Montag, 3. September 2012

Joseph Wright of Derby


Er hatte den gleichen Lehrer wie ➱Joshua Reynolds, aber obgleich er auch Portraits gemalt hat, ist er niemals ein Konkurrent von Reynolds gewesen. Nicht, dass er die Portraitmalerei nicht beherrscht hätte, dieses Bild vom Rousseau-Verehrer Sir Brooke Boothby wäre ein schöner Beweis für sein Können. 1775 war er nach Bath gezogen, wo man damals wohnte, wenn man nicht in London war. Er hoffte, dass er da die Nachfolge von ➱Thomas Gainsborough antreten könnte, denn Gainsborough war gerade nach London gegangen.

Aber die feine Gesellschaft mochte seine nüchternen Portraits (hier ein Selbstportrait), mit denen er in Liverpool und Derby erfolgreich gewesen war, nicht so sehr. Zu nüchtern. Sahen ein wenig so aus wie die Portraits von ➱Richard Wilson oder des ganz frühen ➱John Singleton Copley, steif und förmlich, aber mit vielen Details. In Liverpool hat er jeden gemalt, der gerade reich geworden war und sich jetzt nach ein bisschen ➱Kultur sehnte. Auch Leute wie John Tarleton (den Vater des berüchtigen ➱Banastre Tarleton), der mit dem Sklavenhandel zum Millionär wird. Joseph Wright sucht dessen Protektion, da Tarleton nicht nur reich ist, sondern im Jahr von Wrights Ankunft in Liverpool auch noch Bürgermeister ist. Wenn Wright siebzehn Jahre später den überzeugten Gegner der Sklaverei Thomas Gisborne malen wird, wird er dann noch daran denken, das er einmal diesen John Tarleton gemalt hat?

Er malt in Liverpool viel und schnell, man hat ausgerechnet, dass er 1769 alle zehn Tage ein Bild fertig hat. Aber was für die nouveaux riches von Liverpool gut genug war, kommt in Bath nicht so an. Wenn sich die feine Gesellschaft von Bath oder London malen lässt, möchte sie schöner sein als in der Wirklichkeit. Joshua Reynolds und Gainsborough beherrschen das, Joseph Wright nicht. Man kann das dank des Internets ganz schön nachvollziehen, vergleichen Sie doch einmal ➱diese Seite mit ➱dieser hier.

Seinen Namen Joseph Wright of Derby hat er von einem Kunstkritiker bekommen, der ihn in einer Ausstellungsbesprechung so nannte, um ihn von dem damals schon bekannteren ➱Richard Wright aus Liverpool zu unterscheiden. Diesen Wright kennt heute kaum jemand mehr, aber Joseph Wright ist der Wright of Derby geblieben. Was irgendwie passend ist, denn da ist er den größten Teil seines Lebens gewesen. Man hätte die beiden Wright natürlich auch an ihren Vornamen unterscheiden können, aber ausgeschriebene Vornamen sind damals nicht fein. Eine Maxime, die sich in der wissenschaftlichen Welt noch ein Jahrhundert halten wird. Ein Buchstabe, ein Punkt, und der Nachnahme. Das reicht. Die Vornamenseuche unserer Zeit hat noch nicht begonnen.

Bevor Joseph Wright nach Bath zog, war er natürlich in Italien. Da muss man als Künstler in dieser Zeit gewesen sein: James Barry, Alexander Cozens und sein Sohn John Robert Cozens, Nathaniel Dance, Gavin Hamilton, William Hoare, William Marlow, John Parker, Willey Reveley, Joshua Reynolds, ➱George Romney, Jonathan Skelton, Francis Towne, Richard Wilson, der Bildhauer ➱Joseph Nollekens und die Architekten Matthew Brettingham und William Kent. Alle sind in Italien gewesen. Bis auf Gainsborough, der macht diese ganze Italienmode nicht mit, keine Anspielungen auf die klassische Antike. Irgendwie kann man dafür auch dankbar sein.

In Italien hat Joseph Wright begonnen, den Ausbruch des Vesuvs zu malen, er hat ihn dann bestimmt noch dreißig Mal gemalt. So etwas kann man gut verkaufen, die Tate Gallery hat heute eins der spektakulärsten ➱Bilder davon. Mit dem chiaroscuro umgehen, das kann er, das hat er schon in seinen ersten Kerzenlichtbildern gezeigt, die er in Derby gemalt hatte. Und in Italien hatte der Maler ➱Richard Wilson zu ihm gesagt Give me your firelight, and I will give you my daylight.

Hat er wirklich einen Ausbruchs des Vesuvs gesehen? Da geht es ihm wohl ein wenig so wie ➱Stendhal (oder war er da gerade ➱Henri Beyle?), der in einem Brief an seine Schwester 1812 Moskau beschreibt, das durch den denkbar schönsten Brand beleuchtet war, einen Brand, der eine riesige Pyramide schuf ... die ihre Spitze im Himmel hatte. Über diesem Gebilde aus Flammen und Rauch sah man den Mond. Es war dies ein imposanter Anblick, aber um sich an ihm zu erfreuen, hätte man allein oder in Gesellschaft intelligenter Menschen sein sollen. Für mich krankt der ganze russische Feldzug am Umstand, daß ich ihn gezwungenermaßen mit Leuten absolvieren muß, für die das Kolosseum oder der Golf von Neapel nichts bedeuten. Der Ausbruch des Vesuvs war 1777, da war Wright längst wieder in Derby. Und auch Stendhal hat bei seinen beiden Neapelaufenthalten keinen Ausbruch des Vesuvs gesehen. Was bleibet aber stiften die Dichter. Und die Maler. Da fragt hinterher keiner mehr nach.

Das Portrait von Sir Brooke Boothby und dies wirklich gefühlvolle Bild vom Reverend Thomas Gisborne und Gemahlin (und Hund) - im Besitz der ➱Mellon Foundation - gehören zum Spätwerk von Joseph Wright. Hätte er so angefangen, dann wäre es vielleicht etwas mit dem Plan geworden, in die Fußstapfen von Thomas Gainsborough treten zu können. Boothby und Gisborne sind beide Intellektuelle und Dichter gewesen, das wird jetzt eine Gesellschaftsschicht sein, die Wright bevorzugt. Männer, die sich der Aufklärung und der Industrial Revolution verschrieben haben wie die Mitglieder der Lunar Society, werden nun zu Joseph Wrights Bekannten und Freunden gehören. Er wird zu the first professional painter directly to express the spirit of the industrial revolution, wie Francis D. Klingender es in seinem revolutionären Buch Art and the Industrial Revolution genannt hat.

Und der berühmte Großvater des noch berühmteren ➱Charles Darwin wird den zur Hypochondrie neigenden Wright aus purer Freundschaft behandeln. Natürlich hat Wright seinen Freund Erasmus Darwin auch gemalt. In A Century of British Painters sagen Redgrave und Redgrave: Dr. Erasmus Darwin, who was his friend, and was often consulted upon his imaginary complaints, once told him' he had but one thing more to recommend. He thought that it would do him good to be engaged in a vexatious lawsuit' — anything to divert the hypochondriac from dwelling upon himself. Vielleicht sind unter diesem Gesichtspunkt die Vielzahl der Kleinkriege, die Wright gegen die Royal Academy führt, als Therapieversuch zu verstehen.

Aber ist es wirklich eine Hypochondrie, eine leichte Melancholie, die Joseph Wright immer wieder befällt? Neuerdings sprechen die Kunsthistoriker nicht mehr von Hypochondrie oder Melancholie, sondern billigen ihm eine ausgewachsene Depression zu - und dagegen hat das Jahrhundert der Wissenschaften noch keine Mittel. Man kann das eigentlich auch schon aus dem Brief herauslesen, den Wright 1783 an William Hayley (den Freund und Biographen von ➱William Cowper) schreibt: I have laboured under an annual malady some years, four and five months at a time; under the influence of which I have now dragged over four months, without feeling a wish to take up my pencil, till roused by your very ingenious and very friendly ➱Ode, in which are many beautiful parts, and some sublime. Perhaps had I then been furnished with proper materials for the action of Gibraltar, I should have begun my fire; but for want of such instructions I soon sunk into my wonted torpor again, from which as the weather grows cooler, I hope to awaken. Das klingt nach jemandem, der genau einschätzen kann, wann seine depressiven Phasen ihn übermannen. Gibraltar steht hier für den spanischen Angriff auf die englische Festung im Jahre 1782, den Wright damals malte. Das Bild, das ein wenig aussieht wie das Feuerwerk über der römischen Engelsburg oben, ist verschollen. Oder vielleicht auch nicht. Vor zehn Jahren hat das Art Center von Kingston in Kanada ein schlecht erhaltenes ➱Bild gekauft, das eine Kopie - oder vielleicht doch das Original? - sein könnte.

Joseph Wright braucht die Society von London nicht. Er ist neben ➱Sir Henry Raeburn einer der wenigen, dem es im 18. Jahrhundert gelingt, nicht auf die Gesellschaft der Hauptstadt angewiesen zu sein. Da sind seine Freunde und Bekannten aus der Lunar Society. Und reiche entrepreneurs wie Josiah Wedgwood oder Richard Arkwright. Wedgwood kauft Wrights Bilder, Arkwright läßt sich von ihm malen. Und Wright wird ihm dieses bezaubernde Bild der Arkwrightschen Baumwollspinnereien bei Mondlicht malen. Da bekommt die Industrial Revolution doch gleich etwas ➱Romantisches. Hat nichts mehr von den dark satanic mills, von denen William Blake redet.

Was ich bisher ausgelassen habe, ist das Bekannteste von Joseph Wright, Bilder wie An Experiment on a Bird in the Air Pump. Das hatte er übrigens bei seiner Ankunft in Liverpool gleich ausgestellt, hat aber niemand gekauft. Bewundern ja, kaufen nein. Hundert Jahre später hat ein gewisser Gustave Flaubert, der das Bild auf einer Englandreise sah, es als charmant de naïveté et profondeur bezeichnet. Hat ihm der Vogel auf dem Bild die Idee für den Papagei in Un cœur simple gegeben?

Fragen hätte ich noch genug. Hat Joseph Wright (der heute vor 278 Jahren geboren wurde) diese Art der Malerei, die natürlich schon Jahrhunderte zuvor Caravaggio und die Maler der Schule von Utrecht betrieben haben, von dem Maler Thomas Frye? Dessen Bild A Girl reading a Letter by candlelight with a Young Man looking over her shoulder (links) geht seinen ersten Kerzenlichtbildern um Jahre voraus. Aber diese Bilder von Wright, die das enlightenment in doppelter Bedeutung präsentieren, könnten auch etwas mit Wrights Zugehörigkeit zu den Freimaurern zu tun haben. Deren Motto lux e tenebris wird in solchen Bildern verdeutlicht.

Im Fall von An Experiment on a Bird in the Air Pump kann ich Ihnen eine schöne Interpretation von Werner Busch anbieten (hier im Volltext). Die gibt es noch länger und mit schönen Bildern in dem kleinen Fischer Taschenbuch aus der Reihe Kunststück: Werner Busch, Joseph Wright of Derby: Das Experiment mit der Luftpumpe. Das wäre heute mein Lesetip. Busch ist ja einer der ganz wenigen deutschen Kunsthistoriker, der sich beständig der englischen Kunst zugewandt hat, weshalb die Herausgeber der Festschrift zu seinem 65-jährigen Geburtstag diese auch Englishness: Beiträge zur englischen Kunst des 18. Jahrhunderts von Hogarth bis Romney betitelt haben.

Es ist eine Malerei auf den Effekt hin, er kann es nicht lassen, selbst wenn er nur einen Regenbogen malt. Solche Dramatisierung eines Augenblicks schmeckt natürlich ein wenig nach Bühnenbildern des Theaters, nach dem, was de Loutherbourg machen wird (den Kinovorläufer Eidophusikon eingeschlossen). Und man kann sicher auch eine Entwicklungslinie von Wrights immer wieder wiederholten Bildern des Vesuvausbruchs zu diesem ➱Bild von John Martin ziehen. Aber dazu ein anderes Mal mehr, dies ist schon zu lang.

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