Samstag, 26. Januar 2013

Shakespeare


Wer tut seinem Kind so etwas an? Ich meine nicht dieses kitschige Bild, das The Wounded Cavalier heißt. Ich meine die Eltern des Malers, die ihr Kind William Shakespeare Burton genannt haben. William Shakespeare Burton ist heute vor 97 Jahren gestorben, er ist durch ein einziges Bild bekannt geworden. Das halten die Viktorianer für ganz große Kunst. Hätte aus ihm ein guter Maler werden können, wenn seine Eltern ihn nicht William Shakespeare genannt hätten?

Noch 1905 (fünfzig Jahre nach der Entstehung des Gemäldes) konnte Percy Bate in seinem Buch über die ➱Präraffaeliten schreiben: An almost forgotten artist of singular power and originality is W. S. Burton, whose great picture The Wounded Cavalier has seemed to many one of the finest works ever painted in England under the Pre-Raphaelite influence. That he has painted so little is a matter for very keen regret, and all lovers of sincere and original work will rejoice to know that though for many years he produced next to nothing, he has resumed the practice of his art, and is now again exhibiting pictures which are thoroughly characteristic of the man and his creed. Contemptuous of all pictorial artifice, and scorning all artistic trickery, he bade fair in his early days to rise to very great heights; but adverse fortune and ill-health have been his lot, while private sorrows and lack of recognition have saddened him.

Selbst hundert Jahre nach Bate ist William Shakespeare Burton nicht vergessen. So schrieb ➱Laura Cumming anläßlich der gerade zu Ende gegangen Ausstellung Pre-Raphaelites: Victorian Avant-Garde der Tate Gallery: These paintings could not be made – or viewed – in a hurry. A full-scale allegory such as William Shakespeare Burton's The Wounded Cavalier takes time to interpret, as you read your way from the expiring cavalier to the pack of fallen playing cards, the broken sword, the autumn tree and the red admiral alighting on the weapon at the dead centre of the painting. In the gloom stands a Puritan with a bible, looking down on this man who has lost his gamble. The Puritan is as upright as the tree trunk. Eight subscribers paid for this picture to be presented to the Corporation of London. It is painting as means of public address. The Wounded Cavalier is something of a one-off because Burton invented the whole scenario, whereas most pre-Raphaelite costume dramas rely entirely on existing stories. Hamlet, Pygmalion, Lilith, The Lady of Shalott, even The Return of the Dove from the Ark – practically anything can be adjusted to accommodate the cataleptic damsels and drooping knights that infest this art.

Der letzte Satz mit den cataleptic damsels and drooping knights that infest this art gefällt mit besonders gut. Man kann ganze Romane in diese Szene hineinlesen. Hat die Braut des miesepetrigen Puritaners etwas mit dem sterbenden Cavalier gehabt? Das sind so die Dinge, die die Viktorianer lieben. Kitsch und Sentiment und leicht zu entziffernde ➱Symbolik.

Wenn es in der Malerei eine Entwicklung, einen Fortschritt, gibt, dann hat dieses Bild die Malerei nicht vorangebracht. Turner und Constable sind schon tot, die brauchen sich nicht mehr anzusehen, welchen Weg die englische Kunst genommen hat. Dies ist ein Weg zurück, oder, um den Titel des hervorragenden Buches von ➱Mark Girouard zu zitieren: The Return to Camelot. Die fortschreitende Industrialisierung, die Lage der arbeitenden Klasse in England interessieren das viktorianische Publikum nicht, man will zurück in der Geschichte. Eine Nation, die zuviel Walter Scott gelesen hat, will Geschichtsstunden über die Vergangenheit in möglichst rührseligen Szenen. Wundert es jemanden, wenn sich Königin und Prinzgemahl als Adlige des ➱Mittelalters verkleiden? Und so sieht dann der sterbende Cavalier wie eine schlechte Kopie von diesem Gemälde von Sir Anthony van Dyck aus.

William Shakespeare Burton ist nicht der einzige, der den englischen Bürgerkrieg zwischen Königstreuen und Puritanern entdeckt hat. Wenn man will, ist sein Bild eine Fortschreibung des Bildes The Proscribed Royalist, 1651 von John Everett Millais, das wenige Jahre zuvor entstand. Hier hilft eine junge Puritanerin einem geflohenen Königstreuen, der sich in einem hohlen Baum versteckt (schon Charles II hatte sich ja in einer Eiche versteckt, die danach zu einer Royal Oak wurde). Der ihr, Kavalier bleibt Kavalier, ganz galant die Hand küsst. Kitsch as kitsch can. Laura Cummings beendet ihre Ausstellungsbesprechung mit den Sätzen: But although the paintings may differ from one artist to the next, what strikes is the deadening pre-Raphaelite effect. The characteristics are always the same: glistening excess, lurid colour, that all-over emphasis and oppressive density of detail that leaves the eye with nowhere to go, that demands your obedient attention. This is an art that insists on telling you where to look, what to think and how to feel... Aber komisch ist das Ganze schon. Um einmal den richtigen William Shakespeare zu zitieren, The evil that men do lives after them. Der viktorianische Kitsch scheint nicht totzukriegen zu sein.

1 Kommentar:

  1. ...das ist eine großartige betrachtung dieses kunstwerks und seines erschaffers! auch der zusammenhang "nomen est omen" in der kritischen analyse lässt die durchdringung des themas und seines verfassers klar vor augen treten. ich denke ich werde es wieder lesen, ein sehr interessanter ansatz!

    danke für diese auseinandersetzung mit einem maler, den ich nicht kannte...

    mit herzlichen grüßen
    gabriele

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