Dieses Bild sah ich letztens in der Literaturbeilage der Süddeutschen, da drunter war eine Rezension zu einem neuen Buch von Louis Begley. Der Name des Malers fand ich auf den ersten Blick nicht, ich war geblendet von dem Strand. Von den Sonnenschirmen abgesehen, gibt es nur drei Farben für Strand, Meer und Himmel, alles ist beinahe durchsichtig. Von wem war das Bild? Stand vielleicht in der Rezension, wer das Bild gemalt hatte? Musste ich das lesen? Ich lese ungern Rezensionen von Werken von Autoren, die ich eh nie gelesen habe. Falls es Ihnen auch so geht - und falls Sie zufälligerweise Bücher rezensieren - hätte ich einen wunderbaren Literaturtip für Sie. Der Autor des Buches heißt Pierre Bayard. Und sein Werk heißt: Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat. Auch wenn das so klingt, als ob ich den Titel gerade erfunden habe, es gibt das Buch wirklich. Und es ist sehr witzig.
Das Strandbild ist natürlich von Edward Hopper, es ist vor Jahren bei Christies für den stolzen Preis von 993.000 Dollar verkauft worden. Für ein Aquarell, das nur 30x45 cm groß ist, ist das ganz schön happig. Aber Kunst wird nun mal nicht nach dem Preis für den Quadratzentimeter verkauft. Das Bild würde wahrscheinlich als preiswerte Reproduktion auch gut an der Wand wirken. Weißer Sand, See und Sonne wirken immer auf einem Bild. Vor allem, wenn man so malen kann wie Edward Hopper. Der hat einmal Renoir zitiert: There is something in painting which cannot be explained, and that something is essential (er sagt das am Anfang des schönen ✺Dokumentarfilms, den Arte einmal gesendet hat, es gibt den auch auf DVD). Was ist hier das essential something? Ist es das tintenblaue Meer, der azurblaue Himmel? Oder ist es die Erinnerung an all die Strände, die wir gesehen haben? Jeder Betrachter beißt sich an irgendetwas fest. Hopper (und seine Frau, die Malerin Jo Nivison) sind nicht die ersten, die die Schönheit von Gloucester in Massachusetts entdecken. Schon seit dem 19. Jahrhundert ist das hier eine Malerkolonie, wo beinahe alle amerikanischen Maler gewesen sind. Wenn sie nicht wie William Merritt Chase Long Island für sich entdecken.
Und die Zauberformel funktioniert nicht nur in Amerika, das geht auch bei uns an der Nordsee. Ich habe in meinem Kopf Strandbilder gespeichert (allerdings sind die Frauen darauf weniger bekleidet), die sich irgendwo zwischen Langeoog und Hennestrand in die Erinnerung geschlichen haben. Dieses flirrende Weiß der Strände, bei dem der Belichtungsmesser der Kamera durchdreht. Es funktioniert natürlich auch an der Ostsee von Schilksee bis Skagen. Was mein Kopf mit blonden Schwedinnen verbindet, die Gunilla Hedmark heißen. Die sich immer noch nicht gemeldet hat, obgleich ich sie schon in den Blog geschrieben habe. Dies Bild ist 1894 irgendwo an der Küste von Mecklenburg oder Pommern gemalt worden. Das Bild ist von dem Flensburger Maler Ludwig Dettmann, einem ungeheuer begabten Maler. Aber so schön die Frauen mit Kind am Strand anzuschauen sind, ich muss bei dem Bild immer daran denken, dass der Maler vierzig Jahre später ein glühender Nationalsozialist war.
Nichts an Hoppers Bild ist wirklich neu. Wenn ich mal eben als Beweis ein Bild einfügen darf, dass einhundert Jahre älter ist als Hoppers Aquarell. Zugegeben, für das Jahr 1825 ist das Bild von Richard Parkes Bonington (zu dem es hier einen Post gibt) revolutionär und seiner Zeit weit voraus. Zu der Zeit malt bei uns Caspar David Friedrich, der malt zwar auch den Strand und das Meer, aber niemals so impressionistisch hingehaucht. Man kann ähnliche Stimmungen wie bei Bonington natürlich auch bei Eugène Boudin beobachten (zu dem es hier natürlich auch einen Post gibt, so etwas Schönes lasse ich nicht aus).
Selbstverständlich habe ich auch ein Strandbild von Winslow Homer, obgleich man das auf den ersten Blick eher für einen französischen Impressionisten halten würde. Die Steilküste, die Badehäuser und der boardwalk gehören nicht nach Deauville, dies ist Long Branch, New Jersey. Kurz nach dem Ende des Bürgerkriegs gemalt, sehr klein (40x70 cm), aber doch ungeheuer eindrucksvoll. Es ist mehr Farbe im Sand der Steilküste, dieses Gelb, das Hopper und Dettmann effektvoll durch ein off white ersetzt haben. Wodurch der Strand natürlich eine größere Dimension der Abstraktion erfährt.
Was Winslow Homer auch kann, wenn man sich sein Bild Prouts Neck anschaut. Mehr Abstraktion geht nicht. Vergleichen Sie dies Bild doch eben einmal mit Hoppers Railroad Sunset. In solchen Bildern liegt auch die Wurzel einer amerikanischen Malerschule, die man American Precisionism nennt (und über die ich seit Jahren mal schreiben will). Maler wie Charles Sheeler, George Ault oder Ralston Crawford. Wenn Sie einen Eindruck von der Kunst der zwanziger und dreißiger Jahre haben wollen, kann ich Ihnen nur den hervorragenden Blog Weimar ans Herz legen.
Dies Bild von Ralston Crawford ist aus dem Jahre 1950, er hat aber zehn Jahre zuvor genauso gemalt (ich habe ➱hier eine wirklich gute Seite dazu). Auf Crawfords Bild sind wie bei Homers Bild vom Sonnenuntergang in Prouts Neck keine Menschen mehr. Wenn man bei Caspar David Friedrichs ➱Mönch am Meer den Mönch weg retuschieren würde, hätte man auch ein schönes abstraktes Strandbild. Solche Bilder beweisen sicher die These, die Robert Rosenblum in Modern Painting and the Northern Romantic Tradition: Friedrich to Rothko aufgestellt hat. Dass es eine Beziehung zwischen ihm und der Moderne gibt.
Zu dem Bild Caspar David Friedrichs könnten wir eine Geschichte erfinden. Zu dem Bild Winslow Homers mit den Damen an der Steilküste von Long Branch und zu Dettmanns Damen am Strand auch. Wir können uns bei Dettmanns Ostseestrand vorstellen, das sei Effi Briest mit ihrem Kind und einer Freundin, zeitlich würde es passen. Aber was erzählen uns die Menschen auf Hoppers Bild? Es ist diese typische Vereinsamung, die wir immer wieder bei Hopper finden, die wir alle aus Nighthawks kennen. Den größten Grad der Abstraktion erreicht erreicht Hopper wahrscheinlich mit seinem Bild Rooms by the Sea (gleichzeitig gemalt mit Ralston Crawfords Bild der Brücke).
Oder mit dem Bild Sun in an Empty Room, zwölf Jahre nach Rooms by the Sea gemalt. Ich hatte jahrzehntelang eine Abbildung davon in meinem Büro in der Uni. Ich habe zwar über zehn Regalmeter Bücher an meine Studis verschenkt als ich ging, aber diese Illustration habe ich mitgenommen. Den echten Jay (auch eine abstrakte Strandszene), der an der gegenüberliegenden Wand hing, habe ich natürlich auch mitgenommen. Hängt jetzt bei mir im Wohnzimmer.
Da hängt auch ein Bild von einem Dänen aus den dreißiger Jahren, das wie ein Hopper aussieht. Ist das ein Hopper? fragen Gäste immer wieder. Der Maler heißt J.P. Sorenson, ich weiß nichts über ihn. Ich habe das Bild natürlich nur gekauft, weil es wie ein Hopper aussieht. Aus dem gleichen Grund habe ich vor Jahrzehnten eine Variante von diesem Bild von Antje Marczinowski gekauft. Nicht dies Ölbild, meins ist ein klitzekleines Aquarell, das aber eine unheimliche Hopper Wirkung entfaltet.
Bevölkern viele Maler, die um die Jahrhundertwende den Strand als Motiv entdecken, ihre Strände noch mit wirklichen Menschen, so scheint das Hopper nicht sonderlich zu interessieren. Wenn er sich mit Jo in South Truro das Haus gebaut hat, das auf die Cape Cod Bay blickt, wird er nie auf das Meer schauen. Jo blickt zur See, Edward Hopper blickt auf die Dünen und Hügel. Die Moderne verbannt mit ihrer Abstraktion die Fröhlichkeit aus den Bildern. Lustiges Strandleben sieht anders aus als da bei Edward Hopper 1924 in auf dem Strand von Gloucester. Vielleicht eher so wie bei dem amerikanischen Impressionisten Edward Henry Potthast, der den Strand von Long Island auf seinen Bildern gerne mit Kindern bevölkerte. Kinder kommen beim Publikum immer gut an, aber Hoppers Strand hat offensichtlich irgendwo ein Schild, auf dem no kids allowed steht. Auf dem Strand, den Manet (der ein großes Vorbild Hoppers war) in Boulogne malt, sind Familien mit Kindern zu sehen, auf dem Strand von Norderney, den Albert Weisgerber malt, auch. Ich habe das Gefühl, dass es auf den Bildern von Hopper wie in seinem Leben überhaupt nie Kinder gibt.
Die Reduktion der Farben, die Hopper und Dettmann vornehmen, findet sich auch auf dem 1908 gemalten Bild von Max Liebermann. Gemalt am Strand von Noordwijk. Da ist Liebermann seit 1906 gerne, er meidet das vornehmere Scheveningen. Seinen Galeristen Paul Cassirer zieht es auch nach Noordwijk, der baut sich nämlich 1906 in den Dünen von Noordwijk ein Ferienhaus. Noordwijk ist damals offensichtlich fest in deutscher Hand, wie man an den kleinen Fähnchen auf den Sandburgen sehen kann.
Vielleicht war es ja damals schön, aber vor einem halben Jahrhundert gab es da zwischen Bergen, Egmond und Katwijk keine wirklich schönen Strände. Jacob van Ruisdael wusste schon, weshalb er nur den Himmel malte, als er den Strand von Egmond aan Zee malte. Nein, ich habe nichts gegen die Holländer, ich liebe die Krimis von Nicolas Freeling und Janwillem van de Wetering. Und der Post Holländer ist mit Liebe geschrieben. Und seit ich da x-mal Urlaub gemacht habe, esse ich noch immer Honigkuchen zum Frühstück. Nur ohne Schokoladenstreusel.
Vielleicht war es ja damals schön, aber vor einem halben Jahrhundert gab es da zwischen Bergen, Egmond und Katwijk keine wirklich schönen Strände. Jacob van Ruisdael wusste schon, weshalb er nur den Himmel malte, als er den Strand von Egmond aan Zee malte. Nein, ich habe nichts gegen die Holländer, ich liebe die Krimis von Nicolas Freeling und Janwillem van de Wetering. Und der Post Holländer ist mit Liebe geschrieben. Und seit ich da x-mal Urlaub gemacht habe, esse ich noch immer Honigkuchen zum Frühstück. Nur ohne Schokoladenstreusel.
Die Häufung der Strandbilder in der Zeit zwischen 1880 und 1930 ist erstaunlich. Und dabei habe ich bei meinen Beipielen die Künstlerkolonien von Ekensund und Skagen ausgelassen, wo wir natürlich noch mehr Strandbilder finden. Das kann ich tun, weil es zu Skagen und zur dänischen Kunst schon zwei Posts in diesem Blog gibt. Dieser Ostseestrand wurde von Friedrich Mißfeldt gemalt, ich habe das schöne Bild schon hier erwähnt. Es ist viel schöner als das großformatige Strandbild, das der Warleberger Hof in Kiel besitzt. Aber da ist natürlich auch eine deutsche Flagge mit drauf. Deutsche Flaggen müssen am Strand während der Kaiserzeit offenbar sein.
Wenn man noch mehr solcher Strandbilder wie Gloucester Beach, Bass Rocks bei den Bildern von Hoppers Sommeraufenthalten in Gloucester zwischen 1923 und 1928 sucht, wird man enttäuscht werden. Strände interessieren ihn überhaupt nicht. Aber diese Automobile hinter den Felsen, die malt er schon. Dafür kann er sich begeistern. Für die Häuser von Gloucester auch: At Gloucester, when everybody else would be painting ships and the waterfront, I’d just go fish around looking at houses. It is a solid-looking town. The roofs are very bold, the cornices bolder. The dormers cast very positive shadows. The sea captain influence I guess — the boldness of ships.
Und Hopper hat auch gesagt: Maybe I am not very human. What I wanted to do was paint sunlight on the side of a house. So malt er denn bei den Sommeraufenthalten nicht den Strand von Gloucester, er malt Häuser wie dieses. Das macht ihn glücklich: There is a sort of elation about sunlight on the upper part of a house.
An dieser Stelle beende ich einmal unseren kunsthistorischen Strandspaziergang. Die Räume mit den vielen Bildern von Emil Nolde und Siegward Sprotte heben wir uns für ein anderes Mal auf. Sie haben sich natürlich die ganze Zeit gefragt, was das ythlaf da oben im Titel soll. Es ist ein Wort aus dem Altenglischen, das wohl schlicht Strand bedeutet. So ganz sicher ist man sich da nicht, weil das Wort nur zweimal im Altenglischen vorkommt. Das Wort ist aus zwei Wörtern zusammengesetzt, wobei das yth- Welle(n) bedeutet, das -laf so etwas wie Überrest. Damit sind wir bei einer Besonderheit der altenglischen Dichtung, dem Kenning, eine poetische Zusammenfügung von zwei Wörtern, die dann etwas Drittes bedeuten. So wird aus hwal (whale) und rade (road) die hwal-rade, nämlich das Meer (hron-rade kommt schon in der zehnten Zeile vom Beowulf vor). Und ythlaf, der Überrest der Wellen, ist natürlich der Strand. Ist doch ganz einfach.
Der Familienname Hopper kommt übrigens vom altenglischen hoppian, was tanzen bedeutet. Obgleich das Tanzen auf seinen Bildern keine Rolle spielt. Wenn überhaupt mal getanzt wird, dann lässt er Jo über die Bühne huschen. Wie auf seinem Bild Girlie Show von 1941. Sie hat sich über die Malbedingungen beklagt: Ed beginning a new canvas—a burlesque queen doing a strip tease—and I posing without a stitch on in front of the stove—nothing but high heels in a lottery dance pose. Aber was soll das Klagen, sie erlaubte ihrem Mann ja keine Nacktmodelle. Wahrscheinlich auch keine Nacktbadestrände. Aber so etwas gibt es in Amerika ja sowieso nicht.
In diesem Blog gab es schon zwei Posts zu Edward Hopper (und er wird in vielen anderen erwähnt), die Einsamkeit und Edward Hopper heißen. Der letzte ist in der letzten Woche hundert Mal angeklickt worden, ich weiß nicht weshalb. Aber vielleicht macht dies heute ja die Hopper Fans glücklich. Es beantwortet auch die Frage, die Georg (der alle englischen Kreuzworträtsel lösen kann) im Guardian Cryptic fand: A one-legged painter? Sechs Buchstaben, fängt mit H an. Das Standardwerk der vor kurzem verstorbenen Gail Levin Edward Hopper: The Art and the Artist aus dem Jahre 1980 ist immer noch preisgünstig erhältlich. Und falls Sie einen echten Hopper kaufen wollen, hier ist ein Gesamtverzeichnis seiner Werke.
Noch mehr Hopper findet sich in diesem Blog unter: Einsamkeit, Edward Hopper, Jo Hopper (und Eddie)
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