Freitag, 17. Oktober 2025

Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?


Ich war zwei Jahre im Netz, als ich zum ersten Mal über Georg Büchner schrieb. Ich stellte den Post, den anderthalbtausend Leser gelesen hatten, im nächsten Jahr noch einmal ein. Weil das der zweihundertste Geburtstag von Georg Büchner war. Das kommentierte ein Leser mit den Sätzen: Und ich war schon besorgt, es bloggt gar keiner zum 200. Büchner; die Feierlichkeiten ließen sich doch etwas zäh an. Danke fürs Heraufheben all der persönlichen Belange, wie sie so schnell nicht einer mit Büchner verbindet! Ich begann Büchner zu lesen, als ich neunzehn war, das steht in dem Post perlegi, und das ist auch so richtig. Weil unsere Theater AG damals Leonce und Lena aufführte, und ich Regieassistent und Souffleur war. Große Teile des Stückes habe ich immer noch im Kopf. Man behält viel von Büchner im Kopf, wenn man ihn genau liest. Nicht nur die gelben Nankinghosen von Leonce. 

Ein Satz, der mir nie aus dem Kopf gegangen ist, ist Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet? aus seinem Danton. Der Satz steht in diesem Textzusammenhang: Der Mann am Kreuze hat sich's bequem gemacht: es muß ja Ärgernis kommen, doch wehe dem, durch welchen Ärgernis kommt! – Es muß; das war dies Muß. Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muß gefallen? Wer hat das Muß gesprochen, wer? Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet? Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! die Schwerter, mit denen Geister kämpfen – man sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen. Das schreibt Büchner mit zweiundzwanzig Jahren, da wird er schon steckbrieflich gesucht. 

Der wirkliche Georges Danton hat das Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet? nicht gesagt, nicht gedacht. Das ist jetzt alles in Büchners Kopf. Und in seinem Brief an seine Verlobte aus dem Jahre 1834 steht das alles schon, zum Teil wörtlich: Schon seit einigen Tagen nehme ich jeden Augenblick die Feder in die Hand, aber es war mir unmöglich, nur ein Wort zu schreiben. Ich studiere die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem Gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich. Es fällt mir nicht mehr ein, vor den Paradegäulen und Eckstehern der Geschichte mich zu bücken. Ich gewöhnte mein Auge ans Blut. Aber ich bin kein Guillotinenmesser. Das muß ist eins von den Verdammungsworten, womit der Mensch getauft worden. Der Ausspruch: es muß ja Ärgernis kommen, aber wehe dem, durch den es kommt, – ist schauderhaft. Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt? Ich mag dem Gedanken nicht weiter nachgehen. Könnte ich aber dies kalte und gemarterte Herz an deine Brust legen!

Dantons Tod bekam vom Herausgeber des Literaturblatts Phönix: Frühlings-Zeitung für Deutschland noch den Untertitel Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft verpasst, das sollte zur Besänftigung der Zensur dienen. Hat nicht viel geholfen, das Stück konnte nur zensiert aufgeführt werden. Zensur haben wir noch immer überall auf der Welt. Schreckensherrschaft auch. Jetzt auch schon in dem Land, in dem Life, Liberty and the pursuit of Happiness einmal das Wichtigste waren.


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