Samstag, 8. Juni 2013

Jürgen von der Lippe


Dass der Jürgen von der Lippe in Wirklichkeit Hans-Jürgen Hubert Dohrenkamp heißt, das darf man sagen. Den wirklichen Namen von Atze Schröder, den darf man nicht nennen. Man darf auch nicht zeigen, wie er ohne Perücke aussieht. Bei diesem Schröder braucht man aber nicht darüber zu rätseln, ob er seine Haare färbt. Dass Atze Schröder mal mit ➱Monique Sluyter liiert war, das darf man auch sagen. Falls Sie sich nicht mehr an ➱Tutti Frutti erinnern können, stelle ich mal eben ein Photo von ihr hier hin. Der Jürgen hatte auch mal eine vom Fernsehen, aber die hätte bei Tutti Frutti keine Chance gehabt, da ist er nach der Scheidung reumütig zu seiner ersten Frau zurückgekehrt.

Das hier sind nicht Monique und Atze in besseren Tagen, das sind Atze und Doreen Jacobi in dem Film ➱U-900. Was ein grottenolmschlechter Film ist. Bestimmt genau so schlecht wie Jürgen von der Lippes ➱Nich' mit Leo. Mit französischen Komödianten können unsere comedians in Filmen nicht mithalten. Denn was zum Beispiel jemand wie Bourvil, der als Clown begonnen hat, als Schauspieler in ➱Melvilles Vier im roten Kreis hinlegt, das könnte keiner von unseren Komikern.

Dass Atze Schröder einen Porsche fährt, das weiß jeder. Helge Schneider würde auch gerne einen fahren, wenn Porsche nur das Modell Katzeklo bauen würde: Katzenstreulackierung. Sitze aus Original-Katzenhaar und das Lenkrad in Form eines Haufens. Und der Fußraum voller Katzenkacke. Und der fährt nicht mit Benzin, sondern mit Katzenpisse. Noch Fragen? Was für ein Auto der Jürgen fährt, das interessiert niemanden. Aber die Rampensau mit den Hawaiihemden schätzt seine Fahrkünste realistisch ein: Ich gehöre zu den ganz wenigen Männern, die sich nicht einbilden, dass sie besser fahren als ihre Frau. Ich bin ein beschissener Fahrer.

Der Jürgen hat den Goldenen Löwen bekommen, aber nicht den aus Venedig, nur den von RTL Er hat auch Goldene Schallplatten und ein goldenes Bambi bekommen. Den Adolf-Grimme-Preis hat er (genau wie Loriot) gleich zweimal gekriegt. Der Mann, der sein Germanistikstudium abgebrochen hat, ist auch Ehrenmitglied im Verein Deutsche Sprache. Und Elke Heidenreich hat sein Lebenswerk als Fünftausend Jahre Herrenwitz im Bierzelt gewürdigt. Das war nicht nett, aber niemand hat das vergessen. Ein Rezensent schrieb einmal über ihn: Gelegentlich aufgleißende Momente von Esprit benutzte er statt zu satirischen Barrikadenkämpfen zu gigantomanischen Latrinensprengungen. Das fand Jürgen von der Lippe so gut, dass er es auswendig zitieren kann.

Auf die Frage eines Journalisten Am 8. Juni werden Sie 65. In diesem Alter setzen sich die meisten zur Ruhe. Sie auch? hat der Dinosaurier der deutschen Fernsehunterhaltung geantwortet: Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich noch arbeiten kann. Solange Körper und Geist mitmachen, geht’s immer weiter. Das, was ich tue, ist meine Berufung. Bei dem Wort Berufung fällt mir nur das gleichnamige Gedicht des meistgelesenen deutschen Schriftstellers ein: Greif zu, o Mensch, greif zu, Wenn dir der Himmel reicht die offne Hand... Dass Jürgen von der Lippe so ungeniert das Wort Berufung in den Mund nimmt, hat sicher etwas damit zu tun, dass er einmal Messdiener gewesen ist. Womit bewiesen wäre, dass die katholische Kirche schuld ist an der Misere der deutschen Comedy. All das Schlimme und Schlimmste, das uns das Fernsehen bietet - Mario Barth, Reinhold Beckmann, Frank Elstner, Thomas Gottschalk, Günter Jauch, Hape Kerkeling, Joachim Löw und Stefan Raab - sie sind alle Messdiener gewesen. Harald Schmidt war keiner, obgleich das immer wieder behauptet wird, der war Organist.

Wenn auch andere Nationen immer behaupten, dass die Deutschen überhaupt keinen Humor haben, sind wir überzeugt, dass unsere Witzischkeit keine Grenzen kennt. Vor allem, wenn die Possenreißer eine Berufung haben. Wer einmal Anlaß gehabt hat, sich in der Literatur bei Ästhetikern und Psychologen zu erkundigen, welche Aufklärung über Wesen und Beziehungen des Witzes gegeben werden kann, der wird wohl zugestehen müssen, daß die philosophische Bemühung dem Witz lange nicht in dem Maße zuteil geworden ist, welches er durch seine Rolle in unserem Geistesleben verdient. Das ist jetzt nicht von Jürgen von der Lippe, dessen Angebot ja eine Verbindung von Gelehrsamkeit und Obszönität ist. Und der gar nicht weiß, warum ich immer nur auf die Zote festgelegt werde. Offensichtlich brauchen wir die Zote, wie uns Sigmund Freud im dritten Kapitel von Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten versichert.

Ich möchte diesem Geburtstagsgruß ein Gedicht von einer Dichterin namens Heidi Geiberger beifügen, das Jürgen von der Lippe heißt:

Lieber Jürgen von der Lippe
wie beneiden wir die Sippe,
die mit solchem Artgenossen
hat den Vogel abgeschossen.

Ein Vogel, wie vom Paradies,
kunterbunt und einfach süß,
als Moderator, Blumenmann,
ein Supertyp, der alles kann -

ob auf der Bühne, auf Kassette,
die Menschheit liebt ihn um die Wette.
Was Jürgen von der Lippe sagt,
oder frotzelnd hinterfragt,

ist ein wahrer Ohrenschmaus,
die Augen halten’s auch gern aus.
Mach’ weiter so auf diese Art,
dann hast du nicht nur Gegenwart.

Ich weiß jetzt nicht, ob das wirklich ein Lobgedicht oder schon Satire ist. Auch wenn er heute das Rentenalter erreicht, der Jürgen wird nicht aufhören. Er wird wieder auf die Bühne gehen: A real pro is a real man, all he needs is an old backcloth behind him and he can hold them on his own for half an hour. He's like the general run of people, only he's a lot more like them than they are themselves, if you understand me. Sagt Archie Rice in John Osbornes The Entertainer. Aber der sagt da auch (und Sie können sich diese Filmszene mit Laurence Olivier ➱hier anschauen):

I know. You think I'm just a tatty, old, music hall actor, but you look now. When you're up here, when you're up here you think you love all those people around you out there, but you don't. You don't love them like...Oh, if you learn it properly, you can get yourself a technique and smile. Down you smile and look the jolliest, friendliest thing in the world, but you would be just as dead and used up, just like everybody else. You see this face? This face can split open with warmth and humanity. It can sing, tell the worst, unfunniest stories in the world to a great mob of dead, drab irks. And it doesn't matter. It doesn't matter. It doesn't matter because look, look in my eyes. I'm dead behind these eyes. I'm dead, just like the whole, dumb, shoddy lot out there. 

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