Dienstag, 15. Oktober 2013

Sakralbauten


Bevor man ad maiorem dei gloriam in schwindelerregende Höhen baute, baute man erst einmal Flachdächer. Sozusagen sakrale Schuhkartons. Die Konstantinbasilika in Trier ist ein schönes Beispiel dafür. In ihrer architektonischen Einfachheit ist sie ungeheuer eindrucksvoll. Ich finde sie viel beeindruckender als den Trierer Dom, der die älteste Bischofskirche in Deutschland ist. Nur wenn eine Kathedrale eine Bischofskirche ist, darf sie sich Dom nennen, damit wir das mal eben geklärt haben.

Bischöfe haben immer darauf geachtet, dass sie die schönsten und größten Kirchen haben. Als sei der Kathedralenbau eine olympische Disziplin: citius, altius, fortius. Da befindet sich der Herr Tebartz-van Elst seit dem Mittelalter in guter Gesellschaft. Wobei wir allerdings bedenken müssen, dass er ja keine Kathedrale baut, sondern nur ein besseres Gemeindehaus. Das auch noch potthässlich aussieht. Für das Geld, das er bisher verjuxt hat, hätte man im Mittelalter eine ganze Kathedrale gebaut. Das Bild zeigt den Limburger Dom wie ihn der Engländer George Clarkson Stanfield im 19. Jahrhundert sah. Das Bild zierte vor Jahren auch eine deutsche ➱Briefmarke.

Die Basilika in Trier, die von außen ein wenig wie ein Industriebau der zwanziger Jahre aussieht, steht in einem großen Gegensatz zu den prächtigen Kathedralen der französischen Gotik. Dass sie innen so bauhausmäßig karg ist, liegt daran, dass man bei der Wiederherstellung nach dem Brand im Jahre 1944 auf jede Art von historisierenden Ornamenten (die sich im 19. Jahrhundert noch fanden) verzichtet hat. Und vielleicht auch daran, dass es eine evangelische Kirche ist. Die haben es nicht so mit dem Zierrat.

Kathedralen sind Bauwerke der Macht, Macht des Bischofs, Macht des Königs. Bei denen man nicht wie Brecht fragen darf: Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt? Man darf auch nicht nach den Kosten fragen, weil dies ja Sakralbauten sind. Die ja das Symbol der Gottesstadt sind, des himmlischen Jerusalems. Darin sind sich die mittelalterlichen Autoren einig, die im Zweifelsfall immer die ➱Offenbarung des Johannes zitieren. Wenn man für etwas viel Geld ausgibt, dann soll das auch eine Bedeutung haben.

Die unbeantworteten Fragen nach den Kosten bleiben, nicht nur in Limburg, auch schon tausend Jahre früher. So sagt Hans-Egon Müller in seinem Buch Notre Dame von Chartres: Über Sinn und Geist der gotischen ArchitekturSehr oft wird danach gefragt, wie hoch sich die Baukosten einer gotischen Kathedrale etwa belaufen haben, und woher die zweifellos gewaltigen Summen kamen, die dafür aufgebracht werden mußten. Bezüglich der Baukosten haben mehrere Autoren Vergleichsrechnungen angestellt, die jedoch mit allen möglichen Unsicherheitsfaktoren belastet sind. Auch die Frage nach der Herkunft des Geldes läßt sich nicht in allen Einzelheiten beantworten. Und damit sind wir natürlich genau so schlau wie zuvor.

Es ist ja nicht der Geist der Gotik, der die ➱Kathedralen baut, es sind Baumeister und sogenannte Bauhütten. Der neue Typus des Architekten, derjenige, dem wir St. Denis und die späteren Kathedralen verdanken, ist der Hüttenmeister, der über den Bereich des Handwerklichen hinaus das Ansehen eines schöpferischen Künstlers genießt und dem damit eine ungleich größere Achtung entgegengebracht wird als den Steinmetzen der vergangener Jahrhunderte, sagt ➱Nikolaus Pevsner in Europäische Architektur: Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Und er sagt zu Anfang des Kapitels über die Früh- und Hochgotik: Der unbekannte Meister von St. Denis darf ohne Zögern als Schöpfer der Gotik bezeichnet werden. Der das ganze im Übrigen schnell vollendet hat, nach knapp vier Jahren ist Saint-Denis fertig. Ganz fertig sind diese Bauten ja nie, beim Kölner Dom hat es bis 1880 gedauert.

Im ➱Limburg baut man auch schon seit drei Jahren, allerdings ist das Gebäude nicht so groß und nicht so großartig wie die Abteikirche von Saint-Denis, die eine Grundfläche von 108 mal 39 Metern hat. Man muss aber sagen, dass Tebartz-van Elst fleißig an der Vergrößerung der Grundfläche seines Komplexes arbeitet. Waren 2008 nur 147 Quadratmeter geplant (also eine größere Altbauwohnung), so änderte sich die Planung (bei angeblich gleichen Kosten) noch im gleichen Jahr auf 475 Quadratmeter. Um dann auf 1.350 Quadratmeter zu steigen.

Über die mittelalterlichen Bauhütten wissen wir ein wenig, weil wir hier doch einige historische Dokumente besitzen. Und Dank des ➱Bauhüttenbuchs (ca. 1235) des Villard de Honnecourt aus der Picardie können wir einen kleinen Einblick in die Tätigkeit eines mittelalterlichen Baumeisters bekommen. Neben Wilhelm von Sens, der die Kathedrale von Canterbury baut (und der das Vorbild für den Baumeister in Ken Follets Roman Die Säulen der Erde ist), bleibt Villard de Honnecourt einer der wenigen, die wir namentlich kennen. Obgleich die Tätigkeit der Baumeister schon geschätzt wird. Vielleicht nicht von jedermann, so beklagt sich ein Priester, dass die Hüttenmeister zwar viel höhere Löhne als die Steinmetze bekämen, aber nur mit einem Stab in der Hand umherliefen und Anweisungen gäben. Et nihil laborant, fügt er hinzu, sie selbst tun nichts. Ein französischer König scheint jedoch anderer Meinung zu sein, wird er doch Pate des jüngstgeborenen Sohnes eines Hüttenmeisters und setzt eine beträchtliche Summe aus, damit der einmal ein Universitätsstudium ergreifen kann.

Ebenso wenig wie Tebartz-van Elst genau Buch über die Bautätigkeiten führt, tun dies die meisten Bauherren des Mittelalters. Der erste Bauherr, von dem wir etwas über die Bauarbeiten an einem großen Sakralbau erfahren, ist der Abt Suger von Saint-Denis. Der Freund und Berater zweier Könige ist ein mächtiger Mann, er ist von ganz unten nach ganz oben gekommen: er wird Regent von Frankreich, als Ludwig VII zu seinem Kreuzzug aufbricht. Er ist auch ein klein wenig eitel. Erwin Panofsky hat das in seinem wunderbaren Aufsatz Abbot Suger of St-Denis schön formuliert: There is no denying, in spite (or, rather, because) of his persistent protestations to the contrary, that Suger was animated by a passionate will to self-perpetuation. To put it less academically: he was enormously vain und As a 'beggar lifted up from the dunghill' Suger was naturally not free from that arch-weakness of the parvenu, snobbery. Es liegt mir jetzt völlig fern, irgendwelche Vergleiche mit dem Kirchenfürsten von Limburg anzustellen.


In seinen Schriften wird Suger uns versichern, dass das ➱Endergebnis tam forma quam materiam mirabile sei (der Bischof von Limburg sollte sich diesen Satz gut merken, vielleicht kann er ihn noch mal gebrauchen). Und er fügt, Ovid zitierend, noch hinzu: ut a quibusdam dici possit: 'materiam superabat opus'. Wir erfahren auch, dass er selbst mit den Zimmerleuten in den Wald geht, um das passende Holz zu suchen: Eines Nachts besann ich mich nach der Rückkehr von der Frühmette im Bette, ich müsse doch persönlich in alle Teile unserer Wälder eindringen und sie nach allen Richtungen durchstreifen, um Verzögerung und Arbeit zu ersparen, wenn die Stämme hier gefunden werden könnten. Wir unterdrückten alle anderen Sorgen und eilten am frühen Morgen mit den Zimmerleuten und Holzfällern in den Wald von Iveline.


Der Abt Suger sorgt auch dafür, dass man ihn nicht vergisst. Zahlreiche Inschriften - die wir zur Ehre Gottes und der Heiligen vergolden ließen - bezeugen im Inneren der Kirche, dass er, Sugerius, dies hier gebaut hat. Wenn es natürlich auch alles ad maiorem dei gloriam gebaut ist, spricht doch doch ein kaum kaschierter Stolz aus den ➱Zeilen an der Westfront der Kirche:

Portarum quisquis attollere quaeris honorem,
Aurum nec sumptus, operis mirare laborem.
Nobile claret opus, sed opus quod nobile claret,
Clarificet mentes ut eant per lumina vera
Ad verum lumen, ubi Christus janua vera.
Quale sit intus determinat aurea porta
Mens hebes ad verum per materialia surgit, 

Et demersa prius hac visa luce resurgit.

Suger erwähnt allerdings in all seinen Schriften mit keinem Wort, wer denn der Baumeister gewesen ist, der ihm ad maiorem dei gloriam dies erste Bauwerk der abendländischen Gotik gebaut hat. Da gibt es zwar einen Satz wie: Drei Jahre lang, Sommer und Winter, betrieben wir eifrig unter großem Kostenaufwand und mit Hilfe zahlreicher Handwerker die Vollendung des Werkes. Aber das ist es auch schon. Die genauen Baukosten finden natürlich auch keinerlei Erwähnung. Das versteht sich von selbst.

Das hier ist der Heilige Dionysius, der erste Bischof von Paris. Als man ihn auf dem Montmartre enthauptet hatte, hat er seinen Kopf genommen und bis zu der Stelle getragen, wo er begraben sein wollte. Sagt die Legende. An der Stelle steht natürlich auch die Basilique de Saint-Denis. Und wenn der Abt Suger auch ein klein wenig eitel ist, dann beweist er mit seiner Lebensführung doch, dass er seiner geistlichen Stellung würdig ist: Er wohnte in einer ganz kleinen Zelle und schlief auf einem Strohbette, das am Tage durch eine schöne Decke verborgen, bei Nacht aber mit einer rauhen wollenen Decke bedeckt war. Als er im J. 1152 sein Lebensende nahe fühlte, ließ er sich in den Capitelsaal bringen, und bat daselbst seine Mitbrüder auf den Knieen um Verzeihung für alle Versäumnisse und Fehler, die er sich während seiner dreißigjährigen Amtsführung hatte zu Schulden kommen lassen. Sein Leichenbegängniß war fürstlich; der König mit seinem Hofstaat und viele Bischöfe verherrlichten dasselbe. Das ist aus einem Heiligenlexikon aus dem Jahre 1858, man muss wohl nicht alles wörtlich nehmen, was da steht. Das mit dem fürstlichen Leichenbegängnis ist allerdings wahr.

Suger von Saint-Denis wurde in seiner Kirche begraben. Wie beinahe alle Könige Frankreichs. Während der Französischen Revolution wurde sein Grab geplündert (wie die Gräber der Könige), seine Überreste wurden in einem Massengrab außerhalb der Kirche beerdigt. Der französische Maler Hubert Robert hat das in seinem Bild La Violation des caveaux des rois dans la basilique de Saint-Denis festgehalten. Ich weiß jetzt nicht, ob man zu dieser Grabschändung jetzt Liberté, Égalité, Fraternité sagen soll oder sic transit gloria mundi.

Natürlich habe ich das heute nicht ohne Bezug auf den Herrn Tebartz-van Elst geschrieben, jenen Mann, der Designerbrillen trägt, und an dessen BMW mit den abgedunkelten Scheiben die Nummernschilder ständig gewechselt werden. So etwas hatte ➱James Bond in seinem Aston Martin auch. Der Vorgänger von Franz-Peter Tebartz-van Elst fuhr einen alten Golf und überließ, horribile dictu, seinen bischöflichen Amtssitz den Asylbewerbern. Wenn ich die Eitelkeit von Suger betont habe, so muss man natürlich sagen, dass er ein großer Mann gewesen ist. Obgleich er körperlich klein war: Corpore, gente brevis, gemina brevitate coactus In brevitate sua noluit esse brevis schrieb ein Freund nach seinem Tod. Der Mann, der sich weigerte, ein kleiner Mann zu sein, hat sich nicht nur um seine Gemeinde, sondern um ganz Frankreich verdient gemacht. Man hat ihn wegen seines segensreichen Wirkens auch pater patriae, den Vater des Vaterlandes genannt. Insofern stimmt der Vergleich mit dem Limburger Bischof an keiner Stelle, der ist kein großer Mann. Er hat auch keinerlei Verdienste.

Wenn Sie jetzt noch mehr über Suger von Saint-Denis und den Beginn der Gotik wissen wollen, hätte ich natürlich etwas für Sie. Zuerst einmal bewegliche Bilder, es gibt ➱hier einen sehr informativen Film mit dem Titel Giganten der Gotik. Und ➱hier eine kleine Besichtigungstour durch die Kathedrale. Die Schriften von Suger (Ausgewählte Schriften: Ordinatio. De consecratione. De administratione) sind, herausgegeben von Andreas Speer und Günther Binding, bei der ➱Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienen. Erwin Panofskys Aufsatz Abbot Suger of St-Denis ist in dem Sammelband Meaning in the Visual Arts abgedruckt. Er war zuerst 1946 als Einleitung zu den von Panofsky edierten Schriften Sugers erschienen.

Einer der wenigen Kunsthistoriker, der konsequent die Baubedingungen im Mittelalter untersucht hat, ist ➱Martin Warnke mit seinem Buch Bau und Überbau. Soziologie der mittelalterlichen Architektur nach den Schriftquellen. Wenn man so will, beantwortet das Buch manche Fragen, die Bertolt Brecht in seinem Gedicht Fragen eines lesenden Arbeiters stellt. Das Buch Die gotische Kathedrale von Otto von Simson (1968 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienen) bleibt ein Klassiker der Kunstgeschichte. Und auch Hans Jantzens kleinen Band (in der Reihe rowohlts deutsche enzyklopädieKunst der Gotik: Klassische Kathedralen Frankreichs: Chartres, Reims, Amiens, kann man noch mit Gewinn lesen. Und gegen den Wikipedia Artikel zur Gotik will ich auch nichts Böses sagen.


1 Kommentar:

  1. Historische Parallelen, die über HISTÖRCHEN derartig hinaus gehen, haben ihren unbedingten Reiz. Heute kann aber auch keiner mehr eine katholische gothische Kathedrale für 31 Mio Euro bauen.

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