Samstag, 9. Juni 2012

Eric Hobsbawm


Warum schreibst Du nicht mal über Eric Hobsbawm? fragt der Freund aus Hamburg. Ja, warum nicht, ich habe beinahe alles von ihm gelesen. Ich habe erst mal in den Wikipedia Artikel geguckt und gesehen, dass Hobsbawm am 9. Juni 95 Jahre alt wird. Das ist nun wahrlich ein Grund, ihm zu gratulieren und um einige Sätze über ihn zu sagen. Das erste Buch, das ich von ihm las, hieß Bandits. Es zählt vielleicht nicht unbedingt zu den Hauptwerken des Historikers, den die New York Times vor knapp zehn Jahren als one of the great British historians of his age, an unapologetic Communist and a polymath whose erudite, elegantly written histories are still widely read in schools here and abroad bezeichnete. Und der Spectator wollte hinter dem nicht zurückstehen und schrieb arguably our greatest living historian—not only Britain's, but the world's.

Gute Historiker sind in der englischsprachigen Welt nicht unbedingt rar. Gute Monster sind rar, wie Tolkien einmal sagte, aber an guten Historikern haben die Engländer keinen Mangel. Seit den Tagen von Thomas Carlyle, Thomas Babington Macaulay und G.M. Trevelyan beweisen sie der Welt, dass man kein Fachchinesisch schreiben muss. Dass man sich in gutem klaren Englisch ausdrücken kann. Und es ist für sie auch nie eine Schwierigkeit gewesen, selbsterfundene Grenzen des Faches zu überspringen, und sich in der Ideengeschichte (wie ➱Isaiah Berlin) zu bewegen. Oder bewusst auch für ein nicht-akademisches Publikum zu schreiben wie Arthur Bryant, Christopher Hibbert und Simon Schama. Von dem hätte ich hier eine wunderbare kleine Leseprobe, ➱Clio at the Multiplex, in dem er auch eine ganze Menge über Historiker sagt.

Natürlich gibt es auch in der englischsprachigen Welt (Kultur-) Historiker, die von der französischen Seuche, in jedem Absatz Derrida+Lacan+Foucault et al. unterzubringen, befallen sind. Die sind meistens einige Generationen jünger als Eric Hobsbawm. Ein Buch wie das von Dianne Sachko Macleod Art and the Victorian Middle Class: Money and the making of cultural Identity hat ein hochinteressantes Thema, aber es liest sich wie eine Wissenschaftsparodie. Die Rezensentin der FAZ schrieb dazu: Detailversessen sucht sich die Studie ihre Belege und klammert sich an die teuren Theorien, wie sie fallen: eines Foucault, Bourdieu, Baudrillard oder Gombrich. Der Orientierung des Lesers dient das nicht... Und das ist noch das Netteste, was man sagen kann.


Ich lese seit mehr als einem halben Jahrhundert englischsprachige Zeitungen wie Observer oder Sunday Times, The New York Review of Books oder The New Yorker. Das hat sicherlich auf mich (und meinen Stil zu schreiben) abgefärbt. Ich bewundere Leute wie Adam Gopnik vom New Yorker. Selbst zu der Zeit, als ich noch wissenschaftliches Zeuch schrieb, war ich dafür verrufen, dass ich verständlich schrieb. Meine Ideale in der Welt der Kulturgeschichte sind nun mal nicht die Leute, die den Derridada singen und den Lacancan tanzen.

Diese herrlich bescheuerte Formulierung ist wohl nicht neu, ich habe sie auf dieser ➱Seite wiedergefunden. Von dieser Seite bin ich dann auf die allerschönste ➱Seite gekommen. Und da steht unter einem beeindruckend klingenden Artikel: The essay you have just seen is completely meaningless and was randomly generated by the Postmodernism GeneratorCool, ein Postmodernism Generator und eine Dada Engine im Internet, mit der man imposant klingende Texte generieren kann. Wenn das der Baron von und zu Guttenberg gewusst hätte, da tun sich doch ganz neue Welten auf. Die Arbeit der Historikergeneration, der Eric Hobsbawm angehört, wird nun vielfach als unzeitgemäß angesehen, lese ich irgendwo. Von wem? Von einer Generation, die mit dem Postmodernism Generator Texte verfasst? Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben. Man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken (nein, das ist leider nicht von mir, das ist von Karl Kraus). Alles ist auch eine Frage, wie man schreibt. Le style c'est l'homme. Und das haben die Engländer eben besser drauf als viele ihrer deutschen Fachkollegen. Schließlich war es Macaulay, der seiner Zunft die historischen Romane von Sir Walter Scott als Stilideal empfohlen hatte (sein ➱Essay im May 1828 im Edinburgh Review ist übrigens heute noch gut zu lesen). Meine Ideale wären da Arthur Bryant, Christopher Hibbert und Simon Schama. Und natürlich Eric Hobsbawm.

Hobsbawm kann sich klar ausdrücken, nicht nur wenn er über Banditen und Sozialrebellen schreibt, über Dick Turpin, Ned Kelly und Billy the Kid. Ich gebe mal eine kleine Leseprobe: The point about social bandits is that they are peasant outlaws whom the lord and state regard as criminals, but who remain within peasant society, and are considered by their people as heroes, as champions, avengers, fighters for justice, perhaps even leaders of liberation, and in any case as men to be admired, helped and supported. This relation between the ordinary peasant and the rebel, outlaw and robber is what makes social banditry interesting and significant ... Social banditry of this kind is one of the most universal social phenomena known to history.

Ja, ich weiß, er ist Marxist. Das hält viele davon ab, ihn zu lesen. Marximus ist irgendwie igitt. Es hat die Königin nicht davon abgehalten, ihn zum Companion of Honour zu machen. Ich weiß auch nicht, ob Hobsbawm noch immer an seine Jugendideale glaubt, obgleich er sich immer wieder als unrepentant communist bezeichnet hat. Wenn er immer noch Marxist ist, dann ist er in einer anderen Liga als Sarah Wagenknecht, die ihren Ruf als Intellektuelle nur ihrem sphinxhaften Schweigen verdankt. Es kommt ja auch darauf an, wie viel Intelligenz und Bildung man hat. John Desmond Bernal war auch mal in der Kommunistischen Partei Englands, aber was ist sein Science in History für ein Werk! Kann auch von Nicht-Marxisten gelesen werden. Hobsbawm ist, auch wenn er heute Stalins Gewaltherrschaft anders sieht, seiner politischen Überzeugung treu geblieben. Hat nicht wie der Historiker Hugh Swynnerton Thomas die Seiten gewechselt, von einem überzeugten Sozialdemokraten zum Berater von Maggie Thatcher - obgleich ich das ein wenig degoutant finde, will ich über seine Bücher über den Spanischen Bürgerkrieg und den Sklavenhandel kein böses Wort sagen.

Es gibt keine ideologiefreie Geschichtsschreibung. Seit den Tagen nicht, als Thukydides schrieb: Was aber tatsächlich geschah in dem Krieg, erlaubte ich mir nicht nach Auskünften des ersten besten aufzuschreiben, auch nicht 'nach meinem Dafürhalten', sondern bin Selbsterlebtem und Nachrichten von andern mit aller erreichbaren Genauigkeit bis ins einzelne nachgegangen. Mühsam war diese Forschung, weil die Zeugen der einzelnen Ereignisse nicht dasselbe über dasselbe aussagten, sondern je nach Gunst oder Gedächtnis. Jeder Historiker hat seine Überzeugungen, Macaulay und Trevelyan waren ➱Whig Historians, Arthur Bryant hasste die Moderne (und ließ es den Leser spüren), Churchill möchte in Marlborough: His Life and Times seine Vorfahren aus familiären Gründen in einem rosigen Licht erscheinen lassen. Wenn man ideologiefreie Geschichte haben will, sollte man den Großen Ploetz lesen.

Mein Lesetip für Eric Hobsbawm wäre heute an seinem Geburtstag das Buch Uncommon People: Resistance, Rebellion and Jazz aus dem Jahre 1998. Ja, Sie haben richtig gelesen: Jazz! Davon versteht er auch etwas. Seinem Essay über ➱Billie Holiday hat er eine kurze Erklärung vorangestellt: I reprint it, among others reasons, in memory of my friend John Hammond Jr whom I asked on his deathbed, of what in his life he was proudest. He said it was to have discovered Billie Holiday. Mir fällt jetzt gerade kein Historiker ein, der stolz darauf ist, mit einem Plattenproduzenten und Kämpfer für die Bürgerrechte wie John H. Hammond befreundet zu sein. Uncommon People: Resistance, Rebellion and Jazz ist Hobsbawms eigene Auswahl aus seinem Werk. Mit Themen, die von Thomas Paine über Political Shoemakers und Roy Cohn (der Anwalt McCarthys) bis zu Billie Holiday reichen. Der Observer charakterisierte das Buch bei seinem Erscheinen mit dem Wort Unrivalled! Lesenswert ist sicher auch Hobsbawms Autobiographie Interesting Times aus dem Jahre 2002, die auch in einer deutschen Übersetzung (Gefährliche Zeiten: Ein Leben im 20. Jahrhundert) erschienen ist.

Ich habe hier zum Schluss noch einen Blick in sein Arbeitszimmer. Mann, sieht das da ordentlich aus. Sie sollten mal meins sehen. Hobsbawm hat über dieses Photo gesagt: Some of the shelves visible on the picture behind the two desks contain books on subjects I still work on: nationalism, the history of banditry. Most of them, however, are filled with the foreign editions of my books. Their numbers amaze and please me and they still keep coming as new titles are translated and some fresh vernacular markets – Hindi, Vietnamese – open up. As I can’t read most of them, they serve no purpose other than as a bibliographic record and, in moments of discouragement, as a reminder that an old cosmopolitan has not entirely failed in 50 years of trying to communicate history to the world’s readers. And as an encouragement to go on while I still can.

To go on while I still can, das wollen wir mal hoffen. Aus Hobsbawms Jahrgang lebt noch der Historiker Robert Conquest. Die beiden können ja noch versuchen, den amerikanischen Kulturhistoriker Jacques Barzun altersmäßig zu erreichen. Der hier vor fünf Jahren bei einer ➱Feierstunde der Columbia University bewies, dass man mit hundert noch nicht zum alten Eisen zählt.

1 Kommentar:

  1. Das Zitat von Kraus heißt richtig: "Es genügt nicht, keinen Gedanken zu haben: man muss ihn auch ausdrücken können."

    Siehe hier: http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/wz_reflexionen/vermessungen/384289_Nicht-alles-Gute-kommt-von-Kraus.html

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