Klangpuristen mögen sich vielleicht am schniefigen Atmen des Interpreten stören, besonders an den leisen Stellen bei Killmayer. Wer aber wollte von einem Künstler verlangen, beim Spiel den Atem anzuhalten? Auch denke man vergleichsweise an den seligen Siegfried Palm, bei dem das Schnaufen manchmal lauter war als die Musik. Der Plattenrezensent, der das sagt, schreibt über einen Cellisten. Gute Cellisten schnaufen. Ich weiß nicht, ob der Peter oder ob Jimmy das gesagt hat, die beide Cello spielten. Aber der Satz mit dem ➱Schnaufen ist mir seit Jahrzehnten im Gedächtnis. Damals habe ich diejenigen bemitleidet, die immer ihr Cello mit sich herumschleppen mussten, während ich mir nur die Noten unter den Arm klemmte, wenn ich zu meiner Klavierlehrerin ging. Aber der Jimmy spricht nach Jahrzehnten immer noch mit Hochachtung von seiner Cellolehrerin. Ich bin meiner Lehrerin auch nicht mehr böse, dass sie mich gequält hat, das war schon richtig. Man sieht es als Teenie nur nicht ein.
Ich hatte mir letztens bei Zweitausendeins dieses Sonderangebot für 8.99 bestellt, Bachs Cellosuiten von André Navarra, wurde im Katalog als Kult beschrieben, aber das bedeutet ja überhaupt nichts mehr. Früher vielleicht, als der Zweitausendeins Versand noch Kult war. Und das Merkheft noch ein Teil der (Sub-) Kultur der Republik war. Aber seit Frau Susemihl gestorben ist und seit Lutz Reinecke den Verlag verkauft hat, taumelt Zweitausendeins wohl dem Untergang entgegen. Symptomatisch dafür ist wohl, dass die CD 2 der Cellosuiten von meinem CD-Player nicht gespielt wurde, vom Computer auch nicht. War irgendwie blöd, wenn man Bachs Cellosuiten einmal zu hören angefangen hat, kann man schlecht damit aufhören.
Sie umfangen einen wie die Dunkelheit, und lassen einen nicht mehr los. Am besten ist es, wenn es draußen schon Nacht und es im Haus ganz still ist. Und wenn man dann das Licht löscht, sich in die Zimmermitte auf den Teppich legt und dem Schnaufen des Cellos lauscht. Wenn Sie jetzt sagen: voll bekifft der CD mit dem Gesang der Buckelwale zu lauschen, tut es auch, kann ich wenig dagegen sagen. Das ist sicher auch ein musikalisches Erlebnis. Ist aber nix gegen Bachs Cellosuiten. Der Herr auf diesem Bild ist Pierre Fournier, seine Aufnahme hat mich ein Leben lang begleitet. Wenn es darum ginge, eine Top Ten der Cellisten zu erstellen, die Bachs Cellosuiten aufgenommen haben, würde ich ihn immer auf einen der ersten Plätze setzen. Mstislav Rostropowitsch hat über Pierre Fournier mon ami, mon idole et mon dieu gesagt. Das ist nett von ihm gewesen.
Yo-Yo Ma und Mischa Maisky kämen auf keinen Fall auf die ersten Plätze, die kämen bei mir gar nicht erst auf die Liste. Weil sie in sind und aggressiv vermarktet werden, um solche Sachen mache ich einen Bogen. Ich kenne beide Aufnahmen, so ist es nicht, ich will sie auch nicht schlecht machen. Wenn ich jetzt sagen würde, dass Mischa Maisky der André Rieu des Cellos ist, dann wäre das sicher fies. Doch ich bin etwas allergisch gegen diese neumodischen Inszenierungen. Ich besitze auch keine CD von Lang Lang. Wenn Sie sich das ➱hier betrachten, dann kann man nur sagen: muss nicht sein. Auch die Aufnahme von Mstislav Rostropowitsch in ➱Vézelay war mir zuviel des Guten. Gut, ich habe es auch im Fernsehen gesehen, und ich habe auch die CD, aber ich würde keine Reklame dafür machen. Und deshalb gibt es hier auch keinen Rostropowitsch als Abbildung. Aber dafür das schöne Tympanon der Kathedrale von Vézelay.
Mein Interesse liegt eher auf den Künstlern, die still und zurückhaltend sind, nicht auf denen, die einen Bach Lite servieren. Und so würde ich Heinrich Schiff jederzeit Mischa Maisky vorziehen, wenn es darum ginge, welche CDs man auf die einsame Insel mitnehmen darf. Meine Liste ist subjektiv, aber neben Pierre Fournier gehört natürlich der Name Pablo Casals. Wenn der nicht mit dreizehn Jahren die Noten (in der Bearbeitung von Friedrich Grützmacher) entdeckt hätte und die nächsten dreizehn Jahre mit dem Üben der sechs Suiten verbracht hätte, hätten die Cellisten des 20. Jahrhunderts dieses Werk vielleicht nie gespielt. Man hatte diese Suiten für akademisches Zeug gehalten, für mechanischen Etüdenkram ohne musikalische Wärme. Man muss sich das einmal vorstellen. Wie konnte ein Mensch sie kalt finden – sie, die Poesie, Wärme und Raumgefühl förmlich ausstrahlen! Sie sind die Quintessenz von Bachs Schaffen, und Bach selbst ist die Quintessenz aller Musik, hat Casals in seinen Lebenserinnerungen gesagt.
Ich finde es cool, wie der leidenschaftliche Pfeifenraucher Casals sogar mit dem Pfeife im Mund Cello spielt. Oder ist das eine Inszenierung für den Photographen? Wirklich cool war ➱Fred Katz in den Zwischenszenen von Jazz On a Summer’s Day. Wenn er mit nacktem Oberkörper einsam in seinem Zimmer sitzt und manchmal bei dem Prélude in G-Dur Takte auslässt, um seine Ziggi zu rauchen. Wenn Sie den Pfeil oben bei Fred Katz oben anklicken, können Sie einen Schnipsel aus dem Film sehen, aber am besten kaufen Sie sich die DVD von dem Film (oder gucken ihn hier). Nicht wegen Bachs Cellosuiten, sondern wegen dem Jazz. Obgleich Bach eigentlich auch Jazz ist. Und damit meine ich jetzt nicht mal ➱Jacques Loussiers Version. Nein, es ist eine abstrakte Musik, abstrakt wie Jazz.
Es hat lange gedauert, bis die Hexenmeister des digitalen remastering die alten Aufnahmen von Casals aus den Jahren 1936 bis 1939 von störenden Nebengeräuschen befreit haben. Ich habe zwei verschiedene Aufnahmen, würde aber die Naxos Version (New restoration by Ward Marston) jederzeit vorziehen. Ja, ich weiß, dass es da eine Diskusion gibt, aber die wird geführt von Leuten, die nicht mehr die Musik hören, sondern die Flöhe husten hören können. Während ich dies hier schreibe, höre ich die zweite CD von André Navarra auf einem billigen Tchibo CD Player, mein sauteures ➱High-End Gerät kann die ja wie gesagt nicht lesen. Diesen kleinen Player (der aber relativ gute Lautsprecher hat) neben mir benutze ich eigentlich nur als Radio, jetzt läuft der Bach da drauf - und es klingt in der Stille der Nacht einfach toll. Anders als Fournier, man muss es auch zwei-, dreimal hören, dann wird die Einspielung von Navarra immer besser. Man hört immer mehr unter der Klangoberfläche.
Ich weiß nicht, wie viel Einspielungen der Cellosuiten von Bach auf dem Markt lieferbar sind, mir genügen die, die ich habe. Ich habe in den letzten Wochen, während ich anfing, an diesem Post zu schreiben, jeden Tag einige Stunden lang Bach gehört. Und ich weiß immer noch nicht, was ich auf die Insel mitnehmen würde, wenn mich die BBC zu ihrer Sendung Desert Island Discs einladen würde. Fournier und Casals kommen unbedingt auf die Liste, Heinrich Schiff (der bei Navarra studiert hat) und André Navarra können es auch sein. Aber die ultimative Aufnahme? Also mal von Pierre Fournier abgesehen? Meine Antwort wäre ganz simpel: ➱Janos Starker mit der alten Mercury Living Presence Aufnahme.
Zu dem Cellisten Heinrich Schiff möchte ich noch eine kleine Anekdote servieren. ➱Friedrich Gulda hatte für ihn ein Cellokonzert geschrieben und war ihm hinterher sehr böse. Aber hören wir ihn selbst im Interview: Nun kommen Sie auf Ihren Streit mit Heinrich Schiff, dem Cellisten. GULDA: Genau. Diesem Herrn Schiff hab' ich mein Cellokonzert auf den Leib geschrieben. Er hat es des öfteren unter meiner Leitung gespielt, und er sollte es voriges Jahr unter einem anderen Dirigenten in Salzburg spielen. Stattdessen hat er es, um sich Liebkind zu machen und seine Gage zu kriegen, in gemeiner und hosenscheißerischer Weise durch ein ungefährliches Repertoirestück von Haydn ersetzt, damit er in die diversen Arschlöcher hineinkriechen kann und der Herr Karajan ihm nicht bös' ist. Seither verkehre ich nicht mehr mit ihm. Das möchte ich hier in aller Deutlichkeit sagen. Ich habe über den Charakter dieses Herrn sehr viel gelernt, obwohl ich es im Grunde schon vorher wußte. Schöner geht österreichischer Schmäh nicht, das kriegt auch Thomas Bernhard nicht besser hin.
Als letztes wäre da noch Robert Cohens Aufnahme von 1990. Ich weiß nicht mehr, wie ich an diese CD gekommen bin, ich wusste auch nichts über ➱Robert Cohen. Inzwischen bin ich dank des Internets natürlich schlauer, da findet sich auch eine ➱Besprechung der Aufnahme. Sie sehen schon, es gibt eine Vielzahl von Alternativen zu Mischa Maisky und Yo-Yo Ma. Alle Aufnahmen der Cellosuiten klingen anders. Robert Cohens Aufnahme hat den Vorteil, dass sie schon digital aufgenommen und nicht von einer Analogaufnahme transferiert wurde. Die Aufnahmen klingen natürlich anders, weil jeder der Interpreten ein anderes Instrument besitzt. Weil manche das Grundtempo langsamer oder schneller nehmen, manche das Hüpfen und Tanzen der Melodie, andere das Elegische, Melancholische betonen. Weil manche die Wiederholungen spielen, andere sie fortlassen. Und weil wir kein gesichertes Originalmanuskript der ➱Noten besitzen.
Jede Aufnahme der Cellosuiten ist ein eigener Mikrokosmos. Eine Kathedrale von Tönen, die da vor uns aufgebaut wird. Manche Interpreten und Kritiker haben dem Werk einen sakralen Charakter zugeschrieben. Wenn ich sage, dass Musik meine Religion ist, dann sind diese sechs Solo-Suiten meine Bibel, hat Mischa Maisky gesagt. Die Cellosuiten sind häufig (wie Bach überhaupt) in die Nähe des Quasi-Religiösen gerückt worden. Und dann wird immer wieder erzählt, dass Bach als Barockkomponist nur soli deo gloria komponiert hat, ich kann's nicht mehr hören. Und dann sollen die sechs Suiten auch noch die sechs Schöpfungstage symbolisieren. Aber jedes Musikerlebnis kann ein metaphysisches Erlebnis sein, ob man nun an Gott glaubt oder nicht.
Schauen Sie doch mal eben in dieses ➱Video hinein. Gut, werden Sie sagen, sie muss noch ein bisschen üben (Casals spielte sein Leben lang täglich aus den Suiten). Doch die Magie der Töne springt immer über, es ist beinahe gleichgültig, wer das Cello spielt - selbst in dem ➱Mercedes Werbespot mit der quäkenden Stimme von Boris Becker setzt sich das Cello durch. Die junge Dame in dem Video heißt Anna Litvinenko, sie ist erst achtzehn, in ihrer Heimatstadt Miami spielt sie schon im ➱Symphonieorchester.
Sie möchte gerne eine zweite Jacqueline du Pré werden, aber wenn ich an deren trauriges Ende denke, wäre ich da lieber vorsichtig mit solchen Wünschen. Berühmte Cellistinnen hat es immer gegeben, deshalb gibt es da etwas weiter unten einmal ein Bild von Guilhermina Suggia, die jahrelang mit Pablo Casals zusammengelebt hat. Es ist von den englischen Maler Augustus John, dessen Tochter Amaryllis Fleming (Bild) auch eine berühmte Cellistin geworden ist. Amaryllis Fleming war übrigens die Schwester von ➱Ian Fleming, aber das ist eine andere Geschichte.
So nett ich den Teenie aus Miami finden möchte, die Inszenierung stört mich doch etwas. Man muss in dem Alter kein schulterfreies Abendkleid tragen. Es sei denn, man will so enden wie ➱Vanessa Mae oder dieses unbekannte ➱Modell. Seit Man Rays Photo und seit Laura Antonelli in Il Merle Maschio sind ja den sexuellen Phantasien, die das Cello auslösen kann, keine Grenzen gesetzt. Die junge Anna Litvinenko inszeniert sich mit dem YouTube Video, das Ganze ist Kalkül. Ihr Vater ist der erste Cellist des Symphoniorchesters, er wird sein kleines Wunderkind schon dressieren.
Ich würde kein Wort darüber verlieren, wenn der Teenie in Jeans und Rolli auftreten würde, aber so ist es doch etwas degoutant. Es ist die gleiche Chose, die ➱Graham Greene bei der Vermarktung von Shirley Temple beklagte. Wir leben offensichtlich in einer Zeit, wo man nur durch Inszenierungen etwas werden kann. Wenn zwei Tage nach dem Fall der Berliner Mauer Mstislaw Rostropowitsch sich am Checkpoint Charlie auf die Straße setzte und die Bach-Suiten gespielt hat, dann ist das sicher eine schöne Geste. Wahrscheinlich war es aber auch eine PR-Aktion. Hätte ein Berliner Straßenmusikant sich mit seinem Cello an die gleiche Stelle gesetzt, hätte es wohl kein solches Echo in der Weltpresse gegeben. Straßenmusikanten mit einem Cello, die halbwegs gut Bach spielen, bekommen übrigens von mir immer ein Geldstück.
Ich hätte, bevor ich dies alles schrieb, in The Classical Good CD&DVD Guide schauen können, der von der Redaktion des englischen Magazins Gramophone herausgegeben wird. Die Rezensenten von Gramophone (über die sich schon Glenn Gould in einer Parodie lustig machte) sind ja ebenso wie The Penguin Guide of Compact Discs häufig das letzte Wort in Sachen Schallplattenkritik. Und was sagen die zu Mischa Maisky und Yo-Yo Ma? Sie mögen die Aufnahmen auch nicht. Sie mögen auch Rostropowitsch nicht so besonders und empfehlen eher die Interpreten wie Pierre Fournier, die ich auch empfohlen habe. Da bin ich aber froh.
Und dann hätte ich noch eine kleine Überraschung, eine Aufnahme, die ich schon ein halbes Dutzend mal gekauft und verschenkt habe. Bei dieser Aufnahme der Cellosuiten heißt der Interpret Henk van Twillert. Was er da im Kasten neben sich hat, ist allerdings kein Cello, das ist ein Yamaha Bariton Saxophon. Klingt aber wirklich toll. Mit einem Fagott würde es natürlich auch gehen, wie dieses ➱Video zeigt. Und da ich gerade das Fagott erwähne, lesen Sie doch einmal das schöne Gedicht von Raynette Eitel mit dem Titel ➱Bassoon. Es hat ja immer wieder Versuche gegeben, die Cellosuiten auf anderen Instrumenten zu spielen. Zum Beispiel auf einer Bratsche.
Das bringt mich zum Schluss, damit das Ganze nicht zu abgehoben und highbrow wird, zu einem Bratscherwitz. Die Bratscher sind im Orchester nie so recht angesehen, es ist erstaunlich, wie viel Witze es über sie gibt. Das Internet ist voll davon, es gibt sogar einen Wikipedia Artikel über Bratscherwitze. Der wirklich blöde Bratscherwitz geht so: Ein Bratschist möchte gerne Bachs Cellosuiten studieren... Hier könnte der Witz schon aufhören, denn es gibt Orchestermusiker, die angesichts dieses ungeheuerlichen Verlangens schon lachen. Aber lesen Sie doch ➱hier weiter. Über Cellisten werden keine Witze gemacht.
Und ganz zum Schluss habe ich noch ein kleines Gedicht. Was zwar nicht von der Qualität der Lyrik von ➱Raynette Eitel ist, aber es ist für unser Thema schlichtweg wunderbar. Geschrieben wurde es im Jahre 2004 von einer Anonyma namens Zoe, ich habe es im ➱Hi-Fi Forum gefunden:
Habe nun ach mich durchgekauft,
durch alle Disks mich durchgerauft,
alle diese diapasons d'or gehört,
auf denen mehr oder weniger geröhrt,
am meisten wohl der Beschi,
der klingt dass man glaubt man hört einen Kontrabass,
aufgeblasen, HIghestFI, nicht meine Rass,
dann der Rostropowitsch in Burgund,
o hätt ich nur die Flaschen gekauft, so schön rund
anstatt der Silberlinge,
dann der Bylsma auf seinem vielgelobten Strad,
O wär ich lieber an den Strand...
und Wispelwey etwas dry
dann der Fournier, er mittelschwer,
viel Bass, den ich hass,
eleganter schon der Yo Yo MA,
ganz gut für den Bach,
nur etwas flach,
Da sitz ich nun ich armer Tor
zieh ich doch den Casals vor,
(trotz aller Einwände)
und den hatte ich als erstes
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