Montag, 28. Oktober 2013

Hem


Am 28. Oktober 1954 hat Ernest Hemingway den Nobelpreis für Literatur erhalten. Im Gegensatz zu ➱William Faulkner ist er nicht zur Verleihung gekommen. Seine Dankesrede wurde später über das Radio gesendet. Es scheint ihm schwergefallen zu sein, den kurzen Text zu schreiben. So schreibt er an seinen alten Kumpel den General 'Buck' Lanham (der das Vorbild für Colonel Cantwell in Across the River and into the Trees ist): If you had to make a Nobel Prize speech what would you say? That's an easy one for you maybe. Looks impossible to me. Lanham ist auch der erste gewesen, den er anrief, als er erfahren hat, dass er that thing bekommen hat. I should have had the damn thing long ago, sagt er. Ich habe eine alte Schallplatte, auf der er seine Rede liest. So etwas macht er offensichtlich nicht oft, er liest nicht gut. Leidet er immer noch an den Folgen der beiden Flugzeugabstürze in ➱Afrika, die beinahe tödlich für ihn ausgingen? Die Nachrufe waren schon in manchen Zeitungen zu lesen gewesen. Der Erfolg von The Old Man and the Sea und die Sensation der Flugzeugabstürze mögen übrigens das Komitee in Schweden bewogen haben, ihm den Literaturnobelpreis zu verleihen. Das weiß er wohl selbst.

Nicht alle Autoren können das gut vortragen, was sie geschrieben haben. Und so ist Hemingways erster Satz, Having no facility for speech-making and no command of oratory nor any domination of rhetoric, I wish to thank the administrators of the generosity of Alfred Nobel for this Prize, auch sicher mehr als die rhetorische Floskel einer captatio benevolentiae. Ich habe mal ➱Seamus Heaney lesen gehört (und sogar mit ihm Guinness getrunken), der konnte wunderbar lesen. Als ich jung war, habe ich den von mir damals bewunderten Uwe Johnson in Bremen in der Glocke gehört, mit seiner schwarzen Lederjacke und seinem Stoppelhaarschnitt. Seine Lesung war eine Enttäuschung. Autoren brauchen ihre Werke ja nicht unbedingt vorzulesen, aber immer wieder sind Autoren auf Lesereisen. Ich gehe heute zu solchen Veranstaltungen nicht mehr hin, da kann kommen, wer will. Außer wenn ➱Uli Becker käme, den würde ich mir anhören.

Hemingway hat mich vor einem halben Jahrhundert nicht mitgerissen, den gewaltigen Eindruck, den er auf die Nachkriegsgeneration deutscher Schriftsteller machte, machte er nicht auf mich. Wenn man den frühen Siegfried Lenz liest, wie zum Beispiel Es waren Habichte in der Luft, fällt einem schon auf den ersten Seiten auf, dass das der reinste Hemingway ist. Lenz hat das nie geleugnet, wie er 1966 in seinem Essay Mein Vorbild Hemingway. Modell oder Provokation zugab. Er ist nicht der einzige, der von Hemingways Stil beeinflusst wird. Luise Rinser schreibt in ihrer Autobiographie: Dann schrieb ich drei Kurzgeschichten... kurz hintereinander, in wenigen Tagen. Der verschüttete Quell sprang auf. Wer den Felsen mit dem Zauberstab berührt hatte, das war Ernest Hemingway, den wir damals, nach der langen Zeit des Verbots ausländischer Autoren zu lesen bekamen. Wir ahmten ihn nach, wir lernten an ihm. 1946 erschien bei Rowohlt (in der Serie der Rotationsromane) In einem anderen Land. 1948 bei Fischer Wem die Stunde schlägt, von der Stunde an gehörte Ernest Hemingway der deutsche Literaturmarkt. Ich las damals andere Dinge, ich fand Hemingway furchtbar kitschig. Tue ich heute noch.

Ich habe in dem Post ➱Hemingway wohl schon deutlich gemacht, dass er nicht mein Lieblingsschriftsteller ist. Und dennoch bin ich in dem Post und in ➱The Old Man and the Sea eigentlich sehr nett mit ihm umgegangen. Fand ich. Manche Leser nicht. Es ist wahrscheinlich ein gewisser Masochismus, der mich dazu gebracht hat, Mengen von sogenannter Sekundärliteratur über Hemingway zu lesen. In diesem Punkt ist Masochismus eine Berufskrankheit bei den Literaturwissenschaftlern, sie müssen das alles lesen. Das Schlimme bei dem Ganzen ist: man darf nicht laut sagen, welche Bücher Schrott sind, weil sie meistens von Fachkollegen sind. Sie kennen ja den schönen Satz, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushackt.

Doch heute bin ich Blogger, ich brauche auf akademische Befindlichkeiten keinerlei Rücksicht mehr zu nehmen. Ich könnte jetzt die ganzen schlechten Bücher über Hemingway (und die schlechten Bücher von Hemingway) hier zerreißen. Habe ich dazu Lust? Der Streit der Kritiker, die das Monopol gepachtet haben, wie man Hemingway zu verstehen hat, wird nie zu Ende gehen. Wenn Sie einen kleinen Eindruck davon haben wollen, dann klicken Sie doch einmal diese ➱Seite an. Es gibt keine wirklich guten Bücher über Ernest Hemingway, in denen alles zu dem literarischen Phänomen Hemingway steht. Scott Donaldsons By Force of Will sollte man allerdings als ein interessantes Buch hervorheben. Die ersten Autoren, die über Hemingway schrieben, Carlos Baker und Philip Young, haben wirklich gute Bücher geschrieben. Und man ist mit der Biographie von Carlos Baker heute immer noch gut bedient. Da kann man sich die Lektüre so erfolgreicher Biographien von A.E. Hotchner (über den habe ich ➱hier schon böse Dinge gesagt), Kenneth S. Lynn oder Jeffrey Meyers wirklich schenken. Die einzige gute Biographie, die nach Carlos Baker noch erschienen ist, ist das mehrbändige Werk von Michael S. Reynolds.

Das ist ein schönes Gefühl, wenn man sagen kann: lesen Sie dies und jenes, vergessen Sie den Rest. Soll ich das mit dem Werk von Hemingway auch mal eben tun? Mit dem Werk von William Faulkner würde ich so etwas nicht wagen, aber bei Hemingway geht das einfach: Lesen Sie seine Short Stories und seine Briefe! Und in der schönen Zeit, die Sie sparen, sich durch seine Romane zu lesen, können Sie dann gute Literatur lesen. Wie zum Beispiel seine Zeitgenossen Fitzgerald oder Faulkner. Und wenn Sie wissen wollen, was in den Romanen steht, wofür gibt es denn Filme? Ingrid Bergman und Gary Cooper? Oder Kindlers Literatur Lexikon? Ich halte es in Bezug auf Hemingways Romane mit Saul Bellow, der im Paris Review sagte: I like Hemingway, Faulkner, and Fitzgerald. I think of Hemingway as a man who developed a significant manner as an artist, a lifestyle which is important. For his generation, his language created a lifestyle, one that pathetic old gentlemen are still found clinging to. I don't think of Hemingway as a great novelist.

Hemingway mochte es gerne, wenn die Presse über den großen Löwenjäger und Frauenhelden Hemingway schrieb. Manchmal wird ihm seine Nähe und seine bramabasierende Großspurigkeit auch zum Verhängnis. Vor allem, wenn er Lillian Ross vom New Yorker unterschätzt. Und die gibt dann süffisant alles wieder, was er so erzählt hat: Ernest Hemingway, who may well be the greatest living American novelist and short-story writer, rarely comes to New York. He spends most of his time on a farm, the Finca Vigia, nine miles outside Havana, with his wife, a domestic staff of nine, fifty-two cats, sixteen dogs, a couple of hundred pigeons, and three cows. When he does come to new York, it is only because he has to pass through it on his way somewhere else. Not long ago, on his way to Europe, he stopped in New York for a few days. I had written to him asking if I might see him when he came to town, and he had sent me a typewritten letter saying that would be fine and suggesting that I meet his plane at the airport. “I don’t want to see anybody I don’t like, nor have publicity, nor be tied up all the time,” he went on. “Want to go to the Bronx Zoo, Metropolitan Museum, Museum of Modern Art, ditto of Natural History, and see a fight. Want to see the good Breughel at the Met, the one, no two, fine Goyas and Mr. El Greco’s Toledo. Don’t want to go to Toots Shor’s. Am going to try to get into town and out without having to shoot my mouth off. I want to give the joints a miss. Not seeing news people is not a pose. It is only to have time to see your friends.” In pencil, he added, “Time is the least thing we have of.”

Das ganze profile erscheint im Mai 1950 im New Yorker. Hemingway ist entsetzt, trägt es aber (auf jeden Fall in seinen brieflichen Äußerungen) mit Fassung: Lillian Ross wrote a profile of me which I read, in proof, with some horror. But since she was a friend of mine and I knew that she was not writing in malice she had a right to make me seem that way if she wished. I did not believe that I talked like a half-breed choctaw nor that it gave a very sound impression of some one who gets up at first light and works hard at writing most of the days of his life. But I had just finished a book and when you have done that you do not really give a damn for a few weeks. So I did not mind it although I knew it was harmful to me just as the Life piece was. There was no harm intended and much received. But I am still fond of Lillian.

Er mag Lillian Ross verzeihen, mit der er seit Jahren befreundet ist, aber er kann es überhaupt nicht leiden, wenn junge Akademiker über ihn schreiben. Als Philip Youngs Buch 1952 erschien, fragte der Rezensent des Times Literary SupplementWhat will happen to Hemingway when he has read this book? Wir kennen die Anwort, Hemingway hätte beinahe den Druck des Buches, das Kritiker damals quite the best book on Hemingway nannten, verhindert. Philip Young hat die Geschichte in der Neuauflage (Ernest Hemingway: A Reconsideration) erzählt. Saul Bellow, der eines Tages auch den Nobelpreis bekommen sollte, schrieb in The Partisan Review: an excellent book . . . not in the least academic, serious but not 'square. Den Professor Carlos Baker hat Hemingway auch nicht besonders geliebt. Der hatte schon im gleichen Jahr wie Philip Young ein Buch über ihn geschrieben, Hemingway: The Writer as Artist. Hemingway hat es nicht mehr erlebt, dass Baker (mittlerweile Professor in Princeton) eine beinahe tausendseitige Biographie über ihn geschrieben hat.

1981 hat Baker die Selected Letters 1917-1961 herausgebracht (obgleich Hemingway die Veröffentlichung seiner Briefe niemals gewünscht hatte). Beinahe 600 Briefe auf tausend Seiten. Und das sind nur die Selected Letters! Forscher in den USA bereiten eine Publikation aller Hemingway Briefe vor, zwei Bände sind bisher erschienen. Doch dies hier reicht erst einmal völlig aus. Es ist eine faszinierende Lektüre, und es gehört mit zum Besten, was Hemingway geschrieben hat. Wenn man wissen will, wer der Mann hinter der Maske des Großwildjägers wirklich war, sollte man diese Briefe lesen.

I have spoken too long for a writer. A writer should write what he has to say and not speak it. Again I thank you, sagt Hemingway am Ende seiner Nobelpreisrede. Er ist ein Mann der Kürze. Ich weiß nicht, wer über ihn gesagt hat, dass sein Stil eine Mischung aus der Sprache der Bibel in der King James Version und dem Telegraphenstil von Western Union ist, aber es passt doch gut. Hemingway soll die kürzeste Kurzgeschichte, sozusagen a short short story, geschrieben haben: For sale: baby shoes. Never worn. Aber die Geschichte ist wahrscheinlich nicht von ihm. Ein bisschen länger sind seine Kurzgeschichten doch.

But man is not made for defeat, sagt Santiago in The Old Man and the Sea. A man can be destroyed but not defeated. Die Novelle ist sein Comeback nach dem Flop des Romans Across the River and into the Trees. 1954 ist Hemingways annus mirabilis, aber auch der Beginn seines Untergangs. Er trinkt jetzt mehr als zuvor, die Depressionen werden strärker. Das Ende kennen wir.

Wenn Sie Hemingways Nobelpreisrede lesen wollen, ➱hier ist sie. Und wenn Sie ihm zuhören wollen, auch das gibt es ➱hier.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen