Besuch der Schule kostet nichts, das wird nach dem Willen des Königs aus Steuermitteln finanziert. 

Frederick war vier Jahre alt, als man Struensee hinrichtete, jenen Mann, der aus Dänemark ein Musterland der Aufklärung gemacht hatte. Vielleicht war er sogar dafür dankbar, dass der Dr Struensee, gerade zum Grafen ernannt, aus seinem Leben verschwand. Denn die ersten Jahre seines Lebens mussten bizarr gewesen sein. Johann Friedrich Struensee, der nicht nur Dänemark regierte, hatte auch die Erziehung von Frederik übernommen. Nach dem Geiste der Schriften von Rousseau, respektive seines Émile. Dieses Buch eines Autors, der seine Kinder im Findelhaus abgab, gilt ja manchen als eine Bibel der Pädagogik. Unglücklicherweise liest der Dr Struensee aus dem Émile Dinge heraus, die bei Rousseau wohl nicht drin stehen. Das Erstaunliche ist immer wieder, dass Kinder solchen pädagogischen Unsinn überstehen. Schlechte Lehrer sind auch eine gute Schule.

Der General Heinrich Ernst von Peymann hat am 7. September 1807 kapituliert, hat die Stadt und die Flotte übergeben. Was sollte er tun? Er befehligt fünftausend Soldaten, die Engländer haben mehr als dreißigtausend. Die  waren jetzt überall. Im Norden waren sie in Svannemølle gelandet, im Süden kam der General Wellesley aus Köge. Wie kennen diesen Arthur Wellesley besser unter dem Namen Duke of Wellington. Das Pferd, das er in der Schlacht von Waterloo reitet, heißt im übrigen Copenhagen. Die Festung Kopenhagen wurde seit Mitte August von den Engländern belagert; am 2. September hatte die englische Flotte begonnen, Kopenhagen in Brand zu schießen, wobei sie diese Congreve rockets verwendet, die hier schon einen Post haben. Es ist das erste Mal in Europa, dass in einem Krieg solche Brandraketen verwendet werden. Peymann klagt: Die Engländer warfen eine Art Raketen, die sonst von policirten Nationen nicht verwandt werden. Das Adjektiv policirt bedeutet im 18. Jahrhundert: gebildet, gesittet, civilisiert. Der Maler Christoffer Eckersberg hat das Chaos in zahlreichen Bildern festgehalten. Ein Drittel von Kopenhagen liegt am Ende der Woche in Schutt und Asche, tausende von Bewohnern sind verletzt oder tot. 

 Am 3. September, als der Tag kam, hörte das Schießen auf; und der Engländer fragte, ob sie noch nicht wollten gewonnen geben. Der Kommandant von Kopenhagen sagte: »Nein.« Da fing das Schießen nachmittags um 4 Uhr von neuem an, und dauerte bis den 4. September mittags fort, ohne Unterlaß und ohne Barmherzigkeit. Und als der Kommandant noch nicht wollte ja sagen, fing abends das Feuer wieder an, und dauerte die ganze Nacht bis den 5. des Mittags. Da lagen mehr als 300 schöne Häuser in der Asche; ganze Kirchtürme waren eingestürzt, und noch überall wütete die Flamme. Mehr als 800 Bürger waren schon getötet und mehrere schwer verwundet. Ganz Kopenhagen sah hier einer Brandstätte, oder einem Steinhaufen, da einem Lazarett, und dort einem Schlachtfeld gleich. Als endlich der Kommandant von Kopenhagen nirgends mehr Rettung noch Hülfe, und überall nur Untergang und Verderben sah, hat er am 7. September kapituliert, und der Kronprinz hat's nicht einmal gelobt. So steht es bei Johann Peter Hebel, der aber ein unzuverlässiger Berichterstatter ist: Sir William Congreve ist keineswegs beim Rückzug der Royal Navy ertrunken.

Dieses Bild von Christian August Lorentzen zeigt den Kongens Nytorv in der Nacht vom 4. zum 5. September 1807. Irgendwo auf dem Bild kann auch der General Peymann sein, den man nach seiner Verwundung in ein Bett des Hotel d'Angleterre gebracht hat. Das ist nun ein klein wenig ironisch, dass ein Hotel mit diesem Namen das Hauptquartier des dänischen Generals im Kampf gegen die Engländer wird. 

Die englische Sprache wird nach dem Bombardement ein neues Verb bekommen, to copenhagen, womit man die Vernichtung einer wehrlosen Flotte im Hafen meint. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg hatte der englische Admiral Sir John Fisher die Idee to copenhagen the German fleet, womit er einen Überfall auf Wilhelmshaven meinte. Es ist glücklicherweise nicht dazu gekommen. Dänemark war in dem napoleonischen Krieg neutral, der illegale Angriff der Engländer kann völkerrechtlich als nichts anderes als ein Terrorangriff bezeichnet werden.

Die englische Flotte wurde von James Gambier befehligt. Zwei englische Admiräle, Admiral William Young und Vice-Admiral Sir Charles Cotton, hatten zuvor das Kommando aus moralischen Gründen abgelehnt, sie hielten den Angriff auf Dänemark für nicht legal. Gambier kümmert das wenig. Wenn er nach London zurückkehrt, empfängt er den Dank des Parlaments, wird zum Lord ernannt und bringt Prisengelder im Wert von 150.000 Pfund Sterling mit. Ich weiß nicht, ob der Kriegsgewinnler gut schlafen kann, wenn er an die Toten von Kopenhagen denkt.

Nicht alle in England werden von dem Raubzug auf ein neutrales Land begeistert sein. Lord Erskine wird sagen: If hell did not exist before, Providence would create it now to punish ministers for that damnable measure. Im Oktober 1807 erscheint bei Thomas Tegg in London der Cartoon John Bull embracing the Pie-man, or a Friendly Visit to Zeland, der alles in einem Bild unterbringt. Die Kanonenkugeln, die auf die brennende Stadt fliegen, tragen die Namen Necessity, Kindness, Esteem und Humanity. Regierung und Parlament versuchen sich mit dem Vorwand zu rechtfertigen: man habe Beweise, dass Napoleon die dänische Flotte habe entführen wollen, um sie gegen England einzusetzen. Dem hätte man zuvorkommen müssen. Weshalb man dafür Kopenhagen in Brand schießen und die Zivilbevölkerung angreifen musste, wird nicht erklärt. Im Jahre 1801 hatte die englische Flotte Kopenhagen schon einmal mit dem gleichen Vorwand eine friendly visit abgestattet. Die Seeschlacht von Kopenhagen machte Horatio Nelson zum Helden, damals verzichteten die Engländer allerdings darauf Kopenhagen niederzubrennen. Dies ist das Schicksal von Dänemark, und die Freunde der Engländer sagen: es sei nicht so schlimm gemeint gewesen. Andre aber sagen: es hätte nicht können schlimmer sein, und die Dänen meinen's auch, heißt es bei Johann Peter Hebel.

Dänische Historiker sagen, dass Friedrich VI mit solcher Strenge gegen Peymann vorgegangen sei, weil er sich vor Napoleon fürchtete. Nach dem Sturz Napoleons wurde Peymann vollständig begnadigt, erhielt seine eingezogenen Besitzungen zurück und bekam eine Pension. Und er bekam die Erlaubnis, seine Uniform und seine Orden wieder zu tragen. Peymann verließ Flensburg, wo er zwischenzeitlich gewohnt hatte und zog zu seinem Bruder, der als dänischer Generallieutenant in Rendsburg stationiert war. Die beiden Brüder sind in der alten Garnisonskirche begraben. An der Wand der Kirche findet sich heute immer noch eine Gedenktafel für sie.

Heinrich Ernst von Peymann hatte nie eine Truppe befehligt. Er war Architekt, er baute Festungsanlagen, Straßen und Kasernen. Der Marquis de Vauban war sein großes Vorbild. Festungsanlagen sind eine große Sache im 18. Jahrhundert, das wissen wir aus Laurence Sternes Roman Tristram Shandy. Aber der Krieg hat neue Formen angenommen, die Zeiten des Kabinettskrieges sind vorbei. Als in der dänischen Armee ein Ingenieurkorps gegründet wurde, stieg Peymann darin auf. Weshalb er 1795 zum Generalmajor der Infanterie ernannt wurde, weiß ich nicht, bei der Infanterie war er nie. Peymann hat seine Rolle in der Geschichte gehabt, er hat versagt. Aber jeder hätte versagt, niemand hätte Kopenhagen und die Flotte retten können. Das hat der Köng Frederik eingesehen, als er seinen General rehabilitierte und ihm alles zurückgab, was ihm genommen worden war.

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